_Garfield - Kommentare
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Alle Kommentare von _Garfield
Hat leider wirklich was von ner Abschlussarbeit – ganz interessantes Thema, aber dröge Umsetzung, die Fußnoten korrekt, aber man hat keine Lust weiterzulesen. Amenábars Debüt nimmt sich dem Thema Snuff-Film an und zeigt einem dann doch vornehmlich Studenten, die bei schlechtem Suspense-Geklimper übern gut ausgeleuchteten Campus latschen. „Ein VHS-Band, das töten kann“, klingt zwar aus heutiger Sicht nicht mehr ganz taufrisch (Ringu, Remake und seine Epigonen), aber damals in den Neunzigern war das anders. Wer wusste schon, was für eine kranke Kacke sich auf irgendeinem dieser anonymen schwarzen Magnetbänder befinden konnte, welcher Home-Video-Horror im Umlauf war? Das war vor dem Durchbruch des Internets und seinen Videoportalen, lange vor dem Smartphone, auf dem sich Snuff-Videos in Gruppenchats wie ein Lauffeuer verbreiten konnten. Der Horror ist hier noch ein analoger, einer, dem man über eine detektivische Recherche irgendwie habhaft zu werden versucht. Coole Idee also, aber leider null spannend und mit über zwei Stunden über Gebühr ausgedehnt. Nur ein Jahr später sollte Amenábar mit Abre los ojos, der Vorlage für Vanilla Sky, dann richtig durchstarten.
Ich hab’s versucht, ehrlich, aber ich werde einfach nicht warm mit dieser Art von Horror. Parker Finn hat sich eine Prämisse zurechtlegt, bei der er wirklich jederzeit jedem seiner fehlgeleiteten Impulse nachgeben kann. Wer hier stirbt oder doch nicht, wer noch lebt oder schon längst Tod ist, was Teil von Skyes Wahnvorstellungen ist und was nicht – alles egal, denn es gibt keine Regeln außer dem sehr dringenden Bedürfnis von Smile 2 irgendwie schocken zu wollen. Sicher hat Finn neben einem guten Gespür für Timing, das eine oder andere inszenatorische Ass im Ärmel (Flash Mob à la mother!) und gerade nach dem Actionfilm-Einstieg war ich bereit, ihm den ersten Teil zu verzeihen, doch am Ende läuft doch alles auf eine Wiederholung des Vorgängers hinaus, inklusive der endlosen Aneinanderreihung von Tagträumen, Fakeouts, Jump Scares und comichaften Gore-Effekten.
Naomi Scott als von Paranoia zerfressendes Popsternchen macht das sehr gut und hindert Smile 2 daran, in den kompletten Volltrash abzudriften (leider?), aber auch sie ist machtlos gegen Edgelord Finn, der die Kamera auf den Kopf stellt, weil das ja die auf den Kopf gestellte Welt der Hauptfigur verbildlicht; der mit einer Blutspur das Filmlogo auf Asphalt zeichnet, weil es halt geht; der diesen Film dann aber auch noch ernsthaft als Meta-Reflexion auf Starkult, Voyeurismus und Franchise-Logik verstanden wissen will (der Jubel, der sich im Finale in entgeisterte Schreie verwandelt), weil irgendwie ist diese Unterhaltungswelt doch auch nur ein falsches Grinsen, ganz maskenhaft oder so. Alles „irgendwie“, nie konkret, immer vage, immer auf den naheliegenden Affekt zugeschnitten.
Smile 2 hat schon viel mehr Spaß mit der Prämisse als sein Vorgänger, aber auch hier bleibt es bei einem faulen Kompromiss – irgendwo zwischen hemdsärmeligem Showbiz-Drama, reinrassigem Paranoia-Horror und Wasserwerbung. Wieder nur zum Ende deutet Finn den übernatürlichen Ursprung des höllischen Grinsen an, ohne je die volle Meile zu gehen. Da lobe ich mir einen The Substance, der zu seinem Finale die Hosen zumindest komplett runtergelassen hat, ohne sich subjektivistisch zu verschanzen. Denn bei allen Kritikpunkten, die man gegenüber Fargeats Film anbringen kann: er war nicht feige. Smile 2 dagegen ist feige und schlussendlich … leer. – Ein dritter Teil ist längst in Planung.
Vernarbte Körper
In Zeiten, in denen der sogenannte Elevated Horror für Genrefans in aller Munde ist, klingt es wie eine Floskel – aber: Martyrs ist ein Film über Traumata. Das Trauma verkörpert sich in einer vernarbten, nackten Gestalt (Isabelle Chasse), die die Protagonistin Lucie (Mylène Jampanoï) in aller Regelmäßigkeit heimsucht und attackiert. Diese furchteinflößende, abgemagerte Kreatur, die auch in den Credits nur mit Creature bezeichnet wird, bildet eine der eindrücklichsten Repräsentationen von Trauma überhaupt. Ein Trauma, das Lucie durch ihre rätselhafte, denn nie erklärte Entführung und Gefangenschaft als Kind erlitten hat. In der Kreatur verdinglicht sich die ganze Gewalt ihrer Erfahrung. Beständig reißt sich Lucie alte Wunden auf, ehe diese verheilen können – denn zu heilen, hieße, sich zu verzeihen.
Der Film erzählt sich über Rückblenden in die Zeit von Lucies Gefangenschaft. Darüber wird die Kreatur als eine zurückgelassene Mitgefangene lesbar. Lucie plagt also eine Art Überlebensschuld, ein psychologisches Phänomen, das bei Überlebenden der Shoah erstmals systematisch untersucht und klassifiziert worden ist. Ein Schuldgefühl, das darin wurzelt, noch am Leben zu sein, während andere Mitgefangene sterben mussten. Lucie will also sterben, um die Schicksale auszugleichen und die eigene (empfundene) Schuld zu sühnen. Sie ist gefangen in einem fatalen Kreislauf der Selbstvernichtung.
In der Kreatur als Schaubild des Traumas zeigt sich eine der großen Stärken des Genres, extreme Gefühle und Zustände ansprechen und visuell eindrücklich darstellen zu können, ohne dabei Rücksicht auf die Grenzen des „guten Geschmacks“ nehmen zu müssen. Im Horrorfilm darf alles gesagt und alles gezeigt werden, das Genre ist im Idealfall ein Raum ohne Tabus. Laugier hat das wie kaum ein anderer Regisseur verstanden, ohne sich in provokativen, filmischen Gesten zu verausgaben.
Auf Gewalt erbaut
In die sonntägliche Familienidylle lässt Laugier urplötzlich den Terror hereinbrechen. Wie aus dem Nichts fährt in diesen Film die Gewalt und der Schmerz hinein, vergiftet die Atmosphäre einer scheinbar harmonischen Mittelschichtsfamilie. Es ist kein Zufall, dass Martyrs an diesem Ort den Horror zelebriert. Im Kontrast zum Einstieg, der die Flucht von Lucie aus einem entlegenen Industriegelände schildert, findet dieser Horror (scheinbar) in der Mitte der Gesellschaft statt. In einem weißen, modernen Familienhaus, mutmaßlich irgendwo in einer schicken Vorstadtgegend. Erst später werden wir lernen, dass auch dieser Ort ein Randpunkt ist. Und dass die Ränder der Gesellschaft auch vertikal verlaufen: nach unten und oben.
Mit den räumlichen Dimensionen spielt Martyrs auf mehreren Ebenen: wir lernen, dass das Haus untergraben ist; dass ein geheimer Zugang weitere, unterirdische Ebenen offenbart. Auf ganz ähnliche Weise sollte Bong Joon-hos Parasite viele Jahre später eine narrative Kehrtwende vollziehen. Die Botschaft dieser erzählerischen Konstruktion scheint offenkundig: hinter den Glasfronten und Betonwänden der gut Situierten und Arrivierten, aber auch hinter den guten Manieren und der höflichen Kommunikation verbirgt sich ein gut gehütetes Geheimnis: Lucies Amoklauf trägt die Gewalt nicht unvermittelt in das Haus hinein, sie ist längst da – versteckter, subtiler, im buchstäblichsten aller Sinne fundamentaler. Das Haus ist auf Gewalt erbaut, und damit gleichsam die gesellschaftlichen Verhältnisse, in die Lucie und Anna (Morjana Alaoui) geworfen sind. Und wir erfahren alsbald, welche gesellschaftlichen Kräfte hinter den grausamen Entdeckungen stecken, die Anna im unterliegenden Bunkersystem macht.
Geheimer Totenkult
Von allen Geheimgesellschaften oder Kulten, die im Laufe der langen Horrorfilmgeschichte imaginiert worden sind, finde ich jene schwarzgekleideten, ansonsten unscheinbaren Männer und Frauen, die von der mysteriösen Mademoiselle (Catherine Bégin) angeführt werden, am schrecklichsten: diese Leute wollen jene, die sie entführen und einsperren nicht einfach töten. Ohnehin verfolgen sie keine plumpen Mordgelüste oder werden durch irgendwelche Pathologien angetrieben. Sie genießen weder die Gewalt noch das Töten. Ihr Ziel ist es, zu Foltern, den größtmöglichen Schmerz, das größtmögliche Martyrium herbeizuführen. Und das Schlimmste daran: wir können zu einem gewissen Grad verstehen und nachvollziehen, warum sie diese Mittel als notwendig erachten. Mademoiselle und ihre Gesellschaft sind getrieben von der eigenen Sterblichkeit, oder eher noch: sind beseelt von der Hoffnung auf ein Leben nach dem Tod.
Als Teil einer menschenverachtenden Studie einem solchen Experiment unvorstellbarer Pein hilflos ausgeliefert zu sein, das ist das Szenario des Schreckens, mit dem Martyrs wirkt. Nicht bloß mit visueller Gewalt und expliziten Darstellungen von Verletzungen. Die Motivation der Gruppe ist psychologisch nachvollziehbar und ihre Taten dienen nicht bloß einem reißerischen Shock Value, so wie man es einem Hostel unterstellen könnte. Martyrs „verdient“ sich die wahnsinnige finale halbe Stunde, die eigentlich purer Torture Porn sein müsste, sich aber in seiner visuellen Darstellung auf das Nötigste beschränkt. Selbst in der finalen Tortur ist der Film von fast zarten Momenten durchzogen, etwa wenn Anna gefüttert wird. Denn eines unterscheidet Laugiers Film fundamental von anderen Genrebeiträgen wie Saw oder eben Hostel: er zelebriert kein Leid aus reinem Selbstzweck, sondern untersucht es.
Generationenkonflikt
Am Ende kommen die alten, reichen Leute zusammen und wollen wissen, wie es auf der anderen Seite aussieht; wollen wissen, was nach dem Tod kommt. Annas Martyrium soll diese Antwort liefern. Am Grenzpunkt zwischen Diesseits und Jenseits, in der ein letzter Faden den Märtyrer mit den Hinterbliebenen verbindet, erhoffen sie sich die finale, alles erklärende Erkenntnis. Gerade hinsichtlich der gegenwärtigen Klima- und Gerechtigkeitsdebatten, die auch immer Generationenkonflikte berühren, bekommt diese Konstellation neue Aktualität und Relevanz. Kurzum: die junge Anna muss für die alten Säcke sterben, weil ihnen vor dem großen Ungewissen der Kackstift geht.
In den letzten Minuten von Annas Martyrium, ehe sie endgültig in die Unendlichkeit übertritt, flüstert diese der herbeigeeilten Mademoiselle etwas ins Ohr. Wir hören nicht, was sie sagt. Alles, was wir haben, ist Mademoiselles Reaktion auf das Gesagte. Sie bringt sich um – Kopfschuss. Davor sagt sie zu ihrem Assistenten: „zweifeln sie weiter“. Ein grandioser, hellsichtiger Meta-Kommentar, den man sich als Zuschauer unbedingt zu Herzen nehmen sollte. Und der einen der beeindruckendsten und vielschichtigsten Horrorfilme der letzten zwanzig Jahre auf grandiose Weise beschließt.
