Inherent Vice präsentiert sich als wenig spektakulär. Doch genau darin liegt die Stärke der Verfilmung des gleichnamigen Romans von Thomas Pynchon. Keine überraschenden Wendungen, keine großen Auseinandersetzungen zwischen Gesetzeshütern und Verbrechern und kein Sieg der Gerechtigkeit. Sondern ein Abtauchen in Absurditäten eines drogenberauschten Kaliforniens in den 1970ern. Als klassischer Detektivfilm angelegt, bedient sich Inherent Vice gängigen Erzählmustern und verwehrt sich ihnen zugleich. Getragen von durchgedrehten Charakteren und aberwitzigen Dialogen entfaltet sich der Film als paranoider und psychedelischer Trip in eine Zeit, in der die Manson-Morde und die Watergate-Affäre eine tiefe Verunsicherung in der Gesellschaft auslösten, die sich scheinbar nur noch im Rausch der Drogen wohlfühlte.
Doc Sportello (Joaquin Phoenix), Privatdetektiv und Dauerkiffer, bekommt Besuch von seiner Ex-Freundin Shasta Fay (Katherine Waterson), die ihn um Hilfe bittet. Sie erzählt ihm von einem Komplott gegen ihren Liebhaber Mickey Wolfman (Eric Roberts), einen reichen Immobilienbesitzer in Los Angeles, der scheinbar von seiner Frau Sloane (Serena Scott Thomas) und dessen Geliebten Riggs Warbling (Andrew Simpson) entführt und in eine Irrenanstalt gesteckt werden soll. Doc wird gebeten, die Verschwörung aufzudecken. Kurz darauf verschwindet Shasta spurlos und er begibt sich hinein in ein Dickicht aus Machenschaften, Korruption und Drogenrausch.
Die Geschichte verläuft ganz im Sinne des geistigen Zustands Doc Sporellos. Er steht ein wenig neben der Spur, lässt sich treiben und verliert zunehmend den Überblick. Ständig bekifft oder mit Lachgas zugedröhnt klappert Doc Hinweis um Hinweis ab. So wirkt er etwas langsam im Verständnis von Zusammenhängen oder parkt sein Auto unbeholfen und an der Wand entlang schrammend in der Garage. Der eigentliche Fall - die Verschwörung gegen Mickey Wolfman - gerät ins Nebensächliche und spielt letztlich eine untergeordnete Rolle. Egal wohin sich Doc bewegt, es offenbaren sich neue Geheimnisse. Es ist nicht das völlig Abwegige, sondern das schier Unmögliche im Bereich des Möglichen, das hier eintritt. Genannt seien beispielsweise die führenden Personen des Golden-Fang-Drogensyndikats, die sich als Familie von nebenan entpuppen. Doc ist weniger eine Spürnase als jemand, der durch Zufälle und Eingebungen an den richtigen Orten zur Stelle ist. Als klassischer Antiheld und gekleidet in Hippiegewand und Sandalen agiert er als Einzelgänger, ist jedoch angewiesen auf Informanten und Kontakte. Erstaunlicherweise treten in relativ kleinen Nebenrollen hoch kalibrige Hollywoodstars auf. Benicio del Toro als schräger Anwalt, der Doc aus der Patsche hilft und zur richtigen Zeit am richtigen Ort ist, Reese Witherspoon als Geliebte Docs und Staatsanwältin und nicht zu vergessen Owen Wilson als schräger Jazz-Musiker und Doppelagent erscheinen in wenigen Szenen, die dafür umso herrlicher anzusehen sind. Hier zeigt sich neben der stilsicheren und ausgefeilten Inszenierung der Status von Paul Thomas Anderson als einer der herausragendsten Regisseure Hollywoods, der selbst die großen Stars für kleine Nebenrollen anlocken kann. Vor allem Josh Brolin in seiner relativ größeren Nebenrolle als gescheiterter Schauspieler und Detective „Bigfoot“ Bjornsen hat seine größten Momente im Zusammenspiel mit Joaquin Phoenix. Die Dialoge mit teils flachem und obszönen Humor und die mehr oder weniger Hassliebe beider Protagonisten sind genüsslich anzusehen.
