Lost - Die Ex-Freundin unter den Serien

31.10.2014 - 08:50 UhrVor 9 Jahren aktualisiert
Auch Sawyer weint - Lost
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Auch Sawyer weint - Lost
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Was hat das Internet gestöhnt und was haben die zahlreichen Zuschauer gezetert, als 2010 eine der erfolgreichsten Mystery-Serien ein jähes Ende fand. Auch ich gehörte damals zum wütenden Mob, der empört war über das seltsame Ende. Dennoch hat es die Serie geschafft mein Herz zu gewinnen - irgendwie.

Reflexion  bezeichnet die Tätigkeit, eine Erfahrung Revue passieren zu lassen und sie dabei unter verschiedenen Gesichtspunkten zu durchdenken, um Erkenntnisse aus ihr zu gewinnen und an ihr zu wachsen. Eine simple Definiton eines einfachen Wortes. Doch was Reflexion wirklich ausmacht, habe ich, wie so vieles, erst durch eine der bedeutendsten TV-Serie erfahren. Zuerst gab es die Phase der überstürzten Aufregung, dann den Alltag und später die unvermeidbare Enttäuschung - fast wie in einer intensiven Beziehung. Doch selbst nach vielen Jahren lässt Lost mich noch immer nicht aus ihren Fängen und schleicht sich immer wieder klammheimlich in meine Gedanken. Höchste Zeit also, einen etwas anderen Rückblick zu wagen, auf die erste große Serien-Liebe, die mich jede Woche erneut in ungläubiges Staunen versetzte.

Phase 1: Naive Neugier

Die Geschichte beginnt in einer Zeit vor dem flächendeckenden Breitband-Internet. In einer Gegend, die heute als weniger urban gilt, und in der das World Wide Web noch nicht wie ein reißender Bach aus der Telefondose schoss. Angewiesen auf die Gnade der großen Sendeanstalten, kannte ich als junger Bursche noch kaum Serien und wollte schon ein eigens inszeniertes Dankesfest abhalten, sobald mal wieder ein interessanter Blockbuster über den grieseligen Röhrenbildschirm flackerte. Als die spannende Unterhaltung jedoch einmal mehr von einer gefühlt 30-minütigen Werbepause unterbrochen wurde, gab es trotz den immer gleichen Werbeeinblendungen einen düsteren Lichtblick. Einen kurzen Teaser einer neuen Serie aus den Staaten, die bescheiden als beste Show aller Zeiten angepriesen wurde - ich war sofort fasziniert. Eine exotische Insel mit ein paar mutigen Schiffbrüchigen (oder viel mehr Flugbrüchigen), die gestrandet waren und nun in unbekanntem Terrain ums nackte Überleben kämpfen mussten - was sollte bei diesem Abenteuer schiefgehen?

Phase 2: Unrealistische Erwartung

Ich verschlang die ersten Folgen regelrecht. Alleine der Pilot verursachte damals ein buntes Feuerwerk meiner Synapsen, die in blinder Euphorie der Meinung waren, den Heiligen Gral unter den Serien gefunden zu haben und das gleich beim ersten Versuch. Unbedacht war ich der festen Überzeugung, dass Lost die Serie sein wird, an der sich alle zukünftigen Werke messen müssen, die Serie, die dem Zahn der Zeit trotzt und deshalb für immer auf dem höchsten Treppchen des Olymps erhaben stehen bleibt. Wie berauscht war ich von den ersten Bildern aus Desmonds Bunker, der tief unter der Erde eine ganz andere Welt offenbarte und begleitet von den melodischen Klängen von Mama Cass' Make Your Own Kind of Music ein beeindruckend luxuriöses Kontrastprogramm zum simplen Überlebensprogramm abfeuerte. Sinnbildlich stand diese eine Szene, beziehungsweise der Song, für genau das, was die Mystery-Serie zu dem Klassiker machte, der sie heute unumstritten ist. Sie war einfach einzigartig, traute sich Dinge, die niemand zuvor wagte und machte ihr eigenes Ding. Zumindest in meiner kleinen Welt offenbarte Lost ungeahnte Möglichkeiten der Unterhaltung und eroberte im Sturm meine Gunst. Daran, dass das spannende Abenteuer einmal enden musste, oder ich gar am Schluss enttäuscht werden konnte, verschwendete ich damals keinen Gedanken. Ich freute mich einfach Woche für Woche auf das Wiedersehen mit den schon bald vertrauten Gesichtern der ominösen Insel.