„Was ist dein Lieblingsfilm?“
Yuki atmete aus. „Können wir darüber nicht ein anderes Mal sprechen? Ich bin todmüde …“
„Sag mir nur den Titel. Ich schau ihn im Internet nach.“
Yuki seufzte, sah ihn verständnislos an, weil sie nicht verstehen konnte, wie ihm dieses unwichtige Thema so wichtig sein konnte. Dabei verstand sie bloß nicht, dass es gerade jetzt wichtig, ja, geradezu überlebensnotwendig für ihn war, ein bisschen Normalität zu verspüren.
„Es ist ein japanischer Film“, antwortete Yuki schließlich. „Er heißt Unsere kleine Schwester und er ist sehr alt. Meine Urgroßmutter hat ihn immer mit meiner Großmutter gesehen und ich mit meiner Großmutter. Und ich werde dasselbe mit meiner Tochter machen.“
„Worum geht es?“
„Es geht um drei Schwestern, die ihre Halbschwester bei sich aufnehmen, nachdem ihr Vater gestorben ist. Aber eigentlich ist das nur die Ausgangslage. Danach sieht man, wie die Vier miteinander leben, sich befremden und Tag für Tag besser miteinander klarkommen. Und im Grunde ist das der ganze Film.“
„Warum magst du ihn so?“, fragte Aki.
Yuki hielt andächtig inne. „Kennst du dieses Gefühl, das man hat, wenn man an die Dinge denkt, die man nie getan hat? Diese eigenartige Nostalgie für etwas Verlorenes … für eine Möglichkeit, die sich nie verwirklicht hat.“
Aki nickte. „Ja“, antwortete er heiser. „Kenn' ich.“
„So ein Gefühl habe ich, wenn ich an Japan denke. Ich habe nie dort gelebt, aber es ist die Heimat meiner Eltern und ihrer Familien. Und wenn ich den Film sehe, bekomme ich ein Gefühl dafür, wie es hätte sein können, dort zu sein. Ich fühle mich aber nicht bloß nostalgisch dabei, sondern irgendwie auch … angekommen, zugehörig, nur indem ich dabei zusehe, wie diese Menschen miteinander leben, also wirklich leben, in den kleinen, den ganz kleinen Dingen, in Gesten und Alltagshandlungen. Ich sehe, wie es hätte sein können. Ich sehe die Möglichkeit von einem anderen Leben, von einem anderen … Ich. Verstehst du?“
„Ja“, antwortete er. Dabei durchfuhr ihn ein überwältigendes Gefühl von Verbundenheit. Verbundenheit zu dieser Person, die so genau in Worte zu fassen vermochte, was er in seinem Innersten seit jeher fühlte. Verbundenheit darüber, mit seinen Gefühlen nicht allein zu sein.
Leider löst der achte Teil der Friday the 13th-Reihe das Versprechen des Titels, Jason auf das Großstadtmoloch des 80er-Jahre New Yorks loszulassen, erst zu seiner spaßigen zweiten Hälfte ein. Davor muss die Kreatur aus der schwarzen Lagune über einen Ozeandampfer Richtung Freiheitsstatue watscheln wie ein Rentner mit Hinlauftendenz. Jasons zweites Opfer, ein Mädel, das gerade am Bumsen war (darum muss es sterben), ersticht dieser klamaukig und unter den schrillen Schreien seines Opfers mit einer Zahnstocher-großen Harpune, woraufhin sich ihr Hemd mit ein paar Milliliter Kunstblut vollsaugt. Man merkt früh: nach Teil 3 bis 6 ist man zurück in FSK-16-Gefilden.
Während sich das Mädel auf dem Schiff vor dem watschelnden Jason versteckt, zieht diese Grimassen als würde ihr a) ein unseriöser Furz quer liegen oder als müsse sie b) gleich schallend zu Lachen anfangen. Ich möchte diesen Moment deshalb für die schlechteste Schauspielleistung dieser Reihe nominieren – und das will einiges heißen bei einem Franchise, in dem es auch noch eine Szene mit einem dicken, geistig umnachteten Man-Child mit Schokoladen-verschmiertem Mund gibt, das einem Holzfäller mit Aggressionsproblemen solange auf die Nerven geht, bis dieser sich zu einer Beil-schwingenden Jack Torrance-Imitation hinreißen lässt (Teil 4). Aber zurück zum Mädel auf dem Boot mit dem Zahnstocher: es gibt Jungschauspieler, die das „ich bin zu gut für diesen Scheiß“ permanent auf dem Gesicht tragen. Ein verständliches Sentiment, hört man einmal in die Dialoge dieser Reihe rein (wie muss es sich erst anfühlen, sie auch noch glaubwürdig aufsagen zu müssen), aber hier liegt die Ironie: wer selbst bei diesem Trash nicht alles gibt, kommt auch nie darüber hinaus.
Irgendwann stolpert (klettert) Jason schließlich auf den Dampfer, erschlägt ein Tina-Turner-Cosplay mit ihrer eigenen Gitarre und einen Saunisten mit einem kochenden Stein (nicht ansatzweise so spaßig wie es sich anhört). Dazwischen gibt es jede Menge Leerlauf und Figuren, die einen nicht interessieren. Und einen Jason, der manchmal selbst wie ein verwirrter Passagier über das Deck taumelt. Highlight dieses achten Teils, der auch das Ende der Paramount-Distribution markierte (neben einer ziemlich beeindruckenden Überblende von einem Boot in einer brennenden Benzinpfütze zum selben Boot auf einem See): ein Faustkampf zwischen Jason und einem Boxer auf einem New Yorker Häuserdach, ohne Musik, nur mit dem schwerer gehenden Atem des Boxers und seinen schwächer werdenden Schlägen, die ungerührt von der Horrorikone abprallen.
Das fasst Jason perfekt zusammen: eine wortlose, unkaputtbare Naturgewalt, an der sich der Mensch hilflos abarbeitet, die er aber nie kontrollieren kann; die unideologisch über alles hinweg geht, das am Leben ist; die keinen Unterschied macht zwischen den Reagan-Ära-kodierten Punks (vornehmlich Schwarze und Latinos in Lederjacken), asozialen Rednecks, notgeilen Teens und hilflosen Kindern; ein Mann, der einfach unbeirrt und stoisch seinen Weg geht – Marc Aurel wäre stolz. Insofern ist die Existenz dieses Jason fast schon tröstend, denn er ist wie der Tod selbst, dem früher oder später jeder begegnen muss. Jason ist auch kein Sadist, er geht meistens auf den effektiven Kill, zielt selten auf das Leid seiner Opfer. Dem Boxer haut er zum Beispiel mit einem Faustschlag glatt die Rübe ab, ehe diese ein Dach hinunterpurzelt und in einem Müllcontainer landet.
Ich muss gestehen: Der viel gescholtene Jason Takes Manhattan hat mich ein kleines bisschen mit dieser Reihe versöhnt. Es macht einfach Spaß zu sehen, wie diese Tötungsmaschine auf desillusionierte New Yorker Kellnerinnen und Jugendgangs mit Ghettoblastern trifft und sich am Ende, auf wundersame Weise – durch die magische Kombination von Blitzeinschlag und chemisch verseuchter Kanalisationsbrühe nämlich – wieder in sein Kindheits-Ich zurückverwandelt. Ein Sprung zurück in die Zeit vor dem Trauma und das Happy End für einen Serienmörder. Der letzte, bedrohliche POV dieses vermeintlich finalen Jason-Abenteuers gehört dann einem süßen Hundie mit Bandana. Schön.
Zahmes Gemetzel
Doch für eine Reihe, die sich Gewalt und Titten auf die Fahnen geschrieben hat (und nicht viel darüber hinaus zu bieten hat), bleibt Jasons Manhattan-Ausflug so wie die meisten Teile überraschend zahm und schafft es auf die unvergleichlich-amerikanisch-prüde Art, Sex auf der einen Seite andauernd zu thematisieren und sich auf der anderen Seite extrem verklemmt in seiner Darstellung zu geben. Gleiches gilt für die Gewaltdarstellungen, die ohne Tom Savini hinter den Masken- und Gore-Effekten (Teil 1 und 4) zumeist betreten ins Off geschnitten werden (oder, wie in Teil 7, der Zensur zum Opfer fielen). Wie oft Jason unmotiviert seine Machete in irgendwelche Teenie-Bäuche stößt, grenzt schon an Arbeitsverweigerung. Gleiches gilt für die Figuren, die natürlich nur stereotype Opfer sind, Anschauungssubjekte für Jasons Zerstörungswut, die sich aber selten die Sympathie des Zuschauers erspielen und meistens halbherzige Karikaturen bleiben, mit denen wir den Großteil der Laufzeit in irgendwelche Hütten eingesperrt sind bis uns Jason erlöst.
Insgesamt ist es ein zähes Unterfangen, diese berühmte, eher berüchtigte Reihe nachzuholen, die mit ihrem zweiten Teil bereits einen der wenigen Höhepunkte markiert. In dieser direkten Fortsetzung des ersten Teils, die das Finale des Vorgängers in bester Friday-Tradition einfach nochmal in allen Details zeigt (man muss schließlich irgendwie auf 90 Minuten kommen), metzelt sich Jason noch ohne Hockey-Maske, dafür mit Kartoffelsack mit Guckloch durch ein Ferienlager voller Counselors in Ausbildung. Hier wird dem hirnlosen Muttersöhnchen mit Ginny Field (Amy Steel) auch das einzige Mal ein interessantes, eigenwilliges und cooles Final Girl gegenübergestellt, deren finale Jason-Konfrontation mit eleganten Tracking Shots und verhältnismäßig klugen Entscheidungen glänzt – hier sieht man Jason sogar entgegen seines später üblichen stoischen Gangs rennen und ungeschickt auf die Schnauze fliegen, weswegen bei mir manchmal dezente Ghost-Face-Assoziationen aufkamen. Das ist noch nicht der untote Hühne von Teil 3 bzw. 4, den wohl die meisten Friday-Fans in ihr Herz geschlossen haben. Genauso wie Ginny sich noch nicht passgenau in das Good-Girl-Stereotyp der folgenden, schnarchlangweiligen Protagonistinnen einfügte, die von den Schreibern zwar jede Menge Traumata aufgebürdet bekommen haben, aber leider überhaupt keinen Charakter.
"I was naturally suspicious of cocky guys at that age, and you see a lot of that when I’m on screen with Paul (John Furey). I tried to put so much behind the actual words in the script just so she felt almost unreachable, to Paul and to audiences. I wanted her to have some power."
– Amy Steel (Dread Central, 2010)
Ich mag Jason am Ende wohl mehr als die Reihe, die ihn erschaffen hat. Denn was die Friday-Filme vor allem bieten ist jede Menge Leerlauf und Behauptung; Laufzeit, die mit unsympathischen, schlecht gespielten Nullfiguren gestreckt wird, nur um sich dann in viel zu vielen einfallslosen PG-13-Kills aus der Affäre zu ziehen. Wenige Ausnahmen bilden der bildstarke zweite Teil (Regie: Debütant Steve Miner, Schnitt: Cunninghams Ehefrau Susan) und der visuelle Einfallsreichtum von Jason Lives. Man sollte sich auch ehrlich machen über das, was diese Filme sind: leicht verdientes Geld, im Koksrausch zusammengeklöppelte Fließbandprodukte (fast jedes Jahr ein neuer Teil), ungeschickte Franchise-Universen-Politik der Prä-Marvel-Ära. Die Friday-Serie ist auch ein Stück Popkultur, das mit gutem Recht später zuhauf parodiert und dekonstruiert werden sollte und dessen Formelhaftigkeit schon mit dem dritten Teil gehörig Staub angesetzt hatte.
Nur damit mich niemand falsch versteht: Der Herr der Ringe ist Liebe, Magie, alljährliches Anschauungsritual, zu Recht ein moderner Klassiker, etwas Besonderes, ja Singuläres; und die Musik von Howard Shore erst, so viele Themen für die Ewigkeit, so viele Melodien, die Heimat bedeuten, wer hätte gedacht, dass so etwas im Stammkomponisten von Cronenberg streckt; und zwischen all dem epischen Gekämpfe ist auch noch Platz für eine so zärtliche Freundschaft wie jene zwischen Sam und Frodo, dem Ringträger und dem Ringträgerträger, und wenn Sam Frodo auf das Boot folgt, als sich die Wege der Gefährten trennen, und Sam fast untergeht, weil er gar nicht schwimmen kann, was ist das für eine rührende Geste unerschütterlicher Loyalität und Liebe; überhaupt die Hobbits, das Gegenmodell zum kraftstrotzenden Alpha-Helden, lebenshungrige, gemütliche Landeier, tolerante Isolationisten in ihrem Auenland, diesem magischen Ort und und und … – An Herr der Ringe gibt es vieles zu lieben, darum seien die folgenden Worte bitte als Worte liebevoller Kritik verstanden.
