Max_200a - Kommentare

Alle Kommentare von Max_200a

  • Max_200a 28.07.2025, 21:36 Geändert 28.07.2025, 21:38

    I Saw the TV Glow

    Ein Film wie eine flackernde Erinnerung, eingefärbt in Magenta, Blau und dem Schmerz des Verborgenen. I Saw the TV Glow ist kein klassisches Coming-of-Age, keine konventionelle Genre-Erzählung und auch keine simple Allegorie. Und auch kein Horrorfilm! Es ist ein transzendenter Erfahrungsraum, geboren aus tiefer innerer Notwendigkeit und getränkt in queerer Verunsicherung. Regisseur*in Jane Schoenbrun, selbst nicht-binär und trans, legt mit diesem zweiten Langfilm ein zutiefst persönliches Werk vor eines, das nicht darauf abzielt, jedem Menschen zu gefallen, sondern bestimmten Menschen etwas Unerhörtes zu geben: Sichtbarkeit.

    Ich habe den Film gesehen, weil ich verstehen wollte. Verstehen, was er für trans Menschen bedeuten kann, für Menschen, die sich außerhalb der normativen Geschlechterordnung wiederfinden und dabei nicht nur kämpfen, sondern überleben müssen. Ich bin nicht selbst betroffen. Ich bin nicht die Zielgruppe. Und das ist wichtig. Denn manchmal besteht wahre Empathie darin, einfach nur zuzuhören. Und anzuerkennen, dass man nicht der Mittelpunkt ist.

    Inhaltlich bewegt sich der Film zwischen verwaschener Nostalgie der 90er-Jahre und einer fast apokalyptisch stillen, emotional verwüsteten Gegenwart. Owen (gespielt von Justice Smith), ein introvertierter Teenager, lebt in einer Vorstadtwelt ohne Sprache für das, was in ihm tobt. Erst durch die Begegnung mit Maddy (beeindruckend körperlich und seelisch gespielt von Brigette Lundy-Paine) öffnet sich ein Spalt in der Wand. Gemeinsam tauchen sie in eine fiktive TV-Serie namens The Pink Opaque ab, ein queer-kodiertes Buffy-Derivat, das mehr ist als bloßer Eskapismus: Es ist ein geheimes Portal zu Identität, zu Sehnsucht, zu Wahrheit. Die Serie innerhalb des Films wird zum Spiegel, zur Matrix aber auch zur Falle.

    Schoenbruns Inszenierung lebt nicht von Dialogen oder Plot, sondern von Stimmung, Oberflächen, gestauter Energie. Die Kamera von Eric K. Yue umarmt das Digitale, die Neon-Ästhetik, den Rausch der Farben wie ein altes VHS-Tape, das langsam schmilzt. Die Bilder sind immer auch Schleier. Verzerrung. Abwehr. Oder: der Versuch, in Schönheit eine Hölle zu zeigen. Es ist eine Ästhetik, die bewusst an die 90er erinnert, aber nie in Nostalgie kippt. Die TV-Schnipsel, die popkulturellen Referenzen, die Klänge von Alex G. alles wirkt wie durch eine trübe Milchglasscheibe betrachtet: faszinierend, aber beunruhigend. Als würde man sich an eine Kindheit erinnern, die nie ganz die eigene war.

    Und genau darum geht es: um die Diskrepanz zwischen gelebter und ersehnter Identität. I Saw the TV Glow ist ein trans Film, nicht nur weil er von einer trans Regisseur*in stammt, sondern weil er in seinem Kern um Transzendenz ringt um das Verlassen eines falschen Körpers, eines falschen Narrativs, einer falschen Welt. Owen, so könnte man sagen, ist eine Figur, die die Transition nie schafft. Die metaphorisch verbrennt an der eigenen inneren Wahrheit. Und Maddy? Vielleicht ist sie eine Version dessen, was möglich gewesen wäre. Vielleicht ist sie die Flamme. Vielleicht die Zukunft. Vielleicht die Reue.

    Ich gebe keine Wertung in Punkten. Nicht, weil der Film perfekt wäre er ist es ganz und gar nicht. In Teilen ist er zu lang, zu diffus, manchmal überästhetisiert, manchmal auch schlicht unnahbar und langweilig. Aber ich möchte den Film nicht auf eine Zahl reduzieren. Die Sichtbarkeit, die Jane Schoenbrun trans Menschen gibt, ist zu wertvoll, um sie mit einem Punktesystem zu verwässern. Ich habe mich bewusst entschlossen, die durchschnittliche Bewertung bei Moviepilot nicht weiter zu senken nicht, weil der Film mich auf emotionaler Ebene tief getroffen hätte, sondern weil ich anerkenne, wie wichtig er für andere ist.

    Schoenbrun schafft kein perfektes Kunstwerk, aber eines, das radikal subjektiv ist und in dieser Subjektivität eine neue Filmgrammatik entwirft. Ein Kino, das keine Erklärungen liefert, sondern innere Zustände visualisiert. Ein Kino für die Marginalisierten, die Verlorenen, die Unsichtbaren. Ein Kino, das nicht immer logisch ist, aber notwendig. Dass I Saw the TV Glow heute existiert, ist eine stille Revolution.

    Und wenn man aus dem Film ein Fotobuch machen würde ein leises Artefakt dieser inneren Reise es wäre eine 10/10.

    1
    • 6 .5

      Kritik zu Astral City – (2010)

      „Wenn der Tod nicht das Ende ist was beginnt dann?“
      Mit dieser impliziten Frage nähert sich Astral City einem Thema, das so alt ist wie das Kino selbst dem Jenseits, dem Weiterleben der Seele, der metaphysischen Struktur des Daseins. Basierend auf dem gleichnamigen brasilianischen Buch Nosso Lar (1944) des angeblich medial diktierten Autors Chico Xavier, verfilmt Regisseur Wagner de Assis eine spirituelle Vision vom Leben nach dem Tod eine, die nicht im katholischen Sinne religiös, aber auch nicht weltlich atheistisch gedacht ist. Vielmehr versucht Astral City den Zwischenraum zu bebildern, der oft nur angedeutet bleibt: das Danach organisiert, energetisch, strukturiert. Und irgendwie tröstlich.

      Ich selbst bin eigentlich nicht die Zielgruppe für Filme dieser Art. Spirituelle Jenseitsfantasien, noch dazu mit stark moralischem Unterton, holen mich selten ab. Aber Astral City hat mich überrascht nicht emotional, sondern visuell. Die kühle, transparente Ästhetik, das fast sakrale Produktionsdesign, die ruhige Kameraarbeit: Das alles verleiht dem Film eine eigentümliche Sogwirkung. Er wirkt wie eine kontemplative Skizze mehr Idee als Drama, aber bildlich stark genug, um darin zu verweilen.

      Was den Film auszeichnet, ist zunächst sein ernsthafter Zugriff auf das Thema. Astral City ist keine esoterische Spielerei und auch kein dramatisch verkleidetes Gleichnis, sondern ein dezidierter Versuch, ein spirituelles Weltbild mit filmischen Mitteln glaubwürdig zu machen. Der Protagonist, André Luiz, ein wohlhabender Arzt, stirbt plötzlich und findet sich nicht im Nichts, nicht im Himmel und nicht in der Hölle wieder, sondern in einem energetisch düsteren Zwischenreich einer Art Fegefeuer bevor er in die titelgebende astrale Stadt gerufen wird. Dort, in einer architektonisch reinen, fast futuristisch anmutenden Welt, soll er lernen, was er im Leben versäumt hat: Mitgefühl, Demut, Sinn.

      Inszenierung und Kamera

      Regisseur Wagner de Assis inszeniert diese Jenseitsvision mit einem hohen Maß an ästhetischer Kontrolle. Die Kameraarbeit von Uli Burtin wirkt dabei stellenweise fast klinisch glatt, gleichmäßig ausgeleuchtet, manchmal zu steril. Besonders die Szenen in Astral City selbst erinnern in ihrer Farbdramaturgie und Komposition an eine Mischung aus skandinavischer Sci-Fi Serie und spirituellem Werbeclip: viel Weiß, kühle Blautöne, Nebel, symmetrische Gänge und transparente Architektur. Das hat einerseits einen gewissen Reiz als Versuch, das Jenseits visuell von der Erde zu abstrahieren wirkt aber auch streckenweise seltsam blutleer. Eine Welt ohne Schatten, ohne Ecken.

      Musik und Atmosphäre

      Dass Philip Glass den Score komponierte, überrascht zunächst nicht aber beeindruckt. Seine stilistische Handschrift repetitiv, minimalistisch, meditationsartig emotionalisiert nicht, vielmehr induziert sie meditativen Raum. Die brasilianische Symphonie Orchestersetzung bringt diese Klangtexturen zum Klingen. Anders als klassische Hollywood Scores driftet Glass nicht in emotive Höhepunkte, sondern in behutsame Klangflächen, die fast unmerklich Tröstung oder Distanz erzeugen. Diese musikalische Zurückhaltung zwingt den Zuschauer:innen, selbst zu fühlen, ohne musikalisches Suggestivwerkzeug.

      Schauspiel und Figuren

      Renato Prieto als André Luiz ist ein klassischer Zuschauer Avatar staunend, zweifelnd, lernend. Seine Performance bleibt kontrolliert und zurückgenommen, manchmal vielleicht etwas zu statisch. Die Nebenrollen insbesondere die Mentoren Figuren in der Astralstadt wirken oft eher wie Erzähler denn als echte Menschen oder Seelen. Aber vielleicht ist das Absicht: Diese Wesen sollen keine psychologisch greifbaren Charaktere sein, sondern Prinzipien Gnade, Erkenntnis, Läuterung. Die Dialoge bewegen sich entsprechend oft nahe an spiritueller Didaktik, was man je nach Haltung als Erleuchtung oder als Predigt empfinden kann.

      Inhaltliche Tiefe und Ambivalenz

      Was den Film jedoch ausmacht und ihn über bloßes spirituelles Wunschdenken hinaushebt ist seine konsequente Beschäftigung mit Schuld, Verantwortung und persönlicher Entwicklung. Astral City ist kein einfacher Wohlfühlfilm über das Paradies, sondern ein Plädoyer für Selbstreflexion und Wachstum auch jenseits des Todes. Dass dabei vieles im Film auf der Ebene symbolischer Reinigung bleibt (keine expliziten Bilder, keine gewalttätigen Prozesse), macht ihn zwar zugänglicher, aber auch glatter. Man wünscht sich mitunter etwas mehr Reibung, mehr Dunkelheit, mehr Wagnis.

      Ist der Film religiös?

      Diese Frage lässt sich nicht eindeutig beantworten. Astral City folgt zwar spirituellen Prinzipien, insbesondere dem brasilianischen Spiritismus nach Allan Kardec, aber ohne spezifische dogmatische Prägung. Es geht weniger um Gott als Person als vielmehr um das universelle Gesetz von Ursache und Wirkung, von Energie und Bewusstsein. Für religiöse Menschen mag der Film bestätigend wirken, für säkulare Zuschauer eher wie eine schöngeistige Hypothese. Und doch unabhängig vom eigenen Glauben bleibt etwas hängen: die Vorstellung, dass Reue, Entwicklung und Vergebung auch nach dem Tod möglich sein könnten. Dass wir nicht abgeschlossen sind, sondern fortwährend in Bewegung.

      Fazit

      Astral City ist kein perfekter Film. Er ist manchmal zu steril, zu brav, zu erklärend. Und doch hinterlässt er einen Nachhall nicht durch seine dramatische Spannung oder seine visuelle Kühnheit, sondern durch die stille Frage, die er stellt: Was wäre, wenn?
      Wenn es tatsächlich ein Danach gäbe geordnet, liebevoll, gerecht , wäre das nicht ein tröstlicher Gedanke? Der Film gibt keine Antworten, aber ein Bild. Und manchmal reicht ein Bild, um etwas im Innern zu bewegen.

      Wertung: 6,5/10

      Ein visuell und konzeptionell ungewöhnlicher Versuch, Spiritualität ohne religiösen Zeigefinger auf die Leinwand zu bringen mit Ambitionen, aber auch deutlichen Schwächen in Tempo, Figurenzeichnung und emotionaler Tiefe. Trotzdem: Wer sich darauf einlässt, findet einen Film, der weniger unterhält als begleitet.

      2
      • 5
        Max_200a 25.07.2025, 00:31 Geändert 25.07.2025, 00:39
        über Heretic

        HERETIC – Theater der Dogmen, Schatten der Kontrolle

        Ein Haus, zwei junge Missionarinnen, ein eloquenter Fremder. Heretic beginnt wie ein klassisches Drei Personen Stück über Glaube, Manipulation und Macht und zerfällt mit jeder Minute mehr in seine Bestandteile. Was Scott Beck und Bryan Woods (bekannt als Autoren von A Quiet Place) hier versuchen, ist kein klassischer Genrefilm. Es ist eine Versuchsanordnung: ein Modell religiöser Ideologien, eingeschlossen in einem bürgerlich gedimmten Wohnzimmer.

        Dass Heretic sich nicht traut, sich zu etwas ganz Bestimmtem zu bekennen, weder zu einer konsequenten Satire, noch zu einem kompromisslosen Kammerspiel, noch zu einem transzendentalen Horrorfilm ist sein größter Fehler. Der Film hält Distanz zu sich selbst. Er beobachtet seine Figuren aus sicherem Abstand, ohne sich je wirklich an ihnen zu verletzen. Die Wunden, die religiöse Indoktrination schlägt, bleiben angedeutet, symbolisch. Es gibt keine psychologische Radikalität, keine existenzielle Tiefe. Nur eine raffinierte Verpackung.

        Dabei beginnt Heretic mit einem vielversprechenden Setting: Zwei junge Mormoninnen, auf Mission für ihre Glaubensgemeinschaft, treffen auf einen kultivierten, belesenen, einladend freundlichen Mann mittleren Alters, der sie mit einem simplen Spiel überredet, die Nacht in seinem Haus zu verbringen. Was folgt, ist eine Erprobung des Glaubens durch Intelligenz, durch Zweifel, durch psychologische Erschütterung. Doch was sich als geistiger Tanz ankündigt, wird allzu rasch zur kalkulierten Inszenierung.

        Hugh Grant ist das Zentrum des Films und das eigentlich sehenswerte Ereignis. Wer ihn hier nur als Exzentriker mit sadistischem Unterton sehen will, verkennt die Genauigkeit seiner Performance. Grant arbeitet mit winzigen Nuancen: mit kontrollierter Wärme, subtiler Gereiztheit, intellektuellem Spott, immer durchzogen von einer tiefen Leere. Er spielt einen Menschen, der überzeugt ist, außerhalb aller Systeme zu stehen ein „freier Geist“, der Religionen nur noch als manipulatives Werkzeug begreift. Seine Figur ist gefährlich, weil sie nicht fanatisch ist sondern kühl. Diese Kälte macht den Horror greifbarer als jede Dämonenfratze.

        Sophie Thatcher (Yellowjackets) und Chloe East geben sich Mühe, doch sie sind deutlich schwächer geschrieben. Ihre Figuren sind Projektionsflächen die eine ist die Zweifelnde, die andere die Gläubige. Aber sie bleiben in diesen Rollen stecken. Der Film interessiert sich zu wenig für ihre Innenwelten. Ihre Wandlungen, ihr Zusammenbruch, ihre Rebellion alles geschieht, als wäre es bereits vorherbestimmt. Die Regie nimmt sich keine Zeit für echtes inneres Chaos.

        Formal ist Heretic hingegen bemerkenswert. Die Kamera von Chung Chung-hoon bewegt sich mit chirurgischer Präzision. Jeder Raum ist geometrisch auskomponiert. Türen, Korridore, Schatten nichts geschieht zufällig. Diese Strenge erinnert an das Kino von Yorgos Lanthimos oder Michael Haneke, doch ohne deren moralische Schärfe. Heretic stilisiert, ohne zu durchdringen.

