Vielleicht hat, wie es das Sprichwort sagt, jedes Volk das TV-Programm, das es verdient. Vielleicht haben wir auch durch unsere schwarze Vergangenheit Schuld auf uns geladen, die es jetzt abzutragen gilt. Statt Fegefeuer gibt es Cobra 11, Report München, Gülcans Traumabtreibungen und Die 100 dümmsten Arschgeigen Deutschlands. TV als Erbschuld und keiner kann sagen, er habe ja nichts davon gewusst.
Vielleicht werden die Deutschen aber auch von zynischen Fernsehmachern chronisch unterschätzt, wenn man ihnen in vorauseilendem Gehorsam jede Sendung verweigert die mehr Gehirnzellen anspricht, als eine gewöhnliche Nacktschnecke beim Erklimmen einer Weinflasche benötigt.
Weiß man nicht, man steckt ja nicht drin und würde man es, wünschte man sich an einen Ort weit weg, dorthin, wo Verstand kein Schimpfwort ist und Witz nicht mit Atze Schröder und Mario Barth assoziert wird. Die TV-Anstalten sind ein grauenerregender Hort mutloser Macher, die ihr Publikum für dümmer halten, als sie es selbst sind.
Darauf spielt natürlich auch die Überschrift dieses Artikels an, denn natürlich wird es genug Leute geben, die von den folgenden Serien schon etwas gehört oder sie sogar geguckt haben. Verkauft sich nur schlecht: “10 Serien, von denen vielleicht einige von euch schon einmal was gehört haben”. Grooved gar nicht und klickt bestimmt keine Sau. Aber jetzt sind wir schon im vierten Absatz und da darf man ja ehrlich sein, also kein Anspruch auf ultimativ-beste-Top-Serien aller Jahrtausende, sondern einfach ein paar Shows, die in Deutschland mehr Aufmerksamkeit verdient hätten. Los geht’s:
1. SPACED
Erzählt wird die Geschichte von Tim und Daisy, zwei Twentysomethings aus London, die, nachdem sie einzeln einige Zeit verzweifelt eine Wohnung gesucht haben, aus der Not heraus zusammenziehen. Die skurrile, immer leicht alkoholisierte Vermieterin Marsha (großartig: Julia Deakin) hat in ihrer Anzeige deutlich gemacht, dass sie ausschließlich an Pärchen vermietet. Fortan firmieren die beiden offiziell als Paar, inoffiziell sind sie nur gute Freunde.
Auch wenn Simon Pegg sich mittlerweile durch Hot Fuzz, Shaun of the Dead und Gastauftritte in Mission: Impossible 3 auch in Deutschland eine gewisse Popularität erspielt hat, die Serie, für die ihn die Engländer lieben, ist hierzulande immer noch ein Geheimtipp. Spaced ist eine Serie, die gerne ein Kinofilm wäre. Spaced ist der feuchte Traum jedes Geeks, Nerds, Fanboys, Cinephilen und Popkulturfans.
Jede Folge ist mit Anspielungen auf Filme, Serien, Comics, Computerspiele und andere Popkultur-Phänome vollgepackt, sodass es selbst eingefleischte Simpsons-Fans schwer haben, auf Anhieb alle zu erkennen. Folgerichtig bietet die DVD der Serie ein einblendbares Hommage-O-Meter, eine fortlaufende Erklärung aller Zitate und Referenzen. Vom A-Team über Trainspotting, von Star Wars-Episode IV-A New Hope zu Platoon – jede Folge ist eine überbordende Sammlung und Variation bekannter Filmszenen, ohne dabei jedoch in eine Spoof-Show abzugleiten. Die Figuren der Serie sind mit der Popkultur großgeworden, deswegen erscheint es nur folgerichtig, dass sie automatisch darauf anspielen. Denn trotz aller Zitate bleibt Spaced überraschend eigenständig und glaubwürdig.