Die richtige Zeit, der richtige Ort
Die Entstehungszeit von Der Herr der Ringe fällt in eine Phase des Übergangs von praktischen Effekten hin zu immer besser werdenden und verstärkt genutzten digitalen (Post-)Produktionstechniken. Technologien wie die Massive Software oder das Motion Capturing waren weit genug entwickelt, um phantastische Kreaturen und Armeen glaubwürdig auf die Leinwand zu bringen, hatten das klassische Filmhandwerk (forced perspective, echte Schauplätze, Miniaturen, Matte Paintings) aber noch nicht verdrängt. Das eine ersetzte um die Jahrtausendwende nicht das andere, sondern beides ergänzte sich bestenfalls symbiotisch und hob die Limitierungen des jeweils anderen auf. Vieles, was auf einem Set an einem echten Drehort gedreht werden konnte, wurde zu einem großen Teil so gemacht: Das Auenland war noch ein echter Ort, die Hobbit-Darsteller in Totalen noch von kleinwüchsigen Stuntleuten verkörpert, Hintergründe noch von Hand gepinselt, die phanastische Welt von Mittelerde, von Bruchtal bis Helms Klamm, noch als Miniatur gefertigt und dann digital in die jeweiligen Umgebung integriert. Selbst das Leuchten in Galadriels Augen wurde durch eine Lichterkette hinter der Kamera erzeugt und war kein Premiere-Plugin-Effekt. Jackson griff damals auf den gesamten Fundus filmischer Tricksereien zurück, die er in seinen wilden Fun-Splatter-Tagen gesammelt hatte und führte sie im Dienste seiner Tolkien-Vision kongenial zusammen.
All das ist grandios. Doch so sehr das Endergebnis dieser Trilogie (größtenteils) überzeugt, auch hier zeichnet sich bereits ab, in welche digitalen 3-D-HFR-Höllen sich nicht nur Jackson, sondern auch die Filmindustrie als solche (die es so natürlich nicht gibt) später verirren sollte. Peter Jackson nahm mit den Ringe-Filmen (insbesondere dem dritten Teil) nicht nur ein Stück weit seine Hobbit-Filme vorweg, sondern lieferte auch die filmische Grammatik für den modernen Hollywood-Blockbuster der Gegenwart. Nicht zufällig verwendete etwa Filmemacher Zack Snyder für seinen ersten Men of Steel-Teaser Musik aus Jacksons Ringe-Trilogie. Der Herr der Ringe definierte den Gold-Standard für episches Geschichtenerzählen. Ein Standard, an dem sich auch Snyder seine gesamte Karriere lang orientieren sollte, indem er Jacksons Filmsprache (die natürlich auch schon derivativ war) nicht nur bediente, sondern dessen Stilmittel bis zur Parodie übersteigerte – von der Zeitlupe als retardierendes Moment bis zu ihrer musikalischen Montage. Jackson und Snyder verlangsamen die Zeit, suchen das epische Moment und versuchen es festzuhalten, zerdehnen es bis zur Erstarrung. Gerade der dritte Ringe-Film neigt zu jener Form bräsigen Übermaßes, das heute bei Nolan, Villeneuve und Snyder (in unterschiedlichen Spielarten und Ausmaßen) zu finden ist.
Sensation als Selbstzweck
Der Herr der Ringe begründete mit seinem finalen Film ein Kino grenzenloser, digitaler Sensationslust; Mittelerde wird hier zum ewigen Schlachtfeld und das von Tolkien verarbeitete, reale Grauen des Krieges wird zu einer ironisch kommentierten Überlegenheitsfantasie. Ähnlich den immer-coolen, neunmalklugen Marvelhelden führen ein Rüssel-surfender Legolas und ein unbeweglicher Gimli Buch über ihre Kills und eine hässliche Geisterarmee wird zu einem bequemen Deus Ex Machina. Die Rückkehr des Königs ist ein nicht enden wollender Krieg, eine einzige, pathetische Schlachtrede über Selbstaufopferung und Heroismus (Snyders Lebensthema), der die Erweiterung des Extented Cuts letztlich mehr schadet als nützt. Die Rekrutierung der Geisterarmee wird maximal sinnlos verlängert, Mary und Pippin verschleppen das Tempo in einem sich zuspitzenden, parallelisiert erzählten Konflikt, Saruman wird auf einem Wasserrad aufgespießt und ein großer Mund mit Helm vor den Augen führt Verhandlungen, die sowieso scheitern müssen.* Die Schlacht um Minas Tirith ist eine aufgeblähte Repetition dessen, was Teil Zwei mit Helms Klamm bereits eindrucksvoll geboten hatte, und nimmt ein Stück weit die visuelle Überladung aus Battle of the Five Armies vorweg.
In mir machte sich dabei die ungute Ahnung breit, dass Die Rückkehr des Königs viel zu schnell nichts Substanzielles mehr zu erzählen hat, was in den ersten beiden Teilen nicht schon ausreichend thematisiert worden ist (die Freundschaft zwischen Sam und Frodo, die Liebe zwischen Arwen und Aragorn, die Korruption durch den Ring in Verkörperung eines zerrissenen Gollum; die Hoffnung auf Licht in einer dunkler werdenden Welt). Mehr noch: Figuren wie Gandalf, Legolas oder Aragorn werden immer mehr zu leeren Archetypen – des weisen Zauberers (der nichts weises mehr zu sagen hat und darum Orks mit seinem Gehstock verprügelt), des agilen Superkriegers (der als digitaler Avatar auf Olifanten herumturnt) und des integren Anführers (der mit dem zweiten Teil schon längst seine vorherbestimmte Rolle akzeptiert hat). Von allen drei Filmen ist es Die Rückkehr des Königs, bei dem mir die Parallelen zum Gegenwartskino am schmerzlichsten bewusst werden. Hier finden sich bereits erste Anzeichen jenes befremdenden Gefühls, das ich bei Snyder- oder Marvel-Filmen verspüre; das Gefühl, dass das filmische Handwerk durch die Grenzenlosigkeit digitaler Möglichkeiten einen enormen Bedeutungsverlust erlitten hat; dass das alles nicht im Dienste einer Idee, einer großen Geschichte steht, sondern im Dienste seiner Sensationen. Das ist das Kino als Jahrmarktattraktion, die Achterbahnfahrt, die viel zu schnell davonfährt, um noch irgendetwas erkennen zu können.
Es ist schon bedauerlich, dass selbst ein Film wie Elektra einem eindringlich vorführt, wie sich das US-Mainstream-Kino und insbesondere der Superheldenfilm unter Marvel und Co. degeneriert hat. Nicht falsch verstehen: Elektra ist kein sonderlich guter Film – uncool, erwartbar, ein bisschen Twilight – aber immerhin haben wir es hier mit einem Film zu tun. Da würde mir wahrscheinlich selbst der alte Marty zustimmen als er Marvels Milliardenhits zu Jahrmarktattraktionen degradierte. Hier wurde noch an echten Schauplätzen gedreht, ohne krasse Weichzeichner, ohne die omnipräsente grüne Wand; hier wird sich noch viel Zeit für Figuren und ihre Geschichte genommen (keine sonderlich interessanten Figuren mit keiner sonderlich interessanten Geschichte, aber der Einsatz zählt); es gibt sogar klare visuelle Leitmotive.
Elektra (Jennifer Garner) verfolgt beispielsweise das Trauma von der Ermordung ihrer Mutter, deren Leiche sie als Kind unter einem Bettlaken verhüllt entdeckt hat. Zum Finale des Filmes kämpft sie gegen den Mörder ihrer Mutter (Will Yun Lee), der sie mit fliegenden Bettlaken nun zu täuschen versucht; sie wird schließlich zu Boden gebracht und wie ihre Mutter unter einem Laken verhüllt, ehe sie dieses triumphierend von sich abwirft und den Kampf wieder aufnimmt. – Das Trauma als verhüllendes, erstickendes Laken, das man von sich abwirft: nicht subtil, aber immerhin passiert hier etwas. Man spürt das Bemühen, die Geschichte einer Figur ästhetisch zu übersetzen, also: filmisch zu erzählen.
In einer anderen Szene kämpft Elektra zu Übungszwecken gegen ihren aufmüpfigen, jugendlichen Sidekick Abby (Kirsten Prout). Diese hat den halben Film über ne ziemliche Attitüde und glaubt, Elektra herausfordern zu können. Als die beiden schließlich miteinander kämpfen, hat Abby keine Chance und verliert. Doch statt eines coolen Spruchs, der die Überlegenheit Elektras betonen könnte, endet die Szene damit, dass Abby zu weinen anfängt. Die pseudoselbstbewusste Fassade des Teenagers bricht weg und es kommt wieder das verängstigte, überforderte Kind zum Vorschein. Und Elektra wechselt die Rolle von der toughen Auftragsmörderin zur Ersatzmutter. Auch hier: das ist nicht preisverdächtig gespielt oder gefilmt, aber es ist zumindest etwas.
Mehr als ich in jeder der unzähligen Jahrmarktattraktionen je zu sehen bekomme, in denen es mindestens um das Schicksal eines Landes gehen muss, aber meistens um das der ganzen Erde oder gleich des uns bekannten Universums; in denen vorgerechnete Actionsequenzen vor den ersten Drehbuchentwürfen stehen; in denen jeder Anflug von Tiefe ironisch vereitelt werden muss. Ich ziehe Filme wie Elektra jederzeit dem entgrenzten Franchisekino und astronomisch budgetierten Netflix-Blockbustern aus den Computerhöllen der Gegenwart vor (man überlebt es ehrlicherweise auch, wenn man keines von beiden gesehen hat). So hat mir die morbide Neugierde auf dieses viel gescholtene Jennifer Garner-Vehikel zumindest diese kleine Erkenntnis gebracht – und als zweiten Abspann-Song Photograph von 12 Stones! Ich dachte, meine Spotify-Nostalgie-Playlist wäre aus Versehen angesprungen …
Es ist wirklich erstaunlich zu sehen, wie im Grunde alle entscheidenden Schlüsselszenen aus Heat bereits in dieser fürs Fernsehen produzierten Urversion enthalten sind, ohne je die Größe und Präzision des 95er-Remakes zu erreichen. Beinahe jede dieser Szenen sollte Mann nur sechs Jahre später (!) besser in Szene setzen und für jede noch so kleine Rolle nicht nur eine höherklassige, sondern auch eine passendere Besetzung finden. Das soll L.A. Takedown nicht schlechtreden, das ist ein solider Fernsehthriller, der manchmal, aber eher selten die kinetische Energie von Manns Kinowerk erreicht – irgendwo zwischen Miami Vice-Swag und dem ästhetischen Heat-Vorläufer Thief. Die Essenz seines späteren Meisterwerks ist bereits enthalten, aber es mangelt an der nötigen Zeit zur Entfaltung und an vielen Stellen an Timing; auch an den Idiosynkrasien eines Al Pacino und dessen explosiver Extravaganz. Dem Film mangelt es auch an der ästhetischen Klarheit von Manns Kinoarbeiten, was sicherlich dem Umstand geschuldet ist, dass dieser eigentlich den Auftakt zu einer nie verwirklichten NBC-Serie bilden sollte. Hier bleibt vieles unterentwickelt, zentrale Figuren unausgegoren. Insbesondere Scott Plank als Vincent Hanna mangelt es am Esprit eines Pacino, zumal seine Figur hier noch als ultra-agiler, Motorhauben-rutschender, Wild-West-schießender Serienheld angelegt ist.
