Top 7 der ungedrehten Filme

27.11.2010 - 08:50 Uhr
Lost in La Mancha
Krause & Schneider Multimedia
Lost in La Mancha
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Beinah täglich berichten wir von Filmen, die sich in der Entstehungsphase befinden. Einige sehen wir irgendwann im Kino, andere verschwinden ungedreht in der Versenkung. Aus diesem Grund widmen wir uns heute den Top 7 der ungedrehten Filme.

Auf jeden realisierten Film kommt eine unbekannte Zahl von nicht ver­wirklichten Vorhaben. Viele Projekte sterben bereits in der Treatment-Phase, manche Drehbücher verbrennen in der gefürchteten “development hell”. Dramatischer sind jene Fälle, in denen Filme kurz vor Produktions­beginn gestoppt oder während des Drehs abgeblasen werden. Die Gründe für einen Abbruch können vielfältig sein: künstlerische Krisen oder wirt­schaftliche Schwierigkeiten, kreativer Streit unter den Be­teiligten, Krank­heit oder gar Tod von Hauptdarstellern oder Regisseuren:

George Cukor konnte die Komödie Something’s Got To Give nicht vollenden, weil sein Star Marilyn Monroe verstarb. Fred Zinnemann hatte drei Jahre seines Lebens in die Vorbe­rei­tung von Man’s Fate (ein Epos über das bürgerkriegserschütterte China der 20er Jahre) investiert, als das Projekt wegen finanzieller Probleme des Studios MGM eine Woche vor Drehbeginn gekippt wurde. Die Adaption des Romans “Nostromo” von Joseph Conrad wurde so­lange verschoben, bis der Regisseur David Lean das Zeitliche segnete.

Die Filmographie fast aller großen Filmemacher kennt die blinden Flecken der gescheiterten Lieblingsprojekte. Manche von ihnen bleiben Fußnoten der Kinogeschichte, andere werden zu Legenden.

Platz 7: Die Russen kommen, die Russen kommen: ¡Que Viva México!
Nachdem Sergei M. Eisenstein mit seinen Plänen, einen Film für die Para­mount in Hollywood zu realisieren, gescheitert war, zog er 1930 mit Kamera­mann Eduard Tisse und Assistent Grigori Alexandrow gen Süden – nach Mexiko. Frei produziert vom linken amerikanischen Schriftsteller Upton Sinclair, imagi­nierte Sergei M. Eisenstein eine filmische Symphonie, die Kultur und revolu­tionäre Geschichte des Landes auf die Leinwand bringen sollte. Drehzeit und Etat wurden überzogen, der Produzent sperrte das Geld und stoppte den Film. Sergei M. Eisenstein, der nicht mehr in die USA einreisen durfte, musste ohne das belichtete Material nach Moskau zurück­kehren. Die sagenumwobenen Filmrollen lagerten im New Yorker Museum of Modern Art, bevor sie Ende der 60er Jahre in die Sowjetunion geschickt wurden. Fast ein halbes Jahrhundert nach den Dreharbeiten und über 30 Jahre nach dem Tod von Sergei M. Eisenstein konnte sein dama­liger Mitarbeiter Alexandrow den Film rekonstruie­ren. 1979 erlebte ¡Que Viva México! schließlich seine fragmentarische Uraufführung.

Platz 6 – Der Fluch des lebenden Dichters: Mutter Courage und ihre Kinder
Die Verfilmung des Theaterstücks von Bertolt Brecht mit internationaler Besetzung in Farbe und CinemaScope war 1955 ein Renommierprojekt der Defa – und wurde für das DDR-Staatsfilmstudio zur Pleite des Jahrzehnts. Regisseur Wolfgang Staudte war gewarnt worden: “Brecht schlägt dich tot”, meinte Erich Engel, der einst die Theater-Premiere der Dreigroschen­oper inszeniert hatte. Und Schauspieler Fritz Kortner fügte hinzu: “Das ist das Mindeste.” Wolfgang Staudte träumte vom großen Kino – "Bertolt Brecht (Bertolt Brecht)":/people/bertolt-brecht und seine Frau Helene Weigel, die Darstellerin der Courage, wollten eine exakte Kopie ihrer Berliner Bühnenaufführung. “Es war eine Eifer­suchtstragödie zwischen Wort und Bild”, so der Regisseur. Etwa ein Drittel des Films war abge­dreht, als Wolfgang Staudte, vom Streit mit dem Dich­ter und der Diva zer­mürbt, die Brocken hinwarf. Es heißt, dass die Muster des Films noch jahre­lang ausländischen Gästen der Defa vorgeführt wurden, um die künstlerische Potenz der ostdeutschen Filmwirtschaft zu demonstrieren.

