Ich, der Schuss ins Herz & Shadow of the Colossus

28.06.2016 - 09:00 Uhr
Shadow of the Colossus
Sony Interactive Entertainment
Shadow of the Colossus
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Wenn ich nur einen Titel zu meinem Herz für Klassiker machen könnte, wäre es Shadow of the Colossus. Es ist eines der Spiele, an dem für mich einfach alles stimmt und das mich immer und immer wieder genau dahin trifft, wo es weh tut — mitten ins Herz.

Genauso wie Hauptfigur Wander zuverlässig die Schwachstelle eines jeden der sechzehn Kolosse findet, geht mir Shadow of the Colossus bis zum heutigen Tage immer wieder unter die Haut. Untermalt von fantastischer Musik lassen mich atemberaubende Giganten voller Erfurcht erzittern, während mich ein grausames Unterfangen durch die karge und gleichzeitig mit so viel Bedeutung gefüllte Spielwelt treibt. Doch in Shadow of the Colossus geht es um so viel mehr als eine Aneinanderreihung epischer Bosskämpfe. Jedes Mal aufs Neue rühren mich bestimmte Stellen zu Tränen, auch wenn ich sie schon oft durchlebt habe. Es ist wie bei der Szene in Titanic, wenn sich die Band dazu entschließt zu musizieren, bis das Kreuzfahrtschiff auf den Grund des Ozeans sinkt.

An dieser Stelle möchte ich eine Spoiler-Warnung aussprechen. Wenn ihr Shadow of the Colossus also bis jetzt noch nicht gespielt habt, dann macht auf dem Absatz kehrt und widmet eure Zeit dieser Perle.

In meinen Augen schafft Shadow of the Colossus auf bislang unerreichte, ruhige Weise über weite Strecken mit genau der richtigen Balance zwischen gestreuten Informationshäppchen und zurückgehaltenen Geheimnissen eine Geschichte zu erzählen, die mir auf eine befriedigende Art Raum für eigene Interpretationen lässt. Denn es wird nie wirklich klar, weshalb Mono ihr Leben lassen musste und auch ihre Beziehung zu Wander bleibt – ebenso wie dessen Hintergrundgeschichte – ein Rätsel. Wer oder was die körperlose Präsenz Dormin ist, die die Macht besitzt Tote auferstehen zu lassen und dafür den Tod der Giganten einfordert, bleibt ungeklärt. Ebenso wie der Grund dafür, dass die sechzehn Kolosse Fragmente dieses Wesens in sich tragen.

Shadow of the Colossus

Die Stars von Shadow of the Colossus sind ohne Frage diese, mal mehr und mal weniger, sanften Riesen. Durch ihre individuellen Erscheinungsbilder, Lebensräume, Temperamente und Angriffsstrategien ist jeder Bosskampf etwas ganz Besonderes. Und vor allem ganz besonders herzzerreißend. Selbst wenn die Giganten über Wander herfallen, so ist es doch meine Schuld, weil ich mit der Absicht sie zu töten in ihr Revier eingedrungen bin. Um Mono wieder in die Welt der Lebenden zu holen, rotte ich aber nicht nur eindrucksvolle Kolosse aus, ich zerstöre auch den Körper und Geist des Protagonisten.

Denn mit jedem erlegten Giganten wird ein Teil von Dormin frei gesetzt, der wiederum von Wander aufgenommen wird. Im Endeffekt führt das dazu, dass Dormin die volle Kontrolle erlangt und ihn in eine Schatten-Kreatur verwandelt. Ganz am Ende des Spiels bleibt also nicht viel mehr vom vermeintlichen Helden Wander übrig als ein gehörnter Säugling, der von der wieder lebendig gewordenen Mono im von der Außenwelt abgeschnittenen Tempel großgezogen wird. Oder jedenfalls das, was Dormin aus ihm gemacht hat.

Shadow of the Colossus

Ja, ich habe am Ende von Shadow of the Colossus so einige Tränen vergossen. Noch viel schlimmer ist für mich aber die Szene, in der Wanders treuer Begleiter Agro in seinen vermeintlichen Tod stürzt, weil das Pferd mit letzter Kraft das Leben seines Reiters rettet. Wenig später wird übrigens klar, dass es sich auf mysteriöse Weise bei einem Sturz aus einer derartigen Höhe allem Anschein nach doch nur ein Hinterbein verstaucht hat. Da habe ich auch geweint. Aber zurück zur dramatischen Szene, in der es so scheint, als sei Agro für immer in die ewigen Jagdgründe eingegangen.

Ich kann mich noch genau daran erinnern, wie ich damals fassungslos mit einigen meiner Freundinnen auf den Bildschirm starrte, als das Tier kurz vor Ende des Spiels hunderte von Meter in einen Fluss hinabstürzte. Unser Entsetzen lähmte uns regelrecht und nachdem wir aus dieser Schockstarre befreit hatten, luden wir den letzten Speicherpunkt neu, versuchten die Tragödie irgendwie zu verhindern. Doch am Ende der Cutscene sahen wir wieder, wie Wander mit uns bestürzt in den Abgrund schaute, der soeben seinen einzigen Freund verschlungen hatte.

Shadow of the Colossus

Als ich klein war, habe ich zwar irgendwann einmal die Wendy, die Lissy, die Jessy – und welche Namen diese ganzen Pferdemagazine der Neunziger sonst noch so trugen – gelesen, aber eine Pferdenärrin bin ich niemals mit ganzem Herzen gewesen. Dass ich in meinen Teenagerjahren mal Rotz und Wasser wegen eines solchen Tieres weinen sollte, wenn es in einem Videospiel das Zeitliche segnet, hätte ich mir niemals träumen lassen.

Shadow of the Colossus traf mich damals und trifft mich noch bis zum heutigen Tage dahin, wo es wirklich weh tut – direkt ins Herz. Das Spiel schickt mich auf eine Reise um Wesen zu töten, denen ich persönlich kein Haar krümmen will. Es lässt mich seinen Protagonisten körperlich und seelisch für eine Sache zerstören, die er am Ende gar nicht miterlebt. Es lässt mich Wander und auch Agro für das Unterfangen aufopfern, Mono wiederzubeleben. Dabei ist nicht einmal klar, ob der gehörnte Säugling die beiden in dem abgelegenen Tempel überhaupt am Leben lässt, wenn er ausgewachsen ist.

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