Goldrausch - Charlie Chaplins zeitlose Verschmelzung von Humor & Tragik

21.08.2018 - 11:25 UhrVor 5 Jahren aktualisiert
GoldrauschStudiocanal
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Für Goldrausch nahm sich Charlie Chaplin eine reale Tragödie zum Vorbild, um dem Schrecklichen seine unvergleichbare Komik abzugewinnen. Entstanden ist ein Klassiker, der Drastik mit Slapstick kombiniert und gebrochene Herzen kuriert.

Als Regisseur, Schauspieler, Drehbuchautor, Filmeditor, Komponist und Komiker zählt der vielfach talentierte Charlie Chaplin zu den bedeutendsten Künstlern des 20. Jahrhunderts. Zu den größten Werken Chaplins gehören beispielsweise frühe Stummfilm-Triumphe wie Der Vagabund und das Kind oder Lichter der Großstadt, aber auch einflussreiche Tonfilme wie Der große Diktator. In diesem nahm der Regisseur die NS-Ideologie humorvoll aufs Korn, um in einer bewegenden Schlussrede an jene Menschlichkeit zu appellieren, die in der damaligen finsteren Zeit so massiv ausgelöscht wurde. Der Film, mit dem Chaplin dem Publikum am stärksten in Erinnerung bleiben wollte, war hingegen Goldrausch.

Inspirieren ließ er sich hierbei vom realen Klondike-Goldrausch, der hunderttausende Menschen ab 1896 aufgrund der vorherrschenden Wirtschaftskrise an den Klondike River führte, wo sie ihr Glück in Form von Gold suchten. Ebenso beeinflussen ließ sich Chaplin von der aus 87 Siedlern bestehenden Donner Party, die 1846 auf dem Weg in den Westen der USA war und in den östlichen Bergen der Sierra Nevada vom Winter überrascht wurde. Als Folge starben 34 der Siedler, wobei die restlichen Überlebenden mithilfe von Tagebüchern von schrecklichen Vorfällen berichteten, bei denen sie unter anderem auf Kannibalismus zurückgreifen mussten, um zu überleben. Mit der Verbindung beider historischer Ereignisse für Goldrausch schuf Chaplin einen Klassiker, der ständig haarscharf auf der Trennlinie zwischen Humor und Drama balanciert.

Goldrausch

Goldrausch nutzt Humor als Heilmittel gegen die Tragödie

Eröffnet wird Goldrausch von einer gewaltigen Anfangsszene, für die Chaplin 600 Statisten mit dem Zug einfahren ließ, um den anfänglichen Aufstieg der Goldsucher zum Pass zu filmen. Die dazugehörige Stadt, die er extra als Kulisse bauen ließ, sowie der Pass, für den der Regisseur einen 700 Meter langen Weg in den Schnee schneiden ließ, sind ein typisches Zeugnis des akribischen Perfektionismus Chaplins, der gerne mehrere Drehtage für kürzere Szenen ansetzte, bis er mit dem Ergebnis wirklich zufrieden war. Diesen Aufwand ließ er auch den humorvollen Momenten seines Films zuteil werden, weshalb Goldrausch von Slapstick-Einlagen und komödiantischen Versatzstücken durchzogen ist, die in ihrer ausgefeilten Konstruktion zum damaligen Zeitpunkt unvergleichbar waren.

Lange vor Woody Allen wusste auch Chaplin schon, dass Komödie Tragödie plus Zeit ist. Wenn die von ihm selbst gespielte, ikonische Figur des Tramp mit dem gesuchten Verbrecher Black Larsen und dem gutherzigen Abenteurer Big Jim während eines Schneesturms in einer Hütte gefangen ist, nutzt der Regisseur die verzweifelte, ausweglose Situation für unterhaltsame Höhepunkte, die als Auflockerung der drastischen Tragik dienen. In einer der denkwürdigen Szenen des Films kocht der vom Hunger geplagte Tramp seinen eigenen Schuh, den er im Wahn verzehrt. 3 Tage lang ließ Chaplin die Szene mit dem aus Lakritze angefertigten Schuh wieder und wieder drehen, bis sich sein Drehpartner Mack Swain mit gequältem Gesicht über Verstopfung beklagte. In Verbindung mit dem pantomimischen Geschick Chaplins ist die Szene ein komödiantisches Glanzstück.

