_Garfield - Kommentare

Alle Kommentare von _Garfield

  • 5

    Es ist wirklich erstaunlich zu sehen, wie im Grunde alle entscheidenden Schlüsselszenen aus Heat bereits in dieser fürs Fernsehen produzierten Urversion enthalten sind, ohne je die Größe und Präzision des 95er-Remakes zu erreichen. Beinahe jede dieser Szenen sollte Mann nur sechs Jahre später (!) besser in Szene setzen und für jede noch so kleine Rolle nicht nur eine höherklassige, sondern auch eine passendere Besetzung finden. Das soll L.A. Takedown nicht schlechtreden, das ist ein solider Fernsehthriller, der manchmal, aber eher selten die kinetische Energie von Manns Kinowerk erreicht – irgendwo zwischen Miami Vice-Swag und dem ästhetischen Heat-Vorläufer Thief. Die Essenz seines späteren Meisterwerks ist bereits enthalten, aber es mangelt an der nötigen Zeit zur Entfaltung und an vielen Stellen an Timing; auch an den Idiosynkrasien eines Al Pacino und dessen explosiver Extravaganz. Dem Film mangelt es auch an der ästhetischen Klarheit von Manns Kinoarbeiten, was sicherlich dem Umstand geschuldet ist, dass dieser eigentlich den Auftakt zu einer nie verwirklichten NBC-Serie bilden sollte. Hier bleibt vieles unterentwickelt, zentrale Figuren unausgegoren. Insbesondere Scott Plank als Vincent Hanna mangelt es am Esprit eines Pacino, zumal seine Figur hier noch als ultra-agiler, Motorhauben-rutschender, Wild-West-schießender Serienheld angelegt ist.

    Heat entwickelte aus der Parallelität seiner gleichberechtigt auftretenden Hauptdarsteller auf zwei Seiten des Gesetzes eine fatalistische Sogwirkung, einen epischen Dualismus zwischen zwei Typen, die sich bekämpfen, obwohl sie sich brauchen, in L.A. Takedown hingegen bleibt das zentrale Duell zu kraftlos und unfokussiert, manchmal kann man die beiden Figuren nicht einmal äußerlich voneinander unterscheiden. Andere Szenen funktionieren allerdings auch in dieser niedrig-budgetierten Fernsehvariante wunderbar: die erste Begegnung zwischen Superdieb Patrick (Alex McArthur) und Eady (Laura Harrington) am Tresen eines Diners beispielsweise; erst ist sie interessiert, beginn ein Gespräch, wird dann von ihm zurückgewiesen, dann fühlt er sich schlecht, zeigt seinerseits Interesse – eine vorsichtige Annäherung entspinnt sich. Die Szene zeigt die lebendige Interaktion zwischen einem unverbindlichen Einzelgänger und einer Einsamen, die im Gegensatz zu all den selbstzerstörerischen Workaholics dieses Filmes unumwunden zugeben kann, dass sie einsam ist, während Patrick kleinlaut zu Protokoll gibt: „Im alone, it doesn’t bother me.“

    Es ist eine Schlüsselszene für diese Geschichte, die tiefen Einblick gewährt in die fragile Psyche seiner Protagonisten, in deren Selbstzerstörung man sich dennoch wiedererkennen kann und die man sich liebend gerne anschaut. Das ist ein Männerfilm, ja, weil Männer wohl tendenziell eher auf Räuberpistolen abfahren, auf eiskalte Profis, die schweres Gerät für einen gefährlichen Job einzusetzen wissen, aber es es ist auch ein Männerfilm, der sich mit den Eheszenen zwischen Vincent und Lilian (Ely Pouget) und der ersten Begegnung zwischen Patrick und Eady selbst als solcher perspektiviert und reflektiert. Mann ist nicht blind für den Machismus dieser Welt, die Codes und die Bilder von Männlichkeit in seinem Sujet. Aber er bewertet sie nicht; und vielleicht noch wichtiger: er ist ehrlich interessiert an den Schicksalen dieser Eisklötze und der unerbittlichen Zerstörungsspirale, die sie in Gang setzen; unfähig, sich selbst zu entkommen. Manns Filmographie ist auch eine Landschaft der Einsamkeit, bevölkert von Männern, die hilflos dabei zusehen müssen, wie ihre Beziehungen in die Brüche gehen, weil ihnen ihre Obsessionen in die Quere kommen – und weil die existenzielle Heimatlosigkeit sich nur obsessiv kompensieren lässt, aber nie tilgen.

    „Didn’t know where to run.“

    • 6

      Es gibt an Vanilla Sky sicherlich einiges zu kritisieren, nicht zuletzt den Umstand, dass er auf einer besseren filmischen Vorlage basiert. Doch wenn ich mich ganz auf den Film an sich einlasse, seine Produktionsgeschichte ausblende und ihn als singuläre Filmerfahrung bewerte, dann muss ich zugeben, immer wieder von ihm gefangen zu sein. Trotz dieses verrückten, angestrengten Lächelns von Tom Cruise mit diesem verrückten Leuchten in den Augen und trotz der lästigen Angewohnheit von Cameron Crowe, ausnahmslos jede Szene mit den abgehangendsten Gassenhauern (und ein paar guten Songs) zuzukleistern. Denn die Geschichte bleibt in ihrem Kern einfach toll und ist für das US-Remake fast 1:1 übernommen worden, manche Motive, wie die Parallelen zwischen Traum und Film, Hollywood als Traummaschine wurden sogar sinnigerweise vertieft. Selbst die unausstehliche Ansammlung von gutaussehenden, jungen Yuppies, allen voran Cruises Figur, lässt sich leichter ertragen, wenn man sie als reizvollen Kontrastpunkt zu den späteren, albtraumhaften Sequenzen versteht. So richtig unangenehm und fiebrig wird Vanilla Sky allerdings nie, noch am ehesten spielt Crowe die Horroranleihen in der Club- oder etwa in der Restaurant-Szene aus, die später von Nolan in seiner aseptischen Traumnovelle Inception „zitiert“ werden sollte. Traumfiguren, die sich ihrer eigenen Irrealität bewusst werden, da ist gruselig und faszinierend zugleich.

      Die unwirklichen Qualitäten eines Eyes Wide Shut und die Untiefen, die dieser auch bei Cruise zu berühren bereit war, erreicht Crowe indes nicht. Crowe macht Musikvideos in Spielfilmlänge, das ist seine größte Stärke und seine größte Schwäche zugleich. Stark ist die Montage und die rotierende, bewegliche Kamera, schwach das Drehbuch, insbesondere wenn es darum geht, die spannende, Genre-sprengende Geschichte mit interessanten Figuren auszustatten. Das liegt auch in der Natur der Idee (Cruz als Idealbild), gilt jedoch für die ganze Bagage Sprüche-klopfender, Weisheiten verbreitender New Yorker, die von fast allen Beteiligten mit einer Spur von Wahnsinn gespielt werden (ich kam nicht umhin, mir Cruise und Lee die ganze Zeit als Roben-tragende Scientology-Buddies vorzustellen). Ironischerweise tragen die immer etwas entrückten, mal überdrehten, mal merkwürdig somnambulen Performances zur traumartigen Atmosphäre nur bei, wenngleich sie die Kontraste zwischen den glücklichen Rom-Com-Montagen (schlimm: unironisches sich-gegenseitig-malen) und den Albtraum-Passagen eher verwischen. In dieser Neuinterpretation ist einfach ALLES IMMER merkwürdig, ob die Leute nun glücklich sind oder in einer tiefen Lebenskrise stecken.

      Das ändert aber nichts daran, dass ich immer wieder hängenbleibe, wenn Vanilla Sky in der Glotze läuft. Selbst das restlos auserzählende und alles erklärende, einigermaßen hässliche, vor einem künstlichen Vanillehimmel spielende Finale behält sich eine gewisse Faszination bei, die vielleicht auf der Drehbuchebene gar nicht intendiert war, die aber in den merkwürdig entrückten Schauspielleistungen jederzeit spürbar wird. Irgendetwas ist hier schräg, denke ich immerzu, und sehe mein Unbehagen in der entstellten Visage von Cruise auf gewisse Weise gespiegelt. Obwohl … eigentlich ist es nicht sein entstelltes Gesicht, auch nicht die prothetische, menschliche Züge auslöschende Gesichtsmaske, die mir nicht behagt, sondern die Maske, die Cruises Gesicht ist. Es ist sein Gesicht, wenn er „glücklich“ und „verliebt“ spielt, seine merkwürdige, amerikanisch-weiße Zahnreihe, die von angestrengter Euphorie entstellten Gesichtszüge. Hier ist die Maske, von der dieser Film eigentlich erzählt, in der sich das doppelte Spiel, die Identitätskrise eines Schauspielers ausdrückt, der auf Fernsehsofas den Verrückten „spielt“ oder eben nicht spielt. Hier liegt die eigentliche Faszination dieses Remakes, das dem Original auf dem Papier nicht viel hinzuzufügen weiß – bis auf Tom Cruise und seine Masken eben.

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      • 6

        Hier steckt ein Kultfilm drin. Aber er wird erdrückt von zwei sich negierenden Erzählhaltungen (metaphorischer Hangout-Movie vs. ekstatisches Vampir-Musical) und zu seinem Kulminationspunkt (einer Belagerung) geradezu fahrlässig verschleppt. Erst deutet sich, nach einer kolossalen, Zeit-streckenden Musikmontage, ein spannender Standoff an, dann tritt Coogler plötzlich das Bremspedal durch. Es ist buchstäblich wie auf einer guten Party, bei der plötzlich Oma Erna den Raum betritt, das Deckenlicht einschaltet und alle Gäste schimpfend nach Hause schickt. Im grellen Licht treten dann all jene Hässlichkeiten zutage, die zuvor noch im Halbschatten und unter lauter Musik verborgen waren.

        Viele potenzielle Opfer in diesem Kampf zwischen einem gruselig talentierten Iren (Jack O’Connell) mitsamt gruselig grinsender Entourage und einer schwarzen Bargemeinschaft rund um die Zwillinge Smoke und Stack (Michael B. Jordan in einer Doppelrolle) dürfen also unbeschadet den Heimweg antreten statt Teil dieser nächtlichen Belagerungssituation zu werden – sei es als Blutpakete, als Vampirjäger oder lediglich als Verhandlungsmasse. Aber die Situation soll offenbar übersichtlich bleiben und auf wenige, klar umrissene Figuren beschränkt, weil Coogler aus irgendwelchen, unerfindlichen Gründen auch noch ein Charakterdrama erzählen will.

