Bevor es mit dem Interview losgeht, könnt ihr euch mit dem Trailer einstimmen:
Seit über einem Jahr ist der Film auf diversen Festivals und seit kurzem regulär im Kino zu sehen. Wie ist dein Résumé?
Der Film hatte seine Premiere 2014 im August in Locarno. Das heißt, das ist jetzt fast schon zwei Jahre her. Wir hatten ein sehr langes Festivaljahr. Wir sind 1 1/2 Jahre auf Festivals herumgezogen, darunter Rotterdam, Festivals wie Fantastic Fest, Fantasia, alles was mit fantastischem Kino zu tun hat. Aber auch Festivals wie die Berlinale, der Deutsche Filmpreis im LOLA-Segment ... unzählige Festivals. 35 Länder, 80 Festivals im Ganzen - der Film ist auf der ganzen Welt gezeigt worden und dort, wo ich immer dabei war, waren die Reaktionen immer sehr positiv. Es wissen tatsächlich sehr wenige Leute über das türkische Kino Bescheid, denn die Filme, die man kennt, sind die Arthouse-Filme. Wenn man über den türkischen Film gesprochen hat, hat man immer über den Arthouse-Film gesprochen und das hat sich jetzt mit diesem Film, glaube ich, international geändert.
In der Türkei hat der Film nochmal eine andere Reaktion ausgelöst. Da findet zum Beispiel ein Perspektivenwechsel statt. Leute, die mit dem Yeşilçam-Kino, also mit dem türkischen Trivialfilm vorher nichts anzufangen wussten und es auch gar nicht mochten oder, wie den deutschen Heimatfilm zum Beispiel, einfach scheiße fanden, die haben mehrere andere Perspektiven auf das ganze Sujet bekommen. Das war ein Plus für die Türkei, also für die türkischen Zuschauer.
Auf der Homepage steht 7 Jahre, in einem Interview las ich 12 Jahre. Wie lange haben die Arbeiten an der Doku gedauert, von der Idee bis zum fertigen Film?
Die Idee kam mir 2003. 2005 habe ich mein Studium beendet und eine Diplomarbeit über das türkische Kino geschrieben, die auch „Remake Remix Rip-Off“ hieß. Die Recherchen gehen bis dahin zurück und dann gab es eine Phase, in der ich Produktionsfirmen gesucht habe und weiterhin recherchiert, gesammelt und ein Archiv angelegt habe. Das dauerte drei Jahre. 2007 haben wir angefangen, mit meinem Produzenten Jochen Laube und dem „Kleinen Fernsehspiel“, den Film zu produzieren. Dann folgten die Dreharbeiten, die sich über 7 Jahre erstreckt haben, weil man immer wieder drehen musste. Es gab Interviews und es gab die Proteste um den Abriss des Emek-Kinos , die sich über Jahre hinweg gezogen haben. Man musste immer wieder hingehen und filmen. Und dann gab es noch die Filmrecherche. Die Archivarbeit war das Schwierigste und Aufwendigste an diesem Film. Wir haben mehr als 1500 Filme gesichtet, zusätzlich zu den Filmen, die wir schon kannten. Sichten bedeutet ja auch, Ausschnitte zu katalogisieren und exportieren. Das Archivieren und Listenschreiben war die größte Arbeit daran.
Jochen Laube hat damals für die UFA gearbeitet und dadurch kam die Zusammenarbeit zustande. Eine weise und mutige Entscheidung von der UFA, da die Rechteklärung der Filme sehr kompliziert war und viel Zeit in Anspruch genommen hat, weil man nicht wusste, wem die Filme gehören. Das war auch der Grund, warum viele Produktionsfirmen zuvor den Stoff geil fanden, aber sich nicht herangetraut haben.
Das Interesse für türkische Filme begann ja nicht erst mit der Diplomarbeit, sondern geht zurück in deine Kindheit/Jugend. Kamen daher der Einfluss und die Inspiration, eine Dokumentation darüber zu machen?
