Im echoW red ratnemmoK versuchen wir jede Woche das Geheimnis eines eurer Kommentare auf moviepilot oder gamespilot zu lüften. Sei es zu einem Film, der im Traum rückwärts mit euch gesprochen hat, einem Schauspieler, der euch einen sprechendes Stück Holz beschert hat, oder zu einer Serie, die so grandios war, dass David Bowie drin auftauchen musste - wenn euch irgendwo ein Kommentar auffällt, setzt Agent sciencefiction oder Agent Kängufant auf den Fall an - wir verraten auch nicht, wer der Mörder war.
Der Kommentar der Woche
Ihr habt Twin Peaks immer noch nicht gesehen? Dann solltet ihr euch unbedingt wie Audreyfan in diese verschlafene Kleinstadt wagen, bevor David Lynch uns nächstes Jahr endlich die Fortsetzung bringt - Laura Palmer wird euch bis dahin nicht mehr loslassen...
"I have no idea where this will lead us, but I have a definite feeling it will be a place both wonderful and strange."
Mit einem Vogel fing alles an. Hättet ihr mich vor einem Monat gefragt, ich hätte euch gesagt, dass Serien etwas für zwischendurch sind, etwas, das man guckt, wenn die Zeit zu knapp ist für einen Film. Ich hatte mir schon das ganze Jahr vorgenommen, Twin Peaks zu schauen und da erschien es natürlich als passend, dass arte die Serie komplett durchhechelte. Dann war es soweit: Die Eltern in Urlaub, satt vom späten Mittagessen und so noch genügend Energie um ein paar Folgen dieser hochgelobten Serie zu schauen. Die erste Staffel endete dann irgendwann mitten in der Nacht. Aber von vorne.
Ein süßer Vogel erscheint auf dem Bildschirm, sein Köpfchen zuckt zweimal, während die Intromelodie erklingt. Die Musik ist sehr beruhigend, mittlerweile entspanne ich mich sofort, wenn ich sie höre, werde glücklich und meine Konzentration steigt - vielleicht sollte ich die Melodie als Weckerton benutzen, wenn die Schule wieder anfängt. Es werden entspannte, ruhige Bilder von Twin Peaks gezeigt. Das Sägewerk, der Wasserfall...und es breitet sich eine friedliche Stimmung aus. Nur dass in Twin Peaks alles andere als Frieden herrscht. Twin Peaks ist eins diese naiven Städtchen mitten in der Natur, in der jeder jeden kennt und es wahrscheinlich so langweilig ist, dass man sich in öden Momenten wünscht, es möge doch bitte etwas passieren. Es passiert. Laura Palmer, ein beliebtes junges Mädchen, wird ermordet aufgefunden und ein anderes Mädchen, Ronette Pulaski, stolpert traumatisiert und sichtlich zugerichtet über eine Brücke. Der Mord hebt die ganze Stadt aus den Angeln. Das FBI wird hinzugezogen und Agent Dale Cooper macht sich auf nach Twin Peaks um das Geheimnis des Mordes zu lüften...
Ich will gar nicht so viel über die Story schreiben, weil es
einerseits zu viel wäre und man anderseits am besten gar nichts über die
Serie wissen sollte, bevor man sie schaut. Viel lieber will ich mich
auf die Charaktere und den Stil der Serie konzentrieren, weil es auch
die beiden Dinge sind, die mir am allermeisten an Twin Peaks gefallen
haben.
Der Stil von Twin Peaks ist ein brillanter Misch aus Seifenoper,
amerikanischen Krimis und Lynchs eigener Genialität. Jedesmal, wenn der
Vorspann läuft, habe ich das Gefühl eine ruhige Welt zu betreten, aber
es wird immer chaotischer, immer verrückter, surrealistischer. Twin
Peaks war vielleicht mal eine ruhige Kleinstadt. Aber wie man so schön
sagt, wo Licht ist, ist auch Schatten, beziehungsweise, je lieber es
scheint, desto böser ist es in Wirklichkeit. Willkommen in der Welt von
Twin Peaks!
"Damm good coffee!"
