Ich, Flucht oder Sieg & Pelés Fallrückzieher

17.06.2014 - 08:50 UhrVor 10 Jahren aktualisiert
Warner
Flucht oder Sieg
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Fußball! Nazis! Pelé! Sylvester Stallone! Michael Caine! Was will man mehr? Passend zum Start der WM in Brasilien geht mein Herz für Klassiker an einen der skurrilsten Fußballfilme überhaupt: Flucht oder Sieg.

Fußball und Kino passen irgendwie nicht zusammen. Fußball und Hollywood noch weniger. Was für Boxen oder Baseball oft so wunderbar funktioniert, kriegen die Amerikaner für die populärste Sportart der Welt einfach nicht hin. Sie verstehen einfach die Feinheiten des Spiels nicht. Flucht oder Sieg von Hollywood-Legende John Huston ist da nicht wirklich eine Ausnahme. Das abschließende Spiel ist zwar fußballerisch von hoher Qualität, aber vom Verlauf her sogar für die Traumfabrik sehr unrealistisch, was in Pelés ikonischem Fallrückzieher gipfelt. Auch Sylvester Stallone hatte nicht wirklich verstanden, wie es funktioniert. Während der Dreharbeiten bestand der Star darauf, dass er das entscheidende Tor erzielt. Das Problem? Er spielte den Torwart. Schlussendlich gelang es dem Produktionsteam Sly umzustimmen, nachdem er in einer zusätzlichen Szene einen Elfmeter parieren durfte.

Flucht oder Sieg erzählt die Geschichte eines Fußballspiels zwischen einer zusammengewürfelten Elf von alliierten Kriegsgefangenen und der durchtrainierten Mannschaft der Wehrmacht. Das Spiel, das als Machtdemonstration der Wehrmacht in Paris fungieren soll, wird von einem deutschen Offizier (Max von Sydow) organisiert. Angeführt wird das Team der Alliierten von Michael Caine als Captain John Colby, einem ehemaligen Fußballprofi aus England. Gleichzeitig versucht der amerikanische Häftling Robert Hatch (Stallone) die Flucht der Mannschaft zu organisieren. Neben den erfahrenen Schauspielern rekrutierten die Produzenten eine Reihe von professionellen Fußballspielern in kleineren Rollen, darunter Weltstars wie Pelé, Sir Bobby Moore und Osvaldo Ardiles.

Warum ich Flucht oder Sieg mein Herz schenke
“Objektiv” gesehen, ist Fluch oder Sieg ein ziemlich mittelmäßiger Film. Das Drehbuch ist sehr berechenbar und aufgebaut wie alle anderen Sport- und Kriegsfilme auch. Es fällt auf, dass die Schauspieler keine Fußballer sind und dass die Fußballer keine Schauspieler sind. Vor allem Stallone hechtet durch den Strafraum, als hätte er noch nie ein Spiel gesehen (Sondertraining mit der englischen Torwartlegende Gordon Banks war keine große Hilfe). Aber das trägt auch irgendwie zur Anziehungskraft des Films bei.

Die Fußballszenen selbst sind auf eine charmante, aber leicht inkompetente Art und Weise umgesetzt. Die Kamera wechselt unbeholfen zwischen Groß- und Nahaufnahmen, zwischen Spielfeld und Tribüne. Wie in jedem amerikanischen Film wird das entscheidende Tor natürlich per Fallrückzieher erzielt. Auch wenn das, was auf dem Spielfeld stattfindet, nicht perfekt ist, schafft es John Huston, ein Element besser darzustellen als die meisten Filme in diesem Genre: die Kraft der Masse.

Als die Allierten beginnen, ihren zwangsläufigen Weg zurück in ein verloren geglaubtes Spiel zu finden, flippt das Pariser Publikum regelrecht aus. “Victoire! Victoire! Victoire!”, grölen die Franzosen herausfordernd im Chor, während die Nazi-Offiziere sich unbequem umschauen. Dies führt zur Darbietung der Marseillaise, bei der ich jedes Mal Tränen in den Augen habe. Wie in Casablanca schafft es die Leidenschaft und der revolutionäre Geist der französischen Nationalhymne, große Gefühle hervorzurufen. “Aux armes, citoyens, formez vos bataillons, marchons, marchons!”

Warum auch andere Flucht oder Sieg lieben werden
Auch wenn ihr keine großen Fußball-Fans seid, hat Flucht oder Sieg seinen Reiz. Die ersten 90 Minuten funktionieren wie ein gewöhnlicher, klassischer Kriegsfilm im Stile von Gesprengte Ketten. Der Film war eigentlich sogar in den frühen 80ern schon unglaublich altmodisch. Der Optimismus, die Leichtigkeit und der Sinn für Spektakel erinnern eher an die Kriegsfilme der 50er und 60er Jahre. Flucht oder Sieg besitzt eine gewisse Unschuld, die dem amerikanischen Kino nach Vietnam größtenteils verloren ging.

John Huston, der selbst noch aus dieser Zeit stammt, inszeniert die Geschichte mit einer schamlosen, bewussten Sentimentalität, wie es nur die wenigsten könnten. Die wunderbare Filmmusik von Bill Conti (Rocky) bringt den Ton und die Atmosphäre auf den Punkt. Da es eigentlich nur eine amerikanische Figur gibt, kommt es auch nicht zu einer predigenden, patriotischen Botschaft. Gefeiert wird nur die Revolution und der Triumph über das Böse. Flucht oder Sieg ist der perfekte Film für einen faulen Sonntagnachmittag für die ganze Familie.

Warum Flucht oder Sieg die Jahrzehnte überdauern wird
In England hat man diese Qualitäten von Flucht oder Sieg bereits erkannt, denn dort ist Escape to Victory, wie er auf der Insel heißt, längst Kult. An jedem Feiertag ist Pelés Fallrückzieher mindestens einmal im Nachmittagsprogramm eines großen Fernsehsenders zu sehen. Die Leute lachen über die Schwächen des Films, über Stallones Torwart-Parodie, über Michael Caines Unbeweglichkeit und trotzdem werden sie vom Ende berührt. Es ist kein makelloser Film, aber er ist sehr unterhaltsam. Eine kleine Oase in der leeren Einöde der Fußballfilme, die ein Herz für Klassiker verdient hat. Jetzt alle: “Allons enfants de la Patrie, le jour de gloire est arrivé!”

Welcher Fußball-Film ist euer Favorit?

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