Heat entwickelte aus der Parallelität seiner gleichberechtigt auftretenden Hauptdarsteller auf zwei Seiten des Gesetzes eine fatalistische Sogwirkung, einen epischen Dualismus zwischen zwei Typen, die sich bekämpfen, obwohl sie sich brauchen, in L.A. Takedown hingegen bleibt das zentrale Duell zu kraftlos und unfokussiert, manchmal kann man die beiden Figuren nicht einmal äußerlich voneinander unterscheiden. Andere Szenen funktionieren allerdings auch in dieser niedrig-budgetierten Fernsehvariante wunderbar: die erste Begegnung zwischen Superdieb Patrick (Alex McArthur) und Eady (Laura Harrington) am Tresen eines Diners beispielsweise; erst ist sie interessiert, beginn ein Gespräch, wird dann von ihm zurückgewiesen, dann fühlt er sich schlecht, zeigt seinerseits Interesse – eine vorsichtige Annäherung entspinnt sich. Die Szene zeigt die lebendige Interaktion zwischen einem unverbindlichen Einzelgänger und einer Einsamen, die im Gegensatz zu all den selbstzerstörerischen Workaholics dieses Filmes unumwunden zugeben kann, dass sie einsam ist, während Patrick kleinlaut zu Protokoll gibt: „Im alone, it doesn’t bother me.“
Es ist eine Schlüsselszene für diese Geschichte, die tiefen Einblick gewährt in die fragile Psyche seiner Protagonisten, in deren Selbstzerstörung man sich dennoch wiedererkennen kann und die man sich liebend gerne anschaut. Das ist ein Männerfilm, ja, weil Männer wohl tendenziell eher auf Räuberpistolen abfahren, auf eiskalte Profis, die schweres Gerät für einen gefährlichen Job einzusetzen wissen, aber es es ist auch ein Männerfilm, der sich mit den Eheszenen zwischen Vincent und Lilian (Ely Pouget) und der ersten Begegnung zwischen Patrick und Eady selbst als solcher perspektiviert und reflektiert. Mann ist nicht blind für den Machismus dieser Welt, die Codes und die Bilder von Männlichkeit in seinem Sujet. Aber er bewertet sie nicht; und vielleicht noch wichtiger: er ist ehrlich interessiert an den Schicksalen dieser Eisklötze und der unerbittlichen Zerstörungsspirale, die sie in Gang setzen; unfähig, sich selbst zu entkommen. Manns Filmographie ist auch eine Landschaft der Einsamkeit, bevölkert von Männern, die hilflos dabei zusehen müssen, wie ihre Beziehungen in die Brüche gehen, weil ihnen ihre Obsessionen in die Quere kommen – und weil die existenzielle Heimatlosigkeit sich nur obsessiv kompensieren lässt, aber nie tilgen.
„Didn’t know where to run.“
Es gibt an Vanilla Sky sicherlich einiges zu kritisieren, nicht zuletzt den Umstand, dass er auf einer besseren filmischen Vorlage basiert. Doch wenn ich mich ganz auf den Film an sich einlasse, seine Produktionsgeschichte ausblende und ihn als singuläre Filmerfahrung bewerte, dann muss ich zugeben, immer wieder von ihm gefangen zu sein. Trotz dieses verrückten, angestrengten Lächelns von Tom Cruise mit diesem verrückten Leuchten in den Augen und trotz der lästigen Angewohnheit von Cameron Crowe, ausnahmslos jede Szene mit den abgehangendsten Gassenhauern (und ein paar guten Songs) zuzukleistern. Denn die Geschichte bleibt in ihrem Kern einfach toll und ist für das US-Remake fast 1:1 übernommen worden, manche Motive, wie die Parallelen zwischen Traum und Film, Hollywood als Traummaschine wurden sogar sinnigerweise vertieft. Selbst die unausstehliche Ansammlung von gutaussehenden, jungen Yuppies, allen voran Cruises Figur, lässt sich leichter ertragen, wenn man sie als reizvollen Kontrastpunkt zu den späteren, albtraumhaften Sequenzen versteht. So richtig unangenehm und fiebrig wird Vanilla Sky allerdings nie, noch am ehesten spielt Crowe die Horroranleihen in der Club- oder etwa in der Restaurant-Szene aus, die später von Nolan in seiner aseptischen Traumnovelle Inception „zitiert“ werden sollte. Traumfiguren, die sich ihrer eigenen Irrealität bewusst werden, da ist gruselig und faszinierend zugleich.
Die unwirklichen Qualitäten eines Eyes Wide Shut und die Untiefen, die dieser auch bei Cruise zu berühren bereit war, erreicht Crowe indes nicht. Crowe macht Musikvideos in Spielfilmlänge, das ist seine größte Stärke und seine größte Schwäche zugleich. Stark ist die Montage und die rotierende, bewegliche Kamera, schwach das Drehbuch, insbesondere wenn es darum geht, die spannende, Genre-sprengende Geschichte mit interessanten Figuren auszustatten. Das liegt auch in der Natur der Idee (Cruz als Idealbild), gilt jedoch für die ganze Bagage Sprüche-klopfender, Weisheiten verbreitender New Yorker, die von fast allen Beteiligten mit einer Spur von Wahnsinn gespielt werden (ich kam nicht umhin, mir Cruise und Lee die ganze Zeit als Roben-tragende Scientology-Buddies vorzustellen). Ironischerweise tragen die immer etwas entrückten, mal überdrehten, mal merkwürdig somnambulen Performances zur traumartigen Atmosphäre nur bei, wenngleich sie die Kontraste zwischen den glücklichen Rom-Com-Montagen (schlimm: unironisches sich-gegenseitig-malen) und den Albtraum-Passagen eher verwischen. In dieser Neuinterpretation ist einfach ALLES IMMER merkwürdig, ob die Leute nun glücklich sind oder in einer tiefen Lebenskrise stecken.
Das ändert aber nichts daran, dass ich immer wieder hängenbleibe, wenn Vanilla Sky in der Glotze läuft. Selbst das restlos auserzählende und alles erklärende, einigermaßen hässliche, vor einem künstlichen Vanillehimmel spielende Finale behält sich eine gewisse Faszination bei, die vielleicht auf der Drehbuchebene gar nicht intendiert war, die aber in den merkwürdig entrückten Schauspielleistungen jederzeit spürbar wird. Irgendetwas ist hier schräg, denke ich immerzu, und sehe mein Unbehagen in der entstellten Visage von Cruise auf gewisse Weise gespiegelt. Obwohl … eigentlich ist es nicht sein entstelltes Gesicht, auch nicht die prothetische, menschliche Züge auslöschende Gesichtsmaske, die mir nicht behagt, sondern die Maske, die Cruises Gesicht ist. Es ist sein Gesicht, wenn er „glücklich“ und „verliebt“ spielt, seine merkwürdige, amerikanisch-weiße Zahnreihe, die von angestrengter Euphorie entstellten Gesichtszüge. Hier ist die Maske, von der dieser Film eigentlich erzählt, in der sich das doppelte Spiel, die Identitätskrise eines Schauspielers ausdrückt, der auf Fernsehsofas den Verrückten „spielt“ oder eben nicht spielt. Hier liegt die eigentliche Faszination dieses Remakes, das dem Original auf dem Papier nicht viel hinzuzufügen weiß – bis auf Tom Cruise und seine Masken eben.
Hier steckt ein Kultfilm drin. Aber er wird erdrückt von zwei sich negierenden Erzählhaltungen (metaphorischer Hangout-Movie vs. ekstatisches Vampir-Musical) und zu seinem Kulminationspunkt (einer Belagerung) geradezu fahrlässig verschleppt. Erst deutet sich, nach einer kolossalen, Zeit-streckenden Musikmontage, ein spannender Standoff an, dann tritt Coogler plötzlich das Bremspedal durch. Es ist buchstäblich wie auf einer guten Party, bei der plötzlich Oma Erna den Raum betritt, das Deckenlicht einschaltet und alle Gäste schimpfend nach Hause schickt. Im grellen Licht treten dann all jene Hässlichkeiten zutage, die zuvor noch im Halbschatten und unter lauter Musik verborgen waren.
Viele potenzielle Opfer in diesem Kampf zwischen einem gruselig talentierten Iren (Jack O’Connell) mitsamt gruselig grinsender Entourage und einer schwarzen Bargemeinschaft rund um die Zwillinge Smoke und Stack (Michael B. Jordan in einer Doppelrolle) dürfen also unbeschadet den Heimweg antreten statt Teil dieser nächtlichen Belagerungssituation zu werden – sei es als Blutpakete, als Vampirjäger oder lediglich als Verhandlungsmasse. Aber die Situation soll offenbar übersichtlich bleiben und auf wenige, klar umrissene Figuren beschränkt, weil Coogler aus irgendwelchen, unerfindlichen Gründen auch noch ein Charakterdrama erzählen will.
Dann sind also die Verbliebenen drinnen und die anderen draußen und es passiert erst einmal eine ganze Weile nichts. Nichts ist zu spüren von der paranoid verseuchten Klaustrophobie eines The Hateful Eight oder eines The Thing, dem Coogler an einer Stelle sogar explizit seine Ehre erweist. Stattdessen wird diskutiert und es klopft hin und wieder an der Tür und jemand will hereingebeten werden und der ein oder andere verirrt sich nach draußen, wo er erwartungsgemäß weggeschnappt wird. Zwischendurch kommen dann immer wieder so grandiose, viszerale Musikmontagen, dass man sich wünscht, Coogler würde einfach loslassen und auch den letzten Schritt Richtung Musical wagen. Und statt einer einfallslosen Klopperei, mit viel Filmblut, Holzpflöcken und Bisswunden, würden sich die beiden Lager einfach zu einem Gesangsduell herausfordern.
Oh man, wäre das ein Fest geworden, der Teufel am Banjo haut einen raus (Tenacious D hat’s vorgemacht) und der Preacher Boy (Miles Caton) würde kontern, mit einer Nummer, in der all der Schmerz und das Leid und die Ungerechtigkeit der Jim-Crow-Zeit zu einer herzzerreißenden Melodie verdichtet ist. Dann wäre das hier ein reinrassiger Musikfilm geworden. Stattdessen wird eine Gruppe austauschbarer Ku-Klux-Klan-Mitglieder zusammengeschossen und die Vampire treten lebensmüde ins Sonnenlicht. Da ist der Film schon eine halbe Stunde über der Zeit, ehe eine tolle letzte Szene, die merkwürdigerweise Post-Credit platziert wurde, wieder daran erinnert, was hieraus hätte werden können.
Distanzierte Einstellungen bis hin zu abstrahierenden, topographischen Landschaftsgemälden und wechselnde Erzählperspektiven belassen den Zuschauer lange im Unklaren – darüber, was hier eigentlich passiert und wer mit wem und gegen wen und überhaupt. Emily Blunts mädchenhafte, verschreckte Züge bilden die angemessene Identifikationsfläche, um mit ihr auf die Verstrickungen des Drogenkrieges an der amerikanisch-mexikanischen Grenze zu blicken. Da ist noch moralische Integrität in ihrem Blick, Glaube an etwas universell Gutes, Glaube an den Rechtsstaat, seine Legitimität, vor allem: seine Begrenzungen. Nur um am Ende des Filmes desillusioniert aus dem Land der Wölfe geschmissen zu werden, nachdem sie verprügelt und gedemütigt wurde. Aber immerhin: am leben.
Es ist sicherlich infrage zu stellen, warum ausgerechnet ihre Figur, die schon den gesamten Film über mit ihrer Handlungsunfähigkeit zu ringen hat, auch noch diejenige sein muss, die durch einen One-Night-Stand die Arbeit des gesamten Teams zu kompromittieren droht. Im Kontrast dazu kommt mir Del Toros einsamer, stoischer Wolfcharakter viel zu gut weg. Er bleibt zwar moralisch ambiguitiv, trotzdem zeigt uns der Film unmissverständlich, wie dieser durch Folter immer wieder entscheidende Informationen enthüllt. Nebenbei verteilt er Kopfschüsse locker aus dem Handgelenk und bekommt die tragischste aller Hintergrundgeschichten spendiert. Und dann darf er am Ende auch noch lässig das Fazit dieses Filmes brummen: „You should move to a small town where the rule of law still exists. You will not survive here. You are not a wolf. And this is the land of wolves now.“
Das Duo Deakins/Villeneuve hat derweil die Ruhe, sich in der moralischen Ambiguität von Sheridans Drehbuch kreativ zu entfalten, statt sich in Schießereien und Gräueltaten zu flüchten. Der Film zeigt zwar Grausames, wird auch gelegentlich explizit, aber nie zum Selbstzweck, nie mehr als nötig. Bei einer Folterszene fixiert die Kamera ein Abflussloch, erhängte und geschändete Leichen sehen wir nur aus der Distanz, durch ein Autofenster, über die Schulter von FBI-Agentin Kate (Blunt). Sicario ist schon sehr darum bemüht, dezidiert KEIN Actionfilm zu sein. Stattdessen baut der Film immer wieder Antizipation und Spannung auf, nur um sie dann entgegen der Eskalationslogik von Actionfilmen vergleichsweise zahm aufzulösen.
