Eine komplette Woche stromern Orlindo und ich jetzt schon über die Berlinale. Trotzdem sich die Berlinale schon langsam auf ihr Ende zubewegt, werden die Schlangen vor den Kinos nicht kürzer, sondern länger. Dies liegt sicherlich an dem sehr abwechslungsreichen Programm, dass die Berlinale dieses Jahr zu bieten hat, und das für jeden Geschmack etwas bereithält. Auch meine drei heutigen Filme hatten nur eines gemeinsam, und waren sonst grundverschieden: Bei allen drei spielten widrige Wohnverhältnisse eine entscheidende Rolle. Ob ein heruntergekommener Vorort, eine Plattenbausiedlung oder eine Künstlerkommune – in keinem dieser drei Optionen fühlten sich die Bewohner wohl.
Amador und Marcelas Rosen von Fernando León de Aranoa
Ist das Leben mit dem Tod zuende? Nein, denn selbst als langsam vor sich hin stinkender Kadaver könnt ihr eurer Umwelt noch einen großen Dienst erweisen. Hiervon berichtet uns jedenfalls das spanische Drama Amador und Marcelas Rosen. Eine schwangere Frau, welche zusammen mit ihrem Mann in ärmlichsten Verhältnissen lebt, in denen letzter auch noch einen Blumenhandel betreibt, muss als Pflegerin einen alten Mann hüten. Schließlich muss der neue Kühlschrank abbezahlt werden, mit dem ihr Mann sein Geschäft am Laufen hält. Dumm nur, dass der freundliche alte Herr bereits nach einer Woche das Zeitliche segnet. Um wenigstens noch den ersten Monatslohn abzugreifen, beschließt sie, seinen Tod vorerst nicht publik zu machen und zu tun, als ob alles normal weiterläuft.
Amador und Marcelas Rosen hat sich hierbei wirklich große Themen herausgegriffen. Darf sie vom Tod eines anderen profitieren? Wem ist sie Rechenschaft schuldig? etc. Leider versaute der Film, der in seinem Grundton zuerst ein wenig an Sprich mit ihr – Hable con ella erinnert, seinen guten Ansatz durch zu viel Melodramatik. Auch die Hauptdarstellerin, welche die kompletten 90 Minuten guckte, als ob ihre Lieblingstelenovela abgesetzt wurde, verhinderte einen wirklichen Zugang zum Film. Außerdem ist die Prämisse, sich wochenlang neben eine modernde Leiche zu setzen, um einen Lebensstil zu finanzieren, vor dem sie eigentlich weglaufen wollte, relativ weit hergeholt. Trotzdem: Für die Liebhaber spanischer Dramen, die auch vor etwas viel Kitsch keine Angst haben, könnte der Film funktionieren, da er nicht nur recht schön gefilmt ist, sondern auch den einen oder anderen schönen Gedanken zur Sterblichkeit der Menschen erkennen lässt.
Der Preis von Elke Hauck
Der Grund für den Besuch des nächsten Filmes ist sehr banal: Lokalpatriotismus. Als gebürtiger Jenaer konnte ich nicht anders, als mir Der Preis anzuschauen. Dabei handelt es sich nicht um den mexikanischen Film im Wettbewerb, sondern eine deutsche Produktion in der Perspektive deutsches Kino. Darin kehrt ein Frankfurter Architekt nach vielen Jahren in seine thüringische Heimatstadt Gera zurück, um dort ein Plattenbauviertel neu zu gestalten. Dabei wird er auch mit den Schatten seiner DDR-Vergangenheit konfrontiert.
Für eine Sektion, die zukünftige Tendenzen des deutschen Kinos aufzeigen soll, war Der Preis überaus konventionell erzählt. Zwar spielt der Film parallel auf zwei Zeitebenen – damals 1988 und heute – doch ist er darüber hinaus eine typische deutsche Fernsehproduktion mit dem Thema Vergangenheitsbewältigung: Wieder geht es um Schuld, Sühne und Vergebung. Trotz dieser konventionellen Aufbereitung hat mir Der Preis aber sehr gut gefallen. Dies lag vor allem an dem sehr ruhigen Erzählgestus und dem interessanten Rhythmus, welcher den Aufbau des Konflikts und dessen Auflösung durch die zwei Zeitebenen gleichzeitig ablaufen lässt. Diese Technik, welche den Film gleichzeitig entschleunigt und strukturiert, lies den glaubhaften Figuren genug Zeit, um sich zu entwickeln. Mir gefiel sehr gut, dass gerade die Lösung der Schuld, von der wir lange nichts erfahren, vor allem durch kleine Gesten erfolgt und nicht den großen Showdown. Auf jeden Fall solltet ihr dem Film eine Chance geben, wenn ihr irgendwann einmal beim Durchzappen im Fernsehen auf ihn stoßt.
The Residents von Tiago Mata Machado
Laut Inhaltsbeschreibung haben “die Bewohner eines Abrisshauses eine temporäre autonome Zone errichtet. Eine Art situationistische Stadtguerilla der Gegenwart, verbringen sie ihre Tage damit, auf materieller wie immaterieller Ebene Unruhe zu stiften.” Also ein Politfilm aus Brasilien? Anarchisten?! Punks?! Hausbesetzer?! Klingt spannend! Doch da habe ich meine Rechnung ohne das Forum gemacht, denn statt Stadtguerilla wurde mir nur eine Horde Heititei-Künstler präsentiert. Der Film war dann eine größtenteils handlungsfreie Aneinanderreihung von künstlerischen Performances über Tanz, Fotographie, Lyrik und Videokunst. Diese waren ebenso konventionell wie harmlos.
Fans moderner Kunst dürften trotzdem ihren Spaß an dem Film haben. Mir gingen nur diese elenden Kunstheinis auf die Nerven, welche ihren Tiefpunkt in einem Beziehungsstreit erreichten. Das dortige Streitgespräch war an affektierter Theatralik und Egomanie kaum zu übertreffen – ganz wie im richtigen Leben. Da ziehe ich lieber durch die Kreuz-Köllner Sauf-Galerien, da kann ich wenigstens nach 30 Minuten wieder verschwinden, wenn ich’s satt habe.
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