Neben der schon erwähnten tollen Stilmischung sind es vor allem die
ganzen Protagonisten, die Twin Peaks zu so etwas Besonderem machen. Sie
alle geben Twin Peaks das Herz und die Seele. Obwohl die Beziehungen
aufgebaut sind wie in einer Seifenoper und sie sich mit alltäglichen
Dingen plagen wie Liebe, häusliche Gewalt, Betrug, Ehrgeiz, Kummer,
rutscht das Ganze kaum in Klischees ab und die Charaktere sind bis ins
Tiefste ausgearbeitet.
Neben der ermordeten Laura Palmer, die die ganze Zeit wie ein
Unglücksengel über allem schwebt, steht Dale Cooper im Mittelpunkt des
Geschehens. Er ist einer der liebenswertesten Charaktere, die ich je
gesehen habe. Ich könnte ihm wirklich stundenlang zuhören. Er trinkt
seinen Kaffee schwarz wie die mondlose Nacht, hebt die Hand um die
Kellnerin am Fortgehen zu stoppen und erzählt ihr dann mit strahlendem
Lächeln, dass ihr Kaffee absolut perfekt ist. Er liebt Kuchen und
Donuts, wobei in der Serie bis auf ein paar Ausnahmen eigentlich immer
süßes Zeug gegessen wird. Cooper ist eigentlich einer dieser immer
dargestellten Agenten, gefasst, intelligent, furchtlos und
vorausschauend. Trotzdem ist er anders als alle anderen. Vielleicht
liegt es an seinem Hang zu spirituellen Dingen und andersartigen
Ermittlungsideen. Er ist einfach offen für unterbewusste Dinge und
gehört auf keinen Fall zu den Menschen, die nicht an die Bedeutungskraft
von Träumen glauben. Er gerät nicht in Panik, wenn surrealistische
Dinge passieren, sondern kriegt große Augen und schaut sich aufmerksam
und staunend um. Auch er hat Schwächen und Ängste, die vor allem mit
seinem Ex-Partner Windom Earle zusammenhängen.
Unterstützt wird Cooper von Agent Albert Rosenfield, ein ebenso
intelligenter Mann, wie auch großmauliger. Anfangs kassiert er für seine
Bemerkungen ein paar Ohrfeigen, aber dann gewinnt er Twin Peaks auf
seine eigene Art und Weise lieb. Er erinnert mich irgendwie an eine
provokantere Version von Saul Goodman aus Breaking Bad, ich weiß auch
nicht recht wieso. Vielleicht hat sich Breaking Bad ein bisschen
inspirieren lassen, vielleicht kommt auch einfach in jeder
amerikanischen Serie ein DEA-Experte vor. Wie es auch ist, in Twin Peaks
gebührt diese Ehre ganz Agent Dennis, ehm Denise, Bryson. Ein Licht
geht auf, wenn er den Raum betritt und er ist ohne Zweifel der
sympathischste Transvestit in der Film- und Fernsehgeschichte. Auch
Lynch selber hat einen unvergleichbaren Auftritt als schwerhöriger
Regional Chef Gordon Cole und ich frag mich, wie kommt Lynch bloß auf
sowas? Einfach herrlich.
Die örtliche Polizei ist aber mindestens genauso wunderbar wie das
FBI. Sheriff ist Harry Truman und auch wenn es Momente der
Unprofessionalität gibt, wirkt er so wie ein Sheriff wirken sollte:
Vertrauenswürdig, mutig und treu. Ergänzt wird sein Team durch Deputy
Tommy Hill und Deputy Andy Brennan. Zweiterer ist mein Liebling von der
Twin Peaks - Polizei. Er wirkt genauso wie die Stadt ziemlich naiv und
unbedacht, versprüht aber wahre Leidenschaft, wenn es um die Liebe geht.
Und die heißt in seinem Fall Lucy Moran. Sie ist die Empfangsdame mit
wilder Frisur und einer piepsigen Stimme, die mir normalerweise auf die
Nerven gehen würde, aber in dem Zusammenhang einfach nur süß ist. Wie
bei Seifenopern üblich gibt es immer unzählig viele Handlungsstränge.