        Besonders auffällig ist die Verwendung von Licht: Es gibt kaum natürliche Lichtquellen. Stattdessen dominieren kunstlich gesetzte Lichtachsen, die Räume entweder überbelichten oder in scharfkantige Dunkelheit tauchen. Das erzeugt eine permanente visuelle Spannung, die allerdings nicht immer von der Dramaturgie getragen wird. In vielen Szenen wirken Bild und Inhalt wie zwei verschiedene Filme: das eine präzise konstruiert, das andere unentschlossen.

        Die Musik, komponiert von Chris Bacon, folgt dem Prinzip des akustischen Vakuums. Klang wird hier nicht emotional eingesetzt, sondern als atmosphärisches Spannungsmoment. Einzelne Töne, Brüche, Dissonanzen es ist eher ein akustisches Unbehagen als ein Score im klassischen Sinn. Auch das ist clever aber letztlich symptomatisch für einen Film, der vieles andeutet und wenig wirklich vollendet.

        Die Kritik an Religion ist spürbar, aber nicht geschärft. Heretic möchte alle Seiten karikieren: die missionarische Naivität der Glaubensschülerinnen ebenso wie die zynische Verachtung durch den intellektuellen Gast. Doch anstatt in die Tiefe zu gehen, bleibt der Film auf einem ironisch distanzierten Niveau. Die finale Wendung, die als Schockmoment konzipiert ist, verfehlt ihre Wirkung nicht nur durch Vorhersehbarkeit, sondern durch inhaltliche Belanglosigkeit. Es ist ein Trick. Kein Abgrund.

        Und das ist das große Problem: Heretic wirkt durchdacht, aber nicht gefühlt. Die emotionale Beteiligung bleibt aus. Der Film will ambivalent wirken, aber er ist letztlich bequem. Er kritisiert Dogmen, ohne selbst Haltung zu zeigen. Er zeigt Kontrolle, ohne sie zu analysieren. Was bleibt, ist ein sauber inszenierter, ästhetisch starker, aber letztlich leerer Versuch, aus Glaubensfragen Spannung zu gewinnen.

        Fazit:
        Heretic ist kein schlechter Film aber ein enttäuschender. Weil er mehr verspricht, als er einlöst. Weil er Schauspieler wie Hugh Grant in Hochform bietet, aber ihnen kein Skript auf Augenhöhe gegenüberstellt. Weil er visuell überzeugt, aber inhaltlich abstumpft. Und weil er in einer Zeit, in der religiöser Fanatismus weltweit wieder virulenter wird, nichts weiter bietet als ein cleveres Rollenspiel ohne Konsequenz.

        Ein intellektuelles Kammerspiel das sich selbst im Spiegel anschaut und vergisst, warum es eigentlich erzählt.

        2
        • 10

          “Donnie Darko” – Meditation eines zersplitterten Ichs im Schatten der Zeit

          2001. In einem Jahr, das für das Kino einem Wendepunkt gleicht in dem Mulholland Drive das Unterbewusstsein seziert, The Others uns das Grauen als Trauerarbeit offenbart, A Beautiful Mind das fragile Genie entblößt und Chihiros Reise ins Zauberland das kindliche Ich in eine metaphysische Welt der Götter entführt, erscheint ein Film, der zunächst beinahe unbemerkt bleibt, um sich dann still in die kollektive Psyche zu brennen: Donnie Darko.

          Ein Debütfilm. Von einem Regisseur, der danach nie mehr ganz dorthin zurückfinden sollte, wo er hier war: Richard Kelly. Ein Name, der heute wie ein Echo durch die Flure der Filmgeschichte hallt. Und es ist vielleicht genau dieses unvollendete Versprechen, dieser eine alles überstrahlende Film, der Donnie Darko zu etwas Heiligem macht – einer Meditation über Zeit, Schuld, Identität, Liebe, Tod und Erlösung. Ein Kunstwerk, das nicht erklärt, sondern fühlt. Nicht argumentiert, sondern fragt. Nicht belehrt, sondern träumt.

          Donnie ist nicht der Held einer Geschichte. Er ist ein Riss im Gewebe der Realität. Ein Splitter. Seine Welt, ein Vorstadtidyll der späten 80er, durchzogen von ironischer Nostalgie, unterdrückter Wut, verlogener Pädagogik und leerem Familientherapie Gelaber, ist wie eine Kulisse aus Pappmaché, hinter der etwas Unaussprechliches lauert.

          Jake Gyllenhaal spielt Donnie mit einer Zerbrechlichkeit, die sich unter der Haut einnistet. Sein Blick, melancholisch, fragend, verloren. Es ist eine Performance von subtiler Wucht: nicht übertrieben, sondern schwebend, fast geisterhaft. Gyllenhaal verleiht Donnie jene Mischung aus Intelligenz, Arroganz, Angst und Sehnsucht, die ihn zu einer der komplexesten Figuren des amerikanischen Jugendkinos macht. Er ist kein Rebell, kein Freak, kein Prophet, und doch all das zugleich.

          Sein Gegenspieler, oder vielleicht sein inneres Spiegelbild erscheint in Form eines Menschen in einem Hasenkostüm: Frank. Eine Erscheinung, ein Bote, ein psychotischer Engel? Frank ist das, was nicht benannt werden kann. Ein Totem des Wahnsinns, ein Orakel der Katastrophe. Und genau darin liegt die Kraft dieses Films: dass er das Unbegreifliche nicht erklärt, sondern einkreist. Lynch hätte sich nicht besser darin verlieren können.

          Neben Gyllenhaal glänzen auch Jena Malone als Gretchen, Mary McDonnell als überforderte, aber sensible Mutter, Beth Grant als Lehrerin, und nicht zuletzt Patrick Swayze in einer der mutigsten Rollen seiner Karriere: als Motivationsguru mit dunkler Vergangenheit.
          Jede dieser Figuren ist mehr als Funktion. Sie sind Spiegel. Resonanzkörper für Donnie. Und sie zeigen, wie tief der Film wirklich ist und wie sehr er sich weigert, seine Charaktere zu verraten.

          Eine Welt aus Klang und Farbe:

          Visuell ist Donnie Darko ein Traum in Graublau. Kameramann Steven Poster kleidet die Vorstadt in fahles Licht, als würde die Sonne nie ganz aufgehen. Jeder Shot scheint durch einen Filter aus Erinnerung und Melancholie zu laufen. Der ikonische Zeitlupen Gang durch die Schule, unterlegt mit “Head Over Heels”, ist nicht bloß ein popkulturelles Zitat, er ist ein Moment reiner filmischer Transzendenz. Eine Choreografie der verlorenen Seelen.

          Und dann ist da die Musik. Die 80s-Songs Echo & the Bunnymen, Tears for Fears, Duran Duran, Joy Division, sie sind nicht nur Soundtrack, sie sind Atmosphäre, emotionale Viskosität. Und Michael Andrews’ minimalistische Score sphärisch, wehmütig, wie ein ferner Gesang legt sich wie Tau auf jede Szene. Mad World, gesungen von Gary Jules, ist keine bloße Coverversion, es ist ein Abgesang. Ein Lamento. Ein Gebet.

          Psychologisch ist Donnie Darko ein Labyrinth. Ein Film über ein Ich, das sich selbst nicht einholen kann. Donnie leidet an paranoider Schizophrenie oder vielleicht an der Last, zu viel zu fühlen. Seine Therapie ist hilflos, seine Medikamente stumpfen, sein Geist rebelliert. Er lebt zwischen Halluzination und metaphysischem Erwachen, zwischen innerer Zerstörung und kosmischer Erkenntnis.

          Kellys Skript spielt mit physikalischen Theorien,Zeitreisen, Wurmlöcher, parallele Realitäten ,aber es benutzt sie nie als bloßes Gimmick. Vielmehr sind sie Ausdruck einer tiefen existenziellen Angst: Was, wenn alles festgelegt ist? Was, wenn wir keine Wahl haben? Was, wenn Erlösung nur durch Selbstaufgabe möglich ist?

          Donnie opfert sich. Aber nicht wie ein Held. Sondern wie jemand, der weiß, dass sein Leben nur dann einen Sinn ergibt, wenn er es selbst beendet. Ein radikaler, zutiefst christlicher Gedanke, fern jeder Dogmatik. Donnie Darko ist kein Märchen, er ist eine Passion. Eine Passionsgeschichte eines Jungen, der die Welt versteht und daran zerbricht.

          Es ist fast rührend, wie groß dieser Film denkt und wie intim er dabei bleibt. Die Welt geht unter, sagt Frank. Und doch ist es am Ende nur ein Junge in seinem Zimmer. Ein Junge, der lacht. Weil er weiß, dass er die Welt gerettet hat oder weil er den Albtraum wiedererkennt, den wir Leben nennen. Oder weil er einfach… frei ist.

          Und während andere Filme versuchen, Erklärungen zu liefern, lässt Donnie Darko etwas viel Wichtigeres zurück: Gefühl. Schwere. Licht. Verlust. Die Ahnung, dass das Universum zerbrechlicher ist, als wir glauben. Dass eine Entscheidung, ein Blick, ein Moment alles verändern kann.

          Kellys Handschrift ist kompromisslos, poetisch, philosophisch, von literarischer Tiefe und tragisch verkannt vom Studiosystem, das nie wusste, was es mit ihm anfangen sollte.

          Man kann diesen Film als Mindfuck analysieren, als Pop-Philosophie, als Allegorie auf die Bush-Ära oder als Teenager-Coming-of-Age-Dystopie. Aber das alles greift zu kurz. Donnie Darko ist vor allem ein Gefühl. Eine Stille. Ein leiser Schmerz, der bleibt, wenn der Abspann läuft.

          Es ist ein Film, der atmet. Der sich nicht erklären lässt, sondern erspürt werden muss. Jeder, der ihn sieht, sieht einen anderen Film. Manche sehen Wahnsinn. Andere Liebe. Wieder andere sehen die Endgültigkeit der Zeit. Vielleicht ist das die größte Leistung von Donnie Darko: Dass er sich dem Zugriff entzieht. Dass er offen bleibt wie ein Traum.

          Regisseur Richard Kelly hat in Interviews oft betont, dass ihn Themen wie Religion, Philosophie, Multiversen und Zeitreisen interessieren doch der Film selbst bleibt ambivalent. Donnie Darko stellt Fragen, keine Antworten. Ist Donnie ein Auserwählter? Oder einfach krank? Existiert Frank? Oder ist alles Projektion? Das Geniale: Der Film bleibt offen – und lässt gerade deshalb so viele Lesarten zu. Manche sehen in ihm einen Science-Fiction Thriller. Andere ein Jugenddrama. Wieder andere eine Parabel auf den postreligiösen Zustand Amerikas.
          Ich sehe Donnie Darko als spirituellen Film. Nicht religiös im engeren Sinn, sondern metaphysisch. Es geht um Schuld. Um Sühne. Um das Gefühl, dass alles miteinander verbunden ist und dass Liebe, am Ende, vielleicht das Einzige ist, was eine Welt noch retten kann.

          Ein Vermächtnis:

          Richard Kelly ist seither verschwunden im Schatten seines Debüts. Southland Tales, The Box, alles interessante, aber verlorene Werke. Und vielleicht ist das gut so. Vielleicht war Donnie Darko zu groß für einen Anfang. Vielleicht war es ein Geschenk, das nicht wiederholt werden sollte. Aber tief in vielen von uns bleibt die Hoffnung: auf ein Comeback. Auf einen zweiten Traum aus seiner Feder.

          Fazit:

          Donnie Darko ist kein perfekter Film. Aber Perfektion war nie sein Ziel. Er ist roh, schräg, sperrig und gerade darin so schön. Er ist ein Film über die Wunden, die wir in uns tragen, über das Licht am Ende eines schwarzen Lochs, über die Liebe, die nicht gerettet werden kann, aber dennoch existiert.

          Ein stilles Meisterwerk, das flüstert statt schreit. Eine Meditation über Zeit und Seele, erzählt mit der Sensibilität eines Träumers.

          Und wenn am Ende der Regen fällt, und die Welt wieder atmet, dann bleibt nur eine Frage:
          Was, wenn du recht hattest – und alle anderen lagen falsch?

          10/10 Punkten.
          Ein filmischer Engel in Hasenform.

          1
          • 6
            Max_200a 14.07.2025, 12:40 Geändert 14.07.2025, 12:42

            Dune (1984)

            Dune zu bewerten, fühlt sich fast an wie ein moralisches Dilemma: Einerseits ist es ein Film, den man objektiv kaum als gelungen bezeichnen kann, sperrig, überladen, verworren, visuell in Teilen gealtert wie Milch. Andererseits weiß man, dass dieses Desaster kein echtes Werk von David Lynch ist, sondern das Produkt eines kreativen Schiffbruchs, eine Tragödie, nicht nur filmisch, sondern auch persönlich.

            Was Dune heute interessant macht, ist nicht das, was er ist, sondern das, was er hätte sein können.

            Der Kontext: Ambitionen gegen Betonwände

            Anfang der 1980er galt Lynch nach Eraserhead und dem oscarnominierten The Elephant Man als großes neues Talent des amerikanischen Kinos, ein kompromissloser Visionär mit einem Sinn für das Unheimliche, das Verstörende, das Andersartige. Dass ausgerechnet er für eine bombastische, teure Adaption von Frank Herberts Sci-Fi-Klassiker Dune angeheuert wurde, war von Anfang an paradox. Lynch hatte das Buch nie gelesen, verstand wenig von Science-Fiction, und drehte mit Universal Pictures einem Studio, das sehr schnell sehr nervös wurde, sobald ein Film mehr wollte als Explosionsszenen.

            Die Produktion war von Anfang an ein Machtkampf. Lynch hatte keine Final Cut-Rechte, das Drehbuch wurde immer wieder umgeschrieben, Szenen gekürzt, Ideen verwässert. Ganze Subplots (wie Pauls spirituelle Entwicklung) verschwanden. Der Film, den Lynch drehen wollte – ein fünfstündiges, bildgewaltiges Epos über Macht, Mystik, Psychologie und metaphysische Transformation, wurde Stück für Stück zerstört. Übrig blieb ein 137 Minuten langer Torso.

            Der Film: Ein monumentales Missverständnis

            Das Ergebnis ist ein filmischer Trümmerhaufen mit goldenen Adern. Visuell teilweise atemberaubend – mit barocken Sets, düster-futuristischen Designs und atmosphärischem Soundtrack von Toto (!) – doch dramaturgisch völlig entgleist. Die erste halbe Stunde ist ein Überfall an Exposition, Fachbegriffen, Inneren Monologen und erklärender Voice-over-Ermüdung. Die Handlung wirkt wie ein Puzzle, bei dem ein Drittel der Teile fehlt und jemand versucht hat, den Rest mit Sekundenkleber zusammenzuhalten.

            Die Figuren bleiben blass, obwohl großartige Schauspieler (Sting, Francesca Annis, Max von Sydow, Brad Dourif) beteiligt sind. Kyle MacLachlan, eigentlich ein interessanter Schauspieler, bleibt als Paul Atreides erstaunlich leblos, was weniger an ihm als am Drehbuch liegt, das seine Entwicklung fast vollständig überspringt. Die Erzählung hetzt durch Plotpoints, während sie die emotionale, politische und spirituelle Tiefe des Romans völlig verliert.

            Man merkt in jeder Szene: Das ist nicht Lynch. Zumindest nicht der Lynch, den man kennt und schätzt. Es ist ein Regisseur, der in einem Studio-Albtraum feststeckt, dirigiert von Produzenten, die sich vor Experimenten fürchten und eine Blockbuster-Formel erzwingen wollen, die nicht funktioniert.

            Produktionshölle und künstlerische Ohnmacht

            Lynch selbst hat sich mehrfach von Dune distanziert , er spricht kaum darüber, hat die Director’s Cut-Anfragen abgelehnt und seinen Namen von mehreren Schnittfassungen entfernen lassen. In Interviews bezeichnete er das Projekt als seinen größten Fehler: Er habe den Film nie wirklich verstanden,,und vor allem keine Kontrolle gehabt.

