Call Me by Your Name oder: Wie queere Helden das Kino bereichern

15.02.2017 - 09:25 UhrVor 7 Jahren aktualisiert
Der Geschmack des Pfirsichs: Call Me by Your NameGEM Entertainment
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In Sundance wurde die schwule Liebesgeschichte Call Me by Your Name bejubelt. Nun feierte der Film mit Armie Hammer und Timothée Chalamet bei der Berlinale Europapremiere.

Wer ihn filigran toupiert hat, wird im Abspann nicht separat aufgeführt, aber der gekräuselte Härchenwald zwischen Armie Hammers Knie und Oberschenkel gehört in Call Me by Your Name zum Verführerischsten, was diesseits eines Verhörs mit Catherine Tramell vorstellbar ist. Zu diesem Zeitpunkt durfte der Zuschauer im neuen Film von A Bigger Splash-Regisseur Luca Guadagnino bereits saftige Pfirsiche aussaugen, warmes Eigelb von den Fingern lecken und die wasserbenetzte Brust einer antiken Bronzestatue massieren. Bevor Elio (Timothée Chalamet) und Oliver (Armie Hammer) in Call My by Your Name über ihre gedeihende Zuneigung offen sprechen, laden sie ihre Umgebung sinnlich auf. Da signalisiert das halbe Frühstückssortiment als Leuchtrakete in der Düsternis die Sehnsucht nach Nähe. In Sundance hatte diese lustvoll erzählte, schwule Liebesgeschichte einen enormen Hype entfacht. Vergleiche mit dem diesjährigen Oscar-Kandidaten Moonlight wurden laut. Nun heizen Timotheé Chalamet und Armie Hammer im Panorama Special die Berlinale auf. Call My by Your Name ist nicht zuletzt ein unwiderstehliches Argument für die Bereicherung, welche queere Helden und ihre Erzählungen im Kino darstellen.

Timothée Chalamet und Armie Hammer in Call My by Your Name

Sommer 1983, irgendwo in Italien: Forever Now von den Psychedelic Furs ist gerade ein knappes Jahr auf dem Markt und die erste Single-Auskopplung Love My Way schallt aus Autos und Discos in der Provinz. Der 17-jährige Elio verbringt den Sommer mit seinen Eltern in ihrer Ferien-Villa. Wie jedes Jahr begrüßt die Familie einen amerikanischen Studenten als Gast, der Elios Vater (Michael Stuhlbarg) bei seiner Forschung hilft. Während der 24-jährige Oliver nebenan döst oder im Dorf Poker spielt, entwickelt Elio eine Faszination für den All American Boy aus New Jersey. Der vielseitig talentierte Elio gibt für den selbstbewussten Gast Reiseführer und intellektuellen Sparring-Partner, er zeigt sich von seinen romantischen Gefühlen einerseits verwirrt, andererseits zunehmend bestimmt in seiner Annäherung an Oliver. Der gibt sich gegenüber Elios Versuchen, ihn zu beeindrucken, reserviert, wechselt zwischen aus dem Nichts kommenden zärtlichen Berührungen und quälender Distanz. Einige weichgekochte Eier müssen geköpft werden, bevor Oliver und Elio in diesem trägen Sommer das Offensichtliche aussprechen.

Als schwule Romanze gesellt sich Call Me by Your Name auf der Berlinale zu Die Wunde aus Südafrika und dem in Yorkshire angesiedelten God's Own Country, die beide beim Sundance Film Festival liefen. Die drei Filme entwickeln ganz individuelle Ansätze im Umgang mit den Beziehungen in ihrem Zentrum. In der Gesellschaft der Xhosa in The Wound beispielsweise sind homosexuelle Beziehungen ein Tabu. Dabei wird in in dem Film von Regisseur John Trengove das Beschneidungsritual des afrikanischen Volkes als Kontext genutzt, um Fragen der Modernität und damit einhergehender Männlichkeitsbilder zu verhandeln. Call Me by Your Name basiert nun auf dem gleichnamigen Roman von André Aciman und spielt in einer dezidiert intellektuellen und weltoffenen Familie, die den Normen ihrer Zeit allerdings voraus ist. Zunächst findet die gegenseitige Anziehung von Elio und Oliver in glitzernden Rücken und deliziös inszenierten Naturalien ihren Ausdruck; auch weil die offen ausgelebte Zuneigung zweier Männer weder im New Jersey noch im Italien des Jahres 1983 als Teil des Alltagslebens akzeptiert wird.