        Dann sind also die Verbliebenen drinnen und die anderen draußen und es passiert erst einmal eine ganze Weile nichts. Nichts ist zu spüren von der paranoid verseuchten Klaustrophobie eines The Hateful Eight oder eines The Thing, dem Coogler an einer Stelle sogar explizit seine Ehre erweist. Stattdessen wird diskutiert und es klopft hin und wieder an der Tür und jemand will hereingebeten werden und der ein oder andere verirrt sich nach draußen, wo er erwartungsgemäß weggeschnappt wird. Zwischendurch kommen dann immer wieder so grandiose, viszerale Musikmontagen, dass man sich wünscht, Coogler würde einfach loslassen und auch den letzten Schritt Richtung Musical wagen. Und statt einer einfallslosen Klopperei, mit viel Filmblut, Holzpflöcken und Bisswunden, würden sich die beiden Lager einfach zu einem Gesangsduell herausfordern.

        Oh man, wäre das ein Fest geworden, der Teufel am Banjo haut einen raus (Tenacious D hat’s vorgemacht) und der Preacher Boy (Miles Caton) würde kontern, mit einer Nummer, in der all der Schmerz und das Leid und die Ungerechtigkeit der Jim-Crow-Zeit zu einer herzzerreißenden Melodie verdichtet ist. Dann wäre das hier ein reinrassiger Musikfilm geworden. Stattdessen wird eine Gruppe austauschbarer Ku-Klux-Klan-Mitglieder zusammengeschossen und die Vampire treten lebensmüde ins Sonnenlicht. Da ist der Film schon eine halbe Stunde über der Zeit, ehe eine tolle letzte Szene, die merkwürdigerweise Post-Credit platziert wurde, wieder daran erinnert, was hieraus hätte werden können.

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        • 7
          über Sicario

          Distanzierte Einstellungen bis hin zu abstrahierenden, topographischen Landschaftsgemälden und wechselnde Erzählperspektiven belassen den Zuschauer lange im Unklaren – darüber, was hier eigentlich passiert und wer mit wem und gegen wen und überhaupt. Emily Blunts mädchenhafte, verschreckte Züge bilden die angemessene Identifikationsfläche, um mit ihr auf die Verstrickungen des Drogenkrieges an der amerikanisch-mexikanischen Grenze zu blicken. Da ist noch moralische Integrität in ihrem Blick, Glaube an etwas universell Gutes, Glaube an den Rechtsstaat, seine Legitimität, vor allem: seine Begrenzungen. Nur um am Ende des Filmes desillusioniert aus dem Land der Wölfe geschmissen zu werden, nachdem sie verprügelt und gedemütigt wurde. Aber immerhin: am leben.

          Es ist sicherlich infrage zu stellen, warum ausgerechnet ihre Figur, die schon den gesamten Film über mit ihrer Handlungsunfähigkeit zu ringen hat, auch noch diejenige sein muss, die durch einen One-Night-Stand die Arbeit des gesamten Teams zu kompromittieren droht. Im Kontrast dazu kommt mir Del Toros einsamer, stoischer Wolfcharakter viel zu gut weg. Er bleibt zwar moralisch ambiguitiv, trotzdem zeigt uns der Film unmissverständlich, wie dieser durch Folter immer wieder entscheidende Informationen enthüllt. Nebenbei verteilt er Kopfschüsse locker aus dem Handgelenk und bekommt die tragischste aller Hintergrundgeschichten spendiert. Und dann darf er am Ende auch noch lässig das Fazit dieses Filmes brummen: „You should move to a small town where the rule of law still exists. You will not survive here. You are not a wolf. And this is the land of wolves now.“

          Das Duo Deakins/Villeneuve hat derweil die Ruhe, sich in der moralischen Ambiguität von Sheridans Drehbuch kreativ zu entfalten, statt sich in Schießereien und Gräueltaten zu flüchten. Der Film zeigt zwar Grausames, wird auch gelegentlich explizit, aber nie zum Selbstzweck, nie mehr als nötig. Bei einer Folterszene fixiert die Kamera ein Abflussloch, erhängte und geschändete Leichen sehen wir nur aus der Distanz, durch ein Autofenster, über die Schulter von FBI-Agentin Kate (Blunt). Sicario ist schon sehr darum bemüht, dezidiert KEIN Actionfilm zu sein. Stattdessen baut der Film immer wieder Antizipation und Spannung auf, nur um sie dann entgegen der Eskalationslogik von Actionfilmen vergleichsweise zahm aufzulösen.

          Bei einem geplanten Hinterhalt am Grenzübergang scheitern die Schergen des Kartells an der drückenden Überlegenheit der amerikanischen Sicherheitsbehörden, bei einer Black Op in einem geheimen Drogentunnel wechselt die Kamera auf Nachtsichtaufnahmen. So wie sich der ewige Kreislauf des Drogenkrieges in kein narratives Schema zwingen lässt, so sehr versucht Sicario narrative Erwartungshaltungen gezielt zu unterlaufen. Und Roger Deakins poetische Bilder zwingen zur Ruhe: statt eines Actionfeuerwerks gibt es Lichtstimmungen, weite Himmel, ewig fahrende Autokolonnen, Ambivalenzen und harte Kerle. Es steckt schon ziemlich viel Hollywood in Sicario, trotz seiner betont entschleunigten Verpackung, aber alles in allem stimmen die Zutaten. Gerade die guten Schauspieler und die sehr reduzierte, aber kluge Geschichte regen zum nachdenken an – oder zum verzweifeln.

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          • 7

            Es hat etwas eigenartig beruhigendes, dass sich Michael Douglas Tour de Force vom griesgrämigen Finanz-Scrooge zum geläuterten Carnegie am Ende auf ein Kaffee-Date am Flughafen runterdampft. Keine einstürzenden Finanzschlote, kein Nullpunkt, keine kulturpessimistische Conclusio – nur ein Arschloch, das einmal aus zehn Metern fallen und in einem Müllcontainer landen muss, um nicht mehr ein ganz so großes Arschloch zu sein. Für wen das jetzt reichlich banal klingt, hat recht: The Game erzählt keine Systemkritik, sondern eine Art Systemkritik-Kritik. Als Farce. Dafür bedient sich Fincher den Mustern moralischer Erzählungen wie etwa Dickens Weihnachtsgeschichte.

            Solche Erzählungen laufen immer auf die persönliche, moralische Läuterung ihrer Hauptfigur hinaus, niemals auf systemische Anpassungen oder gar Verwerfungen. Das Problem ist demnach nicht der Reichtum, den ein entfesselter Finanzmarkt ermöglicht, sondern immer nur der Charakter des Reichen. Weil Erzählungen nun mal über Identifikation funktionieren, entlässt uns Douglas Wandlung vom bösen Millionär zum guten Millionär darum mit einen befriedigenden Gefühl aus dem Film. Auch mich. Es hat sich schließlich etwas zum Guten gewendet, auch wenn die allgemeine Ordnung unangetastet bleibt. Emotional nachvollziehbare Veränderung ist viel besser verdaulich statt undurchschaubarer gesellschaftlicher Umwälzungen oder unaufgelöster Widersprüche. Schlussendlich bleibt hier alles an seinem Platz – wie angenehm unaufregend.

            Hate the Player, not the Game

            Das ist die Falle, in die uns Fincher tappen lässt: Identifikation. Wir fiebern mit diesem megareichen Investmentbänker mit und damit gleichsam mit den systemischen Bedingungen, die Leute wie ihn überhaupt erst ermöglichen. Douglas ist ideal für dieses Kunststück, verkörpert er doch all die machtbewussten, elitären Gesten seiner entschärften Gordon-Gekko-Iteration ebenso glaubhaft wie seine Wandlung zum emotional verletztlichen, traumatisierten Vatersöhnchen. Je mehr er zu verlieren droht, desto größer wird die Anspannung – und umso größer die Entspannung, wenn schließlich jeder Cent wieder auf seinem Konto landet. Gleichzeitg eröffnet dessen Reichtum Fincher die Möglichkeit, ziemlich geile Häuser, Büros und Autos auf seine geile 90er-Fincher-Art zu filmen. Das ist Verführungskino der anderen Sorte. Subversiver Kapitalismusporno für Thrillerfans.

            Gerade die Nacht bekommt Fincher dabei auf eine Weise zu fassen, wie es nur wenigen Regisseuren gelingt und selbst Fincher in seiner digitalen Ära nicht wieder gelungen ist. Ich weiß nicht genau, was es ist, aber die Facetten von Schwarz in seinen Neunzigerjahre-Streifen bilden für mich die ästhetische Quintessenz amerikanischen Thrillerkinos dieser Dekade. Das unverbrauchte San Francisco als in Neon und kalten Dunst gehüllter Schauplatz tut sein übriges und liefert eindrückliche Bilder für dieses eigenartige, unwirkliche Gefühl von Paranoia, das die Geschichte evoziert. Nachhaltig beeindruckend ist nach wie vor die Taxi-Entführung in einer verlassenen Stadt, die sich plötzlich leerende Tiefgarage oder auch die direkte Ansprache des Nachrichtensprechers, der Douglas in die Regeln des titelgebenden Spiels einführt.

            Es ist ein Spiel für gelangweilte oder anderweitig lebenskriselnde Superreiche, für deren Umsetzung auch mal eine ganze Nachbarschaft zusammengeschossen wird. Eine Art privilegiertes Brot-und-Spiele-Szenario, in dessen Verlauf die Kunden ihre eigene Menschlichkeit wiederentdecken können. Die Welt wird infolge zum Filmset, was Douglas Figur in einer der besten Szenen des Filmes selbst Stück für Stück herausfindet, indem er die Kulissen einer zunächst ganz normal scheinenden Apartmentwohnung auf ihre Echtheit abklopft. Und wie Fincher hier ein Detail nach dem anderen anhäuft, bis es zur Eskalation kommt, ist einfach richtig gutes Handwerkszeug; vom leeren, ausgeschalteten Kühlschrank, von der Lampe, an der noch das Etikett hängt über die Pappaufsteller in den Regalen, die die Anmutung von Buchrücken haben. Douglas bekommt die volle Truman-Experience! Und immer, wenn man glaubt, The Game würde sich einem offenbaren, schlägt dieser kleine, feine Film einen neuen Haken. Bis er eben keinen Haken mehr schlägt und nichts bleibt als die große Farce. Die Falle hat zugeschnappt: ich habe mitgefiebert.

            And all I got was this stupid-fun time.