            Und genau das ist das tragische Herzstück dieser Kritik: Dune ist kein Film, der gescheitert ist, weil sein Regisseur versagt hat. Er ist gescheitert, weil man einem radikalen Künstler eine kommerzielle Vision überstülpen wollte. Lynch funktioniert in Freiheit, nicht in Formeln. Wenn man ihn kontrolliert, bleibt nur eine seltsame Leere. Nicht einmal ein interessantes Scheitern – sondern ein leerer, schmerzlicher Kompromiss.

            Fazit: Ein Wüstenplanet voller verschütteter Möglichkeiten

            Dune ist ein furchtbarer Film. Aber kein schlechter im klassischen Sinn. Er ist nicht flach, nicht stumpf, nicht lieblos. Er ist ein Grabstein für eine nie realisierte Vision. Ein Mahnmal dafür, was passiert, wenn Studios einem Künstler den Pinsel aus der Hand nehmen.

            Ein Film, der visuell faszinieren kann, stellenweise große Ideen aufblitzen lässt und dann wieder enttäuscht, verwirrt, ermüdet. Dune ist ein gescheitertes Monument. Aber eines, das man anschauen kann, um das Scheitern selbst zu verstehen.

            ……………………………………………………………

            Eine stille Verneigung, ein flüsterndes Rest in Peace – für David Lynch, den größten Filmemacher und Universalkünstler unserer Zeit. Einen Mann, der nicht nur das Kino verändert hat, sondern auch unsere Vorstellung davon, was Realität sein kann und was dahinter liegt.

            Er hat uns gelehrt, dass Dunkelheit leuchten kann, dass Stille manchmal mehr sagt als jedes Wort, und dass Träume nicht nur Flucht sind, sondern Wahrheiten in ihrer reinsten, ungefilterten Form. Von den fiebrigen Albträumen eines Eraserhead bis zur metaphysischen Tiefe von Twin Peaks hat er Bilder geschaffen, die nicht altern, Gefühle, die nicht vergehen, Räume, die in uns weiterleben lange nachdem der Abspann verklungen ist.

            Lynch war nie einfach nur Regisseur. Er war Seher, Poet, Medium. Seine Filme haben nicht nur erzählt sie haben berührt, verwundet, aufgebrochen. In einer Welt, die uns ständig erklären will, wie Dinge zu sein haben, hat er das Rätselhafte bewahrt und damit etwas Heiliges.

            Auch jenseits der Leinwand war sein Wirken bedeutend: Durch ihn habe ich die transzendentale Meditation entdeckt einen stillen Pfad nach innen, der wie seine Kunst Räume öffnet, in denen Gedanken zur Ruhe kommen und das Unsichtbare eine Stimme bekommt.

            Sein Werk ist ein Geschenk. Und der Mensch dahinter war es auch.

            1
            • 8

              Dogtooth (2009) – Ein klaustrophobischer Albtraum

              Da ich mich gerade in Griechenland im Urlaub befinde, schien es nur passend, einen modernen griechischen Film zu sehen, und Dogtooth von Yorgos Lanthimos war die offensichtlichste Wahl. Nicht nur, weil er zu den wichtigsten Werken des europäischen Kinos der 2000er zählt, sondern weil man spürt, dass er aus einem Land stammt, das Schönheit und Mythos kennt, aber auch Kontrolle, Familie, Schuld. Dogtooth ist ein kalter Film in heißem Licht.

              Die Grundidee ist so einfach wie krank: Drei Kinder, bald im Erwachsenenalter, leben vollständig isoliert auf dem Grundstück ihrer Eltern, abgeschirmt von der Welt, abgeschnitten von jeder Wahrheit. Sprache wurde umgedeutet, die Außenwelt dämonisiert, jeder Kontakt kontrolliert. Der Vater regiert wie ein stiller Gott, die Mutter kooperiert. Was sich anhört wie eine Dystopie, spielt sich in gepflegtem Mittelstandsbau mit Pool ab. Gerade das macht die Wirkung so nachhaltig.

              David Lynch nannte Dogtooth einmal „die beste Komödie des Jahres 2009“ und das ist mehr als nur ein kurioser Kommentar. Denn der Film besitzt tatsächlich eine Art trockenen, absurden, abgründigen Humor jenen, der einem im Hals stecken bleibt.

              Yorgos Lanthimos inszeniert mit einer fast chirurgischen Kühle. Seine Handschrift ist schon hier klar: die Isolation, die emotionale Entfremdung, die stille Gewalt in ritualisierten Abläufen. Wo andere Regisseure provozieren wollen, beobachtet er. Ohne Musik, ohne emotionale Führung. Keine Filmmusik deutet auf Drama oder Katharsis hin. Was bleibt, ist die blanke Situation und die wirkt umso brutaler.

              Die Kamera: Statisch, distanziert, brutal ehrlich

              Kameramann Thimios Bakatakis fängt die Welt dieser Familie mit maximaler Zurückhaltung ein. Statische Einstellungen, klare Symmetrie, oft abgeschnittene Gesichter, viel Leerraum. Es gibt keine „klassische“ Bilddramaturgie alles ist reduziert auf Funktion und Form. Dadurch entsteht paradoxerweise eine ungeheure Spannung. Der Blick der Kamera wird zur moralisch neutralen Instanz, die nicht urteilt nur zeigt.

              Angeliki Papoulia, Mary Tsoni und Christos Passalis als die drei Kinder spielen mit einer fast erschreckenden Leere. Ihre Bewegungen sind erlernt, ihre Reaktionen programmiert. Sie spielen keine Figuren im klassischen Sinne, sondern Körper, die geformt wurden. Das funktioniert so gut, weil sie eben nicht überperformen, sondern alles in sich zurücknehmen.

              Christos Stergioglou als Vater ist still, kontrolliert, ein Mann, der nie laut werden muss, weil sein Machtapparat bereits total ist. Michelle Valley als Mutter bleibt ambivalent. eine Mitwisserin, Komplizin, vielleicht auch selbst Gefangene. Besonders eindrucksvoll ist Anna Kalaitzidou als Christina, die einzige Außenwelt, die in dieses geschlossene System eindringt, und es durch ihre bloße Körperlichkeit aus dem Gleichgewicht bringt.

              Was Dogtooth so nachhaltig verstört, ist nicht nur das Thema, sondern wie konsequent Lanthimos es durchzieht. Sprache selbst wird hier zur Manipulation: Das Wort „Meer“ steht für einen Sessel, „Zombie“ für eine gelbe Blume. Dadurch verliert nicht nur die Welt ihre Bedeutung auch das Ich der Figuren bricht zusammen. Wer nicht benennen kann, was er sieht, verliert sich.

              Das ist kein Film über eine Familie. Es ist ein Film über Systeme. Über die Erziehung als Gewaltform. Über Autorität, Gehorsam, soziale Architektur. Und ja, auch über unsere Abhängigkeit von Bedeutung und Struktur.

              Fazit

              Dogtooth ist schwer zu ertragen, manchmal schwer zu glauben, aber schwer beeindruckend. Er will nicht gefallen. Er will nicht führen. Er will zeigen, was geschieht, wenn wir aus Menschen funktionierende Wesen machen, und Wahrheit durch Konstruktion ersetzen. In seiner Ruhe liegt sein Terror. In seiner Klarheit seine Komplexität.

              Ein eiskalter Schlag in die Magengrube der Wirklichkeit, formal brillant, moralisch unbequem, und leider sehr real.

              1
              • 8

                „Inland Empire“ – Film als Auflösung:
                Eine Kritik über das Ende der Form, Laura Derns größte Rolle, und die Frage: Was bleibt vom Kino, wenn man ihm alles nimmt?

                David Lynch hat mit Inland Empire etwas geschaffen, das man nur schwer einen Film nennen kann, zumindest nicht im klassischen Sinn. Es ist ein Werk der Auflösung, der Fragmentierung, der radikalen Grenzüberschreitung. Ein Film, der das Kino bis an seinen Rand führt, und teilweise darüber hinaus.

                Es ist wohl Lynchs radikalstes Werk. Doch damit nicht zwangsläufig sein bestes. Im Gegenteil: Es ist ein Film, der seine Zuschauer mit voller Wucht in eine Erfahrung stürzt, ohne die Möglichkeit, Halt zu finden. Drei Stunden lang werden Bedeutungsebenen geschichtet, Identitäten gespalten, Realitäten zerlegt – ohne dass ein synthetisierender Rahmen zurückbleibt. Der Film ist ein Labyrinth ohne Zentrum.

                Freiheit, Form und das Paradox des Künstlers

                Lynch ist ein Künstler, der für seine kreative Unabhängigkeit bekannt ist, und Inland Empire ist die logische Folge dieser Freiheit: ein Film, ohne Studio, ohne klassisches Drehbuch, ohne geplante Struktur. Gedreht wurde über mehrere Jahre hinweg auf Mini-DV, mit improvisierten Szenen, einem minimalen Team und größtenteils intuitivem Prozess. Für Lynch war das kein Verzicht, es war Befreiung. Die Möglichkeit, unmittelbar zu arbeiten, ohne Zwischeninstanzen, ohne Kompromisse.

                Doch diese absolute Freiheit ist ein zweischneidiges Schwert. Künstler brauchen Räume, aber auch Rahmen. Grenzen können fruchtbar sein, weil sie Entscheidungen erzwingen. Dune – Lynchs Studio-Albtraum von 1984 – war das Negativbeispiel völliger Kontrolle von außen. Inland Empire ist das Gegenstück: ein Werk mit maximaler Freiheit, das an der eigenen Formlosigkeit zu ersticken droht.

                Es ist, als hätte Lynch das Kino zerschlagen, um zu sehen, was sich in seinen Trümmern noch sagen lässt. Das Ergebnis ist nicht immer kohärent, aber es ist mutig. Radikal. Und ehrlich.

                Laura Dern – Schauspiel als metaphysischer Prozess

                Im Zentrum dieses filmischen Exorzismus steht Laura Dern. Sie ist nicht einfach Hauptdarstellerin – sie ist der Film. Ihre Rolle (oder besser: ihre Rollen) durchläuft nicht nur emotionale Extreme, sondern strukturelle Zerreißproben. Sie ist Schauspielerin, Ehefrau, Opfer, Täterin, Schatten, Projektionsfläche. Sie zerfällt in ihre Versionen, während der Film ihr die Identität entzieht. Es gibt keinen sicheren Boden ,weder für sie noch für uns.

                Derns Darstellung ist ein physischer, psychischer und fast spiritueller Kraftakt. Sie spielt nicht nur Szenen , sie wird aufgelöst, rekonstruiert, neu geschrieben in Echtzeit. Ihre Performance ist so roh und kompromisslos wie die digitale Ästhetik des Films selbst. Und gerade weil sie in anderen Rollen oft zu glatt, zu kontrolliert wirkt, ist diese rohe Entblößung umso beeindruckender. Hier verschmelzen Figur, Schauspielerin und Kamera zu einem psychologischen Vortex.

                Die Ästhetik des Unvollkommenen – Mini-DV als ästhetisches Statement

                Gedreht auf einer Sony PD150, wirkt Inland Empire wie ein Gegenentwurf zu allem, was Hochglanzkino ausmacht. Die Bilder sind körnig, digital hart, fast schmutzig. Die Kamera bewegt sich oft nervös, unsicher, nah am Gesicht, ohne klare Linien. Diese Unästhetik ist kein Unfall , sie ist Programm. Lynch wollte ein Gefühl von Nähe, von direkter Seelenabbildung. Das Medium Mini-DV erlaubt ihm, näher an seine Figuren heranzukommen, sie nicht zu beleuchten, sondern zu durchdringen.

                Doch das Ergebnis ist ambivalent: Während diese Ästhetik die emotionale Instabilität und das fragmentierte Bewusstsein der Hauptfigur unterstreicht, fordert sie dem Zuschauer eine hohe Toleranzgrenze ab. Der Film ist anstrengend , nicht nur inhaltlich, sondern auch visuell. Man sieht nicht, man wird gesehen. Nicht Schönheit, sondern psychologische Präsenz ist das Ziel.

                Produktion als Prozess – Kein Film, sondern ein lebendes Wesen

                Lynch begann Inland Empire ohne ein festes Drehbuch. Die ersten Szenen entstanden 2003 als digitales Experiment. Erst später wuchs daraus ein ganzes Langfilmprojekt. Die Dreharbeiten zogen sich über Jahre, oft mit improvisierten Dialogen und einem freien Ablauf. Die Darsteller wussten oft nicht, in welcher Rolle sie gerade agieren, auch das war Teil des Konzepts. Realität, Rolle, Filmwelt, alles sollte ineinanderfließen. Diese Produktion gleicht weniger einem klassischen Filmdreh als einem psycho-kreativen Langzeitritual.

                Rezeption – ein Werk für die Ränder

                Bei seiner Premiere auf dem Festival von Venedig 2006 spaltete Inland Empire Publikum und Kritik. Manche feierten den Film als Meisterwerk der Avantgarde, als Totalausbruch aus der filmischen Sprache. Andere warfen ihm Narzissmus, Formlosigkeit und Exzess vor. Die Lager blieben getrennt, bis heute.

                Im Rückblick hat sich Inland Empire als Schlüsselwerk etabliert, wenn man Lynch als Künstler und nicht nur als Regisseur versteht. Es ist ein Werk, das mehr mit Malerei oder Musik zu tun hat als mit klassischem Erzählen. Ein Hallraum, ein Bildstrom, eine filmische Meditation über Identität, Angst und Auflösung.

                Feministisch-psychoanalytischer Subtext – Die Frau als Ort des Traumas

                Wie viele Lynch-Werke kreist auch Inland Empire um das Bild der Frau, nicht als Objekt, sondern als Medium. Die weibliche Hauptfigur (Dern) durchläuft ein labyrinthisches Leiden, das sowohl persönliche als auch kulturelle Wunden öffnet. Ihre Psyche wird nicht erzählt, sondern filmisch nachgebildet. Es ist eine weibliche Innenwelt, die sich gegen jede klare Interpretation sträubt, ein Netzwerk aus Begehren, Gewalt, Schuld, Wiederholung.

                Lynchs Werke wurde oft für seine Darstellung von Frauen kritisiert. Doch Inland Empire ist kein voyeuristischer Blick auf weibliches Leiden, es ist ein filmischer Ausdruck innerer Zerrissenheit. Die Frau ist hier nicht Opfer oder Muse, sondern Trägerin eines kollektiven Schmerzes. Psychoanalytisch lässt sich das Werk als Wiederholungszwang lesen, eine Schleife, in der das Subjekt versucht, ein Trauma zu verarbeiten, das sich jeder sprachlichen Artikulation entzieht.

                Fazit: Das Kino in Trümmern – und mittendrin ein flackerndes Licht

                Inland Empire ist ein Grenzwerk. Es verlangt alles, Geduld, Mut, Offenheit, Ungewissheitstoleranz. Es gibt keine klare Geschichte, keine Erlösung, keine klassischen Bögen. Nur Zustände. Nur Stimmen. Nur Bilder, die sich nicht einordnen lassen.

                Ist es ein Meisterwerk? Nein. Es ist zu chaotisch, zu überlang, zu ungehobelt. Aber es ist ein notwendiges Werk. Ein Film, der dorthin geht, wo sich kaum jemand hinwagt – ins ungesicherte, traumatische, reine Unbewusste des Kinos.

                8/10 Punkten.
                Weil Größe manchmal in der Unvollkommenheit liegt.

                ……………………………………………………………
                Eine stille Verneigung, ein flüsterndes Rest in Peace – für David Lynch, den größten Filmemacher und Universalkünstler unserer Zeit. Einen Mann, der nicht nur das Kino verändert hat, sondern auch unsere Vorstellung davon, was Realität sein kann und was dahinter liegt.
                Er hat uns gelehrt, dass Dunkelheit leuchten kann, dass Stille manchmal mehr sagt als jedes Wort, und dass Träume nicht nur Flucht sind, sondern Wahrheiten in ihrer reinsten, ungefilterten Form. Von den fiebrigen Albträumen eines Eraserhead bis zur metaphysischen Tiefe von Twin Peaks hat er Bilder geschaffen, die nicht altern, Gefühle, die nicht vergehen, Räume, die in uns weiterleben lange nachdem der Abspann verklungen ist.
                Lynch war nie einfach nur Regisseur. Er war Seher, Poet, Medium. Seine Filme haben nicht nur erzählt sie haben berührt, verwundet, aufgebrochen. In einer Welt, die uns ständig erklären will, wie Dinge zu sein haben, hat er das Rätselhafte bewahrt und damit etwas Heiliges.
                Auch jenseits der Leinwand war sein Wirken bedeutend: Durch ihn habe ich die transzendentale Meditation entdeckt einen stillen Pfad nach innen, der wie seine Kunst Räume öffnet, in denen Gedanken zur Ruhe kommen und das Unsichtbare eine Stimme bekommt.
                Sein Werk ist ein Geschenk. Und der Mensch dahinter war es auch.

