Hormone und Melodram: Ein Klassiker, der keiner mehr ist: „Carrie“ im Rückblick.

Regisseur Brian De Palma war nie ein Freund leiser Töne. Als er 1976 mit seiner Adaption von Stephen Kings Roman Carrie in die Kinos kam, sorgte er für Aufsehen – und für Applaus. Die Academy nominierte sogar Sissy Spacek und Piper Laurie für ihre Darstellungen von Tochter und Mutter – ein Novum für damaliges Zeitgeschehen. Jahrzehnte später stellt sich die Frage: Funktioniert Carrie heute noch? Oder ist der Schock von einst längst verblasst?

Die Grundidee des Films bleibt zweifellos stark. Ein schüchternes, ausgegrenztes Mädchen wird von ihren Mitschülerinnen verspottet und von einer religiös fanatischen Mutter tyrannisiert – bis sie ihre telekinetischen Kräfte entdeckt und blutige Rache übt. Ein Stoff, der psychologisch viel Tiefe bieten könnte. Doch De Palmas Umsetzung verliert sich früh in Pathos, Übertreibung und falschen Prioritäten.

Was 1976 als innovativ galt, wirkt heute hoffnungslos aus der Zeit gefallen. Die berüchtigte Duschszene zu Beginn ist ein Paradebeispiel: Statt sensiblem Einstieg ins Trauma einer verunsicherten Jugendlichen bekommen wir einen voyeuristisch ausgeleuchteten, Zeitlupen Softporno. Was damals provokant schien, wirkt heute billig sexualisierend.

Sissy Spacek bemüht sich dabei redlich, der jungen Carrie eine verletzliche Seele zu verleihen - ihre Darstellung verbleibt als einer der heute noch funktionierenden Lichtblicke. Ihre Mitschülerinnen hingegen fungieren nicht mehr als hormonell überdosierte Karikaturen – mal hysterisch, mal boshaft –, während die Lehrer zwischen Ignoranz und Lächerlichkeit pendeln. Piper Laurie als Carries Mutter darf derweil hemmungslos in religiösem Wahn aufgehen, als spiele sie in einem expressionistischen Bühnenstück. Es bleibt nicht bei bloßen Provokationen, De Palma liebt es überbordend. Strapaziös reicht nicht, es muss überstrapazierend sein.

Auch tonal findet der Film keine klare Linie. Carrie schwankt unentschlossen zwischen Highschool-Seifenoper und tränengetränktem Melodrama. De Palma wechselt permanent zwischen symbolschweren Bildern und grotesken Ausbrüchen – anstelle subtiler Spannung. Das gilt insbesondere für das viel zitierte Ballhaus-Finale, das einst Kinogeschichte schrieb. Nur wenige Minuten darf Carrie hier ihr wahres Ich entfesseln. Was einst als kathartisches Horrorspektakel gefeiert wurde, wirkt inzwischen altbacken und merkwürdig eintönig. Der große Schockmoment, der Generationen prägte, ist längst zum Popkultur-Klischee verkommen.

Die Liebe zu stilistischen Experimenten, wo man Emotion und Schrecken spürte, mögen in den 1970er-Jahren aufregend gewesen sein – heutzutage ist es vor allem anstrengend. So bleibt Carrie ein Film, der in seiner Zeit gefangen ist, statt ihr voraus zu sein.

Für das Jahr 2026 ist übrigens eine Serie angekündigt. Vielleicht schafft man es dort etwas tiefergehenden, modernen Psychoterror in die Klassenzimmer zu transportieren?

Community-Meinung zu Carrie - Des Satans jüngste Tochter