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            • 7

              Der perfekte Film, um ihn an einem Filmabend zu präsentieren. Ich habe es zweimal erprobt. Es macht einfach wahnsinnig viel Spaß, anderen dabei zuzusehen, wie sie für gut eine Stunde darüber rätseln, ob und wie The Invitation zur Eskalation kommt, nur um dann durch gelungene Finten wieder ins Zweifeln gebracht zu werden. Und wenn es dann zur offenen Eskalation kommt, ist diese so schnell vorüber, dass es nach der Auflösung auch nicht öde wird. Regisseurin Karyn Kusama hat diesen Film wirklich jederzeit fest im Griff, streut genügend inszenatorische Brotkrumen, um eine Spur aufnehmen zu können, lässt sich aber dennoch nie ganz in die Karten schauen. Unterstützt wird dieser Schwebezustand durch einen tollen Logan Marshall-Green als vor Trauer versteinerter Vater, der das Haus seiner Exfrau nach gemeinsamen, schmerzlichen Erinnerungen durchstreift.

              Wir sind mit der Hauptfigur isoliert; wiederholt blenden die Gespräche der anderen Dinner-Gäste aus und werden durch Fragmente von Erinnerung ersetzt. Das bindet uns nicht nur an die durch Trauer verzerrte Perspektive des Protagonisten, sondern erlaubt Kusama auch, das Kammerspiel immer wieder aufzubrechen und rein visuell zu erzählen. Lediglich mit dem dissonanten Gefiedel auf der Tonspur übertreibt man es hier und da und nimmt zugleich die ätzenden Trends moderner Horrorfilmmusik vorweg.

              Wie bei jedem großen Lebensthema (hier: Tod und Trauer), das innerhalb der Begrenzungen eines Spielfilms verhandelt werden soll und zugleich den dramaturgischen Gesetzmäßigkeiten seines Genres unterworfen ist, kann auch bei The Invitation nur an der Oberfläche geschürft werden. Parallelen zu echten Religionen, aus deren Glaubenssätzen man teilweise ähnliche Schlüsse ziehen könnte wie Eden (Tammy Blanchard) und ihr Mann David (Michiel Huisman) (siehe: Eschatologie), werden erst gar nicht gezogen, um (möglicherweise) einem größeren Teil des Publikums nicht auf die Füße zu treten. Das ist verständlich, verhindert aber auch, dass The Invitation wirklich dahin geht, wo es wehtut.

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              • 5

                Eine unerwartete und damit umso bitterere Enttäuschung. Gerade weil ich Asters Midsommar sehr schätze, erwartete ich vom Genre-Primus des Folklore-Grusels wirklich Großes. Aber leider hat The Wicker Man ordentlich Staub angesetzt. Das fängt bereits bei der grundlegenden Konstellation des Films an, die uns in die Perspektive eines streng religiösen Polizisten (Edward Woodward) zwingt. Dieser soll das Verschwinden eines Mädchen auf der Insel Summerisle ermitteln und ist von den heidnischen Praktiken der Inselbewohner zuerst irritiert und dann mit zunehmender Laufzeit offen entrüstet:

                Lord Summerisle: "Well I’m confident your suspicions are wrong, Sergeant. We don’t commit murder here. We’re a deeply religious people."

                Sergeant Howie: "Religious? With ruined churches, no ministers, no priests… and children dancing naked!"

                Feldforschungsübung

                Die neuheidnische Religion der Insulaner ist eine Mischung aus Hippie-Kommune (gemeinsam musizieren, freie Liebe), New Age-Kommunismus und keltischen Kulten. Alles dreht sich um Fruchtbarkeit und den endlosen Zyklus vom Werden und Vergehen. Der Einzelne zählt nur in seinem Beitrag fürs Ganze etwas, auch vor menschlichen Opfergaben schrecken die Inselbewohner darum nicht zurück. Im Gegenteil, sie empfinden es als große Ehre, für die Gemeinschaft sterben zu dürfen, um dann wiedergeboren zu werden. In Midsommar gaben mir die Gegenüberstellungen zwischen den Wertevorstellungen der Kommune und denen der Studenten noch etwas zu denken (siehe: radikale Alterspolitik) – bei The Wicker Man wird einem durch die streng religiöse Perpektive Howies hingegen sehr schnell vermittelt, um was für einen Haufen Irrer es sich bei den Bewohnern Summerisles handelt.

                Auch der Film selbst bleibt dahingehend frustrierend einseitig. Das spiegelt sich auch in der drögen Inszenierung wieder, die einem manchmal das Gefühl vermittelt, eher einer abgefilmten Feldforschung beizuwohnen als einem Horrorfilm. Es ist sicherlich reizvoll, mit Erzählperspektiven zu experimentieren, die eine Identifikation erschweren. Die daraus resultierende Desorientierung und Haltlosigkeit könnte selbst ein Ursprung des Horrors sein. Hier aber resultiert aus dem völligen Fehlen eines Identifikationsangebots nur blankes Desinteresse. Was interessiert es mich, wenn eine Horde religiöser Spinner einen anderen religiösen Spinner zu Schaschlik verarbeitet?

                Strohmänner

                Höchstwahrscheinlich (hoffentlich!) ist die Erzählperspektive und die Opportunität der Hauptfigur von den Machern beabsichtigt, aber leider ergibt sich aus dieser kreativen Entscheidung für mich kein großer Erkenntnisgewinn. Dazu ist die Erzählung zu durchsichtig und die Form zu berechenbar, um diesen fehlenden, fokalen Ankerpunkt kompensieren zu können. Vielleicht sprach die konservative Ordnungsfigur des Polizisten, die endlich mal im muffigen Hippie-Dorf aufräumt, auch zum einem Großteil des englischen Publikums seiner Zeit. Dabei wäre es doch so viel spannender, wenn einem das Dorf zuerst als Utopie verkauft würde und einem über die Perspektive Howies als beobachtender Außenseiter auch die Vorzüge dieser Lebensweise klar würden.

                Zumindest werden die Dorfbewohner nicht mit Vorstellungswelten einer ewigen Hölle und der Erbsünde malträtiert, sondern begreifen den Tod als Teil eines Kreislaufs. Das erscheint mir als Umgangsform mit der eigenen Endlichkeit gesünder zu sein als es bei vielen Spielarten des Christentums der Fall ist. Die Wicker Man-Gemeinde also zuerst als ernstzunehmendes, spirituelles Alternativangebot zu verkaufen, um ihre Ideologie dann Stück für Stück zu pervertieren, hätte mir ein deutlich interessanteres Seherlebnis verschafft. The Wicker Man ist aber leider ein Film wie ein Strohmann-Argument; ein Film, bei dem nie ein wirkliches Interesse an den Ideen der Opposition besteht, sondern nur die Dämonisierung des Anderen.

                Einige Szenen haben dennoch bei mir gewirkt: der Blick der Kneipenbesucher gen Decke, während im Zimmer darüber gebumst wird, und dazu die Musik (Simon & Garfunkel auf sublim rallig, aber creepy rallig); oder das Bild der großen Wicker Man-Statue an den Felsklippen bei Sonnenuntergang. Hier sehe ich den ikonografischen Gehalt des Filmes, der sich mir bis zu diesen finalen Szenen aber nur selten erschlossen hat. Schade, aber vielleicht kann mich ja Nic Cage noch mit dem Wicker Man versöhnen …

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                • 7

                  Beim Titel vermutete ich reinste Mittelalter-Exploitation – doch Flesh + Blood ist keine reine Exploitation. Stattdessen zeigt Verhoeven das Mittelalter lediglich in seiner ganzen, ausbeuterischen, asozialen Niederträchtigkeit. Wir folgen dabei einer Gruppe Söldner (derangierte Drecksschweine, darunter Prostituierte und ein mordender Prediger), die sich nach der erfolgreichen Rückeroberung einer italienischen Stadt von ihrem Auftraggeber, dem Feudalherren Arnolfini (Fernando Hilbeck), um ihr Raubgut betrogen sehen und ihn daraufhin in einem Hinterhalt überfallen. Dabei entführen sie (aus Versehen) die adelige Jungfrau Agnes (Jennifer Jason Leigh), die mit Arnolfinis Sohn Steven (Tom Burlinson) vermählt werden soll. Was nach Robin Hood klingt, hat höchstens auf der Beschreibungsebene etwas damit zu tun. Denn unsere Gruppe Drecksschweine hat rein gar nichts von der moralischen Strahlkraft des edlen, englischen Räubers. Während Hood die Entrechteten rächt und ihnen zurückgibt, was ihnen genommen wurde, sind es bei Verhoeven die Entrechteten selbst, die das Recht in die eigene Hand nehmen.

                  Jeder gegen jeden

                  Flesh + Blood blickt auf das Mittelalter nicht durch die rosarote Brille von Mythen, Legenden und moralischen Märchen, sondern eröffnet eine dezidiert klassenkritische Perspektive auf das Mittelalter und seine Machtverhältnisse. Hier rächen sich diejenigen, die in den Feldzügen der Mächtigen ihr Leben riskieren und nichts dafür zurück bekommen. Und sie tun es auf die widerwärtigste Art, indem sie sich rücksichtslos durch diese staubige, karge Welt morden, brandschatzen und vergewaltigen. Apropros: vergewaltigen. Wir müssen über die Vergewaltigungsszene sprechen, die eindrucksvoll zeigt, wie furchtlos sich dieser Film über alle Grenzen des guten Geschmacks hinwegsetzt, ohne sich im Selbstzweck zu verraten. Nur wenige Regisseure haben die Eier, eine solche Szene abstoßender, sexueller Gewalt in einer Geste der Ermächtigung münden zu lassen und nur wenige Schauspielerinnen (Leigh) haben die Eier, sich ihr auszusetzen (Leigh beschwerte sich später über die Zensur der Szene).

                  Es ist eine Schlüsselszene, die klar macht: Agnes tut alles, um zu überleben. Und: sie ist nicht schwach. In der Folge arrangiert sie sich mit dem Umständen und ihrer Rolle in der Gruppe, indem sie die Begehren des Anführers Martin (auch ein Drecksschwein: Rutger Hauer) gezielt ausnutzt. Denn darauf läuft alles in diesem Film hinaus: Systeme von Ausbeutung. Jeder gegen jeden. So wie die Gruppe marodierender Drecksschweine von Arnolfini verarscht wurde, verarschen sie andere und sich gegenseitig, und ihr loser, solidarischer Verbund löst sich auf, sobald der Einzelne eine Chance sieht, sich zu bevorteilen. Verhoevens Mittelalter ist eine Art Mad-Max-Feudal-Kapitalismus, in dem die feinen Gesten der Oberklasse (Messer und Gabel, eine Verbeugung, ein Handkuss), nur genau das sind: opportune Gesten, die die überbordende Gewalt ihrer Herrschaft zu verschleiern suchen; vorgetäuschte Zivilisiertheit, wo nur Eigennutz und Triebbefriedigung an erster Stelle steht.

