(Das Wichtigste zuerst: Man kann keinen Artikel über den besten Boxfilm aller Zeiten schreiben, ohne die Titelmelodie "Gonna Fly Now " von Bill Conti in Dauerschleife zu hören. Im Grunde kann man ohne sie nicht mal einen lesen. Für den richtigen Punch also am besten laut im Hintergrund laufen lassen.)
Es kann nur einen geben. Für manche mag dies Jake "The Bronx Bull" LaMotta in Wie ein wilder Stier sein. Andere bezeichnen Rubin "Hurricane" Carter in Hurricane als ihren Favoriten. Es soll auch eine Fraktion geben, für die ist Margaret "Mo Cuishle" Fitzgerald in Million Dollar Baby die härteste Fighterin aller Zeiten. Mein Champion hingegen heißt Rocky "The Italian Stallion" Balboa, denn Rocky von 1976 ist für mich der beste Boxfilm einer an Boxfilmen nicht armen Filmgeschichte, der außerdem auch gar kein Boxfilm ist.
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Dabei ist Rocky nicht gerade wegen seiner grandiosen Geschichte in die Annalen des Kinos eingegangen. Mal ehrlich, jede Folge von Wer wird Millionär? erzählt ein spannenderes Märchen über den sozialen Aufstieg eines Verlierers. Und dennoch hat die Geschichte vom Underdog Balboa, der sich irgendwo in Philadelphia als Schläger für einen dubiosen Clubbesitzer verdingt, bis er eines Tages wie durch Zufall die einmalige Chance erhält, gegen den amtierenden Weltmeister im Schwergewicht anzutreten, etwas im wahrsten Sinne Fabelhaftes, etwas, das so entrückt ist von unserer Wirklichkeit, dass es fast schon wie eine Legende anmutet. So ein Film ist Rocky.
Der Film begründete nicht nur den Ruhm des damals 30 Jahre alten Emporkömmlings Sylvester Stallone, sondern kündete darüber hinaus eine Saga an, die mit Creed - Rocky's Legacy vor Kurzem in ihre mittlerweile siebte Runde ging. Mit dieser Rolle legte Stallone den Grundstein seiner Karriere, weshalb er auch heute noch keineswegs als Fallobst gelten muss. Den Vergleich mit "echten" Charakterdarstellern wie Marlon Brando, der in Die Faust im Nacken übrigens eine durchaus ähnliche Rolle innehat, braucht Stallone zumindest mit dieser Meisterleistung keineswegs scheuen.
Round 1: Rocky macht auch heute noch als Sparringspartner eine gute Figur
Wenn wir uns mit Stallones Entstehungsgeschichte befassen, wurde der damals mittellose Schauspieler von Muhammad Alis Boxkampf gegen den relativ unbekannten weißen WM-Herausforderer Chuck "Bayonne Bleeder" Wepner zum Drehbuch von Rocky inspiriert. Dieser Kampf, der ungefähr ein Jahr vor der Filmpremiere stattfand, sorgte unter Kennern für eine Sensation, denn entgegen aller Prophezeiungen wurde der Amateurkämpfer Wepner nicht frühzeitig ausgeknockt, sondern überstand mehrere Runden, bis er den legendären Schwergewichts-Champion in der neunten Runde derart überraschend traf, dass dieser angezählt werden musste. Letztlich verlor Wepner in der finalen Runde aber dennoch den Kampf, als er völlig blutüberströmt in die Seile ging. So gesehen scheint Rocky denn auch fast eine detailgetreue Nachstellung dieses Matches sein zu wollen. Zumindest das mit dem Blut wirkt jedenfalls ziemlich authentisch.
Außerdem ergibt sich daraus eine interessante Parallele zur Biographie Stallones, der zu diesem Zeitpunkt nach eigenen Angaben etwa 36 Dollar pro Woche als Saalanweiser in einem Kino für Erwachsene verdiente. In Rockys Wohnung sehen wir in einer Einstellung eine Reproduktion von Caravaggios Berufung des Heiligen Matthäus an der Wand hängen. Dieses Gemälde zeigt Jesus Christus dabei, wie er den Zöllner Matthäus zu einem wahrhaftigen Jünger seiner Lehre ernennt und damit auf einen Schlag berühmt macht. Angesichts der Tatsache, dass Rockys Schicksal eng mit dem von Stallone verknüpft ist, könnten wir darin einen Kommentar seines Schöpfers vermuten.
