Überall immer nur dieselben Geschichten und Genres, endlose Ansammlungen von Helden in Strumpfhosen und neu aufgekochten Abenteuern, die vor fünfzig, dreißig oder sogar zehn Jahren schon besser erzählt wurden. Dieses Wochenende habe ich The Amazing Spider-Man durchlitten und obwohl ich ungern in den allgemeinen Pessimismus bezüglich der Ideenlosigkeit Hollywoods einstimme, war ich bei Ansicht des Films kurzzeitig so weit, eine Brandschrift gegen Reboots zu schreiben. Diese Wut verflog allerdings ebenso schnell wie die Schaumkrone auf meinem Jever. Allein ein Blick auf die Kinostarts der zweiten Jahreshälfte 2012 lässt Optimismus aufkeimen. Denn wie die beiden New York Times-Autoren Manohla Dargis und A.O. Scott jüngst in einem Artikel feststellen, trauen sich immer mehr Big Budget-Produktionen, mit traditionellen Erzählkonventionen zu spielen. Daran sind unsere veränderten Sehgewohnheiten nicht ganz unbeteiligt.
In ihrem schriftlichen Zwiegespräch diskutieren Dargis und Scott über die sogenannten Mind Game Movies, eine Bezeichnung, die auf den Filmtheoretiker Thomas Elsaesser zurückgeht. In jüngeren und durchaus unterschiedlichen Filmen wie Anna Karenina, Cloud Atlas – Alles ist verbunden, Life of Pi: Schiffbruch mit Tiger, The Master und Holy Motors werde mit den klassischen Erzählkonventionen gespielt. Konkret bedeutet dies: Die Filme verzichten auf oder spielen mit linearen Erzählweisen und eröffnen den Zuschauern mehr Rätsel, als dass sie Erklärungen bieten. Dazu meint A.O. Scott: “Es ist witzig, wie die Leute sich über Spoiler aufregen, obwohl sich so viele Geschichten ähneln. Das liegt zum Teil daran, dass viele Filme es sich in etablierten Genres gemütlich machen und oft suchen Zuschauer gerade diese angenehme Vertrautheit. Wir wissen, welche RomCom-Figuren zusammenkommen, genauso wie wir wissen, dass der Franchise-Held – egal ob Harry Potter, James Bond oder Spider-Man – den Anstrengungen des fiesen Bösewichts widerstehen wird, und dieses Vorwissen bietet die Grundlage für die Thrills und Spannung, die wir auf dem Weg dahin durchleben.”
In dem Artikel verweist A.O. Scott darauf, dass Genre-Konventionen nicht an sich negativ konnotiert sind, immerhin folgen einige der großen Klassiker des Kinos einfachen Erzählmustern, die schon Märchen strukturierten. Doch ebenso sei es spannend, etwas neues, etwas riskantes zu betrachten und genau das meinen die beiden New York Times-Autoren in oben genannten Filmen zu erkennen. In Anna Karenina wird die altbekannte Geschichte der russischen Titelheldin als komplexes Bühnenspektakel inszeniert, in das sich der Zuschauer erst einmal einarbeiten muss. Life of Pi, ebenfalls eine Literaturverfilmung, verlässt sich auf eine scheinbar simple Parabel, um dem Zuschauer am Ende den Boden unter den Füßen wegzureißen. The Master und Holy Motors, die arthousigsten Einträge, die Scott und Dargis nennen, verzichten ebenfalls auf klassische Erzählmuster und übergeben die Deutungshoheit gleich ganz an den Zuschauer. Das 100 Millionen Dollar-Abenteuer Cloud Atlas von Andy Wachowski, Lana Wachowski und Tom Tykwer verschachtelt gar sechs verschiedene Geschichten aus sechs verschiedenen Zeitebenen und garniert das Ganze mit einem kleinen Cast und ganz vielen Masken.