Bei einem geplanten Hinterhalt am Grenzübergang scheitern die Schergen des Kartells an der drückenden Überlegenheit der amerikanischen Sicherheitsbehörden, bei einer Black Op in einem geheimen Drogentunnel wechselt die Kamera auf Nachtsichtaufnahmen. So wie sich der ewige Kreislauf des Drogenkrieges in kein narratives Schema zwingen lässt, so sehr versucht Sicario narrative Erwartungshaltungen gezielt zu unterlaufen. Und Roger Deakins poetische Bilder zwingen zur Ruhe: statt eines Actionfeuerwerks gibt es Lichtstimmungen, weite Himmel, ewig fahrende Autokolonnen, Ambivalenzen und harte Kerle. Es steckt schon ziemlich viel Hollywood in Sicario, trotz seiner betont entschleunigten Verpackung, aber alles in allem stimmen die Zutaten. Gerade die guten Schauspieler und die sehr reduzierte, aber kluge Geschichte regen zum nachdenken an – oder zum verzweifeln.
Es hat etwas eigenartig beruhigendes, dass sich Michael Douglas Tour de Force vom griesgrämigen Finanz-Scrooge zum geläuterten Carnegie am Ende auf ein Kaffee-Date am Flughafen runterdampft. Keine einstürzenden Finanzschlote, kein Nullpunkt, keine kulturpessimistische Conclusio – nur ein Arschloch, das einmal aus zehn Metern fallen und in einem Müllcontainer landen muss, um nicht mehr ein ganz so großes Arschloch zu sein. Für wen das jetzt reichlich banal klingt, hat recht: The Game erzählt keine Systemkritik, sondern eine Art Systemkritik-Kritik. Als Farce. Dafür bedient sich Fincher den Mustern moralischer Erzählungen wie etwa Dickens Weihnachtsgeschichte.
Solche Erzählungen laufen immer auf die persönliche, moralische Läuterung ihrer Hauptfigur hinaus, niemals auf systemische Anpassungen oder gar Verwerfungen. Das Problem ist demnach nicht der Reichtum, den ein entfesselter Finanzmarkt ermöglicht, sondern immer nur der Charakter des Reichen. Weil Erzählungen nun mal über Identifikation funktionieren, entlässt uns Douglas Wandlung vom bösen Millionär zum guten Millionär darum mit einen befriedigenden Gefühl aus dem Film. Auch mich. Es hat sich schließlich etwas zum Guten gewendet, auch wenn die allgemeine Ordnung unangetastet bleibt. Emotional nachvollziehbare Veränderung ist viel besser verdaulich statt undurchschaubarer gesellschaftlicher Umwälzungen oder unaufgelöster Widersprüche. Schlussendlich bleibt hier alles an seinem Platz – wie angenehm unaufregend.
Hate the Player, not the Game
Das ist die Falle, in die uns Fincher tappen lässt: Identifikation. Wir fiebern mit diesem megareichen Investmentbänker mit und damit gleichsam mit den systemischen Bedingungen, die Leute wie ihn überhaupt erst ermöglichen. Douglas ist ideal für dieses Kunststück, verkörpert er doch all die machtbewussten, elitären Gesten seiner entschärften Gordon-Gekko-Iteration ebenso glaubhaft wie seine Wandlung zum emotional verletztlichen, traumatisierten Vatersöhnchen. Je mehr er zu verlieren droht, desto größer wird die Anspannung – und umso größer die Entspannung, wenn schließlich jeder Cent wieder auf seinem Konto landet. Gleichzeitg eröffnet dessen Reichtum Fincher die Möglichkeit, ziemlich geile Häuser, Büros und Autos auf seine geile 90er-Fincher-Art zu filmen. Das ist Verführungskino der anderen Sorte. Subversiver Kapitalismusporno für Thrillerfans.
Gerade die Nacht bekommt Fincher dabei auf eine Weise zu fassen, wie es nur wenigen Regisseuren gelingt und selbst Fincher in seiner digitalen Ära nicht wieder gelungen ist. Ich weiß nicht genau, was es ist, aber die Facetten von Schwarz in seinen Neunzigerjahre-Streifen bilden für mich die ästhetische Quintessenz amerikanischen Thrillerkinos dieser Dekade. Das unverbrauchte San Francisco als in Neon und kalten Dunst gehüllter Schauplatz tut sein übriges und liefert eindrückliche Bilder für dieses eigenartige, unwirkliche Gefühl von Paranoia, das die Geschichte evoziert. Nachhaltig beeindruckend ist nach wie vor die Taxi-Entführung in einer verlassenen Stadt, die sich plötzlich leerende Tiefgarage oder auch die direkte Ansprache des Nachrichtensprechers, der Douglas in die Regeln des titelgebenden Spiels einführt.
Es ist ein Spiel für gelangweilte oder anderweitig lebenskriselnde Superreiche, für deren Umsetzung auch mal eine ganze Nachbarschaft zusammengeschossen wird. Eine Art privilegiertes Brot-und-Spiele-Szenario, in dessen Verlauf die Kunden ihre eigene Menschlichkeit wiederentdecken können. Die Welt wird infolge zum Filmset, was Douglas Figur in einer der besten Szenen des Filmes selbst Stück für Stück herausfindet, indem er die Kulissen einer zunächst ganz normal scheinenden Apartmentwohnung auf ihre Echtheit abklopft. Und wie Fincher hier ein Detail nach dem anderen anhäuft, bis es zur Eskalation kommt, ist einfach richtig gutes Handwerkszeug; vom leeren, ausgeschalteten Kühlschrank, von der Lampe, an der noch das Etikett hängt über die Pappaufsteller in den Regalen, die die Anmutung von Buchrücken haben. Douglas bekommt die volle Truman-Experience! Und immer, wenn man glaubt, The Game würde sich einem offenbaren, schlägt dieser kleine, feine Film einen neuen Haken. Bis er eben keinen Haken mehr schlägt und nichts bleibt als die große Farce. Die Falle hat zugeschnappt: ich habe mitgefiebert.
And all I got was this stupid-fun time.
Der perfekte Film, um ihn an einem Filmabend zu präsentieren. Ich habe es zweimal erprobt. Es macht einfach wahnsinnig viel Spaß, anderen dabei zuzusehen, wie sie für gut eine Stunde darüber rätseln, ob und wie The Invitation zur Eskalation kommt, nur um dann durch gelungene Finten wieder ins Zweifeln gebracht zu werden. Und wenn es dann zur offenen Eskalation kommt, ist diese so schnell vorüber, dass es nach der Auflösung auch nicht öde wird. Regisseurin Karyn Kusama hat diesen Film wirklich jederzeit fest im Griff, streut genügend inszenatorische Brotkrumen, um eine Spur aufnehmen zu können, lässt sich aber dennoch nie ganz in die Karten schauen. Unterstützt wird dieser Schwebezustand durch einen tollen Logan Marshall-Green als vor Trauer versteinerter Vater, der das Haus seiner Exfrau nach gemeinsamen, schmerzlichen Erinnerungen durchstreift.
Wir sind mit der Hauptfigur isoliert; wiederholt blenden die Gespräche der anderen Dinner-Gäste aus und werden durch Fragmente von Erinnerung ersetzt. Das bindet uns nicht nur an die durch Trauer verzerrte Perspektive des Protagonisten, sondern erlaubt Kusama auch, das Kammerspiel immer wieder aufzubrechen und rein visuell zu erzählen. Lediglich mit dem dissonanten Gefiedel auf der Tonspur übertreibt man es hier und da und nimmt zugleich die ätzenden Trends moderner Horrorfilmmusik vorweg.
Wie bei jedem großen Lebensthema (hier: Tod und Trauer), das innerhalb der Begrenzungen eines Spielfilms verhandelt werden soll und zugleich den dramaturgischen Gesetzmäßigkeiten seines Genres unterworfen ist, kann auch bei The Invitation nur an der Oberfläche geschürft werden. Parallelen zu echten Religionen, aus deren Glaubenssätzen man teilweise ähnliche Schlüsse ziehen könnte wie Eden (Tammy Blanchard) und ihr Mann David (Michiel Huisman) (siehe: Eschatologie), werden erst gar nicht gezogen, um (möglicherweise) einem größeren Teil des Publikums nicht auf die Füße zu treten. Das ist verständlich, verhindert aber auch, dass The Invitation wirklich dahin geht, wo es wehtut.
Eine unerwartete und damit umso bitterere Enttäuschung. Gerade weil ich Asters Midsommar sehr schätze, erwartete ich vom Genre-Primus des Folklore-Grusels wirklich Großes. Aber leider hat The Wicker Man ordentlich Staub angesetzt. Das fängt bereits bei der grundlegenden Konstellation des Films an, die uns in die Perspektive eines streng religiösen Polizisten (Edward Woodward) zwingt. Dieser soll das Verschwinden eines Mädchen auf der Insel Summerisle ermitteln und ist von den heidnischen Praktiken der Inselbewohner zuerst irritiert und dann mit zunehmender Laufzeit offen entrüstet:
Lord Summerisle: "Well I’m confident your suspicions are wrong, Sergeant. We don’t commit murder here. We’re a deeply religious people."
Sergeant Howie: "Religious? With ruined churches, no ministers, no priests… and children dancing naked!"
Feldforschungsübung
Die neuheidnische Religion der Insulaner ist eine Mischung aus Hippie-Kommune (gemeinsam musizieren, freie Liebe), New Age-Kommunismus und keltischen Kulten. Alles dreht sich um Fruchtbarkeit und den endlosen Zyklus vom Werden und Vergehen. Der Einzelne zählt nur in seinem Beitrag fürs Ganze etwas, auch vor menschlichen Opfergaben schrecken die Inselbewohner darum nicht zurück. Im Gegenteil, sie empfinden es als große Ehre, für die Gemeinschaft sterben zu dürfen, um dann wiedergeboren zu werden. In Midsommar gaben mir die Gegenüberstellungen zwischen den Wertevorstellungen der Kommune und denen der Studenten noch etwas zu denken (siehe: radikale Alterspolitik) – bei The Wicker Man wird einem durch die streng religiöse Perpektive Howies hingegen sehr schnell vermittelt, um was für einen Haufen Irrer es sich bei den Bewohnern Summerisles handelt.
Auch der Film selbst bleibt dahingehend frustrierend einseitig. Das spiegelt sich auch in der drögen Inszenierung wieder, die einem manchmal das Gefühl vermittelt, eher einer abgefilmten Feldforschung beizuwohnen als einem Horrorfilm. Es ist sicherlich reizvoll, mit Erzählperspektiven zu experimentieren, die eine Identifikation erschweren. Die daraus resultierende Desorientierung und Haltlosigkeit könnte selbst ein Ursprung des Horrors sein. Hier aber resultiert aus dem völligen Fehlen eines Identifikationsangebots nur blankes Desinteresse. Was interessiert es mich, wenn eine Horde religiöser Spinner einen anderen religiösen Spinner zu Schaschlik verarbeitet?
Strohmänner
Höchstwahrscheinlich (hoffentlich!) ist die Erzählperspektive und die Opportunität der Hauptfigur von den Machern beabsichtigt, aber leider ergibt sich aus dieser kreativen Entscheidung für mich kein großer Erkenntnisgewinn. Dazu ist die Erzählung zu durchsichtig und die Form zu berechenbar, um diesen fehlenden, fokalen Ankerpunkt kompensieren zu können. Vielleicht sprach die konservative Ordnungsfigur des Polizisten, die endlich mal im muffigen Hippie-Dorf aufräumt, auch zum einem Großteil des englischen Publikums seiner Zeit. Dabei wäre es doch so viel spannender, wenn einem das Dorf zuerst als Utopie verkauft würde und einem über die Perspektive Howies als beobachtender Außenseiter auch die Vorzüge dieser Lebensweise klar würden.