                  Schwaches Licht

                  Trotz dieser düsteren Zeitbeschreibung installiert Verhoeven neben all diesen Arschkrampen einen neugierigen, jungen Helden in der Geschichte. Steven ist dabei nicht der klassische, Schwert-schwingende Held der Hollywood’schen Mittelalter-Fiktion, sondern ein Erfinder und Wissenschaftler. Er ist quasi ein Vorzeichen der Aufklärung, anknüpfend an Vorbilder wie Leonardo Da Vinci. Und auf eine eben solche Weise begegnet er auch den Herausforderungen, die sich ihm stellen: mit Erfindungsgeist und Werkzeugen, nicht mit roher Waffengewalt. Er reiht sich dabei nahtlos in ein Figurenensemble ein, in dem jeder nachvollziehbar und seinem Wesen nach handelt. Im Feudalkapitalismus des Mittelalters kämpft jeder für sich und jeder auf seine Weise, sei durch sexuelle Gefälligkeiten (Fleisch – Agnes), rohe Gewalt (Blut – Martin) oder Erfindungsgeist (Steven). Steven ist die idealisierte Figur, die aus diesem düsteren Kapitel der Geschichte irgendwie herauszuweisen scheint und kleine Schritte des Fortschritts markiert (Pestbeulen aufschneiden, keinen Aderlass mehr!). Und Verhoeven, bei allem niederschmetternden Zynismus, glaubt an diesen Fortschritt.

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                  • 6 .5

                    Die Idee

                    Gehört zu jener Sorte Seherlebnis, bei dem ich mich nach der grandiosen Schlusseinstellung zu einer Jubelarie hinreißen lassen möchte, die der Film, so im Ganzen, nicht wirklich verdient hat. Die Prämisse ist natürlich brillant, jene Sorte Idee, die mich auch lange nach der Sichtung noch auf geistige Reisen schickt, mich aber auch emotional über die nächsten Tage sicherlich noch begleiten wird. Zuletzt hatte ich ein derartiges Hochgefühl über eine Filmidee bei Arrival oder dem kleinen feinen Coherence. Eine geisterhafte Präsenz nicht nur in einer Art geografischen Zwischenraum zu verorten, sondern auch zeitlich zu versetzen, das ist wirklich spannend! Vielfilmer Soderbergh und Drehbuch-Veteran Koepp (Liebe für Panic Room, always) werfen mit Presence nicht nur ein völliges neues Licht auf die titelgebende Präsenz, sondern auch Geistererscheinungen im Film generell.

                    Es gibt eine Reihe von Geisterfilmen, die dem Geist, also dem Anderen und Unbekannten, mit großer empathischer Neugierde begegnen, etwa Jennifer Kents Beitrag The Murmuring aus der Anthologie-Serie Cabinet of Curiosities oder Personal Shopper von Olivier Assayas. In diesen Beispielen bleiben wir jedoch immer Beobachter und Ermittler geisterhafter Erscheinungen. In Presence wird die Kamera und damit der Zuschauer selbst zum Gespenst. Diese perspektivische Vergemeinschaftung mit dem Anderen (wir sehen, was der Geist sieht), eröffnet völlig neue emotionale Anknüpfungspunkte. Die Enthüllung, dass es sich bei der Präsenz gewissermaßen um einen Geist aus der Zukunft gehandelt hat, der erst am Ende des Filmes zum Zeitstrahl des Filmes aufschließt, entlässt den Zuschauer dann auch mit einem echten, emotionalen Tiefschlag aus dem Film, insbesondere in Kombination mit dem verstörenden Schlussschrei von Lucy Liu, der Laura Palmers Abschiedsschrei aus Twin Peaks – The Return Konkurrenz macht.

                    Die Umsetzung

                    Aber, und damit komme ich zur anderen Seite der Medaille, Presence ist auch ein Film der verschenkten Möglichkeiten. Die Figuren sind oft holzschnittartig, gerade der Bruder (Eddy Maday), ein erfolgreicher Highschool-Schwimmer, und die dauerbeschäftigte, mit dem Telefon verwachsende Mutter (Lucy Liu) scheinen vor allem dem Zweck zu dienen, unverdiente familiäre Konfliktsituationen heraufzubeschwören (der Streit am Essenstisch) und einen skeptizistischen Gegenpol zur Spiritualität von Vater (Chris Sullivan) und Tochter (Callina Liang) zu bilden. Viel tiefer fallen auch diese nicht aus, aber gerade der Vater ist einfach ein lieber Bär, der einige schöne Worte zu den Grenzen von Wissen und Wahrnehmung verliert.

                    Auch übertrug sich über die Bewegungen der Kamera für mich nie so wirklich das glaubhafte Gefühl, einem Geist zu folgen. Denn diese Kamera (Soderbergh) kadriert Einstellungen, fährt dramatische Schwenks und „läuft“ sogar recht normal die Treppe rauf und runter. Irgendwie hätte ich mir in den Kamerabewegungen mehr Idiosynkrasie gewünscht, vielleicht auch mehr Irritation und Befremdung, die mich an ihren übernatürlichen Urheber glauben lässt. Neben der Kameraarbeit sticht auch die (zum Glück sparsame) Einbindung eines sehr klassischen, orchestralen Scores auf, der die konzeptionellen und formellen Innovationen allzu konventionell begleitet.

                    Unterm Strich wäre hier viel mehr drin gewesen. Gerade die recht knackige Laufzeit und Szenenlänge sowie das schnelle Abblenden am Ende von Szenen hat mir Zeit geraubt, die ich gerne noch mit der Präsenz und der Familie verbracht hätte; notwendige Zeit, um sich wirklich mit den Figuren zu verbinden. So bleibt immer eine Distanz. Darum mein Verbesserungsvorschlag: mehr Verweildauer mit der Präsenz und der Familie, in diesem Haus und seiner Geschichte. Vielleicht ein Schuss aus Ozgood Perkins I Am the Pretty Thing That Lives in the House und dessen gespenstischer Lethargie, formaler Befremdung und vermittelten Zeitgefühls. Das ist alles, worum ich bitte, Herr Soderbergh: mehr Zeit zu verweilen.

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                      Die erste Hälfte ist noch super: eigenwilliger Schnitt, prägnante Einstellungen, in der Art wie viele moderne Horrorfilme eben (über-)inszeniert sind. Das Sound-Design ist so spezifisch und hochgefahren, dass es fast aufdringlich erscheint, ähnlich verhält es sich mit den andauernden Tiefenunschärfen, die einem jederzeit klar machen, wohin man als Zuschauer zu gucken hat (aber lange nicht so schlimm wie im jüngsten Zero Day). Trotz dieser, für meinen Geschmack, überstrapazierten Stilmittel, weiß Kravitz offenbar sehr genau, welchen Ton sie treffen und was für eine Art Film sie erzählen will. Nur ist das mit zunehmender Laufzeit nicht mehr sonderlich interessant. Nach dieser ersten Hälfte, die nur aufbauen und andeuten muss, aber nichts erklären, kommt nämlich die zweite Hälfte. Und die erklärt. Alles. Restlos. Hier kommen dann unironische Hero Shots unserer Heldinnen als leere Solidarisierungsgesten und die Dreckskerle endlich ordentlich auf die Fresse.

                      Achja, und es geht auch irgendwie um Trauma und ob man sich ihnen stellen sollte oder sie für immer verdrängen (die Umgangsweise, die der böse Tatum propagiert). Der böse Tatum macht aber Spaß, spielt all die Gesten und Codes des hippen Tech-Playboys, der sich nach einem nicht näher erläuterten Skandal gesellschaftlich rehabilitieren will, auf den Punkt. Ihm gegenüber steht Naomie Ackie, die als Fixpunkt des Zuschauers die schleichende Paranoia und Desorientierung glaubwürdig zum Ausdruck bringt. Leider stehen all die tollen Performances dieses All-Star-Casts (Slater, Rex, MacLachlan, Davis!) im Dienste eines ziemlich leeren Filmes, der einem in seiner kruden Schlusseinstellung auch noch glauben machen will, unsere Protagonistin hätte das patriarchale System unbemerkt unterwandert und die Kontrolle übernommen. Am Ende bleibt Blink Twice visuell zu derivativ (siehe der bessere Get Out) und seine Botschaft so öde wie altbacken: Männer sind Schweine. Das haben andere auch schon prägnanter formuliert.

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                        Vier Episoden, vier One-Shots, die den Ursprüngen männlicher Gewalt nachzuspüren versuchen. Vier Versuche einer Erklärung dessen, was nicht restlos geklärt werden kann. Vier Räume der Gesellschaft, in denen Bruchstücke einer Antwort verborgen liegen. Die Engländer machen vor, welch immenses Potenzial im ausgelutschten und tot-gesendeten Krimiformat liegt, wenn man bereit ist, die richtigen Fragen zu stellen. Neben den richtigen Fragen findet Adolescence auch zu einer reizvollen ästhetischen Form; eine Form, deren Vorzüge (Unmittelbarkeit) seine Unzulänglichkeiten (Längen) klar überbietet. Hätte man dieselbe Geschichte auch mit Schnitten erzählen können? Sicherlich, so wie man Burger auch ohne Patty essen kann. Aber es hätte etwas gefehlt.

                        Zum Beispiel das Kopfkino, das sich von den verwirrten und verängstigen Eltern direkt auf den Zuschauer überträgt. Die penible Darstellung polizeilicher Prozedere intensiviert diese Anspannung zusätzlich. Episode 1 ist ein Warteraum für Eltern und Zuschauer gleichermaßen. Was ist hier eigentlich los? Was wird dem Jungen vorgeworfen? Hat er es getan? Die beachtlichen Darstellerleistungen, allen voran von Serienschöpfer Stephen Graham und Nachwuchstalent Owen Cooper als Vater-Sohn-Gespann, tragen diese erste Episode maßgeblich auf ihren Schultern und vermitteln glaubwürdig den emotionalen Ausnahmezustand ihrer Figuren. Dem gegenüber steht die routinierte Professionalität der Polizeibeamten, die stoisch dem Protokollarien folgen. Daraus ergibt sich ein reizvoller Kontrast zwischen der formalen Rigidität der Machart und der emotionalen Fallhöhe der Geschichte, die sich mit dem finalen Verhör in all ihrer niederschmetternden Eindeutigkeit entlädt.