Ja. Die Idee, akademisch über das Thema „Türkisches Kino“ zu forschen, kommt sowieso von dort. Unsere Eltern haben diese Filme in ihrer Jugend in der Türkei im Kino gesehen. Als die Gastarbeiter Mitte der 1960er nach Deutschland kamen, waren sie anfangs komplett abgeschnitten von der türkischen Filmkultur. Meine Eltern kamen Anfang der 1970er hierher. Als sie noch in der Türkei gelebt haben, war es deren Alltag. Es gab ja noch kein Fernsehen. 1968 liefen die ersten Testsendungen, 1972/1973 hatte fast jeder Haushalt ein TV-Gerät. Bis zu diesem Zeitpunkt dominierte das Kino. Es gab auch Kiezkinos, Open-Air-Kinos. Es war eine Kinokultur, in der man sich begegnet ist, Filme wurden kommentiert. Diese Kinokultur ging verloren, nachdem sie nach Deutschland gekommen sind. Hier gab es nur deutsches Fernsehen und deutsch haben sie nicht verstanden. Bevor die Videotechnologie Ende der 1970er kam, wurden Bahnhofs- und Sexkinos am Wochenende gemietet, um dort von 16mm-Projektoren türkische Filme zu zeigen. Meine Generation - geboren Mitte der 1970er - kannte das gar nicht. Erst als die Videotechnologie aufkam, waren die türkischen Familien die Ersten, die sich Videogeräte gekauft haben. Türkische Video-Distributoren haben die Kassetten hierher gebracht. Mit dieser Videokultur sind wir groß geworden. Es gab noch kein Satellitenfernsehen, womit man türkisches Fernsehen hätte empfangen können, das kam erst in den 1990ern. Wir haben in den 1980ern nur türkische Kassetten geguckt - neben dem deutschen Fernsehen. Und die haben uns geprägt. Bei Familienbesuchen lief immer ein Film im Hintergrund. War er zu Ende, lief der nächste. Fast jede türkische Familie hatte einen Stock Kassetten zu Hause. Dann gab es die türkischen Videoheken, in denen man die Filme leihen konnte. Es war ein großes Geschäft. Eine Leihkassette kostete DM 10,- pro Tag, eine Kaufkassette ca. DM 80,-. Die türkische Filmindustrie in Deutschland hat Yeşilçam während der Krise in den 1980ern, nach dem Militärputsch, als wenige Filme produziert wurden, am Leben erhalten, weil die Filmemacher Tantiemen durch die Distribution erhielten. Mit der DVD und dem Empfang des türkischen Fernsehens war die VHS-Kultur am Ende.
Auch wir hatten einen Stock Kassetten zu Hause, der immer wieder angeschaut wurde. Es gibt Filme, die ich bestimmt 100mal gesehen habe und deren Dialoge ich dir auswendig aufsagen kann. Mein Stiefvater, der eine Videothek hatte, brachte abends zwei, drei Filme mit nach Hause, die dann auch angeschaut wurden. Und das hat uns geprägt.
In der Türkei gab es kein Urheberrecht. Wie wurde die Distribution von Filmen - z.B. nach Deutschland - geregelt, in denen die Musik von Platoon und Ausschnitte aus Star Wars benutzt wurden.
Das wurde gar nicht geregelt. Das wussten weder die Leute hier noch die Urheber. Es war das bestgehütete Geheimnis der Türkei (lacht). Das haben nur 70 Millionen Türken gewusst und der Rest der Welt nicht. Was die deutschen Zensoren interessiert hat, war die Gewaltdarstellung in den Filmen. Die war immens, weswegen viele Filme auf dem Index landeten und sogar beschlagnahmt wurden. Auch viele von Çetin İnanç, dem Regisseur von Der Mann, der die Welt rettet, weil sie ultrabrutal waren. Aber die Filmmusik, die darin lief, hat niemanden interessiert.
In der Türkei gab es ein Urheberrecht, ähnlich wie das amerikanische. Man konnte einen türkischen Roman nicht einfach so verfilmen, ohne vorher die Rechte zu kaufen. Aber ein Film, der über einen Verleih importiert, aber nicht als das Werk von xy registriert wurde, galt als Public Domain. Wenn du ihn als Gut importierst, ist er noch nicht erfasst. Das Gleiche gilt für die Musik. Wenn die Platte in der Türkei herausgebracht wurde, dann greift das türkische Urheberrecht. Wenn sie aber nach einer Deutschland- oder Italienreise mitgebracht, aber in der Türkei nicht veröffentlicht wurde, unterliegt sie nicht dem türkischen Urheberrecht. Bis in die 1980er war die Türkei ein Land, das zwar kapitalistisch war, trotzdem aber eine Planwirtschaft hatte. Der Zweck des Putsches 1980 war ja, das Land an den globalen Kapitalismus anzudocken. Zuvor war es sozusagen ein geschlossener Markt. Amerikanische Filme wurden lediglich importiert. Es gab keine amerikanischen Firmen, die ihre Büros in der Türkei hatten. Das kam erst in den 1980ern mit der marktwirtschaftlichen Öffnung.
Nach Hommage-Filmen wie Turbo Kid und Kung Fury: Kannst du dir vorstellen, einen derartigen Film in Anlehnung an das türkische Kino zu drehen?
Das komplette Interview findet ihr auf meinem Blog Garcias Videothek !
Wer Lust bekommen hat, in die turbulente Welt des türkischen Kinos einzutauchen, kann sich auf dem Blog und der Facebook-Seite des Films informieren, wann und in welchen Kinos er läuft.
Am 11.07. feiert der Film außerdem seine TV-Premiere im ZDF und ist anschließend in der Mediathek abrufbar.
Eine DVD-/Blu-ray-Veröffentlichung ist für Ende des Jahres geplant.