Wie zuvor schon The Master ist auch Inherent Vice auf 65mm Analogmaterial gedreht worden und besticht nicht nur in seiner meisterlichen Ästhetik gepaart mit einem wunderbaren Kostümdesign und passender Musik sondern auch durch gewiefte, witzige Dialoge und absurd schräge Charaktere. Der Spannungsverlauf bleibt konstant. Es gibt keine Höhepunkte oder herausragende Wendungen. Der Film treibt mehr oder weniger vor sich hin und wandert von einer Handlung zur nächsten. Was zunächst als Schwäche angesehen werden kann, ist eine formale Konsequenz gegenüber der Erzählung des Films: Es passieren zahlreiche Absurditäten, jedoch scheinen diese keinen der meist zugedröhnten Protagonisten aus der Bahn zu werfen. Alles wirkt eher als ein gewöhnlicher Verlauf der Dinge. Die Vorfälle erscheinen als „natürliche Mängel“ (engl.: inherent vice) der Gesellschaft, die unvermeidbar sind und der damaligen Zeit eingeschrieben waren. Es gibt keinen Sieg der Gerechtigkeit. Alles verläuft weiter wie zuvor. Eine kollektive Resignation gegenüber den Auswüchsen der Ungerechtigkeit scheint sich durchzusetzen.
Vor allem die mehrfach erwähnten Manson-Morde - das Verschwinden von Mickey Wolfman wird sofort als Verbrechen der Manson - Family verstanden - und die Erwähnung der Skandale um Nixon präsentieren eine völlig paranoide Gesellschaft. Inherent Vice zeichnet ein unwirkliches Bild der Gesellschaft. Die gesellschaftliche Dynamik funktioniert nicht so, wie man es sich vorstellt. Der Immobilienmogul Wolfman lässt ganze Stadtteile abreißen um neue Wohnungen zu bauen, das Politik-Establishment hat unter Nixon einen Machtmissbrauch seltenen Ausmaßes begangen, Hippienomaden zogen mordend durch Kalifornien, der Polizeiapparat ist korrupt und Drogen sind allgegenwärtig. So heißt es programmatisch für die Gesellschaft der 1970er am Ende des Films: „Für dieses Land, das beinahe ein besseres Schicksal hätte beanspruchen dürfen, nur dass dieser Anspruch von allzu bekannten Übeltätern missachtet und stattdessen entführt und als Geisel der Zukunft gehalten wurde, in der wir jetzt leben müssen, für immer.“ Ein positiver Bezug zur Zukunft, zu einer besseren Gesellschaft ist nicht vorhanden. Stattdessen ist die Flucht in Drogen dominant.
Inherent Vice ist ein rastloser Trip ohne Ankerpunkte und Orientierung. Erzählerischer Tiefgang ist hier das Opfer. Doch der Film hat gar nicht den Anspruch, Tiefenstrukturen der Charakter und der Erzählung zu zeigen. Angelehnt an große Klassiker wie The Long Goodbye – einer der Lieblingsfilme Andersons - und The Big Lebowski ist Inherent Vice ein Rausch aus Eindrücken und Zitaten. Die Handlung ist das nebensächliche Hintergrundrauschen einer durchgeknallten Odyssee durch ein wahnsinniges Los Angeles der 1970er. Letztlich bewahrt sich Paul Thomas Anderson mit Inherent Vice erneut seine Eigentümlichkeit und entzückt mit einer wahrhaft schrägen und erfrischenden Geschichte, die den einen oder anderen Zuschauer ob seiner Unkonventionalität vergraulen wird, für Liebhaber des ungewöhnlichen Kinos jedoch eine wunderbare Kost bietet.