Julien, Sophie & eine Blechdose mit Dekoration

25.07.2011 - 08:50 Uhr
Aktion Lieblingsfilm: Liebe mich, wenn du dich traust
Alamode/moviepilot
Aktion Lieblingsfilm: Liebe mich, wenn du dich traust
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Ein kleiner, unscheinbarer Film hat es einem unserer User angetan. Aber hinter Liebe mich wenn du dich traust versteckt sich so einiges.

Julien hat als einziger Mitleid mit Sophie, als diese von ihren Mitschülern als Scheißpolacke beschimpft wird. Um sie aufzumuntern schenkt er ihr kurzerhand die Blechdose. Die Blechdose, welche er gerade von seiner Krebskranken Mutter geschenkt bekommen hat. Also fragt er Sophie ob er sie sich hin und wieder ausleihen dürfe. Woraufhin Sophie meint: „Beweis mir, dass Du sie willst.“ Und so fängt das Spiel an und der Bus, dessen Bremse Julien löst, rollt davon.

Anfangs ist das Spiel vor allem aufregend und bringt Farbe in die sonst oft triste Realität der beiden. „Cap ou pas cap“ – Es ist die Flucht in eine andere Welt ohne sterbende Mütter und Scheißpolacke schreiende Kinder. Eine bessere Welt, deren Hauptgewinn vordergründig diese eine Blechdose ist. Doch der eigentliche Gewinn ist das Gefühl der Verbundenheit während des Spiels. Die beiden werden älter, die Einsätze höher. Die Spiele/Wetten der beiden sind oft antiautoritär und anarchistisch, und brechen mit allen gesellschaftlichen Konventionen und es macht verdammt viel Spaß ihnen dabei zuzusehen. Doch mit zunehmendem Alter richten sich die Wetten immer öfter direkt gegen den anderen. Jeden Einsatz gehen sie mit, ist das Spiel doch längst zum Leben; zur Sucht geworden.

Sie lieben sich, und tun sich doch gegenseitig die Schlimmsten Dinge an, verletzen sich bis aufs Mark. Sie hassen sich und kommen doch immer wieder auf den anderen zu. Nur eines schaffen sie nicht, die letzte Barriere zu überwinden und sich ihre Liebe einzugestehen. Diese Wette trauen sie sich nicht, aus Selbstschutz. Und selbst wenn, wie könnten sie sicher sein, dass es keine Wette? Sie sind nicht in der Lage ihre Liebe zueinander in Worten auszudrücken; die Wetten um die Blechdose haben längst den Platz der Worte eingenommen. Nur durch diese als Liebesbeweis können sie sich der Liebe des anderen für einen Moment sicher sein. Mag sein, dass es eine egozentrische, neurotische Liebe ist, aber eben trotzdem Liebe.

Schließlich eskaliert alles. Er lässt sie glauben, er würde ihr einen Heiratsantrag machen, sie will sich daraufhin revanchieren und seine Hochzeit platzen lassen und dafür stellt er sie wiederum mit verbundenen Auge auf die Bahngleise, woraufhin sie fast vom Zug überfahren wird. Daraufhin spricht sie den Wetteinsatz 10 Jahre ohne Wiedersehen aus. – Die Wette gilt. Wie kaum ein anderer Film zeigt Liebe mich, wenn du dich traust die Vielschichtig-, Vielseitigkeit der Liebe. Und hier werden eben auch die extremen Auswüchse der selbstzerstörerischen, boshaften und sadistischen Teile gezeigt.

Sie sind getrennt, das Leben wird grau. Es wird ein zufriedenes Leben geführt. Immer zufrieden und dafür niemals wirklich glücklich. Der Film und die 10 Jahre nähern sich dem Ende.

Was dann kommt ist, um es mit den Worten von Julien zu sagen: Ein exquisiter Hochgenuss! Roh, rein, explosiv! Besser als Drogen, besser als Schnee! Besser als Dope-Coke-Crack-Fix-Joint-Shit-Shoot-Sniff! Als Ganja-Marihuana-Kanabis-Acid-Ecstasy! Als [aus Sicherheitsbedenken zensiert…^^]! Besser als Nutella mit Butter! Besser als George-Lucas-Trilogien, die Muppets und 2001! Besser als Emma Peel, Marilyn, Cindy Crawfords Schönheitsfleck, die B-Seite von Abbey Road, die Hendrix-Solos, die Mondlandung, Space Mountain, Weihnachten, Bill Gates’ Geld, die Trance des Dalai Lama, die Auferstehung von Lazerus! Schwarzeneggers Testosteron-Spritzen, Pam Andersons Kollagen-Lippen! Woodstock, Rave-Partys, Sade, Rimbaud, Morrison und Castaneda! Besser als Freiheit, besser als das Leben! Und er hat recht.

Und dann perlt alle Verkrampftheit des Lebens, die wir uns und auch die beiden im Film, über all die Jahre und Jahrzehnte selbst auferlegt haben, einfach von uns ab. Alle Ketten werden gesprengt und (für einen Moment) kann man wieder die Leichtigkeit und Freiheit des Lebens schmecken und fühlen. Man merkt wie alles unwichtige einfach weg gleitet. Für diesen Moment liegt alles klar und wahr vor einem. Die beiden sehen sich wieder. Sie sind wieder mitten im Spiel. Doch diesmal gewinnen sie am Ende.

„Für dieses Spiel braucht man eine hübsche Dose, eine hübsche Freundin, und der Rest ist egal!“ Sie haben es geschafft, sie haben gewonnen, sie haben die Barriere überwunden, sich selbst, ihren Stolz und ihre Angst, sie sind zusammen, glücklich. Sie zementieren sich und diesen, ihren Moment im wahrsten Sinne des Wortes und überwinden damit Zeit, Materie und Raum und verbleiben in ihrem Moment, der ein ganzes Universum, ihr Universum beinhaltet. Angetrieben durch ihr eigenes Perpetuum Mobile haben sie ihren Platz in der Unendlichkeit gefunden.

Kann es eine schönere Allegorie/Metapher für das Leben/die Liebe geben? Den Epilog habe ich nur das erste mal gesehen, danach existierte er nicht mehr für mich, soll er doch nur verdeutlichen, dass es eigentlich ein Happy End ist, so ist er leider vollkommen überflüssig und passt nach diesem Ende einfach überhaupt mehr dahinter, zerstört er doch viel von dem Schlussbild. Liebe und Hass. Am Ende finden sie wieder zueinander und werden eins. Ein Film über das Spielen und die Liebe. Und über das Spiel mit der Liebe. Und über die Liebe zum Spiel.


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