Matthias Glasner erklärt die Wunden der Liebe

16.11.2009 - 09:00 Uhr
Kinowelt
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Der neue Kinofilm This is Love gibt uns eine Antwort auf die wichtigste Frage der Welt. Matthias Glasner hat sich der Themen angenommen, die uns nahe gehen – und er legt den Winger in die Wunde.

Matthias Glasner, der Regisseur des kontroversen Kinofilms Der freie Wille, wagt sich wieder an schmerzhafte Themen heran. Die Abgründe der Liebe und das Schmerzpotential menschlicher Gefühle werden im Film This Is Love aus der Perspektive von Maggie (Corinna Harfouch) ausgelotet. Für dieses Projekt holte Matthias Glasner erneut seinen langjährigen Freund Jürgen Vogel mit an Bord. Im Interview verrät der Regisseur, was ihn an schwierigen Charakteren so reizt.

Können Sie etwas über den Anlass, über die Idee hinter diesem Film sagen?

Matthias Glasner : Ich wollte einen Film machen darüber, welches Leid und welche Schmerzen die Liebe einem zufügen kann, wie sehr sie manchmal Leben zerstört. Ich habe das Gefühl, dass Menschen durch die Liebe mehr Unglück als Glück erfahren. Liebe – und vor allem der Wunsch nach der “ewigen Liebe” – ist auch ein Fluch. Und dieser Wunsch, zu lieben und geliebt zu werden ist mehr Bürde als Freude. Schließlich ist Liebeskummer der Hauptgrund dafür, dass Menschen sich das Leben nehmen. Die Figur von Jens Albinus (Chris) beruht auf einer Geschichte, auf die ich bei der Recherche zu Der freie Wille gestoßen bin: Ein Mann weiß, dass er Sehnsucht nach Kindern hat, will diese Gefühle aber nicht. Es ist doch furchtbar, wenn man weiß, dass man sein ganzes Leben allein sein wird, wenn man liebt und diese Liebe nicht leben kann. Diese Geschichte gärte ein paar Jahre in mir. Und als ich dann in Hongkong auf dem Filmfestival war, las ich in der Zeitung eine Geschichte von einem Mann, der 16 Jahre lang vermeintlich verschwunden war. Das wurde dann Corinna Harfouch s (Maggie) Geschichte und in mir formte sich der Film. Ich denke oft, dass man zwei Geschichten braucht, um einen Film zu machen. Ich finde, dass sich immer Assoziationsräume im Kopf öffnen, wenn man zwei Geschichten miteinander verbindet, die sich spiegeln und gegenseitig kommentieren. Ein letzter Punkt war, dass ich schon länger Lust hatte, einmal einen Krimi fürs Kino zu machen. Ich hab in den letzten 10 Jahren einige Krimis fürs Fernsehen gedreht: KDD, Eva Blond, Schimanski, etc. Und ich mag dieses Genre sehr, aber im Fernsehen wird man doch immer sehr von den Konventionen eingeengt. Dieses Genre mal wieder frisch fürs Kino zu beleuchten, ohne dass gleich der Chef mit Suspendierung drohen muss, wenn man betrunken zur Arbeit kommt. Das schien mir eine sinnvolle Herausforderung.

Wie kam der Filmtitel This Is Love zustande?

Matthias Glasner : Es geht vor allem um die dunkle Seite der Liebe, darum ist der Titel ein wenig provokativ. Den Satz so hinzustellen und damit zu sagen: Meiner Meinung nach ist DAS Liebe! Liebe ist Schmerz, Leiden, Einsamkeit. Der Titel stammt aus einem alten Song: This isn’t sometimes, this is always. This isn’t maybe, this is always. This is Love… In meiner Wahrnehmung klingt das ebenso nach einer Drohung wie nach einem Versprechen. Und ich mochte es, den Film nach einem Song aus dieser Ära zu benennen, denn so wie die Musik aus dieser Zeit sollte sich der Film anfühlen.

Man muss demzufolge an der Liebe scheitern?

Matthias Glasner : Ich glaube, dass diese relativ neue Idee der romantischen Liebe uns tatsächlich zu schaffen macht. Wir haben uns das ja nur aus der Kunst und Literatur entlehnt, früher waren das Märchen, keiner hat das ernst genommen. Heute glauben wir das alle. Wir meinen ein Recht auf die große, perfekte Liebe zu haben. Aber ein solches Menschenrecht gibt es nicht.

Sie haben sich entschieden, den Film elliptisch, auf verschiedenen Zeitebenen zu erzählen – wieso?

Matthias Glasner : Zwei Sachen haben mich in den letzten Jahren stark beeinflusst: Bücher von Haruki Murakami und Filme von Pedro Almodóvar. In beiden ist die Erzählung innerhalb einer Erzählung Thema. Ganz oft schweifen die Figuren ab, die Peripherie wird wichtiger als der eigentliche “Plot”. Oder eine Nebenfigur erzählt plötzlich eine eigene Geschichte. Ich wollte gern einen Film machen, in dem die Menschen sich etwas erzählen, sich darüber näher kommen und sich dadurch helfen können. Es ist eine Hommage an das Erzählen. Das machen die beiden Protagonisten Chris und Maggie im Verhörraum. Zumindest für mich gilt, dass einem das helfen kann: Sich Geschichten erzählen lassen. Beide Protagonisten sind nicht im herkömmlichen Sinne Filmhelden, Chris mit seinen problematischen Neigungen, Maggie mit ihrem Riesen-Ego, das sogar die Hochzeit ihrer Tochter kaputt macht… Bei dieser Sympathiefrage merke ich immer, dass ich da offensichtlich anders ticke als viele andere: Ich mag Menschen für ihre Schwächen, nicht für ihre Stärken. Ich finde Maggie nicht unsympathisch weil sie die Hochzeit kaputt macht. Ich habe stattdessen Mitgefühl mit ihr, weil sie offensichtlich so schwach und gekränkt und verletzt ist, dass sie das tun muss. Vieles von dem, was wir tun, was andere Menschen als unsympathisch empfinden, tun wir schließlich aus Kränkung, die wir erfahren haben. Aus dem Selbsthass, der dabei entsteht.