So liegt es insbesondere an Kameramann Sayombhu Mukdeeprom, die turbulente Gefühlswelt der beiden Helden in Film zu fassen. Der Thailänder arbeitete lange mit Regisseur Apichatpong Weerasethakul zusammen. Die flirrende Synergie von Naturaufnahmen und menschlichen Körpern aus Blissfully Yours, Syndromes and a Century oder Uncle Boonmee erinnert sich an seine früheren Leben findet Anklänge in Call Me by Your Name, wobei die Inszenierung andere Wege geht. Gerade in der ersten Hälfte scheint der primäre Modus des Erzählens einer des Verweilens auf den Details zu sein. Steigen Elio und Oliver aus einem Pool, bringt die Kamera genauso viel Interesse für die auf warme Steinplatten klatschenden Wassertropfen ihrer Shorts auf wie für ihr Gespräch. Und dann sind da noch die Pfirsiche und Eier, die im Übrigen nicht oft genug erwähnt werden können. Untermalt wird Call Me by Your Name von zeitgenössischem Pop und einem warmen, flüchtigen Score von Sufjan Stevens, der gerade zum Ende hin direkt Elios Innenleben in Töne fasst.

Vor allen anderen Beteiligten trägt Hauptdarsteller Timothée Chalamet diesen Film. Zumindest ich hätte von Chalamet nach seinem Auftritt als Dana Brodys Freund in Homeland niemals eine solch nuancierte Leistung erwartet. Das im Titel angerissene Mantra "Call me by your name and i'll call you by mine" findet sich im Film in der Transformation von Elio selbst wieder. Erwachsener, souveräner in seinen Wünschen und seinem Selbstbild wird er in diesem Sommer, ein bisschen mehr Oliver. Chalamet, der in so gut wie jeder Szene des Films auftritt, empfiehlt sich mit dieser charismatischen Wandlung für Größeres. Michael Stuhlbarg wiederum tut das spätestens seit A Serious Man und sein empathischer, Augen öffnender Monolog gegen Ende von Call Me by Your Name dürfte Schauspiellehrern auf der ganzen Welt in zehn Jahren so richtig aus den Ohren raushängen.

Armie Hammer beweist sich mal wieder als geborener Darsteller des Amerikaners in der Fremde. Ohne die Arroganz der Winklevoss-Brüder, aber mit der intellektuellen Fortschrittlichkeit der Ivy League-Universitäten verkörpert Hammer ein altmodisches Ideal der Neuen Welt, nicht nur in Call Me by Your Name. Stanley Tucci castete den Ex-Lone Ranger als Amerikaner in Paris in seiner Künstler-Miniatur Final Portrait, die ebenfalls bei der Berlinale läuft. Darin sitzt Hammers Kritiker für Alberto Giacometti (Geoffrey Rush) Modell. Das zerstreute, fusselige Genie kämpft auf der einen Seite mit dem künstlerischen Prozess, der höfliche Verehrer mit seiner Geduld. Glasklar scheinen Hammers Züge zunächst, wenige dominante Vertikale und Horizontale in einer harmonischen Vereinigung. Auf Giacomettis Gemälde zeigt sich indes immer wieder dieselbe Unergründlichkeit, egal wie oft der Maler es mit trüben Grau übertüncht und von vorne anfängt. In Call Me by Your Name wird Hammers Präsenz ebenfalls lange von fremden Projektionen gefüttert. Umso unerwarteter kommt die Sensibilität, die Hammers Oliver dank eines späten Perspektivwechsels zeigen darf. Ein transgressives, ein forderndes Meisterwerk offenbart sich in der auf Andeutungen setzenden Romanze nicht. Aber manchmal genügt auch ein schöner Film.

Hier geht's zum Berlinale-Kritikerspiegel von critic.de .

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