Zumindest werden die Dorfbewohner nicht mit Vorstellungswelten einer ewigen Hölle und der Erbsünde malträtiert, sondern begreifen den Tod als Teil eines Kreislaufs. Das erscheint mir als Umgangsform mit der eigenen Endlichkeit gesünder zu sein als es bei vielen Spielarten des Christentums der Fall ist. Die Wicker Man-Gemeinde also zuerst als ernstzunehmendes, spirituelles Alternativangebot zu verkaufen, um ihre Ideologie dann Stück für Stück zu pervertieren, hätte mir ein deutlich interessanteres Seherlebnis verschafft. The Wicker Man ist aber leider ein Film wie ein Strohmann-Argument; ein Film, bei dem nie ein wirkliches Interesse an den Ideen der Opposition besteht, sondern nur die Dämonisierung des Anderen.
Einige Szenen haben dennoch bei mir gewirkt: der Blick der Kneipenbesucher gen Decke, während im Zimmer darüber gebumst wird, und dazu die Musik (Simon & Garfunkel auf sublim rallig, aber creepy rallig); oder das Bild der großen Wicker Man-Statue an den Felsklippen bei Sonnenuntergang. Hier sehe ich den ikonografischen Gehalt des Filmes, der sich mir bis zu diesen finalen Szenen aber nur selten erschlossen hat. Schade, aber vielleicht kann mich ja Nic Cage noch mit dem Wicker Man versöhnen …
Beim Titel vermutete ich reinste Mittelalter-Exploitation – doch Flesh + Blood ist keine reine Exploitation. Stattdessen zeigt Verhoeven das Mittelalter lediglich in seiner ganzen, ausbeuterischen, asozialen Niederträchtigkeit. Wir folgen dabei einer Gruppe Söldner (derangierte Drecksschweine, darunter Prostituierte und ein mordender Prediger), die sich nach der erfolgreichen Rückeroberung einer italienischen Stadt von ihrem Auftraggeber, dem Feudalherren Arnolfini (Fernando Hilbeck), um ihr Raubgut betrogen sehen und ihn daraufhin in einem Hinterhalt überfallen. Dabei entführen sie (aus Versehen) die adelige Jungfrau Agnes (Jennifer Jason Leigh), die mit Arnolfinis Sohn Steven (Tom Burlinson) vermählt werden soll. Was nach Robin Hood klingt, hat höchstens auf der Beschreibungsebene etwas damit zu tun. Denn unsere Gruppe Drecksschweine hat rein gar nichts von der moralischen Strahlkraft des edlen, englischen Räubers. Während Hood die Entrechteten rächt und ihnen zurückgibt, was ihnen genommen wurde, sind es bei Verhoeven die Entrechteten selbst, die das Recht in die eigene Hand nehmen.
Jeder gegen jeden
Flesh + Blood blickt auf das Mittelalter nicht durch die rosarote Brille von Mythen, Legenden und moralischen Märchen, sondern eröffnet eine dezidiert klassenkritische Perspektive auf das Mittelalter und seine Machtverhältnisse. Hier rächen sich diejenigen, die in den Feldzügen der Mächtigen ihr Leben riskieren und nichts dafür zurück bekommen. Und sie tun es auf die widerwärtigste Art, indem sie sich rücksichtslos durch diese staubige, karge Welt morden, brandschatzen und vergewaltigen. Apropros: vergewaltigen. Wir müssen über die Vergewaltigungsszene sprechen, die eindrucksvoll zeigt, wie furchtlos sich dieser Film über alle Grenzen des guten Geschmacks hinwegsetzt, ohne sich im Selbstzweck zu verraten. Nur wenige Regisseure haben die Eier, eine solche Szene abstoßender, sexueller Gewalt in einer Geste der Ermächtigung münden zu lassen und nur wenige Schauspielerinnen (Leigh) haben die Eier, sich ihr auszusetzen (Leigh beschwerte sich später über die Zensur der Szene).
Es ist eine Schlüsselszene, die klar macht: Agnes tut alles, um zu überleben. Und: sie ist nicht schwach. In der Folge arrangiert sie sich mit dem Umständen und ihrer Rolle in der Gruppe, indem sie die Begehren des Anführers Martin (auch ein Drecksschwein: Rutger Hauer) gezielt ausnutzt. Denn darauf läuft alles in diesem Film hinaus: Systeme von Ausbeutung. Jeder gegen jeden. So wie die Gruppe marodierender Drecksschweine von Arnolfini verarscht wurde, verarschen sie andere und sich gegenseitig, und ihr loser, solidarischer Verbund löst sich auf, sobald der Einzelne eine Chance sieht, sich zu bevorteilen. Verhoevens Mittelalter ist eine Art Mad-Max-Feudal-Kapitalismus, in dem die feinen Gesten der Oberklasse (Messer und Gabel, eine Verbeugung, ein Handkuss), nur genau das sind: opportune Gesten, die die überbordende Gewalt ihrer Herrschaft zu verschleiern suchen; vorgetäuschte Zivilisiertheit, wo nur Eigennutz und Triebbefriedigung an erster Stelle steht.
Schwaches Licht
Trotz dieser düsteren Zeitbeschreibung installiert Verhoeven neben all diesen Arschkrampen einen neugierigen, jungen Helden in der Geschichte. Steven ist dabei nicht der klassische, Schwert-schwingende Held der Hollywood’schen Mittelalter-Fiktion, sondern ein Erfinder und Wissenschaftler. Er ist quasi ein Vorzeichen der Aufklärung, anknüpfend an Vorbilder wie Leonardo Da Vinci. Und auf eine eben solche Weise begegnet er auch den Herausforderungen, die sich ihm stellen: mit Erfindungsgeist und Werkzeugen, nicht mit roher Waffengewalt. Er reiht sich dabei nahtlos in ein Figurenensemble ein, in dem jeder nachvollziehbar und seinem Wesen nach handelt. Im Feudalkapitalismus des Mittelalters kämpft jeder für sich und jeder auf seine Weise, sei durch sexuelle Gefälligkeiten (Fleisch – Agnes), rohe Gewalt (Blut – Martin) oder Erfindungsgeist (Steven). Steven ist die idealisierte Figur, die aus diesem düsteren Kapitel der Geschichte irgendwie herauszuweisen scheint und kleine Schritte des Fortschritts markiert (Pestbeulen aufschneiden, keinen Aderlass mehr!). Und Verhoeven, bei allem niederschmetternden Zynismus, glaubt an diesen Fortschritt.
Die Idee
Gehört zu jener Sorte Seherlebnis, bei dem ich mich nach der grandiosen Schlusseinstellung zu einer Jubelarie hinreißen lassen möchte, die der Film, so im Ganzen, nicht wirklich verdient hat. Die Prämisse ist natürlich brillant, jene Sorte Idee, die mich auch lange nach der Sichtung noch auf geistige Reisen schickt, mich aber auch emotional über die nächsten Tage sicherlich noch begleiten wird. Zuletzt hatte ich ein derartiges Hochgefühl über eine Filmidee bei Arrival oder dem kleinen feinen Coherence. Eine geisterhafte Präsenz nicht nur in einer Art geografischen Zwischenraum zu verorten, sondern auch zeitlich zu versetzen, das ist wirklich spannend! Vielfilmer Soderbergh und Drehbuch-Veteran Koepp (Liebe für Panic Room, always) werfen mit Presence nicht nur ein völliges neues Licht auf die titelgebende Präsenz, sondern auch Geistererscheinungen im Film generell.
Es gibt eine Reihe von Geisterfilmen, die dem Geist, also dem Anderen und Unbekannten, mit großer empathischer Neugierde begegnen, etwa Jennifer Kents Beitrag The Murmuring aus der Anthologie-Serie Cabinet of Curiosities oder Personal Shopper von Olivier Assayas. In diesen Beispielen bleiben wir jedoch immer Beobachter und Ermittler geisterhafter Erscheinungen. In Presence wird die Kamera und damit der Zuschauer selbst zum Gespenst. Diese perspektivische Vergemeinschaftung mit dem Anderen (wir sehen, was der Geist sieht), eröffnet völlig neue emotionale Anknüpfungspunkte. Die Enthüllung, dass es sich bei der Präsenz gewissermaßen um einen Geist aus der Zukunft gehandelt hat, der erst am Ende des Filmes zum Zeitstrahl des Filmes aufschließt, entlässt den Zuschauer dann auch mit einem echten, emotionalen Tiefschlag aus dem Film, insbesondere in Kombination mit dem verstörenden Schlussschrei von Lucy Liu, der Laura Palmers Abschiedsschrei aus Twin Peaks – The Return Konkurrenz macht.
Die Umsetzung
Aber, und damit komme ich zur anderen Seite der Medaille, Presence ist auch ein Film der verschenkten Möglichkeiten. Die Figuren sind oft holzschnittartig, gerade der Bruder (Eddy Maday), ein erfolgreicher Highschool-Schwimmer, und die dauerbeschäftigte, mit dem Telefon verwachsende Mutter (Lucy Liu) scheinen vor allem dem Zweck zu dienen, unverdiente familiäre Konfliktsituationen heraufzubeschwören (der Streit am Essenstisch) und einen skeptizistischen Gegenpol zur Spiritualität von Vater (Chris Sullivan) und Tochter (Callina Liang) zu bilden. Viel tiefer fallen auch diese nicht aus, aber gerade der Vater ist einfach ein lieber Bär, der einige schöne Worte zu den Grenzen von Wissen und Wahrnehmung verliert.
Auch übertrug sich über die Bewegungen der Kamera für mich nie so wirklich das glaubhafte Gefühl, einem Geist zu folgen. Denn diese Kamera (Soderbergh) kadriert Einstellungen, fährt dramatische Schwenks und „läuft“ sogar recht normal die Treppe rauf und runter. Irgendwie hätte ich mir in den Kamerabewegungen mehr Idiosynkrasie gewünscht, vielleicht auch mehr Irritation und Befremdung, die mich an ihren übernatürlichen Urheber glauben lässt. Neben der Kameraarbeit sticht auch die (zum Glück sparsame) Einbindung eines sehr klassischen, orchestralen Scores auf, der die konzeptionellen und formellen Innovationen allzu konventionell begleitet.
Unterm Strich wäre hier viel mehr drin gewesen. Gerade die recht knackige Laufzeit und Szenenlänge sowie das schnelle Abblenden am Ende von Szenen hat mir Zeit geraubt, die ich gerne noch mit der Präsenz und der Familie verbracht hätte; notwendige Zeit, um sich wirklich mit den Figuren zu verbinden. So bleibt immer eine Distanz. Darum mein Verbesserungsvorschlag: mehr Verweildauer mit der Präsenz und der Familie, in diesem Haus und seiner Geschichte. Vielleicht ein Schuss aus Ozgood Perkins I Am the Pretty Thing That Lives in the House und dessen gespenstischer Lethargie, formaler Befremdung und vermittelten Zeitgefühls. Das ist alles, worum ich bitte, Herr Soderbergh: mehr Zeit zu verweilen.
Die erste Hälfte ist noch super: eigenwilliger Schnitt, prägnante Einstellungen, in der Art wie viele moderne Horrorfilme eben (über-)inszeniert sind. Das Sound-Design ist so spezifisch und hochgefahren, dass es fast aufdringlich erscheint, ähnlich verhält es sich mit den andauernden Tiefenunschärfen, die einem jederzeit klar machen, wohin man als Zuschauer zu gucken hat (aber lange nicht so schlimm wie im jüngsten Zero Day). Trotz dieser, für meinen Geschmack, überstrapazierten Stilmittel, weiß Kravitz offenbar sehr genau, welchen Ton sie treffen und was für eine Art Film sie erzählen will. Nur ist das mit zunehmender Laufzeit nicht mehr sonderlich interessant. Nach dieser ersten Hälfte, die nur aufbauen und andeuten muss, aber nichts erklären, kommt nämlich die zweite Hälfte. Und die erklärt. Alles. Restlos. Hier kommen dann unironische Hero Shots unserer Heldinnen als leere Solidarisierungsgesten und die Dreckskerle endlich ordentlich auf die Fresse.