                        Die restlichen Episoden führen diese Linie weiter. So wie der Polizei bleiben auch uns nur Spuren der Gewalt, die sich in einer unheilvollen Nacht entladen hat, unzureichende Rückbetrachtungen im Lichte eines Danach. Keine Rückblenden erlösen uns aus der Ungewissheit, indem sie uns personifizierte Niedertracht präsentieren oder entschuldbare Umstände; einen prügelnden Vater etwa oder eine abwesende Mutter. Stattdessen gibt es Erklärungsversuche, Beweisstücke, Zeugenaussagen, die sich zu einem unvollständigen Bild zusammensetzen, aber immerhin einem Bild. Das klarste Bild erhält man noch in Episode 3, wenn Jamie (Cooper) einer Psychologin gegenübersitzt (Erin Doherty) und uns das Gespräch, das bei lockerem Small Talk beginnt, bis in die dunkelsten Ecken einer verstörten Psyche entführt. Aber auch hier gibt es keine Küchenpsychologie, keine Schnellschlüsse, sondern nur ein aufrichtiges Erkenntnisinteresse, eine Bereitschaft zur Auseinandersetzung mit einem individuellen Fall, der auch immer wieder seine gesellschaftlichen Dimensionen andeutet.

                        Dimensionen, der die letzte Episode in der Familie nachspürt und in den Untiefen der Schuld von Eltern, die sich fragen, wie sie so jemanden gezeugt haben können und die sich dann an ihre liebe, unterstützende Tochter erinnern, die sie auch gezeugt haben; die die Dissonanzen dieses Befundes nicht auflösen können und die selber nie zu einem ganzen Bild finden, das erklären könnte, warum passiert ist, was passiert ist. Es gibt nur lose Eindrücke und Erinnerungen … ein Junge, der bis tief in die Nacht am PC sitzt, ein Instagram-Kanal mit Bildern von Models, Bilder von Männlichkeit, Kommentare als kodiertes Mobbing … und eine heiße Wut, die jeden Augenblick die Oberfläche sprengen könnte. Unsicherheiten des Erwachsenwerdens, die sich pathologisch verdichtet haben; zu Projektionen führten. Minderwertigkeitsgefühle, die sich veräußerlicht haben, entladen in einem Akt der Gewalt.

                        Aber: dieser Akt war weder Zufall noch Unfall. Es gibt Muster von Verhalten. Bedingungen von Gewalt, Faktoren ihrer Beeinflussung. Schulen mit überforderten Lehrern, fehlende Empathie, fehlendes Problembewusstsein, zu viel weggeschaut, alleingelassen mit den Dopamin-Maschinen des Netzes, mit Männlichkeitsbildern, die von Dominanz und Unterwerfung schwafeln, von Simps und Alphas, von roten Pillen und der Wahrheit. Auch meine Worte sind nur Fragment, Bruchstücke einer Erklärung. Doch Adolescence hat einen wichtigen, ersten Schritt gemacht, indem die Macher die richtigen Fragen stellen.

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                          "(...) Diese interessante Wechselbeziehung zwischen Gewalt, Humor und Identifikation funktioniert in erster Linie aufgrund der engagierten Darbietung von Jack Quaid. Dieser mimt einen Helden wider Willen, der scheitern darf, aber niemals aufgibt. Es ist erfrischend, zu sehen, wie viele seiner Pläne fehlschlagen und wie viele seiner Bluffs von seinen Gegenspielern durchschaut werden. Das macht nicht nur die Hauptfigur sympathisch, sondern ist auch ein Weg des Films, Konventionen des Actionkinos zu umschiffen. So fühlt das Publikum dann doch irgendwie mit Nathan mit, auch wenn er keine Schmerzen empfindet."

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                            Nach dem plötzlichen Unfalltod seiner Frau Elizabeth (Joely Richardson) ist Bob (David Duchovny) zurück ins Single-Leben geworfen. Ein Jahr nach dem Schicksalsschlag lernt er die Kellnerin Grace (Minnie Driver) kennen – was er nicht weiß: sie hat damals das Herz seiner verstorbenen Ehefrau transplantiert bekommen. So als erinnere sich das Herz (und damit ist laut Film unmissverständlich das Organ gemeint!) nun an die vergangene Beziehung, zieht es Robert und Grace von da an schicksalshaft zueinander – Graces Herz macht sogar einen „Sprung“ als sie Bob das erste Mal sieht. Der weitere Handlungsverlauf ist von da an klar: Sie kommen zusammen. Alle sind glücklich. Ende. Aber, und dieses aber ist alles, weil Filme eben nicht nur aus der Wikipedia-Zusammenfassung des Plots bestehen, wie Return to Me seine simple Geschichte mit jeder Menge sympathischer Nebenfiguren ausstaffiert, ist eine einzige, sommerlich-leichte Freude.

                            Von den alten Witwern (u.a. Robert Loggia), die im Restaurant von Graces Onkel jeden Abend in Endlosdiskussionen versinken, über Schwester Megan (Bonnie Hunt) und ihren Ehemann Joe (Jim Belushi), deren Beziehung ganz beiläufig gleichermaßen realistisch wie liebevoll angedeutet wird, bis zu kleinen Nebenfiguren wie dem unausstehlichen Blind Date Marsha (Holly Wortell), bei deren Lachanfällen man Angst haben muss, Bob könne jeden Moment diesem hysterisch aufgerissenen Schlund verschwinden – ausnahmslos jeder Beteiligte scheint hier Spaß an seiner Arbeit gehabt zu haben. Ich fühlte mich ein wenig an die schlendernden Urlaubsfilme eines Woody Allen erinnert (ohne dessen neurotische Verbalarien) oder gleichsam vergessene RomCom-Perlen wie The Object of My Affection. Zudem scheint Regisseurin Hunt ganz bewusst Improvisation bzw. die dafür notwendigen Freiräume einzusetzen, um aus ihren Schauspielern eine gleichermaßen naturalistische wie unverkrampfte Performance herauszukitzeln.

                            Das Resultat ist ein Film, der sich – bei aller konventioneller Einfachheit – schlicht lebendig anfühlt; in der Art, wie die Schauspieler miteinander agieren (bis zu den kleinsten Kinderdarstellern); wie sie miteinander lachen; wie sie sich im Raum zueinander positionieren; wie sie sich bewegen. Ich vermisse Filme dieser Art, deren bewusstes Verschreiben an Genre-Regeln eben keine Begrenzung darstellt, sondern die Möglichkeit eröffnet, sich in der Ausgestaltung der Details auszutoben; mit einer Leichtigkeit, die für den anbrechenden Frühling geradezu prädestiniert ist.

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                              über Maria

                              Es ist eine Kunst, in einem Film über eine Musikrichtung, die ich höchstens peripher wahrnehme (vornehmlich durch andere Kunst), dennoch etwas tief in mir zum schwingen zu bringen. Weil es hier um mehr geht als Maria Callas, die krankhaft süchtige, krankhaft selbstbezogene, übermenschlich begabte Künstlerin. Es geht um Kunst als Lebenssinn und die Dunkelheit, die einzieht, wenn dieser Sinn nicht mehr gestiftet werden kann. Fast wäre ich auf die vielen kritischen Stimmen hereingefallen, die Larraín in den vergangenen Jahren einen redundanten Regiestil attestieren wollten und ihn zu einem kunstgewerblichen Handwerker degradieren; das leibgewordene IKEA für die Kinoleinwand; Tumblr für weinschlürfende Programmkinogänger. Mitnichten! Der Gegenbeweis: Maria.

                              Immer wieder überrascht Larraíns Regie – kippt in die Vorstellungswelten Marias, parallelisiert und kontrastiert, um thematische Schwerpunkte herauszuarbeiten. Das fängt schon damit an, dass Maria ihrem Hausmädchen Bruna (Alba Rohrwacher) A cappella in der Küche vorsingt und dies mit ihren großen Auftritten mit Orchester, Bühnenbild und Beleuchtung gegengeschnitten wird. Auf der einen Seite eine ungeschminkte Frau im Morgenmantel, auf der anderen Seite eine quasireligiöse Musikerfahrung (unbedingt im Kino sehen!). Das Profane und das Sublime, hier fällt es fast zusammen. Und was lässt sich nun daraus machen? Ist es besser auszubrennen als zu verblassen, wie es Neil Young einst textete und Cobain in seinem Abschiedsbrief zitierte? Denn Maria verblasst in diesem Film, mit jedem Rückblick, jedem wehmütigen Gedanken an die Vergangenheit und die Glorie dieser Zeit. Ihre Stimme verblasst, da ist einfach keine Kraft mehr, die Tablettensucht zehrt sie zusehends auf. Für den Rat ihrer Schwester, die Tür zur Vergangenheit endlich zu schließen, hat sie nichts mehr übrig. Vielleicht weiß sie, dass sie bald gehen wird.

                              Angelina Jolie spielt diese arrogante, geistreiche Diva auf den Punkt. Sie kann gleichzeitig stolz wie eine Diva und traurig wie ein Mädchen dreinschauen. Sie lässt die Macht einer Stimme erahnen, die die Zeit überdauert hat und weiter überdauern wird, und macht zugleich die darin enthaltenden Brüche hörbar. Gleichzeitigkeiten und Widersprüche, hell und dunkel, Heiliges und Profanes. Auch in Marias Behandlung ihres Personals drückt sich ihre ganze Ambivalenz aus; ihren Rücken-geschädigten Butler Ferruccio (Pierfrancesco Favino) lässt sie beispielsweise ohne triftigen Grund andauernd das Klavier verschieben, vielleicht aus verwirrtem Aktionismus, aber eher aus Grausamkeit. Später bedankt sie sich dann tränenreich bei Bruna und Ferruccio für ihre Anwesenheit. Es fällt schwer, diese Person zu mögen und der Film unternimmt gar nicht erst den Versuch, sie in einem guten Licht dastehen zu lassen. Sie bleibt schattenbefleckt. Eine Jahrhundertstimme, die in einer letzten Arie erschöpft erstickt. Eine einsame Frau, die nur noch von jenen umgeben ist, die sie dafür entlohnt.

                              Während Maria zusehends in den Wahnsinn abgleitet und sich ein letztes, großes Interview imaginiert, in dem sie hadernd auf ihre Vergangenheit blickt, sehen wir sie immer wieder durch die Augen von Bruna und Ferruccio, die Sympathieangebote in einem Film voller Egomanen und Egoisten. Klassenfragen spielen in ihrem Verhältnis zu Maria eine Rolle, werden aber nicht gegen ihre Lebenskrise ausgespielt. Arschloch und Genie, in diesem Film ist für beides Platz. Ihr Geliebter, das Scheusal Aristoteles Onassis (Haluk Bilginer) passt zu ihr; auf dem Geburtstag von JFK lästert sie über Marilyn Monroes Stimme, und er schießt zurück: „Niemand interessiert sich für ihre Stimme, so wie sich niemand für deinen Körper interessiert.“ Hier schließt sich der Kreis zu Jackie und damit zum ersten Teil dieser Trilogie über Frauen der modernen Weltgeschichte. Dort erzählte Larraín von einem Neubeginn nach einer Tragödie, nun sind wir am Ende angekommen. Maria Callas – The Last Days. Und über allem, allen Fehlern und Krisen, allen Verfehlungen und Grausamkeiten, schwebt immer wieder ihre Stimme. Etwas Singuläres, das uns innehalten lässt, das mehr ist als die Summe ihrer Teile. Auch das Kino ist heilig – aber es braucht keine Heiligen.