Neben dem Geheimnis um Laura Palmer ist der Handlungsstrang um Lucy und
ihren beiden Verehrern Andy und Richard einer davon. Lucy ist nämlich
schwanger, aber weiß nicht von wem und rätselt wen von den beiden sie
wirklich liebt und als Vater für ihr ungeborenes Kind will.
Ein weiterer Handlungsstrang spielt sich im Sägewerk ab. Dort leben
Josie Packard, Catherine und Pete Martell. Josie ist die Besitzerin
seitdem ihr Mann Andrew verunglückt ist. Sie ist eine hübsche Asiatin
und eine der ersten Personen, die gezeigt wird, schließlich wird Laura
Palmer von Pete Martell entdeckt. Außerdem hat sie eine Affäre mit dem
Sheriff und ist nicht das, was sie zu sein scheint.
Catherine Packard ist eine tyrannische Frau, die am liebsten selber
Besitzerin wäre, um eigene böse Pläne zu verwirklichen. Sie dominiert
jeden in ihrer Umgebung und strahlt für mich trotz allem keine
Unsymphatien aus, viel mehr umgibt sie eine bewundernswerte Aura, der
man sich nicht entziehen kann.
Ihr Konkurrent ist Benjamin Horne, Besitzer des Hotels in dem Cooper
lebt, eines Warenhauses und des Bordells One-Eyed Jack's, zu dem die
Handlung früher oder später führen wird. Außerdem ist er der Vater von
Audrey Horne und Johnny Horne.
Johnny ist geistig gestört und wird von Dr. Jacoby betreut, eine
schrille Persönlichkeit, der vor allem in der ersten Staffel nur
Glanzmomente hinlegt.
Audrey, neben Cooper meine liebste Figur der Serie wirkt zuerst wie
ein verwöhntes, arrogantes Mädchen, entwickelt sich aber prächtig. Sie
ist ebenso furchtlos wie Cooper und weiß wie sie sich selber einsetzt,
um ans Ziel zu kommen. Sie zeigt aber auch, dass sie ihre Schwächen hat
und ein Herz, das gebrochen werden kann. Ihr Auftreten gleicht dem einer
Femme Fatale und die Namensauswahl erweist sich als gut ausgewählt,
schließlich steckt in ihrer Nasenspitze (und auch in den Bogen ihrer
Augenrauen) mehr Sex-Appeal als viele Frauen am ganzen Leib besitzen. Es
sticht vielleicht nicht gleich hervor, aber es ist da (frei von Audrey
Hepburn zitiert). Im Laufe der Serie versteht sie sich immer besser mit
Donna Hayward, die früher die beste Freundin von Laura war. Sie ist mit
James zusammen, der davor mit Laura zusammen war. Dieser Handlungsstrang
ist so ziemlich das Einzige, was mir bei Twin Peaks missfällt. Anfangs
ist es zwar nett romantisch, aber spätestens nach Donnas Wandlung zur
rauchenden Möchtegern-Femme-Fatale nervt das Gesülze der beiden extrem.
Neben der Polizeiwache, dem Hotel und dem Sägewerk ist auch das
Café, geleitet von Norma Jenning, ein wichtiger Handlungsort. Hier
trinkt Cooper seinen ersten Kaffee, hier werden wichtige Gespräche
geführt, hier verliebt man sich bei einem Stück Kuchen. Norma Jenning,
die unter der überfürsorglichen Dominanz ihrer Mutter leidet und deren
Mann im Knast sitzt, ist ehemalige Miss Twin Peaks und führte mit Laura
ein Essen-auf-Rädern-Unternehmen. Sie hat zudem eine Affäre mit Ed
Hurley, dem Vater von James und dem Ehemann von der rothaarigen Frau mit
Augenklappe und Superkräften Nadine.