Achja, und es geht auch irgendwie um Trauma und ob man sich ihnen stellen sollte oder sie für immer verdrängen (die Umgangsweise, die der böse Tatum propagiert). Der böse Tatum macht aber Spaß, spielt all die Gesten und Codes des hippen Tech-Playboys, der sich nach einem nicht näher erläuterten Skandal gesellschaftlich rehabilitieren will, auf den Punkt. Ihm gegenüber steht Naomie Ackie, die als Fixpunkt des Zuschauers die schleichende Paranoia und Desorientierung glaubwürdig zum Ausdruck bringt. Leider stehen all die tollen Performances dieses All-Star-Casts (Slater, Rex, MacLachlan, Davis!) im Dienste eines ziemlich leeren Filmes, der einem in seiner kruden Schlusseinstellung auch noch glauben machen will, unsere Protagonistin hätte das patriarchale System unbemerkt unterwandert und die Kontrolle übernommen. Am Ende bleibt Blink Twice visuell zu derivativ (siehe der bessere Get Out) und seine Botschaft so öde wie altbacken: Männer sind Schweine. Das haben andere auch schon prägnanter formuliert.
Vier Episoden, vier One-Shots, die den Ursprüngen männlicher Gewalt nachzuspüren versuchen. Vier Versuche einer Erklärung dessen, was nicht restlos geklärt werden kann. Vier Räume der Gesellschaft, in denen Bruchstücke einer Antwort verborgen liegen. Die Engländer machen vor, welch immenses Potenzial im ausgelutschten und tot-gesendeten Krimiformat liegt, wenn man bereit ist, die richtigen Fragen zu stellen. Neben den richtigen Fragen findet Adolescence auch zu einer reizvollen ästhetischen Form; eine Form, deren Vorzüge (Unmittelbarkeit) seine Unzulänglichkeiten (Längen) klar überbietet. Hätte man dieselbe Geschichte auch mit Schnitten erzählen können? Sicherlich, so wie man Burger auch ohne Patty essen kann. Aber es hätte etwas gefehlt.
Zum Beispiel das Kopfkino, das sich von den verwirrten und verängstigen Eltern direkt auf den Zuschauer überträgt. Die penible Darstellung polizeilicher Prozedere intensiviert diese Anspannung zusätzlich. Episode 1 ist ein Warteraum für Eltern und Zuschauer gleichermaßen. Was ist hier eigentlich los? Was wird dem Jungen vorgeworfen? Hat er es getan? Die beachtlichen Darstellerleistungen, allen voran von Serienschöpfer Stephen Graham und Nachwuchstalent Owen Cooper als Vater-Sohn-Gespann, tragen diese erste Episode maßgeblich auf ihren Schultern und vermitteln glaubwürdig den emotionalen Ausnahmezustand ihrer Figuren. Dem gegenüber steht die routinierte Professionalität der Polizeibeamten, die stoisch dem Protokollarien folgen. Daraus ergibt sich ein reizvoller Kontrast zwischen der formalen Rigidität der Machart und der emotionalen Fallhöhe der Geschichte, die sich mit dem finalen Verhör in all ihrer niederschmetternden Eindeutigkeit entlädt.
Die restlichen Episoden führen diese Linie weiter. So wie der Polizei bleiben auch uns nur Spuren der Gewalt, die sich in einer unheilvollen Nacht entladen hat, unzureichende Rückbetrachtungen im Lichte eines Danach. Keine Rückblenden erlösen uns aus der Ungewissheit, indem sie uns personifizierte Niedertracht präsentieren oder entschuldbare Umstände; einen prügelnden Vater etwa oder eine abwesende Mutter. Stattdessen gibt es Erklärungsversuche, Beweisstücke, Zeugenaussagen, die sich zu einem unvollständigen Bild zusammensetzen, aber immerhin einem Bild. Das klarste Bild erhält man noch in Episode 3, wenn Jamie (Cooper) einer Psychologin gegenübersitzt (Erin Doherty) und uns das Gespräch, das bei lockerem Small Talk beginnt, bis in die dunkelsten Ecken einer verstörten Psyche entführt. Aber auch hier gibt es keine Küchenpsychologie, keine Schnellschlüsse, sondern nur ein aufrichtiges Erkenntnisinteresse, eine Bereitschaft zur Auseinandersetzung mit einem individuellen Fall, der auch immer wieder seine gesellschaftlichen Dimensionen andeutet.
Dimensionen, der die letzte Episode in der Familie nachspürt und in den Untiefen der Schuld von Eltern, die sich fragen, wie sie so jemanden gezeugt haben können und die sich dann an ihre liebe, unterstützende Tochter erinnern, die sie auch gezeugt haben; die die Dissonanzen dieses Befundes nicht auflösen können und die selber nie zu einem ganzen Bild finden, das erklären könnte, warum passiert ist, was passiert ist. Es gibt nur lose Eindrücke und Erinnerungen … ein Junge, der bis tief in die Nacht am PC sitzt, ein Instagram-Kanal mit Bildern von Models, Bilder von Männlichkeit, Kommentare als kodiertes Mobbing … und eine heiße Wut, die jeden Augenblick die Oberfläche sprengen könnte. Unsicherheiten des Erwachsenwerdens, die sich pathologisch verdichtet haben; zu Projektionen führten. Minderwertigkeitsgefühle, die sich veräußerlicht haben, entladen in einem Akt der Gewalt.
Aber: dieser Akt war weder Zufall noch Unfall. Es gibt Muster von Verhalten. Bedingungen von Gewalt, Faktoren ihrer Beeinflussung. Schulen mit überforderten Lehrern, fehlende Empathie, fehlendes Problembewusstsein, zu viel weggeschaut, alleingelassen mit den Dopamin-Maschinen des Netzes, mit Männlichkeitsbildern, die von Dominanz und Unterwerfung schwafeln, von Simps und Alphas, von roten Pillen und der Wahrheit. Auch meine Worte sind nur Fragment, Bruchstücke einer Erklärung. Doch Adolescence hat einen wichtigen, ersten Schritt gemacht, indem die Macher die richtigen Fragen stellen.
"(...) Diese interessante Wechselbeziehung zwischen Gewalt, Humor und Identifikation funktioniert in erster Linie aufgrund der engagierten Darbietung von Jack Quaid. Dieser mimt einen Helden wider Willen, der scheitern darf, aber niemals aufgibt. Es ist erfrischend, zu sehen, wie viele seiner Pläne fehlschlagen und wie viele seiner Bluffs von seinen Gegenspielern durchschaut werden. Das macht nicht nur die Hauptfigur sympathisch, sondern ist auch ein Weg des Films, Konventionen des Actionkinos zu umschiffen. So fühlt das Publikum dann doch irgendwie mit Nathan mit, auch wenn er keine Schmerzen empfindet."
Nach dem plötzlichen Unfalltod seiner Frau Elizabeth (Joely Richardson) ist Bob (David Duchovny) zurück ins Single-Leben geworfen. Ein Jahr nach dem Schicksalsschlag lernt er die Kellnerin Grace (Minnie Driver) kennen – was er nicht weiß: sie hat damals das Herz seiner verstorbenen Ehefrau transplantiert bekommen. So als erinnere sich das Herz (und damit ist laut Film unmissverständlich das Organ gemeint!) nun an die vergangene Beziehung, zieht es Robert und Grace von da an schicksalshaft zueinander – Graces Herz macht sogar einen „Sprung“ als sie Bob das erste Mal sieht. Der weitere Handlungsverlauf ist von da an klar: Sie kommen zusammen. Alle sind glücklich. Ende. Aber, und dieses aber ist alles, weil Filme eben nicht nur aus der Wikipedia-Zusammenfassung des Plots bestehen, wie Return to Me seine simple Geschichte mit jeder Menge sympathischer Nebenfiguren ausstaffiert, ist eine einzige, sommerlich-leichte Freude.
Von den alten Witwern (u.a. Robert Loggia), die im Restaurant von Graces Onkel jeden Abend in Endlosdiskussionen versinken, über Schwester Megan (Bonnie Hunt) und ihren Ehemann Joe (Jim Belushi), deren Beziehung ganz beiläufig gleichermaßen realistisch wie liebevoll angedeutet wird, bis zu kleinen Nebenfiguren wie dem unausstehlichen Blind Date Marsha (Holly Wortell), bei deren Lachanfällen man Angst haben muss, Bob könne jeden Moment diesem hysterisch aufgerissenen Schlund verschwinden – ausnahmslos jeder Beteiligte scheint hier Spaß an seiner Arbeit gehabt zu haben. Ich fühlte mich ein wenig an die schlendernden Urlaubsfilme eines Woody Allen erinnert (ohne dessen neurotische Verbalarien) oder gleichsam vergessene RomCom-Perlen wie The Object of My Affection. Zudem scheint Regisseurin Hunt ganz bewusst Improvisation bzw. die dafür notwendigen Freiräume einzusetzen, um aus ihren Schauspielern eine gleichermaßen naturalistische wie unverkrampfte Performance herauszukitzeln.
Das Resultat ist ein Film, der sich – bei aller konventioneller Einfachheit – schlicht lebendig anfühlt; in der Art, wie die Schauspieler miteinander agieren (bis zu den kleinsten Kinderdarstellern); wie sie miteinander lachen; wie sie sich im Raum zueinander positionieren; wie sie sich bewegen. Ich vermisse Filme dieser Art, deren bewusstes Verschreiben an Genre-Regeln eben keine Begrenzung darstellt, sondern die Möglichkeit eröffnet, sich in der Ausgestaltung der Details auszutoben; mit einer Leichtigkeit, die für den anbrechenden Frühling geradezu prädestiniert ist.
Es ist eine Kunst, in einem Film über eine Musikrichtung, die ich höchstens peripher wahrnehme (vornehmlich durch andere Kunst), dennoch etwas tief in mir zum schwingen zu bringen. Weil es hier um mehr geht als Maria Callas, die krankhaft süchtige, krankhaft selbstbezogene, übermenschlich begabte Künstlerin. Es geht um Kunst als Lebenssinn und die Dunkelheit, die einzieht, wenn dieser Sinn nicht mehr gestiftet werden kann. Fast wäre ich auf die vielen kritischen Stimmen hereingefallen, die Larraín in den vergangenen Jahren einen redundanten Regiestil attestieren wollten und ihn zu einem kunstgewerblichen Handwerker degradieren; das leibgewordene IKEA für die Kinoleinwand; Tumblr für weinschlürfende Programmkinogänger. Mitnichten! Der Gegenbeweis: Maria.
Immer wieder überrascht Larraíns Regie – kippt in die Vorstellungswelten Marias, parallelisiert und kontrastiert, um thematische Schwerpunkte herauszuarbeiten. Das fängt schon damit an, dass Maria ihrem Hausmädchen Bruna (Alba Rohrwacher) A cappella in der Küche vorsingt und dies mit ihren großen Auftritten mit Orchester, Bühnenbild und Beleuchtung gegengeschnitten wird. Auf der einen Seite eine ungeschminkte Frau im Morgenmantel, auf der anderen Seite eine quasireligiöse Musikerfahrung (unbedingt im Kino sehen!). Das Profane und das Sublime, hier fällt es fast zusammen. Und was lässt sich nun daraus machen? Ist es besser auszubrennen als zu verblassen, wie es Neil Young einst textete und Cobain in seinem Abschiedsbrief zitierte? Denn Maria verblasst in diesem Film, mit jedem Rückblick, jedem wehmütigen Gedanken an die Vergangenheit und die Glorie dieser Zeit. Ihre Stimme verblasst, da ist einfach keine Kraft mehr, die Tablettensucht zehrt sie zusehends auf. Für den Rat ihrer Schwester, die Tür zur Vergangenheit endlich zu schließen, hat sie nichts mehr übrig. Vielleicht weiß sie, dass sie bald gehen wird.