Platz 5: Die versuchte Vergewaltigung von Miss Audrey Hepburn: No Bail for the Judge
Nicht alle Träume platzen mit einem großen Knall, manche werden in aller Stille beerdigt. Seit 1955 verfolgte Alfred Hitchcock das Projekt No Bail for the Judge: Eine junge Frau begibt sich in die Londoner Unterwelt, um die Unschuld ihres Vaters, eines ehrwürdigen Richters, in einem Mordfall zu beweisen. Der Film sollte Hitchs triumphale Rückkehr in seine englische Heimat werden. 1959 hatte Samuel A. Taylor, der Autor von Vertigo – Aus dem Reich der Toten, nach ausführlichen Recher­chen das Drehbuch vollendet, die Location Scouts waren ausge­schwärmt, die Besetzung der männlichen Hauptrollen mit Laurence Harvey und John Williams stand fest. Als leading lady wollte der master of sus­pense in diesem Fall keine Blondine sondern eine kühle Brünette besetzen – "Audrey Hepburn (Audrey Hepburn)":/people/audrey-hepburn. Für sie hatte sich Alfred Hitchcock etwas ganz Beson­de­res ausgedacht: eine nächtliche Vergewalti­gung im Londoner Hyde Park. “Als sie das Drehbuch las”, erinnerte sich später ein Mitarbeiter der Produktion, “war alles vorbei. Praktisch von der Minute an war der Film abgeblasen.”

Platz 4 – Mit unbekanntem Ziel: Il viaggo di G. Mastorna
In Achteinhalb erzählte Federico Fellini von einem Regisseur, dem die Ideen ausgehen, der gigantische Kulissen errichten lässt und nicht weiß, was er mit ihnen anfangen soll, der nichts mehr zu sagen hat und doch unbe­dingt etwas sagen will. Vier Jahre nach dem internationalen Triumph dieses Films fand sich “FeFe” in einer vergleichbaren Lage wieder: Produzent Dino De Laurentiis hatte gigantische Kulissen (unter anderem einen verkleinerten Nachbau des Kölner Doms) für die surreale Reise eines Cellisten durch das Totenreich errichten lassen. Doch Federico Fellini verharr­te in einer Art Schockstarre und scheute vor der Realisierung des Stoffes aus nur ihm bekannten Gründen zurück. Er flüchtete sich in eine mysteriöse Krankheit, wechselte den Produzenten, besetzte die Hauptrolle mal mit Ugo Tognazzi, mal mit Marcello Mastroianni, dann wieder mit Paul Newman, um den Film – von dem er behauptete, dass es sein bester ge­worden wäre – schließlich endgültig abzusagen.

Platz 3 – Jedem seine eigene Hölle: L’enfer
Henri-Georges Clouzot galt Anfang der 60er Jahre als “französischer Hitch­cock”. Romy Schneider war zur selben Zeit auf der Suche nach einem neuen Image. L’enfer, die Geschichte einer maßlosen Eifersucht, sollte der Film aller Filme werden – the thriller to end all thrillers. Der Starregisseur verfügte über unbe­grenzte finanzielle Mittel und fand in der jungen Actrice eine ideale Pro­tagonistin für seine Vision der Hölle auf Erden. Nachdem er sich zu­nächst in ausufernden Licht- und Kamera-Experimenten verloren hatte, trieb Henri-Georges Clouzot bei den Dreharbeiten Crew und Schauspieler mit sadisti­schem Perfektio­nswahn zur Verzweiflung. Das Ergebnis: nach drei Wochen verabschiedete sich Hauptdarsteller Serge Reggiani, kurz darauf erlitt der Regisseur einen Herzinfarkt, der Film wurde abgebrochen. 2009 verar­beitete der Doku­men­tarist Serge Bromberg das überlieferte Dreh­ma­terial zu einem ein­drucksvollen Film: Die Hölle von Henri-Georges Clouzot ist ein abgründiger Essay über die Grenzgebiete der Kreativität.