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                                Seit Trumps erster Präsidentschaft bleibt auch das Kino nicht von seinen Wiedergängern verschont. Sei es der von Pedro Pascal verkörperte, größenwahnsinnige Geschäftsmann Max Lord aus Wonder Woman 1984 oder die dümmliche US-Präsidentin aus Don’t Look Up (Meryl Streep) – das liberale US-Kino ist voll von direkten (SNL) und indirekten Karikaturen und Parodien des Trump’schen Archetyps, ohne zur Analyse seines Phänomens je etwas Kluges beisteuern zu können. Stattdessen dürfen sich jene, die ihn verkörpern, einmal im vollen Bewusstsein ihrer moralischen Überlegenheit ins hemmungslose Over Acting stürzen. „Bissige Satire“ nennen das dann einige. Aber eigentlich ist das nur … zahnlos, ein sich vergewissern darüber, auf der richtigen Seite zu stehen, ein falsch verstandener Akt künstlerischen Widerstands. Und ohnehin stellt sich die Frage, wie sich noch eine Realität karikieren lässt, die sich bereits selbst aus jeder Realität geschossen hat.

                                Nun ist also Mark Ruffalo an der Reihe: er spielt den gescheiterten Politiker, Geschäftsmann und Missionskommandanten Kenneth Marshall. Irgendwo zwischen Fernsehprediger, Tech-Phantasten, Napoleon, Trump und Hitler angelegt, führt dieser eine Kolonisierungsmission in die Weiten des Alls an, die schließlich auf dem Schneeplaneten Nilfheim ihr Ziel findet. Hier soll nach dem Willen Marshalls die erste Amtshandlung darin bestehen, alle Insekten-ähnlichen Bewohner des Planeten restlos auszulöschen (Starship Troopers-Parallelen inklusive). Um das zu erreichen, will er sie vergasen und den Planeten anschließend mit reinen, weißen Menschen besiedeln … – Spätestens zu diesem Zeitpunkt dürfte jedem Zuschauer klar sein, wessen Geistes Kind dieser Marshall ist. An seiner Seite grimassiert sich übrigens eine Bräunungscreme-gebräunte Toni Collette um den Verstand und bereitet Soßen aus Alien-Schwänzen zu. Eine Art Horror-Best-Of aus Faschismus- und Kolonialgeschichte und amerikanischer Mediendiktatur.

                                Gegen die Pläne von Marshall formiert sich ein Widerstand um Mickey 17 und 18 (zwei Kopien eines Menschen, der als permanentes Versuchskaninchen, sogenannter Expendable, Verwendung findet und von Robert Pattinson gespielt wird) und dessen Freundin Nasha (Naomi Ackie), einer Sicherheitsagentin der Kolonie. Sie hält dem Con Man Marshall im Finale des Filmes einen wütenden Vortrag darüber, dass sie – die Menschen – doch die wirklichen Aliens auf Nilfheim seien und die Creeper, wie Marhsall die Insekten-ähnlichen Planetenbewohner selbstzufrieden betitelt, die eigentlichen Ureinwohner des Planeten. – Wow! Wenn das die Satire ist, von der alle reden, dann will ich nie wieder eine Satire sehen. Was will dieser Film sein? Eine Parabel auf die Kolonialgeschichte, den Wettlauf um Afrika oder die brutale Besiedlung der Amerikas durch die Europäer? Indem man genau das nacherzählt, nur um dann am entscheidenden Punkt einschreiten und die Verbrechen verhindern zu können? Das ist keine Satire oder kluge Parabel, das ist liberales Wish Fulfilment ohne einen einzigen fruchtbaren Gedanken.

                                Bong Joon-hos satirischer Ansatz hat schon in seinen anderen Amerika-Arbeiten Snowpiercer und Ojka nur selten funktioniert. Dort chargieren Jake Gyllenhaal und Tilda Swinton unter Pornobalken und Zahnprothese um die Wette. Die südkoreanische Sensibilität für Slapstick, körperliche Comedy und die Gleichzeitigkeit von Tragik und Komik übersetzt sich nur teilweise in dessen englischsprachige Arbeiten. Es wird immer noch aus jedem Frame ersichtlich, dass Bong ein sehr talentierter Filmemacher ist, und auch Mickey 17 ist weit entfernt von einem schlechten Film. Alle Darsteller haben sichtlich Spielfreude, die Prämisse um einen stetig neu gedruckten Robert Pattinson als ausgebeuteter Proletarier der Zukunft ist genial und Bong hat Comedy-Timing einfach raus.

                                Ein spaßiger SiFi-Nonsens ist das alles, toll designt und gespielt, aber leider auch ein sehr zahnloses Vergnügen. Kino für Gleichgesinnte, Hollywoods Selbstvergewisserung, am Ende aber wirkungs- und ziellos in der Beschreibung von in die Zukunft projizierter Gegenwart. Ganz am Ende, als es um die Schaffung einer Kolonie ohne den giftigen Einfluss Marshalls geht, also um die Utopien und Gegenentwürfe zu seinem rücksichtslosen Expansionsprojekt, da beginnt der eigentlich interessante Teil dieses Filmes. Doch Mickey 17 gefällt sich viel zu sehr in der Überzeichnung des Status Quo, um je etwas an ihm verändern zu können.

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                                  Ließe man die gesamte Rahmenhandlung um die Shadow-Organisation raus, hätte man mit The Shadow Strays einen knackigen Actioner ohne überschüssiges Fett. Lasst den Film einfach mit einem Jungen und seiner drogensüchtigen Mutter beginnen, sich ihre Tragödie fatalistisch entfalten, um dann die mysteriöse Nachbarin auf den Plan treten zu lassen, die sich über den weiteren Verlauf des Filmes als Profikillerin entlarvt und fortan die Unterwelt-Hierarchie hinaufschnetzelt. Obwohl ich ein großer Fan davon bin, wenn nicht mit Worten, sondern mit Fäusten gesprochen wird (im Film!), hier habe ich während der ausufernden Gewaltorgien schon das ein oder andere Mal auf die Laufzeit geschielt. Leider. Sowohl die Rahmenhandlung um die Profikiller-Gilde als auch die – mal wieder – superdramatische Hintergrundgeschichte der Protagonistin haben mich vor allem ermüdet; vor allem beraubt sich der Film immer wieder seines kinetischen Momentums, wenn er auf die Bremse tritt, um Worldbuilding zu betreiben und Fortsetzungen vorzubereiten. Was hätte das für ein Brett werden können, wenn sich der Film auf eine Nacht und einen gnadenlosen Sturm der Fäuste verdichtet hätte?

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                                    Auch wenn Dream Scenario seine angefangenen Ideen und aufgenommenen Fährten nicht konsequent zu Ende führt, hat mich die Fülle an Einfällen doch überzeugt – neben einem perfekten Nicolas Cage, der hier eine so bemerkenswert unbemerkenswerte Figur spielt, dass sie seiner langen Karriere tatsächlich noch etwas Neues hinzufügt. Es geht um Traum vs. Wirklichkeit und Träume, die in die Realität übersetzt werden (sollen) – sei es als sexuelle Fantasie, die an einer vorzeitigen Ejakulation und nervöser Flatulenz scheitert oder als selbsterfüllende Prophezeiung, die die Alpträume rund um Protagonist Paul (Cage) in realer Gewalt münden lässt. Es geht um die Selbstvermarktung eines Durchschnittsakademikers, der plötzlich berühmt wird und von einer hippen, seelenaufressend freundlich-desinteressierten Werbeagentur als Traum-Testimonial profitabel gemacht werden soll. Es geht natürlich auch um die Lebensträume, die immer aufgeschoben und deshalb unverwirklicht bleiben, so wie ein Buch über Ameisen, das Paul immer schreiben will, aber nie schreiben wird, weil die Vorstellung von diesem Buch und dem damit einhergehenden Ruhm schon viel zu einschüchternd detailliert imaginiert worden ist. Dream Scenario endet bei aller Absurdität und allen Seitentritten gegen Vermarktungslogiken und Cancel Culture überraschenderweise auf einer zwischenmenschlichen, geradezu romantischen Note. Das ist nicht wirklich radikal, eher der cheap way out, vollzieht aber so gekonnt den Rückgriff auf vorangegangene Szenen, dass ich ehrlich ein bisschen berührt war.

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                                      Ziemlich origineller Film über ein junges Model slash Hackerin slash Krypto-Pokerspielerin (Juliette Gariépy), die vom Mordfall an drei jungen Mädchen und ihren vermeintlichen Mörder besessen ist, der seine Taten im Dark Web live gestreamt hat. Große Gewinnerin ist definitiv Gariépy, die sich mit ihrer unterkühlten Performance für künftige Lisbeth Salander-Iterationen empfiehlt. Red Rooms spielt sich die meiste Laufzeit in einem ziemlich unbequemen Zwischenraum ab, da nie klar ist, ob Hauptfigur Kelly-Anne nun obsessiver Fan des Killers oder vielleicht doch Schwester/Freundin eines der Opfer ist. Hieraus zieht der Film einiges an Spannung, die sich am Ende leider allzu buchstäblich auflöst. Trotzdem bleibt Pantes Herangehensweise an das Thema Voyeurismus ambivalenter und nachdenklicher stimmend als viele vergleichbare Filme, da er den Blick fest auf die Voyeuristen richtet und eben nicht auf Täter und Taten, die immer nur über die Perspektive des Betrachters, über die Bande, geschildert werden. Der Blick, der auf Kelly-Anne und ihr Zwei-Monitor-Set-Up in einem aseptischen, teuren Apartmentkomplex fällt, auf ihre Obsession, ihre manische Neugierde, fällt auch geradewegs auf den Zuschauer, der sich in der Spiegelung der Bildschirmoberfläche unfreiwillig (wieder)erkennen muss – wenn er bereit ist, hinzusehen.

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                                        Ich steh‘ auf gutes, altes Erzählhandwerk und Redford ist einfach ein verdammt guter Handwerker. Die Unfallszene mit den Pferden, die den eigentlichen Anstoßpunkt für die restliche Handlung bildet, ist bis heute beeindruckend gedreht und muss logistisch die absolute Hölle gewesen sein. Überhaupt, die langsame Annäherung an das traumatisierte Pferd setzt Redford behutsam in Szene und gibt ihr den nötigen Raum, um resonieren zu können (fast drei Stunden Laufzeit kommen nicht von ungefähr). Das Pferd ist hier nicht bloß Metapher für das Trauma seiner Reiterin Grace (Scarlett Johansson), die bei dem Unfall ihre beste Freundin verliert, sondern wird als eigenständiges Wesen ernst genommen. Dessen Rehabilitierung wird daher nicht allegorisch kodiert, sondern als eigenständiger Handlungsstrang parallel zu der seiner Reiterin und ihrer Mutter Annie (Kristin Scott Thomas) erzählt.