                1
                • 7

                  Gilmore Girls mit mehr Busen?!..

                  Ginny & Georgia mag auf den ersten Blick als typisches Coming of Age Drama mit all seinen genretypischen Konventionen wirken: Highschool-Konflikte, erste Liebe, Identitätssuche, Rassismus, LGTBQ. Doch die erste Staffel entfaltet vor allem durch die Figur Georgia, brillant gespielt von Brianne Howey, ein vielschichtiges psychologisches Drama, das feministische und psychoanalytische Diskurse über weibliche Subjektivität, Trauma und Mutterschaft neu verhandelt. Für mich persönlich ist Georgia Miller der Grund, warum ich diese Serie konsumiere.

                  Georgia ist kein archetypischer weiblicher Charakter. Sie entzieht sich einfachen Zuschreibungen wie „gute Mutter“ oder „schlechte Frau“. Ihre Figur verhandelt auf eindringliche Weise das Spannungsfeld zwischen Fürsorge und Kontrolle, Schutz und Zerstörung, Autonomie und Anpassung. Hier zeigt sich eine feministische Perspektive, die starre Rollenbilder aufbricht: Georgia ist verletzlich und mächtig zugleich, traumatisiert und dennoch handlungsfähig, liebevoll und manipulativ. Diese Ambivalenz spiegelt den psychoanalytischen Begriff der gespaltenen Subjektivität wider, in der individuelle Identität ein dynamisches, oft widersprüchliches Feld ist.

                  Brianne Howey gelingt es, diese komplexen Schichten subtil zu vermitteln. Durch eine nuancierte Mimik und ein Spiel mit Nähe und Distanz schafft sie eine Figur, die emotional stark, aber nicht unverwundbar wirkt. Ihre Darstellung konterkariert stereotype Darstellungen von Frauen in Serien, indem sie Georgias Widersprüche als Ausdruck einer realen, verletzlichen Persönlichkeit inszeniert. So wird Georgia zu einer Stimme für jene Frauenfiguren, die in der Popkultur oft marginalisiert oder simplifiziert werden.

                  Filmisch unterstützt die Inszenierung diesen Charakterentwurf wirkungsvoll. Die Kameraarbeit verwendet häufig enge Nahaufnahmen, die intime Einblicke in Georgias innere Zerrissenheit ermöglichen, während weite Einstellungen ihre Isolation im sozialen Umfeld betonen. Der gezielte Einsatz von Licht und Schatten reflektiert symbolisch ihre Doppelrolle als Beschützerin und Bedrohung. Die Farbpalette variiert zwischen warmen Tönen in Momenten von Nähe und kaltem Licht, wenn Kontrolle und Härte dominieren. Schnitt und Rhythmus verstärken den Spannungsbogen zwischen Fassade und innerem Chaos.

                  Darüber hinaus trägt die narrative Struktur der Staffel, die zwischen Georgias Gegenwart und Rückblenden in ihre Vergangenheit wechselt, zu einem psychoanalytisch aufgeladenen Erzählen bei. Dieses Fragmentieren der Zeit spiegelt das Erleben traumatischer Erinnerungen wider und verdeutlicht, wie Vergangenheit und Gegenwart in Georgias Psyche verschmelzen.

                  Insgesamt gelingt Ginny & Georgia mit Georgia als zentraler Figur eine feministische Neudefinition von Mutterschaft und Weiblichkeit. Sie wird nicht glorifiziert, aber auch nicht verurteilt. Stattdessen öffnet die Serie einen Raum, in dem Ambivalenz als zutiefst menschlich und politisch verstanden wird.

                  Um fair zu bleiben, muss man allerdings anmerken, dass die Serie formal nicht immer auf dem Niveau der Figurenkomplexität bleibt. Manche dramaturgischen Wendungen wirken klischeebehaftet, und die Balance zwischen den Teenie Drama Elementen und der tiefgründigen Charakterstudie gerät gelegentlich ins Wanken. Dennoch überstrahlt Brianne Howeys Darstellung und die gelungene filmische Umsetzung dieser Figur diese Schwächen deutlich.

                  Fazit:
                  Ginny & Georgia bietet mit Georgia eine Figur, die fernab von Schwarz-Weiß-Darstellungen weiblicher Rollen faszinierende Einblicke in weibliche Identität, Trauma und Macht gibt. Die Serie verdient Anerkennung dafür, dass sie durch filmische Mittel und eine starke schauspielerische Leistung ein feministisch-psychoanalytisches Spannungsfeld öffnet, das zum Nachdenken anregt auch wenn der Rest der Serie gelegentlich an Genreklischees haftet. Georgia bleibt das pulsierende Herz einer Serie, die mehr ist als nur jugendliches Entertainment.

                  1
                  • 10
                    Max_200a 08.07.2025, 01:50 Geändert 08.07.2025, 02:17

                    „Mulholland Drive“ – Die Mutter aller Filme

                    Wenn John Steinbeck die Route 66 die „Mother Road“ nannte die Mutter aller Straßen, die Hoffnungsträgerin für Generationen auf der Flucht vor Armut, Staub und Tod, dann ist „Mulholland Drive“ die Mutter aller Filme. Sie ist der kurvige, flüsternde, verhängnisvolle Pfad durch das Niemandsland der Seele. Doch anders als Steinbecks Straße führt sie nicht nach Westen, nicht ins gelobte Land, sondern in die Schattenzonen hinter dem Traum.

                    Wenn die Route 66 einst für Aufbruch stand, dann steht „Mulholland Drive“ für Abstieg. Für Zerfall. Für das, was passiert, wenn der Traum sich selbst auffrisst. David Lynch, Schöpfer von zersplitterten Realitäten, ist hier nicht nur der Vater des Films, er ist sein Architekt, sein Chirurg, sein Exorzist.

                    „Mulholland Drive“ ist keine lineare Erzählung, kein klassisches Drama mit Einleitung, Steigerung, Höhepunkt und Lösung. Er beginnt in der Dunkelheit eines Autounfalls und endet im Nichts eines verlorenen Geistes. Die Handlung, sofern man sie so nennen darf, zerfällt bewusst in zwei scheinbare Hälften, die erste, eine traumartige, glatte Oberfläche, die zweite, eine desillusionierende, zersplitterte Realität. Doch dies ist ein Trugschluss. Es sind keine zwei Hälften. Es ist ein Spiegel, der sich in sich selbst zurückfaltet.

                    Die Zeit ist instabil, Identitäten lösen sich auf. Betty wird zu Diane, Rita wird zu Camilla, Los Angeles wird zum inneren Abgrund. Was wie ein klassisches Mystery beginnt, zerfällt zu einem Fragment surrealer Symbolik. Jede Szene enthält ein Geheimnis, das sich nicht durch Erklärung, sondern nur durch Empfindung entschlüsseln lässt.

                    Naomi Watts leistet in diesem Film mehr als bloßes Schauspiel. Ihre Verwandlung von der naiven Betty zur gebrochenen Diane ist ein Meisterstück emotionaler Alchemie. In einer Szene ist sie die helle Hoffnung auf eine glorreiche Karriere, in der nächsten ein Wrack aus Schuld und Begierde. Sie zeigt, wie dünn die Haut zwischen Rollen und Realität ist, und wie tödlich es sein kann, sich selbst zu spielen.

                    Laura Harring als Rita ist dabei nicht weniger schillernd. Ihr Verlust des Gedächtnisses macht sie zum perfekten Spiegel für Bettys Projektionen. Sie ist verletzlich, verführerisch, rätselhaft, eine lebendige Sphinx. Ihr Schweigen sagt mehr als jede Zeile Dialog.

                    Diese beiden Frauen tanzen umeinander wie zwei Hälften einer zerrissenen Seele. Ihre Liebesgeschichte ist keine klassische Romanze, sondern eine Sehnsucht nach Verschmelzung mit sich selbst, mit dem Traum, mit einer besseren Version der Welt.

                    Lynch entlarvt Hollywood. Was andere als Stadt der Träume verklären, entlarvt er als Ort des Verfalls, der Illusion, des Verrats. Mulholland Drive ,eine Straße, die sich wie eine Schlange durch die Hügel schlängelt , wird zur Metapher für den Weg ins Verderben.

                    In dieser Stadt bekommt niemand, was er verdient. Talent spielt keine Rolle. Kontrolle ist eine Illusion. Der Regisseur verliert seinen Film. Die Schauspielerin verliert ihren Verstand. Die Träume der Stadt sind faul, und ihre Realität ist noch grausamer. Alles ist schön, aber falsch. Hell, aber leer.

                    Lynch zeigt das wahre Gesicht des Glamours ein Totenschädel mit Lippenstift. Die Stadt lächelt, während sie dich verschlingt.

                    Jede Einstellung in „Mulholland Drive“ ist mit Bedeutung aufgeladen, ohne sie aufzudrängen. Die mysteriöse blaue Box. Der Cowboy mit leerem Blick. Das „Monster“ hinter dem Diner, dessen Gesicht mehr Albträume verursacht als jeder Horrorfilm. Der Club Silencio – ein Ort, an dem uns die Wahrheit ins Gesicht geschrien wird: „Es ist alles nur Band. Es ist alles Illusion.“

                    Die Musik spielt, doch niemand singt. Der Klang ertönt, doch niemand berührt die Gitarre. Es gibt keinen Zuschauer, der nicht gemeint ist. Der Film wird zur Beichte ohne Priester.

                    Die Musik von Angelo Badalamenti und die Kameraarbeit von Peter Deming sind atemberaubend , sie weben eine dichte, hypnotische Atmosphäre aus Klang und Licht, die nicht nur begleitet, sondern selbst zum unheimlichen Erzähler wird.

                    „Mulholland Drive“ ist kein Geheimnis, das gelöst werden will. Es ist ein Gefühl, das erinnert werden muss. Man kann den Film zehnmal sehen und jedes Mal einen anderen Film erkennen. Lynch zwingt uns, unsere Sehgewohnheiten zu hinterfragen, unsere Annahmen über Identität, Realität, Ursache und Wirkung zu zerschlagen.

                    Fazit:

                    Es gibt Filme, die erzählen Geschichten. Und es gibt Filme, die träumen uns. „Mulholland Drive“ ist letzteres. Es ist ein Meilenstein des Kinos, nicht weil es Antworten gibt, sondern weil es Fragen stellt, die keine Worte fassen können. Es ist ein Gedicht über das Scheitern der Träume, über die Fragilität des Selbst, über die Schönheit des Trugbilds.

                    Wer bereit ist, sich auf diesen Film einzulassen, der wird verändert aus ihm hervorgehen. Nicht mit Klarheit, sondern mit einer neuen Sensibilität für das, was unter der Oberfläche lauert.

                    David Lynch hat mit „Mulholland Drive“ nicht nur einen Film gemacht. Er hat eine Erfahrung geschaffen. Eine Prüfung. Eine Offenbarung. Eine Legende.

                    Ironischerweise endet die Route 66 – die große amerikanische Hoffnungsstraße ausgerechnet hier in Los Angeles, genau dort, wo auch der amerikanische Traum in „Mulholland Drive“ endgültig kollabiert
                    ……………………………………………………………

                    Eine stille Verneigung, ein flüsterndes Rest in Peace – für David Lynch, den größten Filmemacher und Universalkünstler unserer Zeit. Einen Mann, der nicht nur das Kino verändert hat, sondern auch unsere Vorstellung davon, was Realität sein kann und was dahinter liegt.

                    Er hat uns gelehrt, dass Dunkelheit leuchten kann, dass Stille manchmal mehr sagt als jedes Wort, und dass Träume nicht nur Flucht sind, sondern Wahrheiten in ihrer reinsten, ungefilterten Form. Von den fiebrigen Albträumen eines Eraserhead bis zur metaphysischen Tiefe von Twin Peaks hat er Bilder geschaffen, die nicht altern, Gefühle, die nicht vergehen, Räume, die in uns weiterleben lange nachdem der Abspann verklungen ist.

                    Lynch war nie einfach nur Regisseur. Er war Seher, Poet, Medium. Seine Filme haben nicht nur erzählt sie haben berührt, verwundet, aufgebrochen. In einer Welt, die uns ständig erklären will, wie Dinge zu sein haben, hat er das Rätselhafte bewahrt und damit etwas Heiliges.

                    Auch jenseits der Leinwand war sein Wirken bedeutend: Durch ihn habe ich die transzendentale Meditation entdeckt einen stillen Pfad nach innen, der wie seine Kunst Räume öffnet, in denen Gedanken zur Ruhe kommen und das Unsichtbare eine Stimme bekommt.

                    Sein Werk ist ein Geschenk. Und der Mensch dahinter war es auch.

                    1
                    • 9
                      Max_200a 16.05.2025, 22:44 Geändert 17.05.2025, 00:03

                      Blink Twice (2024)

                      Zoë Kravitz’ Langfilmdebüt Blink Twice ist ein filmisches Statement, das sich mit seiner Mischung aus Thriller, Gesellschaftssatire und feministischer Allegorie nicht nur mutig zwischen die Genres stellt, sondern sich dabei mit beachtlicher künstlerischer Reife behauptet. Der Film, der vordergründig eine schillernde Geschichte über eine mysteriöse Auszeit auf einer Privatinsel erzählt, entpuppt sich als scharfsinnige Dekonstruktion von Macht, Männlichkeitsmythen und weiblicher Selbstermächtigung.

                      Im Zentrum steht Frida (überzeugend gespielt von Naomi Ackie), eine junge, kluge Frau aus dem kreativen Milieu, die bei einer Begegnung auf einer Gala auf Slater King (Channing Tatum) trifft – einen Milliardär und Tech-Mogul, dessen Aura aus Charme, Narzissmus und latenter Manipulation die Umgebung zu hypnotisieren scheint. Er lädt Frida gemeinsam mit einer kleinen, sorgfältig kuratierten Gruppe Menschen auf seine private Insel ein – eine Einladung, die so exklusiv wie rätselhaft ist. Was zunächst wie eine glamouröse Flucht aus dem Alltag wirkt, verwandelt sich bald in ein zunehmend unheimliches und destabilisiertes Experiment.

                      Kravitz beweist bereits in den ersten Szenen ein überragendes Gespür für Rhythmus und Bildsprache. Die Kamera von Adam Newport-Berra komponiert mit kalkulierter Künstlichkeit: Farben sind überzeichnet, Räume wirken wie sorgfältig kuratierte Moodboards, die ebenso verführerisch wie beklemmend erscheinen. Die visuelle Ästhetik schwankt bewusst zwischen Instagram-Filter und postmodernem Delirium – eine Wahl, die keineswegs oberflächlich bleibt, sondern den thematischen Kern des Films unterstreicht: die Inszenierung von Identität in einer Welt, in der Realität längst durch Performanz ersetzt wurde.

                      Die Musik von Chanda Dancy unterstreicht diesen visuellen Überschuss mit pulsierenden, dröhnenden Kompositionen, die nie in den Vordergrund drängen, aber ein konstantes Gefühl von Bedrohung und Entfremdung erzeugen. So entsteht eine Atmosphäre, die sich weniger über klassische Spannung als über latentes Unbehagen aufbaut – eine unterschwellige Dissonanz, die sich nach und nach zur psychologischen Sprengkraft entwickelt.