Angelina Jolie spielt diese arrogante, geistreiche Diva auf den Punkt. Sie kann gleichzeitig stolz wie eine Diva und traurig wie ein Mädchen dreinschauen. Sie lässt die Macht einer Stimme erahnen, die die Zeit überdauert hat und weiter überdauern wird, und macht zugleich die darin enthaltenden Brüche hörbar. Gleichzeitigkeiten und Widersprüche, hell und dunkel, Heiliges und Profanes. Auch in Marias Behandlung ihres Personals drückt sich ihre ganze Ambivalenz aus; ihren Rücken-geschädigten Butler Ferruccio (Pierfrancesco Favino) lässt sie beispielsweise ohne triftigen Grund andauernd das Klavier verschieben, vielleicht aus verwirrtem Aktionismus, aber eher aus Grausamkeit. Später bedankt sie sich dann tränenreich bei Bruna und Ferruccio für ihre Anwesenheit. Es fällt schwer, diese Person zu mögen und der Film unternimmt gar nicht erst den Versuch, sie in einem guten Licht dastehen zu lassen. Sie bleibt schattenbefleckt. Eine Jahrhundertstimme, die in einer letzten Arie erschöpft erstickt. Eine einsame Frau, die nur noch von jenen umgeben ist, die sie dafür entlohnt.
Während Maria zusehends in den Wahnsinn abgleitet und sich ein letztes, großes Interview imaginiert, in dem sie hadernd auf ihre Vergangenheit blickt, sehen wir sie immer wieder durch die Augen von Bruna und Ferruccio, die Sympathieangebote in einem Film voller Egomanen und Egoisten. Klassenfragen spielen in ihrem Verhältnis zu Maria eine Rolle, werden aber nicht gegen ihre Lebenskrise ausgespielt. Arschloch und Genie, in diesem Film ist für beides Platz. Ihr Geliebter, das Scheusal Aristoteles Onassis (Haluk Bilginer) passt zu ihr; auf dem Geburtstag von JFK lästert sie über Marilyn Monroes Stimme, und er schießt zurück: „Niemand interessiert sich für ihre Stimme, so wie sich niemand für deinen Körper interessiert.“ Hier schließt sich der Kreis zu Jackie und damit zum ersten Teil dieser Trilogie über Frauen der modernen Weltgeschichte. Dort erzählte Larraín von einem Neubeginn nach einer Tragödie, nun sind wir am Ende angekommen. Maria Callas – The Last Days. Und über allem, allen Fehlern und Krisen, allen Verfehlungen und Grausamkeiten, schwebt immer wieder ihre Stimme. Etwas Singuläres, das uns innehalten lässt, das mehr ist als die Summe ihrer Teile. Auch das Kino ist heilig – aber es braucht keine Heiligen.
Seit Trumps erster Präsidentschaft bleibt auch das Kino nicht von seinen Wiedergängern verschont. Sei es der von Pedro Pascal verkörperte, größenwahnsinnige Geschäftsmann Max Lord aus Wonder Woman 1984 oder die dümmliche US-Präsidentin aus Don’t Look Up (Meryl Streep) – das liberale US-Kino ist voll von direkten (SNL) und indirekten Karikaturen und Parodien des Trump’schen Archetyps, ohne zur Analyse seines Phänomens je etwas Kluges beisteuern zu können. Stattdessen dürfen sich jene, die ihn verkörpern, einmal im vollen Bewusstsein ihrer moralischen Überlegenheit ins hemmungslose Over Acting stürzen. „Bissige Satire“ nennen das dann einige. Aber eigentlich ist das nur … zahnlos, ein sich vergewissern darüber, auf der richtigen Seite zu stehen, ein falsch verstandener Akt künstlerischen Widerstands. Und ohnehin stellt sich die Frage, wie sich noch eine Realität karikieren lässt, die sich bereits selbst aus jeder Realität geschossen hat.
Nun ist also Mark Ruffalo an der Reihe: er spielt den gescheiterten Politiker, Geschäftsmann und Missionskommandanten Kenneth Marshall. Irgendwo zwischen Fernsehprediger, Tech-Phantasten, Napoleon, Trump und Hitler angelegt, führt dieser eine Kolonisierungsmission in die Weiten des Alls an, die schließlich auf dem Schneeplaneten Nilfheim ihr Ziel findet. Hier soll nach dem Willen Marshalls die erste Amtshandlung darin bestehen, alle Insekten-ähnlichen Bewohner des Planeten restlos auszulöschen (Starship Troopers-Parallelen inklusive). Um das zu erreichen, will er sie vergasen und den Planeten anschließend mit reinen, weißen Menschen besiedeln … – Spätestens zu diesem Zeitpunkt dürfte jedem Zuschauer klar sein, wessen Geistes Kind dieser Marshall ist. An seiner Seite grimassiert sich übrigens eine Bräunungscreme-gebräunte Toni Collette um den Verstand und bereitet Soßen aus Alien-Schwänzen zu. Eine Art Horror-Best-Of aus Faschismus- und Kolonialgeschichte und amerikanischer Mediendiktatur.
Gegen die Pläne von Marshall formiert sich ein Widerstand um Mickey 17 und 18 (zwei Kopien eines Menschen, der als permanentes Versuchskaninchen, sogenannter Expendable, Verwendung findet und von Robert Pattinson gespielt wird) und dessen Freundin Nasha (Naomi Ackie), einer Sicherheitsagentin der Kolonie. Sie hält dem Con Man Marshall im Finale des Filmes einen wütenden Vortrag darüber, dass sie – die Menschen – doch die wirklichen Aliens auf Nilfheim seien und die Creeper, wie Marhsall die Insekten-ähnlichen Planetenbewohner selbstzufrieden betitelt, die eigentlichen Ureinwohner des Planeten. – Wow! Wenn das die Satire ist, von der alle reden, dann will ich nie wieder eine Satire sehen. Was will dieser Film sein? Eine Parabel auf die Kolonialgeschichte, den Wettlauf um Afrika oder die brutale Besiedlung der Amerikas durch die Europäer? Indem man genau das nacherzählt, nur um dann am entscheidenden Punkt einschreiten und die Verbrechen verhindern zu können? Das ist keine Satire oder kluge Parabel, das ist liberales Wish Fulfilment ohne einen einzigen fruchtbaren Gedanken.
Bong Joon-hos satirischer Ansatz hat schon in seinen anderen Amerika-Arbeiten Snowpiercer und Ojka nur selten funktioniert. Dort chargieren Jake Gyllenhaal und Tilda Swinton unter Pornobalken und Zahnprothese um die Wette. Die südkoreanische Sensibilität für Slapstick, körperliche Comedy und die Gleichzeitigkeit von Tragik und Komik übersetzt sich nur teilweise in dessen englischsprachige Arbeiten. Es wird immer noch aus jedem Frame ersichtlich, dass Bong ein sehr talentierter Filmemacher ist, und auch Mickey 17 ist weit entfernt von einem schlechten Film. Alle Darsteller haben sichtlich Spielfreude, die Prämisse um einen stetig neu gedruckten Robert Pattinson als ausgebeuteter Proletarier der Zukunft ist genial und Bong hat Comedy-Timing einfach raus.
Ein spaßiger SiFi-Nonsens ist das alles, toll designt und gespielt, aber leider auch ein sehr zahnloses Vergnügen. Kino für Gleichgesinnte, Hollywoods Selbstvergewisserung, am Ende aber wirkungs- und ziellos in der Beschreibung von in die Zukunft projizierter Gegenwart. Ganz am Ende, als es um die Schaffung einer Kolonie ohne den giftigen Einfluss Marshalls geht, also um die Utopien und Gegenentwürfe zu seinem rücksichtslosen Expansionsprojekt, da beginnt der eigentlich interessante Teil dieses Filmes. Doch Mickey 17 gefällt sich viel zu sehr in der Überzeichnung des Status Quo, um je etwas an ihm verändern zu können.
Ließe man die gesamte Rahmenhandlung um die Shadow-Organisation raus, hätte man mit The Shadow Strays einen knackigen Actioner ohne überschüssiges Fett. Lasst den Film einfach mit einem Jungen und seiner drogensüchtigen Mutter beginnen, sich ihre Tragödie fatalistisch entfalten, um dann die mysteriöse Nachbarin auf den Plan treten zu lassen, die sich über den weiteren Verlauf des Filmes als Profikillerin entlarvt und fortan die Unterwelt-Hierarchie hinaufschnetzelt. Obwohl ich ein großer Fan davon bin, wenn nicht mit Worten, sondern mit Fäusten gesprochen wird (im Film!), hier habe ich während der ausufernden Gewaltorgien schon das ein oder andere Mal auf die Laufzeit geschielt. Leider. Sowohl die Rahmenhandlung um die Profikiller-Gilde als auch die – mal wieder – superdramatische Hintergrundgeschichte der Protagonistin haben mich vor allem ermüdet; vor allem beraubt sich der Film immer wieder seines kinetischen Momentums, wenn er auf die Bremse tritt, um Worldbuilding zu betreiben und Fortsetzungen vorzubereiten. Was hätte das für ein Brett werden können, wenn sich der Film auf eine Nacht und einen gnadenlosen Sturm der Fäuste verdichtet hätte?
Auch wenn Dream Scenario seine angefangenen Ideen und aufgenommenen Fährten nicht konsequent zu Ende führt, hat mich die Fülle an Einfällen doch überzeugt – neben einem perfekten Nicolas Cage, der hier eine so bemerkenswert unbemerkenswerte Figur spielt, dass sie seiner langen Karriere tatsächlich noch etwas Neues hinzufügt. Es geht um Traum vs. Wirklichkeit und Träume, die in die Realität übersetzt werden (sollen) – sei es als sexuelle Fantasie, die an einer vorzeitigen Ejakulation und nervöser Flatulenz scheitert oder als selbsterfüllende Prophezeiung, die die Alpträume rund um Protagonist Paul (Cage) in realer Gewalt münden lässt. Es geht um die Selbstvermarktung eines Durchschnittsakademikers, der plötzlich berühmt wird und von einer hippen, seelenaufressend freundlich-desinteressierten Werbeagentur als Traum-Testimonial profitabel gemacht werden soll. Es geht natürlich auch um die Lebensträume, die immer aufgeschoben und deshalb unverwirklicht bleiben, so wie ein Buch über Ameisen, das Paul immer schreiben will, aber nie schreiben wird, weil die Vorstellung von diesem Buch und dem damit einhergehenden Ruhm schon viel zu einschüchternd detailliert imaginiert worden ist. Dream Scenario endet bei aller Absurdität und allen Seitentritten gegen Vermarktungslogiken und Cancel Culture überraschenderweise auf einer zwischenmenschlichen, geradezu romantischen Note. Das ist nicht wirklich radikal, eher der cheap way out, vollzieht aber so gekonnt den Rückgriff auf vorangegangene Szenen, dass ich ehrlich ein bisschen berührt war.
Ziemlich origineller Film über ein junges Model slash Hackerin slash Krypto-Pokerspielerin (Juliette Gariépy), die vom Mordfall an drei jungen Mädchen und ihren vermeintlichen Mörder besessen ist, der seine Taten im Dark Web live gestreamt hat. Große Gewinnerin ist definitiv Gariépy, die sich mit ihrer unterkühlten Performance für künftige Lisbeth Salander-Iterationen empfiehlt. Red Rooms spielt sich die meiste Laufzeit in einem ziemlich unbequemen Zwischenraum ab, da nie klar ist, ob Hauptfigur Kelly-Anne nun obsessiver Fan des Killers oder vielleicht doch Schwester/Freundin eines der Opfer ist. Hieraus zieht der Film einiges an Spannung, die sich am Ende leider allzu buchstäblich auflöst. Trotzdem bleibt Pantes Herangehensweise an das Thema Voyeurismus ambivalenter und nachdenklicher stimmend als viele vergleichbare Filme, da er den Blick fest auf die Voyeuristen richtet und eben nicht auf Täter und Taten, die immer nur über die Perspektive des Betrachters, über die Bande, geschildert werden. Der Blick, der auf Kelly-Anne und ihr Zwei-Monitor-Set-Up in einem aseptischen, teuren Apartmentkomplex fällt, auf ihre Obsession, ihre manische Neugierde, fällt auch geradewegs auf den Zuschauer, der sich in der Spiegelung der Bildschirmoberfläche unfreiwillig (wieder)erkennen muss – wenn er bereit ist, hinzusehen.