                                        Die Mutterfigur ist ein weiterer Trumpf dieses Filmes: Thomas läuft an der Seite von Redford zu absoluter Höchstform auf und porträtiert glaubhaft die Wandlung von der dauergestressten, resoluten Karrieristin zu einer Frau, die sich und ihre Lebensentscheidungen in den Weiten Montanas grundlegend infrage stellt. Ihre Wandlung ist dabei kaum merklich und wird nicht über eine plumpe Montage abgekürzt, sondern wächst natürlich von Szene zu Szene, bis sie ihrem Habitus ganz deutlich abzulesen ist. Von einer Frau, die jeden Moment auf das Klingeln des Telefons wartet zu einer Frau, die der Sonne beim Untergehen zuschaut. Ihre rastlosen Bewegungen verlangsamen sich, die Anspannung fährt langsam aus ihren Schultern. Höhepunkt bildet der Tanz mit Redford zu sanfter Countrymucke. Wie Redford hier die Körper im Rhythmus zur Musik inszeniert und die langsame Annäherung von einer Geste zur nächsten erzählt, ist meisterhaft. Schuldgefühle, Begehren und Zweifel vereint in einer einzigen, tänzerischen Annäherung.

                                        Bei so viel hinreißendem Melodram verzeihe ich auch Redfords gelegentlichen Hang zum Naturkitsch und zur Verklärung des „einfachen“ Landlebens (hier ist wirklich jeder super höflich, gut erzogen und gastfreundlich); Entbehrungen werden höchsten in Randnotizen vermerkt (die Frau von Toms Bruder würde so gerne mal nach Marokko). Folgerichtig ist darum auch Annies finale Entscheidung gegen das Leben mit Tom (Redford) auf der Ranch und für einen neuen Versuch mit ihrem Mann Robert (Sam Neill) und Grace in New York. Redford gibt dem Film damit jenes bittersüße Ende, das sich in den sehnsuchtsvollen und zugleich traurigen Blicken zwischen Tom und Annie bereits andeutet und entscheidet sich gegen das Hollywood’eske, maximal dramatische Finale der Buchvorlage, in dem Tom Grace vor einer Herde wilder Pferde rettet, ehe er selbst zu Tode getrampelt wird. Vor allem bleiben Redfords Figuren damit psychologisch glaubhaft. Das Ranchleben bleibt eine Fantasie vom Ausstieg, vom weißen Blatt Papier. Aber was dann? Viel mutiger ist es doch, dass Annie sich zum Neuanfang im Alten entschließt und damit für den Versuch, mit ihrer zerrütteten Ehe etwas vermeintlich Kaputtes wieder zu reparieren.

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                                          Schlussendlich fällt Oz Perkins und sein Longlegs wohl ein bisschen der viel diskutierten, genialen Marketing-Kampagne und des daraus resultierenden Hypes zum Opfer. Andererseits freut es mich um die Aufmerksamkeit für einen der interessantesten Filmemacher gegenwärtigen Genrekinos, der mit seiner Serienkiller-Iteration nun auch erstmals über Liebhaber-Kreise hinaus rezipiert wird. Und für ein gutes Drittel hält Longlegs auch das Versprechen an einen okkult verstrahlten, entrückten Serienkillerfilm, in dessen weitwinkligen Einstellungen jede Menge Platz für die eigene Paranoia bleibt. Perkins gibt uns Optionen: zum hinschauen, zum wegschauen, zum suchen, am äußersten Bildrand, in den blassesten Schatten. In seiner Offenheit ist Longlegs beklemmend, in dem, was er sichtbar macht, wird er furchteinflößend. Mit der somnambulen Maika Monroe als Agent Lee Harker begeben wir uns auf die Spurensuche, nur um später zu erkennen, das wir an Fäden geführt wurden.

                                          Die Puppenspieler gibt Perkins zum merkwürdig angeklebt wirkenden Finale allerdings allzu willfährig preis, dabei hätte diesem atmosphärischen Satanic-Panic-Krimi ein mehrdeutiges Ende so viel besser gestanden. So bleibt eine beeindruckende Stilübung, deren ästhetische Referenzen nicht bei den oft genannten Se7en, Zodiac oder The Silence of the Lambs liegen, sondern eher im dokumentarischen True Crime-Format der Achtziger- und Neunzigerjahre – inhaltlich ließ sich Perkins beispielsweise vom ’96er-Mordfall an JonBenét Ramsey inspirieren. Die distanzierten, klar kadrierten Einstellungen besitzen dokumentarischen Charakter, die durch Einblendungen von vermeintlich authentischen Foto- und Audioaufnahmen zusätzlich unterstützt werden. Auch die weißen Häuser mit ihren weißen Zäunen, die merkwürdig sterilen, immergleichen Innenräume, in denen ein gerahmtes Präsidentenfoto die jeweilige Dekade anzeigt, knüpfen eher an eine Fernsehästhetik als die großen Kinobilder des Serienkillerfilms der Neunzigerjahre an.

                                          Die Vororte in Longlegs haben in ihrer Gleichförmigkeit etwas gespenstisches. Alles liegt unter einer grauen Wolkendecke begraben, die sich nur durch vereinzelte Blitze erhellt. Gleichsam strahlt die brutale Tristesse dieser grauen, sterilen Welt auf seine Figuren ab. Da ist der autistische Eisklotz Harker und der um Haltung bemühte FBI-Vorgesetzte Carter (Blair Underwood): es menschelt nicht zwischen diesem vermeintlich inkompatiblen Duo, das einzig allein die Suche nach einem Mörder eint. Sie sind das behördliche Inventar einer apathischen Gesellschaft, die nur von den exzentrischen Gefühlswallungen eines Longlegs (Nicolas Cage) erschüttert wird und dessen Gewalt wie ein Blitz in die graue Tristesse hineinfährt. Am Ende ist Nicolas Cage als blasser Manson-Verschnitt ironischerweise der einzige Mensch in diesem Film, der noch Gefühle zeigt.

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                                          • 5
                                            über Undine

                                            Die Modernisierung des Nymphen-Mythos bleibt vor allem ein inhaltlicher und thematischer Aufhänger. Ästhetisch, also filmsprachlich, bleibt Petzold zumeist auf den sicheren Pfaden der Berliner Schule. Nur gelegentlich streift Undine die phantastischen und surrealen Bildwelten des Magischen Realismus, immer dann, wenn Undine (Paula Beer) tatsächlich als Nymphe in Erscheinung tritt und dem Industrietaucher Georg (Franz Rogowski) aus dem wabernden Halbschatten des Wassers erscheint. Ich hätte mir wohl, unterm Strich, mehr Magie und weniger Realismus gewünscht. Schöne Drehorte und gute Schauspieler, die sich in Cafés und auf Betten gegenübersitzen, das habe ich von Petzold schon einige Male gesehen, sogar in der Kombination Rogowski/Beer.

                                            Auch die architekturgeschichtlichen Einlassungen über die Berliner Stadtgeschichte, die wiederholt einigen Raum einnehmen, werden für den Zuschauer nie wirklich verdaulich aufbereitet. Die einzige filmische Vermittlung findet über die gelegentliche Einbindung von Stadtmodellen statt, die Petzold bereits im ersten Polizeiruf-Beitrag erprobt hat. Doch das genügt nicht, um daraus einen wirklich integralen, funktionierenden Teil des Filmes zu machen, zumal sich mir auch nicht die Verbindung zum Undine-Mythos erschließt. Das macht Undine noch lange nicht zu einem schlechten Film, aber zu einem der schwächeren Petzolds, der in einem das Gefühl verfliegender Verliebtheit hinterlässt.

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                                            • 7
                                              über Transit

                                              Petzolds rätselhaftester Film. Voller Dopplungen und Unschärfen. Beizeiten habe ich das Gefühl, dass die Verortung des Romans in die Gegenwart und die Parallelisierung zur Flüchtlingskrise nicht funktioniert, dann zieht mich Rogowskis Spiel und die als Wiedergängerin auftauchende Paula Beer wieder völlig in ihren Bann. Bei keinem anderen Film habe ich ein so eindringliches Gespür für den Ort, an dem sich die Figuren befinden, gleichwohl es sich ironischerweise um eine Transitzone handelt – einen Übergangspunkt. Marseille in den heißen Sommermonaten, die präzise Kameraarbeit von Hans Fromm und die klare, kräftige Farbpalette verschmelzen sich zu einem wunderschönen, aber trügerischen Sommerfilm. Die Sirenen klingen wie Echos aus der Vergangenheit, wirken bis ins Jetzt. Und die Menschen: sie verwechseln und vergessen, erinnern Details, genauso wie der Erzähler (Matthias Brandt), immer wieder falsch. Und Herr Brandt: bitte erzählen sie mir doch mein Leben. Keiner Erzählerstimme lausche ich lieber; einer, der Worte mit Bedacht wählt, dessen Sprache aber stets auf der Suche ist. Keine auktoriale Instanz, kein Halt, aber eine tröstende, warme Klangfarbe. Wo nichts sicher ist, die Säuberungen näherkommen und auf den Papieren nur noch der entscheidende Stempel fehlt, finden die Figuren ineinander Halt, verkriechen sich auf der Schulter, am Hals, auf den Lippen des anderen.

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                                                Das Gesicht von Nina Hoss gibt Rätsel auf. Und es birgt Geheimnisse, die Petzold bis zum letzten Drittel sorgsam unter Verschluss hält. Nur ein paar Krumen zur Rätsels Lösung lässt er liegen. Aber darum geht es auch gar nicht. Vielmehr studiert Toter Mann einsame Menschen in einer seltsam entrückten, anonymen Welt und den dünnen Faden, der sie alle miteinander verbindet. Ein Anwalt und sein Klient, eine Frau im Schwimmbad, ein Bruder, eine Arbeitskollegin. Vergangenheiten, die die Gegenwart vergiften, eine Zukunft vereiteln. Die einen wollen vergessen, neu anfangen, die anderen suchen Absolution, Antworten, Klarheit – Gerechtigkeit.

                                                Obwohl es die Geschichte hergäbe, erzählt Petzold hier keinen Genrestoff, sondern Hitchcocksches Melodram ohne Melodrama. Statt großer Gesten also Berliner Unterstatement: Tiefkühlpizza, amerikanische Oldies, statische Einstellungen, klare Kadrage. Petzold hat ein Auge für die kostbaren, spannenden Augenblicke, die sich in der Annäherung zwischen zwei Menschen ergeben, die sich annähern wollen und doch stets um Selbstkontrolle bemüht sind. Verpanzerte Menschen, deren Geheimnisse sie ironischerweise gleichermaßen voneinander trennen wie sie sie miteinander verbinden.