Platz 2 – Mit Mann und Roß und Wagen hat ihn der Herr geschlagen: Napoleon
Nach seiner epochalen Weltraum-Odyssee plante Stanley Kubrick eine spektakuläre Reise in die Vergangenheit: die filmische Biographie Napo­leons. “Ich erwarte, den besten Film zu drehen, der je gemacht wurde”, ließ der Regisseur mit der ihm eigenen Bescheidenheit verlauten. Er legte eine 500-bändige Bibliothek zum Thema an, trug rund 18.000 Reproduk­tionen von zeitgenössichen Bildwerken zusammen, korrespondierte mit Historikern über Details wie die Hufeisen der Pferde im Rußlandfeldzug. 30.000 rumänische und jugoslawische Soldaten standen zur Rekonstruk­tion der historischen Schlachten Gewehr bei Fuß. David Hemmings war die erste Wahl von Stanley Kubrick für die Darstellung Napoleons, Audrey Hepburn seine Wunschbesetzung für die Joséphine. Allein, die potentiellen Geldgeber glaubten nicht an einen Erfolg des 4,5-Millionen-Dollar-Projektes – MGM und United Artists winkten ab: Die kaiserlichen Visionen von Stanley Kubrick zer­schellten an einer schlichten Rentabilitätsrechnung.

Platz 1 – Gegen die Windmühlen der Filmgeschichte: ex aequo The Man Who Killed Don Quixote und Don Quixote
Das Scheitern von Terry Gilliam war immerhin gut für einen Film: Lost in La Mancha schildert die Geschichte einer kinematographischen Katastro­phe: Tiefflieger, Unwetter und die Prostata des Hauptdarstellers Jean Rochefort machten dem ambitionieren Projekt The Man Who Killed Don Quixote, das den Ritter von der traurigen Gestalt aus dem Goldenen Zeitalter Spaniens mit dem 21. Jahrhundert konfrontiert hätte, nach einer Woche Drehzeit im Oktober 2000 den Garaus. Terry Gilliam blieb hart­näckig am Ball. Nach zehn Jahren sah es so aus, als könnte der Kampf gegen die Windmühlen – diesmal mit Robert Duvall in der Rolle des Don Quixote – erneut beginnen. Im September 2010 hieß es dann, die Finan­zie­rung des Projektes sei zusammengebrochen. Die Chancen für Lost in La Mancha II stehen mit anderen Worten nicht schlecht…

Terry Gilliam war nicht der erste, der sich an dem heroischen Hidal­go die Zähne ausgebissen hat. Orson Welles – der König im Reich der ungedreh­ten Filme, dessen Liste von gescheiterten Projekten länger ist als die Speisekarte beim Chinesen – arbeitete seit 1955 an seiner Version des Don Quixote. Zunächst geplant als 30-minütige TV-Episode, wuchs sich das Vorhaben zu einem schier endlosen, immer wieder unterbrochenen Abenteuer aus. Don Quixote und sein treuer Diener Sancho Pansa sollten aus ihrer ruhmreichen Vergangen­heit bis in die Gegenwart reiten und schließlich eine Atom­bomben­explo­sion überleben. Mit dem Ableben des Haupt­darstellers Francisco Reiguera war die Drehphase 1969 zwangsweise ab­geschlossen. Bis zu seinem Tod im Jahre 1985 behauptete Orson Welles, den Schnitt des Films in nächster Zeit zu vollenden – und taufte das Vorhaben schließ­lich selbstironisch auf den Namen When Are You Going to Finish Don Quixote?


Dieser Text stammt von unserem User Sebastian Schubert, besser bekannt unter Joe Gillis. Wer ebenfalls Text-Ideen oder bereits was aufgeschrieben hat, wende sich an ines[@]moviepilot.de.

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