                      Besonders hervorzuheben ist Kravitz’ Fähigkeit, ihre Figuren nicht in plakativen Gut-Böse-Schemata zu fassen. Channing Tatum spielt Slater King mit einem faszinierenden Wechselspiel aus Charisma und Abgründigkeit, was dem Film seine moralische Ambivalenz bewahrt. King ist keine Karikatur des toxischen Patriarchen – sondern eine glaubwürdig verführerische Figur, die gerade in ihrer Unbedingtheit gefährlich wird. Naomi Ackie begegnet ihm mit einem Spiel, das klug zwischen Skepsis, Neugier und Kontrollverlust balanciert. Ihre Frida ist keine passive Protagonistin, sondern eine Suchende, deren Blick sich im Laufe des Films schärft – und damit auch der der Zuschauer*innen.

                      Thematisch lässt sich Blink Twice klar als feministische Erzählung lesen, ohne sich je in vordergründiger Botschaftsprosa zu verlieren. Die Mechanismen männlicher Dominanz – seien sie ökonomisch, emotional oder körperlich – werden aufgebrochen, dekonstruiert und ins Surreale überhöht. Gerade das letzte Drittel des Films entwickelt eine Sogkraft, die in ihrer visuellen Radikalität und erzählerischen Klarheit überzeugt. Das Finale, ein fiebriges Crescendo aus Enthüllung und Auflösung, bleibt im Gedächtnis: nicht, weil es laut ist, sondern weil es präzise inszeniert ist – und sich konsequent der Vereinfachung verweigert.

                      Dass der Film dennoch keine makellose 10-Punkte-Erfahrung ist, liegt an seinem spürbaren Längen in der ersten Hälfte. Blink Twice braucht Zeit, um in Fahrt zu kommen – und das ist nicht immer zu seinem Vorteil. Einzelne Szenen geraten zu betont ästhetisch, verlieren narrative Zielstrebigkeit und wirken eher wie Stilübungen denn als dramaturgischer Motor. Doch je weiter sich die Geschichte entfaltet, desto deutlicher wird: Diese Langsamkeit ist Teil des Konzepts. Die Dosis Gift wird so schleichend verabreicht, dass die Explosion am Ende umso wirkungsvoller ist.

                      Der Vergleich mit Get Out, der vielerorts bemüht wird, wirkt letztlich oberflächlich. Während Jordan Peele seinen Horror mit politischer Eindeutigkeit auflädt, ist Blink Twice offener, symbolischer – weniger als Sozialkritik konstruiert denn als künstlerische Reflexion über Macht, Kontrolle und das Verlangen, gesehen zu werden. Die beiden Filme mögen thematisch Schnittmengen haben, doch Kravitz’ Werk verdient es, als eigenständige, sehr persönliche Vision wahrgenommen zu werden.

                      Fazit:
                      Zoë Kravitz liefert mit Blink Twice ein visuell und atmosphärisch dichtes Debüt, das stilistisch ambitioniert, thematisch mutig und erzählerisch konsequent ist. Die Inszenierung ist durchkomponiert, das Schauspiel stark, die Dramaturgie mit nur kleinen Abstrichen überzeugend. Vor allem aber ist es ein Film mit Haltung – einer, der nicht nur gefallen will, sondern etwas zu sagen hat. Und das tut er mit Stil.

                      • 9

                        Late Night with the Devil (2024)

                        In der Ästhetik des späten 20. Jahrhunderts liegt eine seltsame Verheißung. Das Rauschen des analogen Signals, das matte Licht der Studiolampen, die festen Frisuren, die festen Formate – all das suggeriert Ordnung in einer Welt, die längst begonnen hat, unter ihrer Oberfläche zu vibrieren. Late Night with the Devil nutzt dieses Setting nicht als nostalgisches Gimmick, sondern als präzise konstruierte Bühne für eine dämonische Dekonstruktion.

                        Die Regiebrüder Cameron und Colin Cairnes inszenieren ihre Geschichte mit einer beachtlichen stilistischen Selbstsicherheit. Was als Aufzeichnung einer Live-Sendung beginnt – irgendwo zwischen Johnny Carson und Ghostwatch – entpuppt sich als zunehmend klaustrophobischer Albtraum. Jack Delroy, überzeugend und facettenreich gespielt von David Dastmalchian, ist der Gastgeber, dessen Charme erste Risse zeigt, je weiter der Abend voranschreitet.

                        Die Struktur des Films ist ein geschickter Hybrid: Die vermeintlich ungeschnittene Sendung wechselt sich mit Archivmaterial, Probenaufnahmen und gelegentlichen Behind-the-Scenes-Sequenzen ab. Dieser Bruch zwischen „On Air“ und „Realität“ öffnet Räume für Ambiguität – aber anders als viele Found-Footage-Filme verliert sich Late Night with the Devil nicht in formalen Spielereien. Stattdessen steigert sich das Unheimliche mit chirurgischer Präzision.

                        Besonders auffällig – und entscheidend für die Wirkung – ist die visuelle Gestaltung. Der Film ist durchzogen von einer Bildsprache, die sich eng an das amerikanische Fernsehen der 1970er Jahre anlehnt: Körnung, Farbfilter, Studiolicht. Doch je weiter sich der Plot verdichtet, desto subtiler verschieben sich Komposition und Atmosphäre. Was zunächst nach Retro-Chic aussieht, verwandelt sich zusehends in eine Bühne des Kontrollverlusts.

                        Hier liegt die eigentliche Stärke des Films: Er arbeitet nicht mit Jump-Scares oder billigem Schock – sondern mit einem ständigen Gefühl der Beklemmung. Die Spannung resultiert nicht aus dem was, sondern aus dem wann. Man weiß, dass etwas passieren wird, aber nie, auf welche Weise. In dieser Hinsicht erinnert der Film mehr an Klassiker wie Rosemary’s Baby oder The Exorcist, als an moderne Horrorkost.

                        David Dastmalchian gelingt in der Rolle des Jack Delroy ein kleines Kunststück: Er spielt nicht einfach einen TV-Moderator – er spielt einen Mann, der sein Publikum braucht wie Luft zum Atmen, und der dennoch langsam an der eigenen Leere erstickt. Seine Performance ist ruhig, kontrolliert, aber voller innerer Risse. Kein Schrei, sondern ein inneres Flimmern.

                        Auch die Nebendarsteller – vom skeptischen Wissenschaftler bis zur jungen Frau mit übersinnlicher Vergangenheit – funktionieren weniger als Individuen, denn als dramaturgische Zahnräder im Uhrwerk eines sich anbahnenden Desasters. Das Finale ist dabei ebenso radikal wie offen. Der Film verweigert die erlösende Pointe, das abschließende Erklären – und bleibt gerade deshalb im Gedächtnis.

                        Dass Late Night with the Devil trotz seiner stilistischen Klarheit kein reiner Genrebeitrag ist, liegt auch an seiner unterschwelligen Thematisierung von Wahrheit, Inszenierung und medialer Gier. Doch anders als viele sogenannte „clevere“ Horrorfilme will er daraus keine These ableiten. Die Cairnes-Brüder interessieren sich nicht für pädagogische Effekte – sondern für das Unheimliche als Erfahrung.

                        Und genau darin liegt die große Qualität dieses Films: Er will nicht klug wirken – er ist klug. Nicht durch Zitate oder Anspielungen, sondern durch Formbewusstsein, Disziplin und ein ausgeprägtes Gefühl für Rhythmus.

                        Fazit:
                        Late Night with the Devil ist ein herausragendes Beispiel dafür, was moderner Horror leisten kann, wenn er nicht bloß schocken, sondern verstören will. Die Atmosphäre ist dicht, die Gestaltung konsistent, die Schauspielkunst auf den Punkt. Mit wenigen Mitteln und großer Sorgfalt gelingt den Regisseuren ein Film, der sich unter die Haut schiebt – nicht als schriller Dämon, sondern als dunkles Flüstern hinter der Studiowand.

                        6
                        • 5
                          Max_200a 14.05.2025, 15:44 Geändert 17.05.2025, 01:08

                          Another Simple Favor (2024)

                          Blake Lively trägt wieder Maßanzüge, Anna Kendrick lächelt sich durch moralische Grauzonen, und irgendwo zwischen Pastellfarben und Martinis beginnt das Spiel von vorne. Another Simple Favor inszeniert sich als Fortsetzung, aber verhält sich wie eine Parodie auf sich selbst: zu bunt, zu bemüht, zu laut – und leider ohne das narrative Rückgrat, das den ersten Teil noch so unterhaltsam und überraschend machte.

                          Wo der Vorgänger ein stilistisch ausbalancierter Thriller mit schwarzhumorigen Spitzen war, driftet die Fortsetzung spürbar in eine komödiantische Richtung ab. Man erkennt die Figuren wieder, aber sie wirken, als hätten sie sich selbst überlebt. Die Geschichte, die einst aus Verführung, Geheimnissen und suburbaner Doppelmoral bestand, wird hier zu einem überkonstruierten Spiel aus Twists, Doppelgängern und absurden Plottwists, das sich selbst permanent überbieten will – und dabei seinen inneren Kompass verliert.

                          Das Setting: wunderschön. Capri, mit seinem Licht, den Terrassen, dem gläsernen Meer, bietet eine perfekte Projektionsfläche für diesen Film, der sich optisch alle Mühe gibt, zu gefallen. Und das gelingt ihm: visuell ist Another Simple Favor ein Fest. Es glitzert, es funkelt – aber man bleibt auf Distanz. Die Bilder sprechen, doch die Handlung schweigt.

                          Blake Lively spielt auch diesmal souverän – ihre Präsenz ist makellos –, doch die Figur, die sie verkörpert, bleibt diesmal seltsam leer. Nicht hysterisch, nicht überzeichnet, sondern eher entkernt: eine Projektionsfläche für Stil, aber nicht für Bedeutung. Anders als im ersten Teil, wo ihre Figur von Undurchschaubarkeit lebte, ist ihre Rückkehr nun zu deutlich auf Effekt gebürstet.

                          Anna Kendrick bleibt das sympathische Zentrum, doch auch ihre Figur verliert sich in überzogenen Dialogen und wird zunehmend zur Karikatur ihrer einstigen Rolle. Ihre Spielfreude ist spürbar, aber sie wird oft vom allzu konstruierten Drehbuch ausgebremst.

                          Besonders enttäuschend ist die Dramaturgie: Die Auflösung ist nicht nur wirr, sondern auch erzählerisch enttäuschend. Was zunächst wie ein raffinierter Cocktail aus Suspense und Witz wirkt, entpuppt sich als lauwarme Mischung aus willkürlichen Wendungen, Logiklücken und Figuren, die sich verhalten wie Schauspielpuppen in einem überladenen Theaterstück. Statt doppeltem Boden gibt es hier bloß lose Enden.

                          Und dennoch: Man will dem Film nicht ganz böse sein. Die italienische Küste verleiht ihm eine gewisse Leichtigkeit, die über viele inhaltliche Schwächen hinwegtäuscht. Auch wenn die Geschichte ins Leere läuft, bleibt der Rahmen anziehend. Doch das reicht nicht.

                          Fazit:
                          Another Simple Favor versucht, größer, bunter und ironischer zu sein als sein Vorgänger – und verliert dabei genau das, was Teil eins so charmant machte: erzählerische Klarheit, Figuren mit Tiefe und eine präzise Balance aus Humor und Spannung. Was bleibt, ist eine optisch reizvolle, aber dramaturgisch überladene Fortsetzung, die sich zu oft in ihrem eigenen Spiel verliert.
                          Wenn man alle Augen zudrückt – und sehr großzügig über Capri hinwegschaut – sind 5 von 10 Punkten noch denkbar. Ehrlicher wären 4.

                          2
                          • 7

                            „A Simple Favor“ (2018)

                            Was auf den ersten Blick wie ein schillernder Cocktail aus Pinterest-Ästhetik, Blogger-Ironie und oberflächlicher Suburban-Idylle anmutet, entpuppt sich bei näherer Betrachtung als überraschend reflektiertes Spiel mit Genre-Konventionen, weiblicher Identität und den Masken des modernen Alltags. A Simple Favor, inszeniert von Paul Feig – bislang eher bekannt für komödiantische Beiträge wie Bridesmaids oder Spy – ist ein Film, der sich lustvoll und bewusst zwischen die Stühle setzt: Thriller, Satire, psychologische Charakterstudie und doch auch bewusstes Stil-Objekt.

                            Die Handlung – eine scheinbar klassische „Whodunit“-Konstellation – ist dabei weniger das Zentrum des Films als vielmehr dessen Oberfläche. Die Geschichte rund um das Verschwinden der kühlen, unnahbaren Emily (Blake Lively) und die obsessive Spurensuche der vermeintlich biederen Stephanie (Anna Kendrick) folgt zwar bekannten Bahnen, entwickelt jedoch durch den sarkastischen Tonfall und die bewusst stilisierte Inszenierung eine ganz eigene Dynamik.

                            Dass der große Twist gegen Ende absehbar ist, ist kein dramaturgisches Versäumnis, sondern vielmehr Bestandteil einer Strategie der Offenlegung. A Simple Favor will nicht primär überraschen, sondern demaskieren: die Fassade der perfekten Mutter, die Konstruktion von Freundschaft, das narrative Spiel mit Schuld und Sühne – all das wird hier nicht psychologisch vertieft, sondern ästhetisch gebrochen. Der Film kennt seine Vorbilder – von Hitchcock bis Gone Girl – und zitiert sie mit ironischer Geste, ohne in bloße Parodie abzugleiten.

                            Was diese Inszenierung besonders reizvoll macht, ist die subtile Verschränkung von Ästhetik und Erzählung. Die Bildsprache ist bewusst hell, fast überbelichtet, die Räume sind makellos, geometrisch komponiert – eine durchgestylte Welt, in der sich das Grauen nicht in der Dunkelheit versteckt, sondern im gläsernen Tageslicht offenbart. Das ist mutig und ungewöhnlich für einen Thriller und erinnert in seiner formalen Strenge fast an die Filmkunst eines Pedro Almodóvar oder Todd Haynes – freilich mit amerikanischer Leichtigkeit unterfüttert.

                            Zentral für das Gelingen dieser erzählerischen Konstruktion ist die Besetzung. Anna Kendrick spielt Stephanie mit einer faszinierenden Ambivalenz aus Überkorrektheit und leiser Manipulationskunst, changierend zwischen Clown und Kontrollfreak, zwischen Opfer und Täterin. Ihre Performance trägt den Film – doch es ist Blake Lively, die überrascht: Eine Schauspielerin, der man oft Oberflächlichkeit unterstellt, brilliert hier mit einer unterkühlten Eleganz, die an klassische Film-Noir-Figuren erinnert. Ihre Emily ist kein Rätsel, das gelöst werden muss, sondern ein Abgrund, in den man schaut – und der zurückblickt.

                            Natürlich ist A Simple Favor kein perfekter Film. Die narrative Konstruktion hat Lücken, manche Nebenfiguren bleiben karikaturesk, und gelegentlich kippt der ironische Ton in Beliebigkeit. Und doch: Der Film weiß, was er ist – und was er nicht ist. Er will kein klassischer Thriller sein, kein moralisches Drama, keine bloße Komödie. Er ist eine Versuchsanordnung – ein stilistisch fein komponiertes Experiment über Weiblichkeit, Imagekonstruktion und die Lust am Verschwinden.

                            Fazit:
                            Paul Feigs A Simple Favor ist ein raffinierter Hybridfilm, der seine Thrillerelemente nicht als Selbstzweck, sondern als Träger einer ästhetisch-moralischen Untersuchung nutzt. Er reflektiert über Schein und Sein im digitalen Zeitalter, über Authentizität als Pose und Freundschaft als Form der Selbstverwirklichung. Dass der Film dabei auch noch blendend unterhält, macht ihn zu einer der überraschenderen Genre-Arbeiten der letzten Jahre – elegant, verspielt, und mit einem Augenzwinkern tiefgründiger, als man ihm zunächst zutrauen würde.