2. HUSTLE
Diese überaus stylishe Serie beschreibt man am besten als unverfrorenen Mix aus Heist-Movies wie Oceans Eleven und der alten Mission-Impossible-Serie. Alles dreht sich um eine Gruppe von Trickbetrügern, die sich auf sogenannte Long-Cons spezialisiert haben. Sie verdienen ihren Lebensunterhalt damit, gierige Leute mit zu viel Geld auf möglichst elegante Weise hereinzulegen. Dazu tüfteln sie ausgefeilte Szenarien aus, in denen jeder aus der Gruppe seine spezielle Rolle spielen darf.
Eine weitere BBC-Serie, die durch eine wirklich erlesene Optik, schicke Kameraspielereien, einen sehr relaxten Jazz-Soundtrack und eine spielfreudige Besetzung mit hervorragender Chemie überzeugt. Was die Macher aus dem ausgelutschten Thema “Heist” alles herausholen, ist wahrlich beachtlich. Bisweilen wird man auch als Zuschauer getäuscht und erfährt erst im Nachhinein, wer von wem reingelgt wurde. The Con is on.
3. SPOOKS
Man könnte die Serie als britische Antwort auf 24 verstehen, denn hier wie dort wird die Arbeit des Geheimdienstes in der Terrorabwehr gezeigt. Gibt es in Amerika den Tough Guy Jack Bauer, so kämpft für den MI-5 (den Inlandsgeheimdienst) ein ganzes Team rund um den Oberboss Harry Pearce.
In mittlerweile sechs Staffeln versucht man die innere Sicherheit zu gewährleisten und stolpert dabei immer wieder über moralische Fallstricke, die Zweifel aufkommen lassen, ob unsere Helden tatsächlich diejenigen sind, die auf der richtigen Seite stehen.
Das Konzept von “Spooks“, einem in Großbritanien üblichen Spitznamen für Agenten (der in Amerika als Schimpfwort für Schwarze missverstanden werden könnte, weswegen die Serie dort MI-5 heisst), ist die moralische Ambivalenz, die keine eindeutigen Identifikationsfiguren zulässt. Sicher geht es auch hier bisweilen um islamistische Terroristen, aber das Bedrohungsspektrum ist wesentlich differenzierter und vielschichtiger als in der eher simplen Welt des Jack Bauer. Von fanatischen Abtreibungsgegnern, abtrünnigen Militärs, korrupten Politiker, Kosovo-Kriegsverbrechern und christlichen Hasspredigern bis zu Verschwörungen in allerhöchsten Kreisen reicht die Spannweite der Bedrohungen, denen sich die “Spooks”, die Leute ohne Privatleben, stellen müssen.
So hart, wie die Serie mit ihrem eigenen Land, der Regierung, befreundeten Geheimdiensten und den Allierten ins Gericht geht, so gnadenlos ist sie auch gegen ihre Figuren. Bis zur dritten Staffel ist kaum einer des Startpersonals mehr dabei: Dass Hauptdarsteller umgebracht werden, durchdrehen oder in Ungnade fallen und verschwinden ist ungewohnt, macht aber auch den Reiz dieser Serie aus, von der man nie weiß in welche Richtung sie geht. Jede Staffel besteht aus 10 Folgen, ist optisch spektakulär und aufwendig in Szene gesetzt und die Season-Finale geben meist nochmal richtig Gas.
4. QUEER AS FOLK – UK
Diese Serie qualifiziert ob ihres Alters – sie stammt aus dem Jahr 1999 – schon fast als Klassiker. Hat es beim erfolgreichen US-Remake immerhin rund sechs Jahre gedauert, bis sie seinen Weg auf die deutschen Bildschirme fand (und auch das nur zu nachtschlafender Zeit), so bleibt das UK-Original bis heute den hiesigen Zuschauern vorenthalten. Was sehr schade ist, denn auch die britische Original-Fassung hat viel zu bieten. Selbst wenn man die US-Serie schon kennt. Statt Brian Kinney zieht hier Stuart Allen Jones mit seinem Freund Vince durch die schwule Szene, statt Pittsburgh darf die Arbeiterstadt Manchester mit ihrem typischen Dialekt herhalten.
