Carol und die visuelle Lust lesbischer Liebe

22.12.2015 - 09:00 UhrVor 9 Jahren aktualisiert
Blicke ruhen meist auf Frauen, laut Laura Mulvey.
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Blicke ruhen meist auf Frauen, laut Laura Mulvey.
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Todd Haynes Film Carol hat das große Pech, parallel zu Star Wars 7 anzulaufen. Wir legen ihn euch trotzdem ans Herz, weil er die visuelle Lust lesbischer Liebe hervorragend auf die Leinwand bannt.

Es gibt im Englischen einen schönen Euphemismus, wenn es darum geht, dass zwei Frauen miteinander vor der Kamera intim werden: girl on girl action.

Herrlich, oder? Diese Phrase ist auf so vielen Ebenen beschissen, dass sie einen Preis bekommen sollte: Frauen werden als girls bezeichnet, jegliche Zurkenntnisnahme davon, dass sich diese Frauen in einem intimen, homoerotischen oder -sexuellen Akt befinden, wird auf action reduziert. Und diese action ist nicht für die involvierten Frauen, sondern für die Zuschauer konzipiert. Kurzum: Weibliche Homosexualität ist im Kino fast immer ein Akt der Objektivierung durch Blickstrukturen, die im Mainstream-Film schon so angelegt sind, dass die Frauen dem Zuschauer präsentiert werden.

Die Theoretikerin Laura Mulvey hat in ihrem Essay Visuelle Lust und narratives Kino  die Filme der 1930 bis 1950er Jahre untersucht und dabei auf psychoanalytischer Grundlage eine These aufgestellt: Der Film als Medium befriedigt eine "Schaulust", die dem Voyeurismus nahesteht und die man im Dunkeln sitzend auf einer hellen Leinwand ungeniert, weil distanziert nachgehen kann. Kino entfacht also eine Lust am Visuellen durch visuelle Lust und befriedigt diese. Diese Lust wird aber gesteuert. Nach Mulvey durch die Art, wie der Blick im Film geleitet wird und natürlich durch das, was man zu sehen bekommt. Und hier entsteht eine Ungleichheit anhand von Geschlechtern: Der Blick, so Mulvey, ist aktiv und männlich konnotiert, das Erblickte ist passiv und meist eine Frau, die sie auf der Leinwand präsentiert, die Objekt des begierlichen Blickes ist.

Dieser "männliche Blick" hat dann auch eine narzisstische Befriedigung zur Folge. Sprich, die männlichen Helden und der gendersubjektive Blick erlauben eine Identifikation mit dem männlichen Filmhelden oder ein Gefühl von Macht durch die Art des Blickens. Kurzum: Männer sind ermächtigte, schauende Subjekte, Frauen die angeschauten Objekte ohne eine Macht.

Hier sind ein paar Mulveysche Beispiele für ihre These:

Mulveys These wurde lange Zeit hitzig debattiert. Zu Recht, denn große Teile stimmen nicht oder nur unter ganz bestimmten Bedingungen und bezogen auf die Filme, die sie für ihre Untersuchung heranzog. Die Idee, dass der Zuschauerblick im Kino gegendert ist, ist meiner Meinung nach nicht zutreffend. Es gibt keinen von Haus aus "männlichen" Blick im Sinne von Gender. Es gibt aber sehr wohl eine Art dominanten Blick, also eine Art, den Zuschauerblick so zu steuern, dass das Publikum (geschlechterunabhängig) zum Voyeur wird und die Figuren auf der Leinwand zum Objekt. Und das unabhängig von expliziter Sexualität.

Lesbische Frauen im Film sind hiervon fast immer am meisten betroffen. Die Kamera rückt ihnen unglaublich nah auf den Leib, erotische oder sexuelle Szenen sind ein Must-have und werden oft so inszeniert und abgefilmt, dass es sich vor allem um ein Zurschaustellen, ein Nach-außen-Tragen handelt. Diese Inszenierung ist schon so sehr zu einer Trope geworden, dass es auf YouTube Compilations davon gibt:

Und das gilt nicht nur für die expliziten lesbischen Momente. Lesbische Figuren werden auch in anderen Momenten mit weniger Abstand bedacht und stärker körperlich in Bezug gesetzt. Außerdem werden lesbische Geschichten selten aus einer intrinsischen Sicht gezeigt. Das heißt die Erzählperspektive und die Kameraperspektive (als stellvertretender Blick) sind oft nicht die der lesbischen Protagonistinnen. Sie erzählen quasi nicht, sondern werden erzählt.

Das geht aber auch anders. Das zeigt zumindest Todd Haynes (Velvet Goldmine, I'm Not There) in Carol, einem Film, der das große Pech hat, parallel zu Star Wars anzulaufen.

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