                            1
                            • 4
                              Max_200a 13.05.2025, 22:57 Geändert 14.05.2025, 00:12

                              Until Dawn: 2025

                              Wenn ein Film sich den Titel eines bekannten Spiels leiht – und sei es nur lose – weckt er unweigerlich Erwartungen. Nicht unbedingt im Sinne einer getreuen Adaption, aber doch im Anspruch, zumindest atmosphärisch, strukturell oder thematisch an das Ausgangsmaterial anzuknüpfen. Until Dawn (2025) jedoch löst dieses Versprechen in keiner Weise ein – weder als Hommage noch als eigenständiger Beitrag zum Genre des psychologischen Horrors.

                              Dabei ist die Grundidee, die auf eine Zeitschleifenstruktur setzt – ein motivisch oft reizvolles Gerüst –, keineswegs per se zum Scheitern verurteilt. In Filmen wie Happy Death Day oder Triangle wurde dieses Prinzip bereits mit Witz, Spannung oder philosophischer Tiefe variiert. Until Dawn hingegen nutzt das Konzept wie ein müder Mechanismus: Die Wiederholungen ermüden, statt zu verdichten. Spannung entsteht kaum, weil der Film weder dramaturgisch konsequent noch emotional involvierend erzählt ist. Was als klaustrophobische Parabel auf Schuld und Wiederholung hätte funktionieren können, verliert sich im lärmenden Leerlauf.

                              Besonders enttäuschend ist, wie beiläufig der zentrale Twist – also die Erklärung für das Zeitschleifen-Dilemma der jugendlichen Protagonisten – abgehandelt wird. Statt narrativer Schlüssigkeit oder emotionaler Tragweite bietet der Film eine hanebüchene, kurzatmige Erklärung, die weder intellektuell reizt noch atmosphärisch überzeugt. Die eigentlich tragende Figur des Psychiaters, gespielt von Peter Stormare – im Spiel eine ikonische Erscheinung – wird hier zur Fußnote degradiert: eine blasse Karikatur mit kaum erzählerischer Relevanz.

                              Auch in handwerklicher Hinsicht bleibt Until Dawn unterdurchschnittlich. Die Effekte wirken oft generisch, die Kills vorhersehbar und ohne inszenatorischen Nachdruck. Was in einem Horrorfilm an Intensität und formaler Präzision möglich wäre, bleibt hier auf TV-Niveau. Schauspielerisch bewegt sich das Ensemble im besten Fall im Bereich solider Mittelmäßigkeit, oftmals aber auch darunter. Besonders die emotionalen Spitzen wirken aufgesetzt oder gänzlich unmotiviert – ein Umstand, der durch das schwache Drehbuch noch verstärkt wird.

                              Selbst Tage nach dem Ansehen bleibt wenig zurück außer das Gefühl, eine vertane Gelegenheit erlebt zu haben. Until Dawn verpasst nicht nur die Chance, das Spiel als Inspirationsquelle ernst zu nehmen – es scheitert auch daran, eine eigenständige filmische Vision zu entwickeln. Die Figuren bleiben schablonenhaft, der Horror zahm, die Handlung platt.

                              Fazit:
                              Until Dawn ist ein erschreckend generischer Horrorfilm, dem es an stilistischer Handschrift, erzählerischer Klarheit und emotionaler Wirkung fehlt. Die Zeitschleifenprämisse wird zur Geduldsprobe, der Twist verpufft, und selbst die wenigen bekannten Namen im Cast wirken verschenkt. Wer das Spiel kennt, wird enttäuscht. Wer es nicht kennt, wird sich kaum lange an diesen Film erinnern.

                              „Ps. David Hains Kommentar: ‚Ein Film wie eine billige Geisterbahn‘ trifft die Sache sehr gut und macht meine obige Kritik eigentlich überflüssig. 😂“

                              3
                              • 3 .5

                                Final Destination 3 (2006)

                                Mit Final Destination 3 erreicht das einst so originelle Franchise seinen ersten ernsthaften Ermüdungsbruch. Was 2000 als kreative, fast philosophische Horroridee begann – das unausweichliche Spiel mit dem Tod als abstrakte, allgegenwärtige Macht – wirkt im dritten Teil wie eine fahle Kopie seiner selbst. Die strukturelle Formel bleibt unangetastet: ein visuell spektakulärer Unfall, eine überlebende Hauptfigur mit Visionen, eine Reihe elaborierter Tode. Doch diesmal fehlt es an Substanz, Mut zur Weiterentwicklung – und vor allem an erzählerischer Rechtfertigung.

                                Der Film beginnt mit einer Achterbahnkatastrophe, die zwar das Potenzial für ein spektakuläres Eröffnungssetpiece gehabt hätte, jedoch erschreckend uninspiriert inszeniert ist. Statt kinetischer Spannung oder psychologischer Beklemmung bekommt man generisches CGI, eine flache Tonalität und wenig Atmosphäre geboten. Von dem Schauder, den die Autobahnsequenz in Teil 2 noch hervorrief, ist hier nichts mehr zu spüren.

                                Die Idee, dass Fotos als Vorboten der kommenden Tode fungieren, mag auf dem Papier eine reizvolle Variation sein, erweist sich in der Ausführung aber als müder Kniff – ein Versuch, Spannung durch symbolische Andeutungen zu erzeugen, der sich nie wirklich organisch in die Handlung fügt. Vielmehr wirkt es wie ein notdürftiger Kunstgriff, um die Dramaturgie künstlich zu beleben.

                                Mary Elizabeth Winstead, die als Protagonistin Wendy durch die Geschichte führt, kann dabei kaum Profil entwickeln. Ihre Figur bleibt blass, nervös, oft hysterisch – weniger von innerer Zerrissenheit geprägt als von klischeehaftem Schreien und unklarem Antrieb. Auch das restliche Ensemble verbleibt im Schablonenhaften: Teenager, die kaum Namen, geschweige denn Tiefe erhalten. Wo Teil 1 und 2 noch sympathische oder zumindest interessante Figuren präsentierten, deren Schicksale berührten oder überraschten, herrscht hier Gleichgültigkeit.

                                Selbst die berüchtigten „Kills“, einst der groteske Reiz des Franchises, geraten in Teil 3 zu mechanischen Abläufen. Es fehlt an Kreativität, an makaberem Witz, an inszenatorischer Finesse. Die Todesarten wirken vorhersehbar, teilweise willkürlich – und lassen genau das Raffinement vermissen, das das Konzept ursprünglich so reizvoll machte.

                                Fazit:
                                Final Destination 3 ist kein Totalschaden, aber eine überdeutlich redundante Fortsetzung. Ohne erzählerische Weiterentwicklung, mit ausdrucksschwachen Figuren und weitgehend einfallslosen Effekten wirkt der Film wie ein pflichtschuldig heruntergespulter dritter Akt eines einst spannenden Experiments. Dass die Reihe hier beginnt, sich selbst zu zitieren, ohne etwas Neues zu sagen, ist bedauerlich – aber nicht überraschend. Ein Film, der seine eigene Prämisse nicht mehr hinterfragt, sondern lediglich verwaltet.

                                2
                                • 7

                                  Final Destination 2 (2003)

                                  Es ist eine der seltenen Ausnahmen im Horror-Genre: Final Destination 2 gelingt das Kunststück, dem erfolgreichen ersten Teil nicht nur gerecht zu werden, sondern ihn in entscheidenden Punkten sogar zu übertreffen. Wo Teil eins die Tür zu einem neuen Subgenre – dem „Schicksalshorror“ – aufstieß, wagt Teil zwei die erste sinnvolle Erweiterung dieses Universums: stilistisch rasanter, inhaltlich pointierter und vor allem visuell deutlich ambitionierter.

                                  Schon die Eröffnungssequenz auf der Autobahn – ein infernalisches Zusammenspiel aus Blech, Feuer, Holzstämmen und Schicksalsmacht – ist eine der ikonischsten des gesamten Franchise. Die Szene mit dem Laster, der seine tödliche Ladung auf der Fahrbahn verteilt, ist nicht nur ein technisches Highlight, sondern hat sich längst ins kollektive popkulturelle Gedächtnis eingebrannt. Selten wurde das banale Alltagsrisiko so effektiv inszeniert. Die Unvermeidbarkeit des Unfalls, seine brutale Konsequenz – all das sitzt tief und setzt den Ton für einen Film, der in seiner Konsequenz fast kafkaesk wirkt.

                                  Die Geschichte knüpft klug an den ersten Teil an, ohne sich in reiner Wiederholung zu verlieren. Stattdessen weitet sie die Mythologie aus, spielt mit dem Gedanken der „Schicksalsumgehung“ und den damit verbundenen ethischen und existenziellen Konsequenzen. Der Tod ist hier kein bloßer Serienkiller mehr, sondern ein metaphysisches Prinzip – unpersönlich, unerbittlich, nahezu philosophisch. Dass man es in einem Film dieses Genres schafft, über Determinismus nachzudenken, ist bemerkenswert.

                                  A. J. Cook als Kimberly Corman führt durch den Film mit einer Präsenz, die angenehm aus dem oft klischeebeladenen Figurenkabinett des Horrorfilms herausragt. Ihre Darstellung bringt eine gewisse Verletzlichkeit, aber auch Entschlossenheit mit, die die emotionale Verankerung der Geschichte stärkt. Wer sie bereits aus Criminal Minds schätzte, wird hier angenehm überrascht – oder besser: bestätigt.

                                  Die Effekte sind deutlich gesteigert, wirken zugleich grotesk und durchdacht. Sie erfüllen nicht nur ihren offensichtlichen Zweck – das Publikum zu schockieren – sondern sind in ihrer inszenatorischen Raffinesse selbst kleine choreografierte Todesballetts. Die Lust am makabren Einfall bleibt erhalten, wirkt aber nie selbstzweckhaft. Vielmehr entsteht eine fast tragikomische Spannung: Man weiß, dass das Unvermeidliche kommen wird – aber nie, wie.

                                  Fazit:
                                  Final Destination 2 ist mehr als nur ein Sequel – es ist eine stilistische Verfeinerung, eine konzeptionelle Vertiefung und eine filmische Steigerung dessen, was der erste Teil etabliert hat. Die Freude an der düsteren Idee, das Schicksal selbst zum Antagonisten zu machen, wird hier mit cineastischem Nachdruck betrieben. Auch wenn der Film dramaturgisch nicht über alle Zweifel erhaben ist, bleibt er ein selten geglücktes Beispiel für das, was ein zweiter Teil leisten kann: eine Fortsetzung mit eigener Handschrift.

                                  1
                                  • 6 .5

                                    Final Destination (2000)

                                    Es gibt Filme, die weniger durch ihre erzählerische Tiefe als vielmehr durch ihre konzeptionelle Kühnheit im Gedächtnis bleiben – Final Destination ist ein solcher Fall. Als der Film im Jahr 2000 erschien, stellte er die bis dahin gängigen Regeln des Teenie-Horrors mit einem simplen, aber originellen Kniff auf den Kopf: Der Tod selbst wird zur unsichtbaren, allgegenwärtigen Figur. Kein Mörder, kein Monster – nur eine Idee. Und doch eine bedrohlich wirksame.

                                    Die Prämisse ist bemerkenswert: Ein Schüler entgeht durch eine plötzliche Vision einem Flugzeugabsturz – doch das Schicksal lässt sich nicht austricksen. Was folgt, ist eine konsequente Kettenreaktion, in der der Tod sich seine Opfer auf subtile, fast poetisch grausame Weise zurückholt. Diese Erzählweise verleiht dem Film eine eigentümliche Dynamik: Er ist weniger eine konventionelle Horrorgeschichte, als vielmehr ein makabres Puzzle, in dem man als Zuschauer stets versucht, dem unausweichlichen Mechanismus zuvorzukommen.

                                    Devon Sawa und Ali Larter tragen die Geschichte mit einer überraschenden Authentizität. Besonders Larter verleiht ihrer Figur Tiefe und eine stille Melancholie, die weit über das übliche Stereotyp des „Final Girl“ hinausreicht. Ihre Chemie auf der Leinwand ist spürbar, ihre Reaktionen wirken nie aufgesetzt – was in einem Genre, das allzu oft von Posen und Plattitüden lebt, erfrischend ist.

                                    Hinzu kommen visuell starke Momente. Die Effekte, auch wenn sie aus heutiger Sicht nicht mehr makellos sind, besitzen einen gewissen Charme und unterstützen die Atmosphäre des ständigen Unbehagens. Die Inszenierung macht sich das Alltägliche zunutze – Wasserleitungen, Steckdosen, Scherben – und verwandelt es in etwas Bedrohliches. Das Unheimliche liegt hier nicht im Übernatürlichen, sondern im Banalen.

                                    Und dennoch: So stark die Idee, so schwach mitunter die Umsetzung. Das Drehbuch bleibt über weite Strecken vorhersehbar, einige Dialoge wirken flach, und der dramaturgische Aufbau verliert im letzten Drittel an Präzision. Der Film erschöpft sich schließlich ein wenig in der Wiederholung seines eigenen Konzepts – das Überraschungsmoment verliert an Kraft, und damit auch ein Teil der Spannung.

                                    Fazit:
                                    Final Destination ist kein großer Film – aber ein kluger. Seine Wirkung beruht weniger auf Schockeffekten als auf einer Idee, die bis heute nachhallt: dass man dem Tod vielleicht entkommen kann – aber niemals seinem Plan. In seinem besten Momenten ist dieser Film eine Reflexion über Zufall und Schicksal, verpackt in ein Genre-Gewand. In seinen schwächeren bleibt er ein typischer Vertreter der frühen 2000er. Aber: ein einflussreicher. Und ein erinnerungswürdiger.

                                    2
                                    • 10

                                      Stranger Things – Staffel 4: Kate Bush gegen 001

                                      Mit der vierten Staffel erreicht Stranger Things seinen künstlerischen Kulminationspunkt. Was einst als Hommage an 80er-Jahre-Popkultur begann, entfaltet sich nun zu einer ausgewachsenen Dramaturgie von filmischer Dimension – düsterer, reifer, komplexer. Staffel 4 ist kein Serienprodukt im herkömmlichen Sinn mehr, sondern ein inszenatorisches Monument, das mühelos das Format sprengt. Jede Episode ist eine Miniatur aus Spannung, Bildkomposition und emotionaler Wucht – konsequent auf Kino-Niveau produziert.

                                      Besonders bemerkenswert ist die Entscheidung, die Handlung auf drei parallele Schauplätze zu verteilen – Hawkins, Russland und Kalifornien. Was auf dem Papier nach Zersplitterung klingen mag, erweist sich in der Umsetzung als strukturelle Meisterleistung: Die Erzählstränge verweben sich zu einem dichten Netz aus Motivik, Spannung und thematischer Tiefe, in dem jeder Schauplatz seine eigene Tonalität entwickelt – von kalter sowjetischer Härte bis hin zu psychologischem Horror in Suburbia.

                                      Im Zentrum der Staffel steht erneut Eleven, doch es ist das Ensemble, das die eigentliche Tragweite entfaltet. Sadie Sink als Max Mayfield überzeugt mit einer nuancierten, still intensiven Darstellung – ihr von Kate Bushs „Running Up That Hill“ untermalter Fluchtmoment zählt zweifellos zu den ikonischsten Szenen der Seriengeschichte. Die musikalische Inszenierung ist dabei weit mehr als atmosphärischer Effekt: Sie wird zum narrativen Werkzeug emotionaler Transzendenz – kraftvoll, symbolisch aufgeladen, unvergesslich.

                                      Neu im Ensemble ist Joseph Quinn als Eddie Munson – eine Figur, die vom Rand ins Zentrum rückt. Sein Handlungsbogen ist exemplarisch für die erzählerische Reife dieser Staffel: pointiert, tragisch und mit einem dramaturgischen Höhepunkt versehen, der in Erinnerung bleibt. Eddie ist Archetyp und moderne Figur zugleich – Außenseiter, Held, Opfer.

                                      Daneben glänzen alte Bekannte in neuer Stärke: Winona Ryder und Brett Gelman liefern als Joyce und Murray pointierte, energiegeladene Dialogszenen mit komödiantischer Präzision. David Harbour als Hopper überzeugt durch physischen Ausdruck und innere Zerrissenheit. Die Russland-Episoden mögen zunächst wie ein Genrebruch wirken, doch sie tragen maßgeblich zur Erhöhung der Staffel bei – sie schaffen Raum für Pathos und Erschöpfung, für Widerstand und Erlösung.