Goldrausch

Ebenso vergnüglich ist die Szene, in der der Hunger die Figuren schließlich zu kannibalistischen Anwandlungen treibt. So sieht Big Jim in dem Tramp plötzlich ein übergroßes Huhn, das er am liebsten sofort verspeisen möchte. Mithilfe eines geschickten Schnitts ist Chaplin derweil selbst in das Hühnerkostüm geschlüpft und setzt eine urkomische Verfolgungsjagd voller Slapstick in Gang. Den spektakulären Höhepunkt markiert allerdings ein Set-Piece gegen Ende des Films, bei dem sich der Tramp und Big Jim wieder in der Hütte einfinden, um ihren Goldfund feierlich mit Alkohol zu begießen. Als sie erneut von einem schweren Schneesturm heimgesucht werden, der die Hütte an den Rand eines Abgrunds weht, gestaltet Chaplin das verkaterte Aufwachen seiner beiden Figuren als schwankenden Tanz, bei dem der Filmemacher auf der Grenze zwischen Leben und Tod balanciert, mit grandioser Komik und einem beweglichen Miniatur-Set über dem fatalen Abgrund.

In Goldrausch werden auch die gebrochenen Herzen kuriert

Neben der Verschmelzung von Tragik und Humor kommen die großen Gefühle in Goldrausch ebenfalls keineswegs zu kurz. Nachdem sich der anfängliche Schneesturm gelegt hat und der Tramp in der naheliegenden Stadt eintrifft, erblickt er in einem Tanzlokal die bildschöne Tänzerin Georgia. Als sie ihm auch noch einen Tanz schenkt, hat sich der tollpatschige Gentleman mit den zu großen Schuhen und der zu eng sitzenden Jacke direkt in sie verliebt. Er lädt sie und ihre Freundinnen zum Silvesteressen in die Hütte ein, doch die Freundinnen nehmen ihn nicht ernst und sagen zu, ohne die Absicht, dort aufzutauchen. Als der Tramp kurz vor Neujahr alleine einschläft, träumt er sich Georgia und ihre Freundinnen an den gedeckten Tisch herbei. Hier kommt es zu einer der denkwürdigsten Szenen des Films, in der der Tramp zwei Brötchen auf Gabeln aufspießt und für die Frauen einen Brötchen-Tanz vorführt, bei dem die Backwaren zu Füßen werden, die beschwingt über den Tisch gleiten.

Goldrausch

Genauso wie Chaplin dem Tragischen in Goldrausch eine unvergleichliche Komik abgewinnt, gelingt es ihm schlussendlich auch, ein gebrochenes Herz zu kurieren. Als der Tramp im Finale des Films durch den Goldfund zu einem reichen Mann geworden ist und gerade mit einem Schiff Alaska verlassen will, schlüpft er für ein Foto noch einmal in seine abgetragenen Goldgräber-Klamotten. Zufällig befindet sich auch Georgia auf dem Schiff und hält den Tramp nach einem Sturz für einen verwirrten blinden Passagier. Die Verwechslung findet jedoch schnell ein Ende und die Wiedervereinten sollen für ein Foto posieren. Hier ruiniert der Tramp das Bild, für das beide stillhalten sollen, indem er seiner Georgia endlich den Kuss gibt, nach dem er sich die ganze Zeit so gesehnt hat. Es ist die romantische Krönung eines zeitlosen Klassikers.

Was haltet ihr von Goldrausch?

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