Mit Gone Girl sitzen wir alle im Glashaus

17.01.2015 - 09:00 UhrVor 9 Jahren aktualisiert
You two are the most fucked up people I've ever met20th Century Fox
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Wer mit Gone Girl einen Thriller erwartet, geht vielleicht etwas enttäuscht aus dem Kino - und übersieht, dass Finchers neuester Film wahrscheinlich seine stärkste Satire ist: Wir alle haben unser eigenes Glashaus gebaut - und bewerfen es munter mit Steinen...

Im Kommentar der Woche stellen wir euch jede Woche einen ganz besonderen Kommentar vor, der von euch moviepiloten da draußen für die Rubrik nominiert wurde. Wenn euch irgendwo auf moviepilot oder gamespilot ein Kommentar eines anderen Users besonders gefällt, nachdenklich gemacht, zum Lachen gebracht oder so sehr begeistert hat, dass ein einfaches "Gefällt mir"-Klicken nicht ausreicht - sagt uns Bescheid! Am besten in einer kurzen Nachricht an sciencefiction oder Kängufant, und vielleicht steht der Kommentar schon an einem der kommenden Samstage hier und wird gebührend gefeiert!

Der Kommentar der Woche
Ist Gone Girl - Das perfekte Opfer ein Thriller? Denkste! Für moviepilot-User sachsenkrieger ist David Fincher mit seinem neuesten Film ein satirischer Rundumschlag geglückt, der nicht nur die großen Themen USA, Liebe, Leben demontiert - er nimmt auch Stück für Stück die Welt auseinander, die jeder von uns sich gebaut hat...

WHAT HAVE WE DONE TO EACH OTHER?

Das verflixte siebte Jahr für Ken und Barbie! Obwohl von vielen so gehandelt, ist GONE GIRL wenig Drama und gar kein Thriller. Die Handlung driftet von Anfang an immer mehr ab in den Bereich der Satire. Da ist es nachvollziehbar, das viele Leute, die einen Thriller erwarteten, am Ende enttäuscht wurden. Das satirische zieht sich durch etliche Fincher-Filme, wie THE GAME, FIGHT CLUB und wahrscheinlich sogar bei SOCIAL NETWORK, den ich dann damals wohl selbst falsch verstanden habe. Bei GONE GIRL allerdings tritt das Satirische meiner Meinung nach am stärksten in Erscheinung.

In diesem Film, dessen Drehbuch von der Autorin des zugrundeliegenden Buches stammt, kommt keiner ungestraft davon. Sei es Hollywood, seien es Medien, Polizei, Anwälte, Eltern, Männer oder Frauen. Selbst die Katze ist Teil des manipulativen Spiels, denn sie braucht nicht mehr zu laufen, weil sie ihrer Umwelt beigebracht hat, sie von Ort zu Ort tragen. Fincher zeigt uns anhand vieler Beispiele, das jeder von uns sich eine Welt zusammenbastelt, in der er/sie meistens selbst ziemlich gut wegkommen. Er zeigt auch, das wir alle im Glashaus sitzen und trotzdem ständig mit Steinen um uns werfen. Als winziges Beispiel sei nur Nicks Verhalten seinem anscheinend dementen Vater gegenüber genannt. Wie passt das in die Rolle des netten Typen von nebenan, die er ansonsten überall spielt?


Nicks Problem ist das Problem aller Beteiligten. Sie haben sich zu einem Teil eines Systems machen lassen, zu einem Zahnrad, das nur eine fest vorgeschriebene Funktion auszuüben hat. Einzig und allein im Verhältnis zu seiner Zwillingsschwester behält sich Nick ein Stück authentisches Leben auf. Amazing Amy ist schon längst an ihrer Rolle als Barbiepuppe für bescheuerte Gehirnmiele-Junkies zerbrochen. Was ihre Eltern ihr schon als Kind antaten, als sie ihre eigene Tochter zu Markte trugen, gibt sie jetzt weiter. Fincher demontiert den Traum von Amerika, von Hollywood, von Vorzeige-Ehen, wahrheitssuchenden Medien und ewigwährender Liebe. Er zeigt uns, das die vielgerühmte öffentliche Meinung die Meinung eines unzügelbaren Lynchmobs ist, der seine Fahne nach den ständig wechselnden Winden seiner eigenen Gedärme ausrichtet.



David Fincher inszeniert GONE GIRL in einer etwas anstrengenden Erzählstruktur, mit der er vielleicht die grundsätzlichen Denkweisen von Männern und Frauen aufgreift. Nicks Erzählungen spielen in der Gegenwart, die Amys in der Vergangenheit, so das man schon einige Logikfehler entdeckt haben will, die eigentlich so keine sind. Ben Affleck ist in der Rolle des bräsigen Ehemanns perfekt besetzt, was keineswegs abwertend gemeint ist. Rosamund Pike dagegen liefert hier eine statuenverdächtige Leistung ab, wie ich sie von ihr noch nicht gesehen habe. Auch alle Nebenrollen sind hervorragend besetzt und der Soundtrack von Reznor und Ross ist magisch.


"Nebenbei" ist GONE GIRL natürlich auch ein Film über die einzige menschliche Verbindung, die all diese Oberflächlichkeiten des Lebens überwinden kann, die Liebe zweier Personen. Wenn diese nicht funktioniert, weil man sich mehr am Leben und Denken anderer orientiert, als an dem, was das eigene Herz einem sagt, dann wird das Leben irgendwann zu einer immerwährenden Hölle auf Erden. Die letztendliche Entscheidung über den Sinn seines Films überlässt Fincher dem Zuschauer. Der kann hinterher die Hände über dem Kopf zusammenschlagen und sich bestätigt fühlen in seiner Meinung, das kaum jemand von uns noch ein unmanipuliertes, echtes Leben führt ... oder er lacht sich die Seele aus dem Leib und freut sich, das er selbst nicht so ist ... oder es zumindest glaubt. Eine Zweitsichtung ist Pflicht und könnte eine noch höhere Bewertung ergeben...

Den Originalkommentar findet ihr übrigens hier.

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