Phase 3: Der Kampf gegen die eigene Vernunft

Was allerdings als spannendes, aber seichtes Inselabenteuer begann, driftete mit zunehmender Dauer immer mehr in eine Richtung ab, die an Absurdität irgendwann nicht mehr zu übertreffen war. Zuerst war es nur der dröge Alltag, der sich langsam in die bunte Exotik mischte. Ja, sie sind immer noch auf der Insel. Ja, Jack und Sawyer können sich noch immer nicht leiden. Und ja, Sun nervt noch immer. Der Reiz des Neuen war wie weggeblasen. Irgendwie hatten sich anscheinend alle mit ihrer Situation arrangiert. Die Überlebenden überlebten. Genauso wie die Zuschauer, die trotzdem immer wieder einschalteten - Routine eben. Auch ich kämpfte mich weiter durch die zahllosen Episoden und wollte einfach nicht aufgeben - wie könnte ich denn auch, nach all der Zeit, die ich der Serie geopfert hatte. Selbst als aus den anfänglichen Nuancen von übernatürlichen Vorgängen plötzlich sich verschiebende Landmasse, unerklärliche Zeitsprünge und verstörende Paralleluniversen wurden, blieb ich tapfer dran, vermisste aber trotzdem den strahlend weißen Eisbären aus der ersten Staffel - der war genug Mystery für mich. Verzweifelt tröstete ich mich mit dem Gedanken, dass das nahende Ende mit Sicherheit bald etwas Licht ins Dunkel bringt und die Liste der Cliffhänger - die inzwischen länger als das passende Dokument zur Volkszählung in China war - endlich erklärt wird.

Phase 4: Enttäuschung, Wut und späte Einsicht

Dann war es so weit: Die alles erklärende Folge, das Ende einer Ära und die Erlösung von einem zu lange andauernden Fluch war gekommen - die letzte Episode von Lost startete. So viel Hoffnung setzte ich in jede Sekunde der finalen Doppelfolge und als Jack melancholisch seine Augen schloss, genauso wie er sie in der allerersten Folge aufriss, war ich bitter enttäuscht: pseudoreligöser Quatsch kombiniert mit typisch hollywoodschem Kitsch. Eine öde Mischung, die unfassbar hohen Erwartungen gegenüber stand und den Worst Case sogar noch unterbot. Ich war sauer und fühlte mich über den Tisch gezogen. Von Serien hatte ich erst einmal die Schnauze gewaltig voll!

Zu Recht fragt ihr euch nun vielleicht, warum ich dann heute mein Herz für Serie ausgerechnet Lost schenken möchte? Auch hier ist Lost einer verflossenen Liebe gar nicht so ungleich. Auch wenn das Ende unschön war und plötzlich all die Stunden als verschwendete Zeit erschienen, so bleiben auch die positiven Erlebnisse. Was habe ich geflucht, mit Freunden gelästert und mich geärgert! Noch heute verdrehe ich genervt die Augen, wenn jemand auch nur über Lost redet. Doch wenn ich ganz ehrlich zu mir selbst bin, gab es so viele großartige und ergreifende Momente, die die Gedanken der Charaktere direkt ins heimische Wohnzimmer transportierten. Danke dafür und dass Lost es geschafft hat, meine Leidenschaft für Serien zu wecken, die bis heute anhält! Eine tolle Zeit, mit einer trotz allem großartigen Serie...

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