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Der furiose Abschluss einer Silvesternacht

14.10.2014 - 12:00 UhrVor 9 Jahren aktualisiert
Benjamin Franklin grüßt vom $100 Schein
Public Domain
Benjamin Franklin grüßt vom $100 Schein
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10 x $100, ein Zippo, ein Ford Thunderbird und eine Menge Cristal: Tarantino spricht über Jerry Lewis, Bruce Willis schreit seine Frau an, Jennnifer Beals trägt keine Unterwäsche und Tim Roth versteht (zuerst) nur Bahnhof

"Es wird nach jedem Happy End, im Film jewöhnlich abjeblendt."

Kurt Tucholsky

Ein Happy End ist nicht immer der Moment, in dem die Protagonisten sich knutschend um den Hals fallen, oder tapfere US-Soldaten die Welt gerettet haben, oder man einfach nur happy ist, dass der Film endlich ein Ende gefunden hat. Ein Happy End kann auch einfach der Gang durch die Tür sein, während im Hintergrund das Chaos tobt.

Eine Lieblingsszene bei mehreren tausend gesehenen Filmen ist natürlich so eine Sache. Bond auf Fasanenjagd? Der kippende Stuhl des Dude? Joe Pesci in einer Kneipe mit Ray Liotta? Clive Owen beim Toilettengang mit del Toro? J. Depp in einer Hotellobby in Las Vegas? Stallone schimpft über Zivilisten?  Jack Nicholson "renoviert" ein Kunstmuseum? Sam Raimi wird erschossen?

Am besten alles. Aber naja, alle einprägend. Und fantastisch gespielt. Und mitunter auch zum Brüllen komisch. Aber...

Es muss doch etwas geben, das ein Gesamtkunstwerk ist.

Wo Kulissen, Akteure, Drehbuch, Sound, Musik, Dialoge einfach Hand in Hand gehen. Auch noch unanständig viele...

Am wahrscheinlichsten wohl ein Tarantino-Moment und zwar ein totaler. Christopher Walken erzählt von einer goldenen Uhr? Madonnas großer Penis? Diane Kruger wird erwürgt? Winstead im Cheerleaderoutfit?

Nein. Besser.

Rundum ein Kunstwerk ist für mich die letzte Szene in der letzten Nacht des Jahres.

"Foor Rooms" mag vielleicht nicht Tarantinos Vorzeigewerk sein, aber der Showdown im letzten Akt ist etwas ganz Großes.

Tim Roth als überforderter Page wird mit der Party eines Regisseurs konfrontiert, der nicht zuletzt den Erfolg seines letzten Filmes feiert.

Natürlich ist Tarantino höchstselbst dieser Regisseur und auch noch Regisseur der Szene. Und das merkt man in jedem Moment. Von der Begrüßung des mit Verspätung eintreffenden Pagen, der wie ein sehnsüchtig erwarteter Kumpel empfangen wird "schön, dass Du es doch noch geschafft hast" (nutze ich gern bei verspäteten Dienstleistern - Pizzaboten hassen mich) bis zur Einrichtung des Appartments.

Leere Champagnerflaschen, nein, nicht bloß Champagner. Cristal! Diese bewusste Besessenheit bezüglich der Details. Die ordentlich abgelegte Unterwäsche von Jennifer Beals, die ihrerseits im Bademantel herumstolziert und reichlich Interpretationsspielraum liefert, ein gratis spielender Bruce Willis, der für die entscheidende Szene aufhört, seine Frau übers Telefon anzubrüllen und der Barmann aus "Pulp Fiction", der wunderbare Paul Calderon, als Mann mit Lust auf Risikowetten.

Dazu der Chef selbst und eine Penthousesuite, die perfekt arrangiert ist. Jeder Quadratzentimeter scheint von ihm durchdacht, Retrochic gepaart mit wohldosiertem Chaos. Herrliche Möbel, eine Jukebox (mit Sicherheit voller fantastischer Musik), diverse Kleinigkeiten (ein Getränkebecher von Big Kahuna Burger) und eine Vorgeschichte zur Wette, die nur Tarantino so erzählen kann. Wenn in einer Szene eines Filmes gleichzeitig Jerry Lewis, Peter Lorre, Steve McQueen, Alfred Hitchcock und eine Roald Dahl Geschichte erwähnt werden, dann muss man als Filmgourmet schon beinahe zwangsläufig an Tarantino denken. Hier verbeugt sich der Kinnmeister vor dem pummeligen Meister und nutzt eine Hitchcockgeschichte in gewohnter Manie und Manier aus.

"Meine Art ist es, ganz weit auszuholen..."

Nun noch etwas klassisches: ein alter Ford Thunderbird, top Zustand. Der Wetteinsatz.

Ist das alles geklärt, brechen die entscheidenden fünf Minuten an. Die Szene an sich.

Man braucht also nur noch einen Exekutor, denn die Wette geht um das Auto und einen kleinen Finger. Also muss jemand, der neutral ist, nüchtern, jemand ohne persönliche Bindung zu den Wettern das Hackebeil schwingen.

"Oh nein, ich werde Norman nicht den kleinen Finger abhacken".

Was nun folgt, berechtigt zur Einführung einer Oscarkategorie namens "Bester Head to Head Moment", denn Roth beweist hier unverrückbar seine ganz große Klasse, wenn er zwischen argwöhnisch, verängstigt, gierig und grandios dämlich den Worten des Regisseurs lauscht und mit den Augen jeder Bewegung folgt, ganz zu schweigen, wie großartig er sich selbst bewegt. Gleichzeitig demonstriert Tarantino, dass er hinter UND vor der Kamera ein Könner ist.

"Geld....!"

Perfekt spielt er hier mit allem, was man so auffahren kann. Ein Mimikduell auf Augenhöhe.

"Also Ted, willst Du Dich die nächsten 40 Jahre - plus, minus ein Jahrzehnt - daran erinnern, wie du 1000 Dollar für eine Sekunde Arbeit ausgeschlagen hast, oder daran, wie du in einer Sekunde 1000 Dollar verdient hast?"

Dazu ein ganz spezieller Moment. Tarantino packt 100-Dollar Noten von einem Stapel auf den anderen, "das hier könnte Dir gehören". Wenn er einen Schein bewegt, tut er das nicht einfach so. Es ist beinahe eine Flugbahn, eine parabolische Flugbahn, wie der Knochen in "2001 - A Space Odyssey" weitergeflogen wäre, hätte man nicht überblendet. Und Ted folgt dieser Bahn.

Wie kann es anders sein, Mammon, der einzig wahre Gott, siegt.

"Verkauf Dich immer richtig!!"

Überkopfkamera und Zoom.

Zipp, hack, aaaaaaaaaaaaaaahhhhhhhhh.

Der Finger ist ab, Panik bricht aus. Geschrei. Der Wunsch nach medizinischer Hilfe wird laut.

Alles uninteressant für den Pagen, der Job ist getan, die Fliege wird gerichtet, das Geld eingesteckt und in tänzelndem Schritt geht es raus aus der Suite.

Über Calderons Schmerzenschreie und Roths Laufstil beginnt der Abspann, unterlegt von "Vertigogo", einem hier perfekt passenden Stück Musik.

"Alles geht irgendwann zu Ende, sogar die Nacht"

Michel Houllebeq


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