Zudem ist bei Norma auch Shelly Johnson angestellt, die eine Affäre
mit Bobby Brigs hat. Dieser war mit Laura zusammen. Durch seine
jugendlichen Rebellionen hat er öfters Streit mit seinem Vater Major
Briggs. Unglücklicherweise ist die hübsche Shelly mit Leo verheiratet,
der sie immer wieder schlägt und auch versucht umzubringen. Obwohl ich
allen Grund hätte Leo zu verachten, empfinde ich in manchen Momenten
doch Mitleid mit ihm.
Im Laufe der zweiten Staffel kommt auch Normas Schwester Annie nach
Twin Peaks. Sie verleiht Cooper eine komplett neue Lebensfreude, die
beiden verlieben sich. Doch es gibt da immer noch eine Vergangenheit und
die heißt Windom Earle.
Neben all den aufgezählten Charakteren gibt es noch viele andere, wie zum Beispiel die Log Lady, der gut aussehende John Wheeler, der mysteriöse Pierre Tremond und man denke auch an die ganzen originellen geheimnisvollen Charaktere aus Coopers Träumen. Sie alle zu erfassen mit ihren Beziehungen, Aktionen und Auswirkungen würde locker ein ganzes Buch beanspruchen und jeder von ihnen wäre das auch wert.
"The owls are not what they seem."
Twin Peaks. Das könnten siebzehn Tage beziehungsweise dreißig Folgen
Urlaub in einer Bilderbuch-Kleinstadt gewesen sein. Doch nichts ist so
wie es scheint. Lynch scheut das Unterbewusste nicht, das hat er noch
nie getan. Die Protagonisten scheinen gar nicht so naiv zu sein, wie das
Städtchen es vorgibt, denn sie leugnen nie das es nicht vielleicht doch
da draußen etwas Böses ist. Es wird nie die Frage gestellt, ob es
Geheimnisse gibt, es gibt sie einfach. Und sie müssen gelüftet werden.
Oder?
Lynch zerstört die friedliche Atmosphäre, die der Vorspann
suggeriert und lässt mich auf skurrile und liebenswerte Charaktere
treffen. Er lässt Nebenplots entstehen, nur um sie gemein zu zerstören,
er lässt Menschen 180-Grad-Wendungen machen und richtet meine Gänsehaut
auf. Begleitet von einem Soundtrack, der stets die weiße Fahne schwenkt,
suchte ich nach dem nächsten Moment und gäbe es da nicht noch das
sogenannte Real Life und menschliche Bedürfnisse wie Hunger hätte ich
die Serie noch schneller durchgeschaut. Das Vögelchen blieb immer
dasselbe. Es zuckte zweimal und ich wusste: Es geht weiter. Immer tiefer
in das dunkle Chaos der Welt, das nicht nur in Großstädten existiert
sondern auch in idyllischer Natur. Vielleicht auch hier bei mir. Ja,
vielleicht ist da draußen etwas. Ein Geheimnis, das niemand wissen kann,
ohne dabei seine Seele zu lassen. Ein Geheimnis, das uns schlecht
träumen lässt, unsere Welt aus den Angeln hebt, unsere Liebsten schreien
und uns sterben lässt. Die Frage ist doch nicht, ob es so etwas gibt,
sondern eher warum es so etwas nicht geben sollte. Vielleicht ist das
die Offenbarung, die man immer in Filmen und anderen Serien sucht, die
Weltbilderweiterung. Twin Peaks hat mir noch ein wenig mehr die Augen
geöffnet für das Verrückte in dieser Welt. Und falls ich jemals Zweifel
hatte an geheimnisvollen Dingen wie Aliens, Parallelwelten und
bedeutungsvollen Träumen, nun, dann habe ich jetzt nur noch Zweifel an
meiner eigenen Wahrnehmung. Denn Twin Peaks lässt nicht nur Cooper gegen
seine Ängste kämpfen, sondern auch den Zuschauer. Jeder hat doch Angst,
dass seine heile Welt zerstört wird.
Schon morgen könnte es soweit sein.
Danke, David Lynch für diese Serie *?*
"I'm going to let you in on a little secret. Every day, once a day,
give yourself a present. Don't plan it. Don't wait for it. Just let it
happen."
.reih snegirbü rhi tednif ratnemmoklanigirO neD