Zur damaligen Zeit war sowohl die optisch elegante Machart, die sich stark am Hochglanz-Look amerikanischer Serien orientierte, wie auch die gewagte Story ein echter Aufreger. Dass Szene-Beau Stuart gleicht in der ersten Folge den 15jährigen Nathan flach legt und die Kamera dabei keineswegs verschämt wegschaut, sorgte seinerzeit für heftige Diskussionen sowohl von Seiten schwuler, wie heterosexueller Bedenkenträger, die den Erfolg der Serie aber nicht beeinträchtigen konnten.
Bis heute kann man “Queer as Folk” als Meilenstein ansehen, da es die erste Mainstreamserie war, die ausschließlich mit schwulen Hauptfiguren operierte und damit Erfolg hatte.
Hauptautor und Serienerfinder Russel T. Davies erfüllte sich nach dem Erfolg einen weiteren Traum und verhalf “Doctor Who” im Jahr 2005 zu neuem Leben.
5. SHAMELESS
Die Radikalität britischer Fernsehmacher kann auch in dieser Serie über eine leicht asoziale britische Unterschichtsfamilie rund um das derangierte, versiffte Familienoberhaupt Frank Gallagher bestaunt werden. Natürlich spielt das Ganze ebenfalls in Manchester und lebt von seinen skurrilen, stolzen, abgefuckten und doch irgendwo liebenswerten Figuren.
Gallagher ist ständig pleite, seit seine Frau abgehauen ist, versucht er seine fünf Kinder selbst aufzuziehen. Oder besser: Er lässt sie bei sich im Haus aufwachsen und schaut, dass sie ihn dabei so wenig wie möglich stören.
Die älteste Fiona schlüpft widerwillig in die Mutterrolle und ist gleichzeitig auch Babysitter für ihren Vater, der regelmässig bis zur Bewusstlosigkeit besoffen von der Polizei heimgebracht wird. Nebenbei versucht sie sich auf Steve (James McAvoy der mit dieser Rolle in den UK berühmt wurde) einzulassen, einen netten Mittelklasseburschen, der sich Hals über Kopf in sie verliebt hat und damit klarkommen muss, daß er sie nur zusammen mit ihrer gestörten Familie bekommen kann.
Und diese Familie hat es in sich. Sei es der aufmüpfige 16jährige Phillip, kurz Lip genannt, der sich beim Nachhilfeunterricht von seiner Freundin einen blasen lässt. Der introvertierte 15jährige Ian, der sein Schwulsein heimlich mit seinem Kollegen im Supermarkt auslebt, oder die gestörten Jüngsten der Familie, die schonmal andere Kinder entführen, weil sie Spielkameraden suchen.
Auch diese Serie lebt von ihrem raubauzigen Charme, den unverkrampften harten Dialogen und einem schwarzhumorigen Witz, der auch die dramatischsten Momente nie in Schmalz umkippen lässt. So können Stories über das Prekariat auch aussehen, aber in Deutschland bleibt wohl weiterhin alles Atze.
6. TORCHWOOD
Torchwood ist das erste erfolgreiche Spin-Off von Doctor Who (das zweite sind die Sarah Jane Adventures – die aber eher ein jugendlich Publikum im Visier haben). Die in den 80ern gestartete Serie K-9 and Company floppte ja leider gnadenlos und so expandierte das “Whoniverse” nur in Büchern, Radioserien und Flash-Animationsfilmen.
Mit Torchwood, einer für BBC3 produzierten “Post-Watershed”-Serie (was bedeutet, dass sie nach neun Uhr gesendet wird und somit nicht mehr den Anforderungen an eine Jugendserie unterliegt), nimmt Russel T. Davies bewusst eine ältere Zielgruppe ins Visier. Zwar gibt es viele Verbindungen zur Mutterserie, inkl. der Figur des Captain Jack Hartness und der Organisation Torchwood, die in “Doctor Who” ebenfalls eine große Rolle spielt, die Themen sind jedoch, gerade was sexuelles Innuendo angeht, deutlich zweideutiger als beim bekannten Timelord.