                                      Formal erreicht die Staffel durchgängig ein Niveau, das sich mit Kinoproduktionen messen kann: Die Kameraarbeit ist dynamisch und durchdacht, das Sounddesign fein nuanciert, die Spezialeffekte spektakulär und gleichzeitig erzählerisch sinnvoll eingebettet. Die Staffel baut Spannung mit chirurgischer Präzision auf und vermeidet selbst in Überlänge jegliche dramaturgische Ermüdung.

                                      Stranger Things 4 ist ein Serienphänomen auf dem Zenit seiner erzählerischen und ästhetischen Möglichkeiten. Die Themen – Identitätsfindung, Verlust, Freundschaft, Trauma – werden mit Ernsthaftigkeit behandelt, ohne den Zugang zum Publikum zu verlieren. Zugleich kann man diese Staffel auch als subtile Reflexion über weibliche Selbstermächtigung lesen: Max und Eleven stehen im Zentrum einer Geschichte, die ihre inneren Konflikte nicht nur abbildet, sondern zum Motor der Handlung macht – ohne sie je auf Stereotype zu reduzieren.

                                      Fazit:
                                      Die vierte Staffel von Stranger Things ist mehr als gelungene Unterhaltung. Sie ist ein cineastisch erzähltes Coming-of-Age-Horror-Drama, das seine Figuren ernst nimmt, seinen Ton meistert und seine Bildsprache perfektioniert. Ein seltenes Beispiel für das kreative Potenzial seriellen Erzählens – opulent, emotional, radikal gut.

                                      • 5
                                        Max_200a 14.04.2025, 19:41 Geändert 14.04.2025, 19:47

                                        Stranger Things – Staffel 3: Ein Sommer in Hawkins

                                        Mit der dritten Staffel schlägt Stranger Things einen neuen Ton an – heller, lauter, bunter. Statt düsterer Suburbia-Melancholie dominieren nun Neonfarben, Shopping-Mall-Romantik und eine Sommeratmosphäre, die das bislang so stimmig gebaute Serienuniversum auffällig kontrastiert. Dieser stilistische Kurswechsel ist mutig, aber nicht durchweg geglückt: Erzählerisch bleibt Staffel 3 überraschend schwach und verliert vieles von dem, was die Serie ursprünglich auszeichnete.

                                        Dabei gibt es durchaus Elemente, die auch in dieser Staffel überzeugen. Das Monsterdesign, allen voran der neue Auftritt des „Mind Flayer“, bleibt eine visuelle Stärke. Die Kreatur wirkt greifbarer, organischer – ihre Präsenz sorgt für einige eindrucksvolle Schauwerte und gehört zweifellos zu den Highlights der Staffel.

                                        Auch die Beziehung zwischen Elfie und Max bringt frischen Wind. Ihre wachsende Freundschaft verleiht Elfies Figur mehr emotionale Bandbreite und erlaubt ihr erstmals, sich außerhalb der bekannten Beziehungsdynamiken weiterzuentwickeln. Ebenso bereichernd ist die Figurenkonstellation rund um Hopper und Joyce, deren zarte Annäherung charmant, wenn auch nicht immer glaubwürdig inszeniert ist. Lucas’ kleine Schwester Erica bringt pointierten Humor ins Ensemble, ohne zur bloßen Comic-Relief-Figur zu verkommen.

                                        Ein klarer Lichtblick ist die Einführung von Robin (Maya Hawke) , die sich nicht nur schauspielerisch als Bereicherung entpuppt , sondern auch als Figur mit Tiefe und einer angenehm trockenen Intelligenz überzeugt. Ihre Chemie mit Steve Harrington gehört zu den gelungensten Neuerungen der Staffel.

                                        Und auch Dustin bekommt seinen ikonischen Moment: Das musikalische Duett zu “The NeverEnding Story” mit Suzie – so kitschig wie charmant – bleibt als eines der wenigen wirklich unvergesslichen Highlights der Staffel im Gedächtnis. Es ist ein seltenes Beispiel für jene verspielte Magie, die Stranger Things einst auszeichnete.

                                        Nicht unerwähnt bleiben darf Murray Bauman ( Brett Gelman) der mit seinem scharfen Zynismus und trockenem Humor erneut für die richtigen Akzente sorgt. Er balanciert das Ensemble mit einer willkommenen Portion Ironie aus und bleibt einer der unterschätzten Stars der Serie.

                                        Wie gewohnt glänzt Stranger Things in audiovisueller Hinsicht: Das ikonische Intro, begleitet von Synthesizerklängen, und die detailverliebten 80er-Jahre-Anspielungen – darunter eine augenzwinkernde Hommage an Terminator – tragen zur atmosphärischen Dichte bei. Doch hinter dieser stilistischen Oberfläche beginnt es zu bröckeln.

                                        Denn so solide einzelne Elemente auch sein mögen, die Dramaturgie der Staffel wirkt über weite Strecken zerfasert und unnötig träge. Erst spät entfaltet sich eine greifbare Bedrohung, und bis dahin hangelt sich die Erzählung durch eine Reihe wenig ergiebiger Nebenstränge. Die ersten Episoden sind spürbar langatmig und entwickeln kaum narrative Zugkraft.

                                        Hinzu kommt eine inhaltliche Überfrachtung. Die Einführung eines geheimen russischen Komplexes unter dem Einkaufszentrum mag als ironische Referenz auf Kalter-Krieg-Paranoia der 80er gedacht sein, bleibt aber erzählerisch unterentwickelt und wirkt wie ein Fremdkörper im Seriengefüge. Statt Spannung zu erzeugen, sorgt dieses Handlungselement für Verwirrung und nimmt der Geschichte ihre emotionale Tiefe.

                                        Die vermehrt in den Vordergrund gerückten Liebesbeziehungen – insbesondere zwischen Mike und Elfie – sind kaum ausbalanciert und oft unnötig dramatisiert. Vieles wirkt aufgebauscht und wenig organisch, wodurch sich das Erzähltempo zusätzlich verlangsamt. Besonders auffällig ist zudem die ungleiche Gewichtung der Figuren: Will, in den ersten beiden Staffeln noch zentrales Element des Narrativs, wird zunehmend zur Randfigur degradiert. Auch Nancy und Jonathan verlieren an erzählerischer Relevanz, und insbesondere Nancy verkommt zu einer überzeichneten Figur, deren journalistischer Eifer kaum noch überzeugend wirkt.

                                        Der hellere, sommerliche Look der Staffel tut der Serie atmosphärisch ebenfalls keinen Gefallen. Was einst durch düstere Lichtsetzung und klaustrophobische Bildsprache für Spannung sorgte, weicht nun einem bunten Szenario, das der unterschwelligen Bedrohung jede Tiefe nimmt. Die tonale Schere zwischen leichter Sommerkomödie und apokalyptischem Horror klafft hier deutlich zu weit auseinander.

                                        Zwar gelingt der Staffel im Finale eine emotionale Zuspitzung – inklusive tragischer Opfer – doch vermag auch das nicht, die strukturellen Schwächen der vorhergehenden Episoden zu kompensieren. Die Staffel wirkt überladen, tonal unstet und verliert den Fokus auf das, was Stranger Things einst besonders machte: die glaubhafte Verankerung des Übernatürlichen im Alltäglichen.

                                        Fazit:
                                        Staffel 3 von Stranger Things ist ein stilistisch auffälliger, aber erzählerisch enttäuschender Zwischenschritt. Trotz einzelner starker Figurenmomente, einer brillanten Dustin-Performance und gelungener audiovisueller Inszenierung fehlt es der Staffel an Stringenz, Tiefe und narrativer Konsequenz. Die Serie verliert sich im Versuch, größer, lauter und popkulturell aufgeladener zu sein – und büßt dabei viel von ihrer ursprünglichen Faszination ein.

                                        • 6

                                          Mit Challengers versucht sich Luca Guadagnino an einem ebenso stilisierten wie psychologisch aufgeladenen Liebesdreieck in der Welt des Profitennis – eine Bühne, die er mit visueller Finesse, choreografischer Präzision und pulsierendem Rhythmus in Szene setzt. Und zumindest auf der formalen Ebene gelingt ihm das mit beachtlicher Konsequenz.

                                          Allen voran steht Zendaya im Zentrum dieses Spiels – und sie überzeugt mit einer Intensität und Vielschichtigkeit, die man mit Recht als die bisher stärkste Leistung ihrer Karriere bezeichnen darf. Ihre Tashi Duncan ist keine einfache Figur, sondern ein kontrollierendes, manipulierendes Kraftzentrum, das sich nie ganz fassen lässt. Zendaya spielt das mit stoischer Härte, aber auch mit feinen Brüchen. Sie ist dominant und verletzlich, faszinierend und abschreckend zugleich – und hält das emotionale Gefüge des Films mühelos zusammen.

                                          Unterstützt wird diese Darstellung durch die mutige Kameraarbeit von Sayombhu Mukdeeprom, die sich nicht scheut, ungewöhnliche Blickwinkel zu wählen und das Spiel auf dem Tennisplatz als Spiegel innerer Machtverhältnisse zu inszenieren. Guadagnino verwebt Spiel und Psyche so eng miteinander, dass jeder Aufschlag, jeder Seitenblick zwischen den Charakteren mehr über ihre Beziehungen verrät als so mancher Dialog. Die Musik von Trent Reznor und Atticus Ross trägt entscheidend zur Atmosphäre bei: Ein durchgehender elektronischer Puls, der den Film rhythmisiert und in seinen besten Momenten hypnotisch macht.

                                          Doch leider reicht das stilistische Geschick nicht aus, um die strukturellen Schwächen des Films zu übertünchen. Das Drehbuch bleibt letztlich zu schematisch, die Figurenzeichnung zu distanziert. Die Beziehungen zwischen Tashi, Art (Mike Faist) und Patrick (Josh O’Connor) wirken oft wie ein psychologisches Experiment, weniger wie gelebte Geschichte. Die Dynamik zwischen ihnen ist zwar geladen, aber selten glaubhaft emotional. Ihre gegenseitige Abhängigkeit wirkt fast zu mechanisch, ihre Toxizität wie aus der Theorie abgeleitet.

                                          So beobachtet man diese drei Menschen, wie sie sich gegenseitig belügen, begehren, benutzen – aber wirklich fühlen lässt einen der Film dabei kaum. Man bleibt Zuschauer eines kalten Spiels, das wenig Raum für Identifikation oder Empathie lässt. Gerade weil Challengers so viel über Begehren und emotionale Macht erzählen will, enttäuscht es umso mehr, dass man diesen Figuren letztlich nicht nahekommt. Auch wenn die Oberflächen glänzen – darunter bleibt es erstaunlich leer.

                                          Fazit:
                                          Challengers ist ein formal virtuoses, ästhetisch durchkomponiertes Werk, das seine stärksten Momente der Bildsprache, der Musik und vor allem einer brillanten Hauptdarstellerin verdankt. Doch das emotionale Fundament, das den Film eigentlich tragen müsste, bleibt schwach. Die Charaktere wirken fremd, toxisch und zu künstlich, um sich wirklich mit ihnen zu verbinden. So bleibt Challengers ein faszinierendes Spiel – aber eben eines, bei dem man nie selbst ins Match einsteigt.

                                          1
                                          • 10

                                            Twin Peaks: Fire Walk With Me-
                                            Laura‘s Film

                                            Nur wenige Regisseure der Filmgeschichte besitzen eine Handschrift, die so unmittelbar wiedererkennbar, so kompromisslos und so existenziell ist wie die von David Lynch. Mit Twin Peaks: Fire Walk With Me lieferte Lynch 1992 nicht einfach ein Prequel zur gleichnamigen Kultserie, sondern ein erschütterndes, formal radikales und emotional überlebensgroßes Porträt eines Mädchens im freien Fall – und zugleich eines der mutigsten Werke der amerikanischen Filmgeschichte.

                                            Was zunächst vom Publikum und der Kritik weitgehend missverstanden wurde, hat sich über die Jahre zum Kult-Meisterwerk entwickelt – nicht zuletzt, weil Lynch hier all jene Konventionen ignoriert, die man von einem Serienableger erwarten könnte. Kein Fanservice, keine gemütliche Rückkehr nach Twin Peaks, keine wohlige Nostalgie. Stattdessen: ein Abstieg in die Hölle, erzählt mit schmerzhafter Intimität, formaler Brillanz und einer unnachgiebigen Wahrhaftigkeit.

                                            Im Zentrum steht Sheryl Lee in ihrer wohl größten, aber auch meistunterschätzten Leistung als Laura Palmer.

                                            Was Lee in diesem Film leistet, ist schlichtweg atemberaubend .

                                            Sie verkörpert keine „Figur“, sie lebt diese junge Frau – mit all ihrem inneren Zerfall, ihrer Würde, ihrem Verlorensein, ihrer Sehnsucht nach Erlösung. Ihre Darstellung ist von einer emotionalen Radikalität, die im amerikanischen Kino ihresgleichen sucht. Sie schreit, sie schweigt, sie taumelt – und bleibt dabei stets menschlich.

                                            Lynch inszeniert diese letzten sieben Tage im Leben Lauras nicht als lineare Chronologie, sondern als fragmentierten Albtraum – zwischen Drogenrausch, sexueller Gewalt, familiärem Zerfall und metaphysischem Horror.

                                            Was Fire Walk With Me dabei so erschütternd macht, ist nicht allein das, was gezeigt wird, sondern wie es gezeigt wird: Die Form wird zur Empfindung. Die flackernden Lichter, die surrealen Schnitte, das verstörende Sounddesign – all das ergibt ein filmisches Nervensystem, das ebenso viel fühlt wie erzählt.

                                            Die Ästhetik des Films ist dabei von einer atemberaubenden Konsequenz. Lynch und Kameramann Ron Garcia schaffen Bilder von teils sakraler Schönheit und tiefster Verzweiflung. Jede Einstellung ist geladen mit Bedeutung, jedes Detail scheint aus einem Zwischenraum von Realität und Traum geboren. Angelo Badalamentis Musik schmiegt sich wie ein trauriger Nebel um die Szenen – klagend, unheilvoll, sehnsüchtig. Besonders die letzten Minuten, in denen Laura zwischen Tod und Erlösung zu schweben scheint, gehören zu den ergreifendsten Momenten des gesamten Lynch-Kosmos.

                                            Fire Walk With Me ist kein Krimi, kein Horrorfilm – sondern eine elegische Tragödie über Trauma, Überleben und das zerbrechliche Ich eines Mädchens, das in einem System aus Gewalt, Schweigen und Schuld gefangen ist. Lynch blickt dabei nie aus der Distanz, sondern stellt sich radikal an die Seite seiner Protagonistin. Er verleiht Laura Palmer, die in der Serie zunächst nur als mysteriöse Leiche eingeführt wurde, endlich eine Stimme – und diese Stimme schreit, weint, singt, trotzt. In ihrer ganzen Komplexität, ihrer Widersprüchlichkeit, ihrer Menschlichkeit.

                                            Dieser Film ist weiblich. Nicht nur, weil er sich einer Frau widmet – sondern weil er das Unsichtbare sichtbar macht. Er erzählt nicht, was Laura tut, sondern was sie fühlt, und was die Welt ihr antut. Er verleiht ihr ein inneres Leben, das der Serie in ihrer ersten Form versagt blieb. Er gibt ihr nicht Erlösung – aber er gibt ihr Tiefe. Und vielleicht ist das mehr.

                                            Man kann diesen Film analysieren wie ein Seminartext – voller Verweise auf Trauma-Theorie, auf die Symbolik des Amerikanischen Alptraums, auf Lynch’ dekonstruktivistische Erzählmethoden. Aber das würde ihn verkleinern. Denn Fire Walk With Me ist vor allem eines: eine Elegie. Ein Abschiedslied für eine verlorene Kindheit, ein zärtliches, grausames Wiegenlied für eine Seele, die nie willkommen war.