                                                Aber bei allem Lob, aller willkommenen Abwechslung, die die Berliner Schule einst brachte, gerade die frühen Petzold-Filme sorgen ästhetisch für wenig Abwechslung. Sie sind hervorragend gearbeitet und geschnitten, aber sie gehen formal selten Wagnisse ein. Petzold ist seit jeher ein Regisseur, der um Kontrolle bemüht ist und sie nur schwerlich aus der Hand geben kann. Dies thematisiert er auch selbst, beispielsweise während der Pressetour zu seinem jüngsten Film Roter Himmel.

                                                Diese Kontrolle hat sicherlich ihre Vorzüge, indem sie eine außerordentliche Schaffensphase ermöglicht hat (20 Filme in 30 Jahren), aber sie scheint mir auch zu verhindern, dass sich Petzold und sein Stammteam einmal grundlegend innovieren, gerade weil die Kräfte hinter der Kamera zum großen Teil die gleichen geblieben sind. Neue Impulse bringt Petzold vor allem über neue Schauspieler ein, so wie Nina Hoss, die nach einer langen kollaborativen Phase von Paula Beer abgelöst wurde. Ich weiß nicht, ob dieser Ruf nach Innovation ein legitimer Anspruch ist, schließlich drehen viele Regisseure ihre gesamte Karriere nur Variationen des immergleichen Filmes, nur eben mit umgestellten Stühlen. Vielleicht gehört auch Petzold zu diesen Filmemachern. Ich würde trotzdem zu gerne sehen, was möglich wäre, wenn er die Kontrolle einmal grundlegend abgäbe, um sich unausgesetzt neuen Impulsen hinzugeben.

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                                                  Dieses Debüt erinnerte mich sehr an all die französischen Filme der Neuen Welle, die ich (noch) nicht gesehen habe. Den Anfang machen zwei Hände auf einer Landkarte, die sich einander annähern, bis sie einen Treffpunkt ausgemacht haben. Das ist ein starkes Bild. Ein guter Anfang. Das gespenstische Hintergrundrauschen dieses Filmes bildet der Tod Frank Sinatras. Im Fernsehen laufen in Gedenken Wiederholungen seiner Filme und Auftritte, im Radio erklingen die Nachrufe. Eine Kollegin von Karin (Eleonore Weisgerber) kommentiert dies lakonisch mit: „Immer wenn etwas Schönes kommt, ist einer gestorben.“

                                                  Die Sehnsüchte seiner Figuren offenbart Petzold schrittweise über Andeutungen. Karin lernt Französisch mit einem Walkman, eine Kollegin erzählt ihr vom Auswandern nach Bali. Und da ist natürlich der Mann, der für uns außerhalb der Einstellung verborgen bleibt und dessen Hand sie zu Beginn auf der Landkarte berührt. Da ist Paris und der Eiffelturm. Der Traum, der in Ferne unverwirklicht wartet, bildet ein wiederkehrendes Motiv im Kino Petzolds, das natürlich schon immer ein hoffnungslos romantisches war.

                                                  Grund abzuhauen gibt es genügend: der Arschlochchef aus der männerdominierten Ellbogenökonomie treibt zu mehr Leistung an. 4000 Einheiten Make-Up-Produkte soll Karen pro Woche verkaufen. Derweil sitzt ihr die jüngere Konkurrenz bereits im Nacken: Sophie (Nadeshda Brennicke), die Freundin des Junior-Chefs (Udo Schenk), soll sie bei ihrer Verkaufstour begleiten. Ein ungleiches Paar, das sich nicht riechen kann, sich aber durch äußere Umstände miteinander arrangieren muss. Ein Plot, fast so alt wie das Kino selbst.

                                                  Später werden noch einige Betrügereien und Gaunereien eingestreut und der Traum vom großen Geld gelebt. Ein bisschen Bonnie und Clyde, ohne Clyde. Eher Thelma und Louise auf nüchtern. Und fast jedes Spurenelement aus der Karriere Petzold ist bereits hier zu finden: die präzisen Bildeinstellungen von Stammkameramann Hans Fromm, die Reminiszenzen an das Classical Hollywood, die Oldies aus dem Radio, die resoluten, allzu menschlichen Frauenfiguren und natürlich das ewige Motiv: Flucht. Weggehen. In die Ferne. Ausbruch. Abbruch. Selbstbestimmung. Einen Platz im Cockpit ergaunern und: vom Freisein träumen.

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                                                    Ja, ja, mit einer Kritik zum zweiten Avengers-Beitrag bin ich wohl way too late to the party, aber sei’s drum, im Zuge meiner kleinen, privaten Avengers-Retrospektive muss ich dann doch ein paar Worte über Whedons zweiten Rächer-Film verlieren. Was damals im Kino und auch heute noch funktioniert: Abhängen mit den Avengers. Sei es auf der Aftershowparty im Hauptquartier oder auf Hawkeyes idyllischem Familienanwesen – zu sehen, wie sich die Rächer abseits der großen Schlachtfelder spielerisch miteinander arrangieren, weckt in mir wohlige Erinnerungen an Whedons TV-Arbeiten und erdet jene Figuren, die vor CGI-Kulisse in heroischer Pose und betonter Coolness manchmal zu erstarren drohen. Wenn sich einer nach dem anderen an Thors Hammer versucht wie Arthur an Excalibur und dann der Umschnitt auf Thors (Chris Hemsworth) erschrecktes Gesicht folgt als es Cap (Chris Evans) gelingt, diesen um wenige Millimeter zu verschieben, dann bekommt man ein Gefühl dafür, wie sich die Avengers als Fernsehserie anfühlen könnte.

                                                    Whedon, der bekanntlich aus dem Fernsehen kommt, fehlt derweil das Händchen für die großen Bilder, die ein solcher Blockbuster so dringend benötigt, um memorabel zu sein. Hier ist nur wenig memorabel: die verlangsamten Hero-Shots, in denen alle Superhelden in ihren kämpferischen Posen erstarren wie in der berühmten Iwo-Jima-Fotografie, fordern so offensichtlich euphorische Jubelschreie vom Publikum ein, dass sie eher peinlich wirken. Ultron, wenngleich vom großartigen James Spader vertont, bleibt in diesem epischen Kampf eine merkwürdig egale Bedrohung, die in ihrer flapsigen Art bisweilen menschlicher wirkt als der große Endboss Thanos. Die Super-KI teilt zudem dessen konfuse Motivation, der Menschheit durch seine Vernichtung (oder halbe Vernichtung?) irgendeine Form von Gnade zukommen zu lassen (Ultron benutzt sogar das gleiche Vokabular). Die After-Credit-Scene erklärt diese Parallelen, indem sie andeutet, dass auch Ultron nur ein verlängerter Arm von Thanos gewesen war, beraubt Ultron als Gegenspieler damit aber zugleich jeder Eigenständigkeit.

                                                    Der kleine Mensch

                                                    Was mich jedoch besonders an diesem und allen anderen MCU-Filmen stört, ist das blanke Desinteresse an allem, das jenseits von Superhelden und Superhirnen stattfindet. Zivilbevölkerung ist hier immer nur eine graue (Verhandlungs-)Masse, die gerettet werden muss, damit unsere Helden moralisch profiliert werden können, aber es gibt so gut wie nie interessante, repräsentative Figuren für diese Masse (abseits irgendwelcher offiziöser Figuren wie dem Kongressabgeordneten aus Civil War oder direkter Familienangehöriger wie Hawkeyes Ehefrau). Ich muss dabei immer an Raimis Spider-Man-Filme denken und all die wunderbaren, kleinen Auftritte ganz gewöhnlicher Stadtbewohner, die nicht reich, superintelligent oder irgendwie „besonders“ sein müssen, um einen Platz im Film zu bekommen.

                                                    Dieser Vergleich hat natürlich seine Grenzen und die Unterschiede hängen auch mit der Dimension des MCU zusammen, das mit jedem Avengers-Eintrag weiter expandiert. Das Problem liegt jedoch darin, dass die MCU-Filme das Retten der Zivilbevölkerung selbst zu einem großen Fokus machen. Der gesamte dritte Akt von Age of Ultron (in irgendeiner ominösen, osteuropäischen Kleinstadt spielend) dreht sich um die selbstlose Rettung unschuldiger Zivilisten, ohne je irgendein Interesse an ihnen zu zeigen. Die Geretteten bleiben Tokens, eine Masse fleischgewordener McGuffins, deren einziger Wert darin liegt, als Motivation für unsere Superhelden herzuhalten. Das ist, versteht mich nicht falsch, nicht einmal per se problematisch. Ich würde nie auf die Idee gekommen, den gleichen Vorwurf einem Film wie 2012 zu machen, in dem alle Nase lang Menschenmassen in Erdspalten oder Lavaflüssen verschwinden.

                                                    Im Cabrio durchs Kriegsgebiet

                                                    Age of Ultron hingegen verbleibt stets in einem Zwischenbereich, in dem die gesichtslosen Massen einerseits Gesicht bekommen sollen, andererseits aber nur durch ihr Leiden charakterisiert werden. Sinnbild dieser tonalen Unvereinbarkeit ist die Szene, in der Hawkeye (Jeremy Renner) und Black Widow (Scarlett Johansson) in einem Audi-Cabrio* durch die Ruinen der zerstörten Stadt cruisen und sich dabei ganz lässig coole Sprüche zuwerfen, während um sie herum die Bevölkerung um ihr Überleben bangt.

                                                    Das ist ein grundlegendes Problem der MCU-Filme, die vieles antippen und erwähnen wollen, aber nie weiter als an der Oberfläche schürfen. So kann ich sie weder als reine Oberfläche genießen noch als ernsthafte Beschäftigung mit den Implikationen einer Welt, in der Superhelden echt wären. Hier stehen menschliches Leiden und One-Liner-Humor auf unangenehme Weise nebeneinander und Themen werden angedeutet, ohne weiter verfolgt zu werden. Da ist das peinliche Monster-Gleichnis von Black Widow, die ohne Konsequenzen bleibende KI-Forschung Tony Starks (Robert Downey Jr.) oder der spannende Vorwurf Ultrons, dass die Avengers die Welt zuvorderst bewahren wollen, nicht aber verändern – „you want to protect the world, but you don’t want it to change“. Ohnehin sind die Veränderer im MCU immer böse und Veränderung immer negativ. Das macht Age of Ultron, so wie das MCU in seiner Gänze, leider viel zu oft zu einer frustrierenden Erfahrung.

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