Torchwood dreht sich um eine Abteilung der gleichnamigen Geheimorganisation, die sich der Erforschung ausserirdischer Artefakte und paranormaler Bedrohungen verschrieben hat. Capt. Hartness leitet die Torchwood-Abteilung Cardiff, eine Truppe bestehend aus verschiedenen Spezialisten, die ebenso begabte wie menschlich schwierige Figuren sind.
Neben den jeweiligen fantastischen Herausforderungen sind es denn auch vor allem die zum Teil katastrophalen Gruppendynamiken, die das Spannungspotential der Serie ausmachen.
War die erste Staffel noch ein eher gemischtes Vergnügen, hat Torchwood spätestens mit der zweiten Staffel seine eigene Stimme gefunden, die eine spannende und gelungene Ergänzung zu Doctor Who darstellt. Nachdem aber bereits die Mutterserie hierzulande gefloppt ist – wohl auch, weil Pro Sieben hier nur halbherzig eine durch maue Synchro und Kürzungen deformierte Version ausstrahlte – darf wohl kaum damit gerechnet werden, dass Torchwood hierzulande über die Bildschirme flimmert.
7. SKINS
Seit 2007 sorgt in UK diese “Jugendserie für Erwachsene” für Furore. In poppiger, extrem stylisher Optik wird hier das Leben einer Gruppe Jugendlicher in Bristol erzählt. Rund um Mr. Obercool, den manipulativen, zwilichtigen Tony (Nicholas Hoult – dem ehemals kleinen Jungen aus About a Boy oder: Der Tag der toten Ente), der seine Freunde wie Schachfiguren hin und herschiebt und zu seiner Belustigung agieren lässt, gruppieren sich Jungen und Mädchen aus verschiedenen sozialen und ethnischen Schichten.
Vom muslimischen Jal, der zwar einerseits fleissig zu Allah betet, andererseits aber massenhaft Pillen und Alkohol schmeißt und bei keiner Party fehlen will, zum von seiner Mutter vernachlässigten Chris, der unsterblich in die Vertrauenslehrerin verknallt ist, über die bulimiekranke Cassie, den schwulen Maxxie und Tonys besten Freund, den linkischen Nerd Sid – für Konfliktpotential, bösen Humor, reichlich Sex, Drugs and Rock ‘n’ Roll ist gesorgt. Die Deutlichkeit, mit der hier (gerade sexuelle) Themen frontal angegangen werden, suchte bisher ihresgleichen im Bereich der Teen-Dramaseries. Ohne pseudophilosophisches “Dawsons Creek”-Geschwafel wird hier dort hingegangen, wo es wehtut.
Dabei hält Skins geschickt die Ballance zwischen skurrilen Charakteren, berührendem Drama und überdrehter Komödie. Ernste Themen werden behandelt, aber nicht verzeigefingert, der Humor ist allgegenwärtig, aber trotz einiger Derbheiten nie plump. Der durchweg sympathische (und im Falle von Tony faszinierend hassenswerte) Cast spielt so souverän, das man schnell über dramaturgische Holperer hinwegsieht und sich gespannt auf die nächste Folge freut.
Überraschend radikal: Um dem Thema treu zu bleiben und tatsächlich Geschichten aus dem Leben von Jugendlichen und nicht von Twens zu erzählen, wird zum Start der dritten Staffel im kommenden Jahr die komplette Cast ausgewechselt und SKINS läuft mit neuen Figuren weiter.
Es bleibt die Hoffnung, dass sich doch ein deutscher Sender erbarmt und diese (und auch einige der anderen Serien) mal auf die heimischen Bildschirme holt.
Hab ich was vergessen? Bestimmt. Aber dafür gibt es ja die Kommentare!