                                            Und in der letzten Szene – als Laura endlich lacht, tränenüberströmt, vor einem Engel, den sie selbst erschaffen hat – dann ist das vielleicht die schönste, traurigste, ehrlichste Erlösung, die das Kino je gezeigt hat. Kein Happy End. Aber Hoffnung. Kein Gott. Aber Licht.

                                            Fazit:
                                            Fire Walk With Me ist kein Film für schwache Nerven – er verlangt seinem Publikum alles ab. Aber wer sich auf ihn einlässt, wird belohnt mit einem der mutigsten, bewegendsten und filmisch konsequentesten Werke der Filmgeschichte. David Lynch hat Laura Palmer nicht nur ein Gesicht gegeben, sondern eine Seele. Und was Sheryl Lee hier zeigt, ist nichts weniger als das: die Menschwerdung einer Ikone – in all ihrer zerrissenen, leuchtenden, tieftraurigen Schönheit.
                                            Ein kompromissloses Meisterwerk – verstörend, traurig, wunderschön.

                                            3
                                            • 9 .5

                                              In einer Welt, in der das Kino allzu oft laut sein muss, um gesehen zu werden, wagt We Live in Time das Gegenteil: ein stilles Drama über zwei Menschen, die sich begegnen, lieben, verlieren – und deren Lebenszeit sich doch für immer ineinander einschreibt. John Crowley (Brooklyn) erzählt diese Geschichte mit einer bemerkenswerten Zurückhaltung, die emotional umso eindrucksvoller wirkt.

                                              Das Herzstück des Films ist ohne Frage das Zusammenspiel von Florence Pugh und Andrew Garfield, die mit ihrer leisen, aber tiefgründigen Präsenz eine der glaubwürdigsten Leinwandbeziehungen der letzten Jahre erschaffen. Pugh spielt mit einer solchen emotionalen Präzision und Wahrhaftigkeit, dass man ihrer Figur durch jede Phase des Lebens glaubt – sei es in Momenten der Euphorie, des Schmerzes oder der Resignation. Ihre Darstellung ist subtil und vielschichtig und verdient es, in der kommenden Preis-Saison nicht nur erwähnt, sondern ausgezeichnet zu werden. Garfield begegnet ihr auf Augenhöhe: zurückgenommen, feinfühlig, mit einer sanften Melancholie, die seiner Figur Gewicht und Wärme verleiht.

                                              Die Erzählstruktur ist fragmentiert – Erinnerungen, Gegenwart und mögliche Zukünfte fließen ineinander, fast wie in einem Traum. Crowley interessiert sich weniger für die klassische Dramaturgie als für die Brüche, Pausen und Übergänge des Lebens. Die Kamera bleibt stets dicht an den Figuren, beobachtet mehr, als sie kommentiert, und schafft dabei eine fast intime Nähe.

                                              We Live in Time ist ein Film über die kleinen Gesten, über das, was unausgesprochen bleibt, über das, was das Leben eigentlich ausmacht. Es ist ein Film, der die großen Themen – Liebe, Krankheit, Verlust, Vergänglichkeit – mit großer Würde behandelt, ohne je ins Sentimentale abzurutschen.

                                              Visuell setzt der Film auf eine zurückhaltende, aber äußerst stimmige Bildsprache. Farben, Licht und Räume sind bewusst gewählt, wirken nie überinszeniert, sondern dienen stets der Atmosphäre. Der Score fügt sich unauffällig, aber wirkungsvoll ein und unterstreicht die emotionale Tiefe der Erzählung.

                                              Fazit:
                                              We Live in Time ist ein bemerkenswert sensibles Liebesdrama, das sich durch exzellente Schauspielleistungen, eine kluge Struktur und große emotionale Aufrichtigkeit auszeichnet. Florence Pugh brilliert in einer der stärksten Rollen ihrer Karriere, unterstützt von einem ebenso überzeugenden Andrew Garfield.

                                              Ein stiller, aber umso eindringlicherer Film über die Zeit, die Liebe – und das, was von uns bleibt.

                                              2
                                              • 7 .5
                                                Max_200a 13.04.2025, 11:58 Geändert 13.04.2025, 12:01

                                                Wes Anderson ist einer jener Regisseure, dessen Stil man entweder liebt oder mit einer gewissen inneren Distanz betrachtet. Ich persönlich zähle mich eher zur zweiten Kategorie: Ich schätze die technische Raffinesse, bewundere die Ästhetik – aber emotional lässt mich vieles oft kalt. Asteroid City war in dieser Hinsicht eine Überraschung. Auch wenn ich die Handlung – sofern überhaupt vorhanden – kaum fassen konnte, hat mich der Film auf eine eigentümliche Weise begeistert.

                                                Andersons Erzählstruktur ist wie gewohnt verschachtelt, selbstreferenziell und teilweise bewusst unzugänglich. Asteroid City ist Theaterstück im Film im Film, Meta-Kommentar und Science-Fiction-Parabel zugleich – oder vielleicht auch gar nichts davon. Die Handlung scheint sich immer wieder selbst zu unterlaufen, Fragen aufzuwerfen, statt Antworten zu liefern. Und doch: Trotz (oder gerade wegen) dieser erzählerischen Eigenwilligkeit funktioniert der Film erstaunlich gut – wenn man bereit ist, sich einfach treiben zu lassen.

                                                Was mich durchgehend bei der Stange gehalten hat, war Andersons unverkennbarer Humor: trocken, pointiert, fast mathematisch gesetzt. Jeder Satz, jede Reaktion wirkt wie mit dem Lineal gezeichnet – und doch funktioniert es. Dieser absurde, hyperkontrollierte Witz, bei dem selbst ein stirnrunzelndes Schweigen zur Pointe wird, trifft hier für mich genau den richtigen Ton.

                                                Besonders hervorzuheben ist das Ensemble: Scarlett Johansson, Tom Hanks und Jason Schwartzman liefern durchweg großartige Leistungen ab. Johansson verleiht ihrer Figur eine melancholische Tiefe, die unter der kühlen Oberfläche langsam durchbricht. Tom Hanks überrascht mit einer unerwartet warmen Präsenz, die seinen sonst oft autoritären Rollen entgegensteht. Und Schwartzman – Andersons Dauerbegleiter – trifft mit seinem trockenen, leicht desorientierten Spiel das Zentrum dieses seltsamen Kosmos.

                                                Optisch ist Asteroid City ein Rausch. Die kulissenhafte Wüstenstadt, in der pastellfarbene Bungalows auf neonleuchtende Werbeschilder treffen, wirkt wie ein Diorama aus einem anderen Jahrhundert. Die Farbgestaltung – irgendwo zwischen Retro-Futurismus und Zuckerwatte – ist schlicht himmlisch. Jedes Bild könnte ein Poster sein, jede Szene ein Tableau vivant. Es ist ein Film, in dem man sich verlieren kann, selbst wenn man sich nicht ganz sicher ist, wohin er einen führen will.

                                                Und vielleicht ist genau das der Punkt. Asteroid City ist kein Film, den man „versteht“ – er ist ein Film, den man fühlt. Ein Kinostück über das Staunen, das Scheitern, über Identität und vielleicht auch über die Absurdität, überhaupt Geschichten erzählen zu wollen. Oder, um es einfacher zu sagen: Ich weiß nicht, was ich da gesehen habe, aber ich hatte Spaß dabei.

                                                Fazit:
                                                Wes Anderson bleibt auch in Asteroid City seiner Handschrift treu – verspielt, streng komponiert und herrlich eigensinnig. Für Fans des Regisseurs eine visuelle wie stilistische Vollbedienung, für Skeptiker (wie mich) eine überraschend zugängliche Erfahrung. Die Handlung mag rätselhaft bleiben, doch Humor, Atmosphäre und das fantastische Ensemble machen den Film zu einem Erlebnis.

                                                1
                                                • 8
                                                  Max_200a 11.04.2025, 11:35 Geändert 12.04.2025, 10:48

                                                  Stranger Things – Staffel 2:
                                                  Identitätsfindung

                                                  Nachdem die erste Staffel von Stranger Things vor allem durch ihre dichte Atmosphäre und die vielen popkulturellen Referenzen an die 1980er Jahre auffiel, stand Staffel 2 vor einer nicht ganz einfachen Aufgabe: Sie musste zeigen, dass mehr hinter dem Phänomen steckt als bloße Nostalgie.

                                                  Und tatsächlich: Die zweite Staffel beweist, dass die Serie inhaltlich wie stilistisch deutlich gereift ist.

                                                  Sie beginnt, ein eigenes erzählerisches Profil zu entwickeln – ohne dabei die Qualitäten zu verlieren, die sie ursprünglich so erfolgreich gemacht haben.

                                                  Die Rollen sind besser ausbalanciert, Konflikte wirken weniger konstruiert, sondern organischer in den Erzählfluss integriert. Besonders überzeugend ist dabei die Entwicklung von Elfie, erneut großartig gespielt von Millie Bobby Brown.

                                                  Während sie in Staffel 1 noch stark als mysteriöse Projektionsfläche fungierte, bekommt sie hier Raum zur Entfaltung – als verletzliches, aber entschlossenes Mädchen, das zwischen zwei Welten steht. Ihre Darstellung ist dabei nicht nur emotional überzeugend, sondern beeindruckt auch durch ihr schauspielerische können das man in diesem Alter nur selten sieht.

                                                  Zentral für Elfies Entwicklung ist ihre Beziehung zu Hopper (David Harbour), der in der zweiten Staffel zur Vaterfigur für sie wird.

                                                  Diese Konstellation gehört für mich zu den stärksten Momenten innerhalb der zweiten Staffel.

                                                  Ihre Dynamik ist glaubwürdig: ein ständiges Ringen zwischen Kontrolle, Fürsorge, Vertrauen und Rebellion.

                                                  Hopper selbst bleibt für mich ein faszinierender Charakter!

                                                  Ein weiterer Gewinn für die Staffel ist die Einführung von Sadie Sink als Max, die die bestehende Freundschaftsgruppe der Kinder um eine spannende Figur ergänzt.

                                                  Max ist raffiniert, aber nicht überzeichnet, neugierig, aber auch verletzlich. Ihre Anwesenheit sorgt für frische Reibungspunkte innerhalb der Gruppe, bringt neue Energie ins Ensemble und öffnet die Tür für zukünftige Entwicklungen vor allem in Hinsicht auf ihre Dynamik zu Elfie.

                                                  Neben den bekannten Figuren bringt Staffel 2 auch einen meiner neuen Lieblingscharaktere
                                                  Bob Newby, gespielt von Sean Astin, neu ins Spiel.

                                                  Als liebenswürdiger, etwas nerdiger Freund von Joyce Byers bietet er eine wohltuende Normalität, und Vaterrolle inmitten des zunehmenden Chaos.

                                                  Bob verbleibt nicht nur als sympathischer Sidekick, sondern erfüllt eine echte Funktion im narrativen Gefüge, sein Schicksal verleiht der Staffel einen der emotionalsten und traurigsten Momente!

                                                  Auch auf visueller Ebene konnte die zweite Staffel merklich aufstocken :

                                                  Die Effekte wirken nun ausgereifter, das Creature Design – insbesondere des „Mind Flayer“ – ist stimmungsvoll und deutlich bedrohlicher als noch in der ersten Staffel.

                                                  Der Horror-Anteil wurde etwas verstärkt, bleibt aber eingebettet in ein stimmiges, durchdachtes Worldbuilding.

                                                  Das Serienuniversum wird konsequent erweitert, ohne sich zu sehr zu verlieren.

                                                  Ein mutiger Schritt – und zugleich ein gelungener – ist die Episode rund um Elfies „Schwester“ Kali, die sich stilistisch und atmosphärisch deutlich von der restlichen Staffel abhebt.

                                                  Auch wenn diese Folge unter Fans teils schlecht aufgenommen wurde, ist sie für mich erzählerisch ein Gewinn.

                                                  Sie erlaubt nicht nur einen Blick über den Tellerrand von Hawkins hinaus, sondern vertieft Elfies Identitätskonflikt und gibt der Figur zusätzliche Dimension.

                                                  Nicht zuletzt bleibt auch die Musik hervorzuheben: Das ikonische Intro, mit seinem minimalistischen Design und dem eingängigen Synthesizer-Soundtrack, bleibt weiterhin ein Highlight!– auch beim wiederholten Sehen. Der gesamte Score schafft es, Spannung, Melancholie und Dynamik punktgenau zu transportieren, ohne sich in den Vordergrund zu drängen.

                                                  Fazit:
                                                  Die zweite Staffel von Stranger Things ist nicht nur eine konsequente Fortsetzung, sondern eine deutliche Weiterentwicklung zur ersten Staffel.

                                                  Sie findet eine eigene Stimme, ohne ihre Wurzeln zu verleugnen. Mit starken schauspielerischen Leistungen – allen voran von Millie Bobby Brown –, emotional glaubwürdigen Beziehungen, neuen spannenden Figuren und einer sichtbar aufgewerteten Produktion überzeugt die Serie auf nahezu allen Ebenen.

                                                  Die Nostalgie ist nach wie vor präsent, doch sie wird nicht mehr zur Hauptsache – Stranger Things beginnt, sein eigenes Universum ernsthaft zu erzählen.

                                                  8 von 10 Punkten.

                                                  • 6 .5

                                                    Stranger Things – Staffel 1: Zwischen Nostalgie und Identitätsfindung

                                                    Nach langem Zögern habe ich mich nun doch an die erste Staffel von Stranger Things gewagt, lange habe ich mich davor gedrückt vor allem, weil ich das Gefühl hatte, dass die Serie stark überbewertet ist. Und auch wenn ich die Entscheidung, sie anzusehen, nicht bereue, hat sich mein Eindruck zum Teil bestätigt: Die Serie ist atmosphärisch stark, aber inhaltlich noch nicht eigenständig genug.

                                                    Was Stranger Things ohne Zweifel sehr gut gelingt, ist die Inszenierung. Das Intro mit seinem minimalistischen Design und der markanten Synthesizer-Musik ist hervorragend und schafft sofort eine dichte, stimmungsvolle Atmosphäre. Auch der Soundtrack insgesamt ist ein Highlight – er fängt das 80er-Jahre-Flair gekonnt ein, ohne zu aufdringlich zu wirken.

                                                    Besonders positiv hervorzuheben sind die jungendlichen Hauptdarsteller. Allen voran Dustin, der mit seinem natürlichen Spiel, Witz und Charme zu den stärksten Figuren der Staffel zählt. Auch Hopper, gespielt von David Harbour, überzeugt mit einer facettenreichen Darstellung – ein innerlich zerrissener, aber glaubwürdiger Charakter, der der Handlung emotionale Tiefe verleiht.

                                                    Trotz dieser Stärken fehlt es der Serie für mich an einer eigenständigen Identität. Viele Szenen und Ideen wirken stark inspiriert von Klassikern der 1980er Jahre – von E.T. über Die Goonies, Twin Peaks bis hin zu Der weiße Hai. Statt eine neue Welt mit eigenen Motiven zu erschaffen, wirkt Stranger Things in weiten Teilen wie ein stilistisch überzeugendes, aber wenig innovatives Mosaik aus Popkulturzitaten.

                                                    Auch das zentrale Monster, der sogenannte Demogorgon, bleibt visuell und dramaturgisch hinter den Erwartungen zurück. Es wirkt generisch und schafft es nicht, eine nachhaltige Bedrohung oder emotionale Wirkung zu entfalten.

                                                    Insgesamt bleibt die erste Staffel von Stranger Things für mich eine solide Mystery-Serie mit großem Unterhaltungswert, aber auch deutlichen Schwächen im Bereich Originalität und Tiefgang. Die audiovisuelle Gestaltung ist stark, und die Schauspieler – insbesondere im jungen Cast – tragen die Serie spürbar. Doch der große Hype, der um die Serie entstanden ist, erscheint mir nach der ersten Staffel (noch) nicht vollständig gerechtfertigt.

                                                    Fazit:
                                                    Stranger Things überzeugt atmosphärisch und schauspielerisch, bleibt aber erzählerisch zu sehr in der Vergangenheit verhaftet. Eine stilvolle, aber noch nicht voll entwickelte Serie. 6,5 von 10 Punkten.