Stellt man die vergleichsweise geringen Kosten von etwa 1,1 Millionen Dollar einem Einspielergebnis von 117,2 Millionen Dollar allein in den Staaten und Kanada gegenüber, dann macht Rocky auch heute noch als Sparringspartner von weitaus teureren Produktionen eine überraschend gute Figur. Einen derartigen finanziellen Erfolg muss ihm erstmal ein anderer Film über einen relativen Nischensport wie das Boxen nachmachen. In der Tat waren bisher nur die Fortsetzungen Rocky III - Das Auge des Tigers mit 125 Millionen Dollar Einnahmen in Nordamerika und Rocky IV - Der Kampf des Jahrhunderts mit 125,5 Millionen erfolgreicher. (Quelle: The Wrap )
Round 2: Rocky Balboa gegen Apollo Creed im härtesten Clinch ever
Im Land der unbegrenzten Möglichkeiten bedarf es keiner Erklärung, warum der Schwergewichts-Champion Apollo Creed (Carl Weathers) sich zu der Entscheidung durchringt, am Neujahrstag 1976 einen Schauwettkampf gegen einen völlig unbekannten Gegner austragen zu lassen. Vermutlich tut er es aus Langeweile. Auch wird Rocky nur aufgrund seines Spitznamens "The Italian Stallion" auserwählt, um im Vorfeld aufgrund der unterschiedlichen ethnischen Herkunft beider Kontrahenten einen möglichst großen Presserummel zu erzeugen. Bis hierher scheint der Film sich am B-Movie-Standard der 1950er zu orientieren, was auch das pedantisch inszenierte Trainingsprogramm von Rocky nicht gerade verbessert. So wird dieser dabei gezeigt, wie er jeden Morgen dasselbe Ritual durchläuft, das aus einem Frühstück von sechs rohen Eiern und anschließendem Lauftraining besteht. Was den Film aber von herkömmlichen Genrevertretern abhebt, ist der völlige Verzicht darauf, uns eine originelle Geschichte auftischen zu wollen. Rocky ist und bleibt ein Film über jemanden, der am Ende so lange den Frack vollgehauen bekommt, bis ihn selbst seine eigene Mutter nicht mehr wiedererkennen würde. Und dennoch geht uns diese nicht bloß abgedroschene, sondern nach allen Regeln der Kunst verdroschene Geschichte derart emotional an, dass wir zu jedem Zeitpunkt mit ihm mitfiebern.
Was sich also anfangs wie ein herkömmlicher Film über einen weißen Mann gebärdet, der über einen Schwarzen triumphiert, erweist sich bei genauerer Betrachtung als ein deutlich feinfühligerer Kommentar zum Thema Rassismus, als man dies von einem 40 Jahre alten Film gewohnt ist. Es ist außerdem zu betonen, dass es am Ende der Schwarze Apollo Creed ist, der über Rocky triumphiert. Ohnehin ist der Kampf gegen Creed für Rocky bloß eine Projektion seines inneren Ringens mit den eigenen Dämonen, die ihn von wahrer Größe abhalten. So schließt sich mit Rocky's Legacy also dieser Kreis wieder.
Einen Extrapunkt verdient der Film für die folgende Anekdote: Bei den Dreharbeiten zum finalen Kampf zwischen Rocky und Creed zogen sich sowohl Stallone als auch Weathers schlimme Verletzungen zu. Stallone prellte sich die Rippen, während Weathers eine lädierte Nase davontrug, womit sie sich also genau spiegelverkehrt zu ihren Figuren im Film verletzten! Das nennt man dann wohl einen Treppenwitz.
Final Round: Sieg durch technischen Knock-out
Kommen wir zum letzten Punkt, weshalb Rocky für mich der unangefochtene Champion unter den Boxfilmen ist: die innovative Kamera. Vor Beginn der Aufnahmen zum Kampf zwischen Creed und Apollo entschied sich Regisseur John G. Avildsen (ganz recht, derselbe, der mit Karate Kid auch einen absoluten Martial Arts-Klassiker schuf), die Szenen in einer nie dagewesen Weise zu drehen, um den Boxkampf noch realistischer erscheinen zu lassen. Das Ergebnis war der Einsatz einer mittlerweile unter dem Begriff Steadicam berühmt gewordenen Technik, die eigens vom Erfinder Garrett Brown für den Film adaptiert und filmtechnisch revolutionär eingesetzt wurde. Die Steadicam tröstet im Endkampf auch über die zahlreichen leeren Stühle im Hintergrund weg, da es aus Kostengründen einfach zu wenig Statisten gab, um sie alle zu besetzen. Ebenso geht auch die vermutlich berühmteste Szene des Films auf die Erfindung der Steadicam zurück. Gemeint ist die Szene, als Rocky die Stufen des Kunstmuseums von Philadelphia heraufläuft. Kameramann Brown, der gebürtig aus Philadelphia stammt, wollte mit dieser Sequenz ein Stück seiner Heimatstadt vorstellen, das bisher so noch niemand vor ihm auf Zelluloid festgehalten hat und schrieb damit sein eigenes Stück Filmgeschichte.
Der überragende Erfolg sollte allen Beteiligten recht geben. Von den insgesamt neun Oscar-Nominierungen gewann Rocky den für den besten Film, die beste Regie und den besten Schnitt. Wir werden sehen, ob Stallone bei den diesjährigen Oscars für seine Darbietung in Creed auch den Academy Award als bester Nebendarsteller abräumen kann. Schlimmer als Ivan Drago war er zumindest mitnichten.
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