Ich, Der Chef und die Einfachheit des Films

07.10.2011 - 08:50 Uhr
Alain Delon in Der Chef
Les Films Corona
Alain Delon in Der Chef
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Jean-Pierre Melville liebte die ersten Minuten von Der Chef und verachtete den Rest zutiefst. Ich finde Anfang, Schluss und alles dazwischen großartig. Catherine Deneuve hält Alain Delon eine Pistole vor die Brust und Der Chef bekommt mein Herz für Klassiker.

Vielleicht wart ihr in den letzten Wochen im Kino. Vielleicht habt ihr euch den friedvoll-utopischen Le Havre von Aki Kaurismäki angesehen. Der Anfang hat mich an Jean-Pierre Melville erinnert. Die gespannten Blicke, die langen Mäntel, die harten Schnitte… Mit seinem Film Der Chef hat dieser Mann der Welt eine melancholisch-kühle Bankräubergeschichte geschenkt, die ihrer Linie so stringent treu bleibt und trotzdem einen Sinn für Zwischentöne entwickelt. Ich freue mich diesem kleinen französischen Juwel mein Herz für Klassiker zu verleihen.

Warum ich Der Chef mein Herz schenke
Ich mag die Einfachheit des Films. Die Personenkonstellation ist simpel und effektiv: zwei alte Freunde auf den unterschiedlichen Seiten des Gesetzes, dazwischen eine Frau, die von beiden geliebt wird. Wenn zwei dieser drei Figuren dann Alain Delon und Catherine Deneuve heißen, bin ich zufrieden. Richard Crenna ergänzt die ménage à trois mit seinem locker verlebten Gesicht. Alain Delon spielt den eiskalten Bullen und Richard Crenna den Gangster, der ein letztes großes Ding drehen will. Das „letzte große Ding“ ist eine Sache, die mir schon immer gut gefallen hat: die Sehnsucht nach der Welt, die viel besser ist und wo alle Cocktails trinken, es nie wieder Stress gibt und immer die Sonne scheint. Auf der anderen Seite stehen immer die Typen, die nicht an das letzte große Ding glauben. Sie nennen es Kriminalität und bekämpfen es. Ich finde es toll, wie beiläufig Der Chef zwei Lebensauffassungen aufeinander hetzt. Gute Freunde werden mit ihren jeweiligen Professionen konfrontiert und stehen sich plötzlich als Totfeinde gegenüber.

Warum andere Der Chef lieben werden
Der Chef ist einfach liebenswert. Er hat ungefähr 20 Minuten Filmmaterial, das auf Modellkulisse und Hintergrundmalereien basiert. Der Film findet eine schöne Mischung zwischen authentischen und artifiziellen Szenen. Mal sehen wir die Figuren auf freiem Feld oder am Meer, mal vor den toll gemalten Paris-Studiokulissen. Die Grundstimmung pendelt in Sachen Kamera und Schnitt irgendwo zwischen Tatort und Alfred Hitchcock, also irgendwo zwischen Gemütlichkeit und Perfektion. Eine unvergessliche Erfahrung ist es auch, sich selbst twisted nerve pfeifen zu hören, wenn Catherine Deneuve plötzlich die Krankenschwesteruniform anzieht. Das Spritzenmordkommando nimmt sie Daryl Hannah nämlich in Der Chef vorweg. Ihr könnt euch darüber streiten, welcher Mörderin das Outfit besser passt. Die voluminösere Frisur trägt allemal Catherine Deneuve.

Warum der Chef einzigartig ist
Jeder sollte sich die DVD von Der Chef kaufen und sich zumindest die letzte Szene des Films einmal in der Woche anschauen. Hier werdet ihr Zeuge einer langen, langen Einstellung. Während im Hintergrund der Triumphbogen langsam immer kleiner wird, schauen wir Alain Delon und seinem Polizei-Partner in die Augen. Ein Fall wurde gerade abgeschlossen und Leute wurden erschossen. Die beiden sitzen im Auto und sprechen wenig. Ich weiß nicht, ob ich lachen oder weinen soll. Ich weiß auch nicht, ob ich Alain Delons Eisblick oder die unangenehme Unsicherheit seines Partners berückender finde. Beides zusammen ist Gold wert. Ich bin kein wirklicher Fan von John- Pierre Melvilles Der eiskalte Engel. Allein diese Szene ist viel eiskälter.

Warum der Chef die Jahrzehnte überdauern wird
Der Chef ist ein geradliniger Genrefilm. Überall stehen Männer mit langen Mänteln. Überall sind diese Männer hart und wortkarg, es wimmelt von Huren, Transvestiten und Bullen. Der Film kennt seine eigene kleine Welt ganz gut und kann sich deshalb virtuos in ihr bewegen. Die Kamerasprache ist unprätentiös und direkt. Sie meint immer das, was sie zeigt. Die Filmemacher der Nouvelle Vague haben Jean-Pierre Melville immer vorgeworfen, sie könnten seine Filme in den ersten Sekunden erkennen. Jean-Luc Godard hatte das ganze Gangster- und Bankräubergenre schon mit seinem Außer Atem zerschlagen und neu zusammengesetzt, als Jean-Pierre Melville seinen Chef drehte. Trotzdem halte ich es für notwendig und logisch, dass sich Filme wie Der Chef über die Jahrzente halten, weil wir sonst in den ganzen Cross-Over-Mixgenre-Produktionen die Vorteile eines einfachen Genrefilms vergessen.

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