Mainstream-Kultur, Medien und Gewalt gegen Frauen

16.06.2016 - 08:50 UhrVor 8 Jahren aktualisiert
Ohne Kontext ein anderes Bild
20th Century Fox
Ohne Kontext ein anderes Bild
189
19
Für X-Men: Apocalypse wurde mit Postern geworben, die Mystique zeigen, wie sie von Apocalypse gewürgt wird. Warum das ein Probem ist, wenn die meisten Menschen weder die eine noch den anderen kennen, und was das mit Amber Heard und Johnny Depp zu tun hat, lest ihr hier.

Anfang Mai, inmitten der großen Marketing-Welle für X-Men: Apocalypse, in der in den USA alle Großstädte mit Postern zum Film zugepflastert waren, klebte jemand neun Worte  auf eines der Plakate:

This violence in my kid's face is not okay!

Aber es geht um weit mehr als nur um Kinder: Das Plakat zeigt En Sabah Nur/Apocalypse (Oscar Isaac), der Mystique (Jennifer Lawrence) am Hals packt, daran emporhebt und sie würgt. Daneben, als Tagline, die Worte:

Only the strong will survive
Empfohlener redaktioneller Inhalt

An dieser Stelle findest du einen externen Inhalt von Twitter, der den Artikel ergänzt. Du kannst ihn dir mit einem Klick anzeigen lassen und wieder ausblenden.

Twitter Inhalte zulassenMehr dazu in unserer Datenschutzerklärung


Kurze Zeit später wurden immer mehr Stimmen gegen diese Plakat-Kampagne laut, die 20th Century Fox aufforderten, diese sofort einzustellen, da sie überall in der Stadt und auf riesigen Flächen eine männliche Figur zeigt, die eine weibliche stranguliert und damit in einer unendlichen Nonchalance und ohne darüber nachzudenken Gewalt gegen Frauen auf Postergröße in der Stadt als salonfähig verbreitet. Nun mögen an dieser Stelle einige von euch aufschreien und das bescheuert finden. Immerhin ist diese Szene im Film und Mystique ist generell eine Figur, die sehr mächtige Fähigkeiten hat und sich zu helfen weiß etc.

Aber diesen Kontext hat man nicht auf einem Poster. Konträr der Annahme vieler Fans, kennt die Mehrheit der Menschen die X-Men-Story (Comic oder Film) nicht in- und auswendig. Ein Plakatmotiv unterliegt einem grundsätzlich anderen Kontext, denn es ist nur ein Bild und befindet sich in einem ganz anderen Umfeld: in der gesellschaftlichen Öffentlichkeit.

Empfohlener redaktioneller Inhalt

An dieser Stelle findest du einen externen Inhalt von Twitter, der den Artikel ergänzt. Du kannst ihn dir mit einem Klick anzeigen lassen und wieder ausblenden.

Twitter Inhalte zulassenMehr dazu in unserer Datenschutzerklärung


Wer sich ein wenig damit auskennt, wie man als Mensch ein Bild "liest", wird sofort erkennen, dass das gewählte Motiv folgende Marker setzt:

1) Großer, starker Mann würgt viel kleinere, zierliche Frau, die sich nicht wehren kann

2) "Only the strong will survive" steht als Emphase der männlichen Gewalt und Dominanz in diesem Bild. Es ist also anzunehmen, dass die Frau eventuell nicht überleben wird

3) So ein Bild auf riesige Plakate zu kleben, die einen Blockbuster-Film ankündigen, gibt dem gezeigten Subtext eine starke Legitimation. Wenn es okay ist, 30-Meter-Plaktwände damit zu bekleben, ist es irgendwie auch okay, eine Frau zu würgen

Nicht, dass dann sofort Männer losziehen um Frauen ein bisschen beiläufig zu würgen, aber es macht es doch ein wenig salonfähiger, irgendwie okay, in Bereich der Möglichkeiten liegend, normal. So normal, dass Filmposter damit bestückt werden. So normal, dass genau dieses Bild ohne darüber nachzudenken von Fox seit Juli 2015 überall als Bild für das Marketing und letztlich auch die Poster eingesetzt wurde.

Die Antwort von Fox lautet folgendermaßen:

In unserer Begeisterung, die Bösartigkeit des Charakters Apocalypse zu zeigen, haben wir die verstörenden Konnotationen des Bildes in gedruckter Form nicht sofort erkannt. Als uns bewusst wurde, wie unsensibel es war, unternahmen wir zügig Schritte, diese Materialien zu entfernen. Wir entschuldigen uns für unser Vorgehen und würden niemals Gewalt gegen Frauen billigen.

Hm, wenn man die Bösartigkeit von Apocalypse zeigen wollte, wieso nicht in einem gleichwertigen Kampf mit dem anderen (Teilzeit-)Superschurken: Magneto? Wieso ausgerechnet dieses Bild aus Hunderten von anderen Möglichkeiten (der Film ist immerhin 144 Minuten lang) als das Repräsentative für den Film auswählen? Wen wollte man denn genau mit diesem spezifischen Bild ansprechen? Doch nicht die Nerds und Fanboys, die eh ins Kino gehen. Vielmehr soll ja hier eine große, breite Masse angeworben werden. Mit einem Bild einer Frau, die gewürgt wird ... und das in einem Land, in dem täglich drei oder mehr Frauen  von ihren Freunden oder Ehemännern ermordet werden. (In Deutschland haben 40 % aller Frauen  seit ihrem 16. Lebensjahr körperliche und/oder sexuelle Gewalt erlebt).

Und auch wenn Fox schreibt, dass sie Gewalt gegen Frauen nicht billigen wollten, haben sie es letztendlich doch getan. Zu beachten ist hier aber auch der Marketing-Subtext, der zur Auswahl des Bildes geführt hat. Denn dieser sagt in gewisser Weise auch aus, dass Gewalt gegen Frauen medial gut verwertbar und sogar irgendwie unterhaltsam ist (immerhin wurde damit ein Blockbuster-Film beworben) und etwas, von dem man vermutet, dass es die Masse anspricht.

Der Marketing-Gedanke, gepaart mit dem schon genannten Konzept der subtilen Normalisierung solcher Gewalt von Männern gegen Frauen, endet letztendlich in einer Posterkampagne, die jene bestätigt, die sich bestätigt fühlen wollen, es nimmt denen, die es noch nicht getan haben, ein wenig mehr die Hemmungen und es zeigt denen, die am Ende eines solchen Klammergriffes sind und Gewaltakte dieser Art erlebt haben, dass es jederzeit wieder passieren kann und sogar, dass es irgendwie gesellschaftlich legitimiert ist.

Das könnte dich auch interessieren

Angebote zum Thema

Kommentare

Aktuelle News