Und empfinden Sie auch Mitgefühl für die Tochter?

Matthias Glasner : Natürlich, für alle Menschen in diesem Film. Ihr Schmerz ist groß, darum haben sie meine Sympathien. Ich bin eben durch die 70er-Jahre-Sozialisation gegangen, wo Filme wie Taxi Driver, oder Raging Bull gemacht wurden, und ich wäre damals gar nicht auf die Idee gekommen, dass solche Protagonisten unsympathische Helden sein könnten. Ich hab mich mit denen identifiziert und war froh, dass es sie gab. In der Welt, in der ich lebe, und in den Filmen, die ich gucke, sind solche Helden nicht so ungewöhnlich. In This Is Love müssen alle Figuren viel durchmachen, und ich will mit dem Film auf ihrer Seite sein, sie auffangen. Darum auch die warmen Bilder, die wunderschöne Musik.

Von Maggie erfährt man bereits früh im Film viel mehr als von Chris – warum?

Matthias Glasner : Weil Maggie alles stärker reflektiert und zu ihrer Vergangenheit steht. Chris tut das nicht. Er ist wie ein Vogel Strauss: Versucht, den Kopf in den Sand zu stecken. Und was er nicht sagt oder sieht, das gibt es nicht. Mit dieser Art von Verneinung lebt er sein Leben, man kommt schwer an ihn ran, weil er selbst auch schwer an sich rankommt.

Wie führt man denn die Schauspieler an ein solches Thema heran?

Matthias Glasner : Bei Jens Albinus, der schon viel mit Lars von Trier gedreht hat, muss man sich keine Sorgen machen, der ist von Lars von Trier Härteres gewohnt und hat auch entspannt auf das Drehbuch reagiert. Er hatte sofort große Lust und fand die Rolle spannend. Mit Corinna Harfouch habe ich schon fünf Filme gemacht, insofern wusste ich, dass sie keine Angst vor solchen Rollen hat, im Gegenteil. Das war fast schon ein Traumprojekt für uns beide, wir kennen uns schon so lange, haben auch menschlich schon einiges miteinander durchgestanden… da gab es viel Vertrauen. Ähnlich wie bei der Zusammenarbeit mit Jürgen Vogel in Der freie Wille. Manche Filme dreht manm nicht als Regisseur und Schauspieler, sondern als Freunde.

Welche Funktionen haben die beiden Freunde der Protagonisten, Devid Striesow als Maggies Polizeikollege Roland, und Jürgen Vogel als Chris’ Freund Holger?

Matthias Glasner : Dass man eine Figur, wie Roland, ganz beiläufig einführt und dann wird sie auf einmal ungeheuer wichtig, das fand ich filmisch interessant. Im Leben begegnen uns so viele Menschen, die wir kaum wahrnehmen und von denen wir nicht einmal ahnen, wie sehr sie doch Einfluss auf uns haben. Und dann wollte ich unbedingt, dass kein anderer als Devid Striesow den Roland spielt. Ich halte Devid Striesow für den besten deutschen Schauspieler seiner Generation. Der kann auch lange Texte so frei spielen, als ob sie ihm in dem Moment einfallen. Ich hab ihm gesagt: Lies das Buch, aber wundere dich nicht – während der ersten 80 Seiten wirst du dich fragen, was du in dem Film sollst, aber dann kommt eine Szene… Und er hat das auch sofort verstanden. Die erste Idee für Holger, der von Jürgen Vogel gespielt wird, war, dass diese Figur stellvertretend für Chris dessen Sehnsüchte ausleben soll. Chris ist bei ihm, um diese Adoptionen mit den Kindern machen zu können, ohne sich entlarven zu müssen. Holger bringt ihn in eine zwielichtige Halbwelt, in der sich Chris zuhause fühlt, weil er voller Schuldgefühle ist. Außerdem steht die Holger-Figur ein wenig stellvertretend für den Zuschauer. Man begreift mit ihm zusammen, dass Chris sich in Jenjira verliebt hat und er versucht, Chris mit extremen Maßnahmen zu retten. Bei der wichtigen Szene zwischen den beiden im Wald, bei der Holger versucht, Chris von dem Mädchen abzubringen, spricht er Dinge aus, die Chris niemals sagen könnte. Und das auch noch sehr drastisch formuliert – da wüsste ich auch niemanden außer Jürgen Vogel, der das so aussprechen und spielen könnte. Der keine Angst vor so einer Art von Sprache oder Figur hat. Jürgen Vogel nimmt einfach alles direkt, ohne die schreckliche Angewohnheit vieler Schauspielern, ihre Figur beim spielen zu bewerten.

Bei Ihrem letzen Film Der freie Wille geht es auch um jemanden, der eine problematische, nämlich eine gewaltorientierte Sexualität hat…

Matthias Glasner : Ja, aber das war etwas völlig anderes. Der große Unterschied war, dass ich bei Der freie Wille sehr zwiespältige Gefühle der Hauptfigur gegenüber hatte und den Film deshalb aus einer beobachtenden Position heraus drehte. Bei This Is Love ist das anders: Ich hatte wenig Distanz, sondern vor allem großes Mitgefühl mit allen Figuren. Ich hatte keine Bedenken, mich diesen Figuren hinzugeben. Darum ist es ein sehr erzählerischer Film, ästhetisch viel gestalteter als Der freie Wille. Grundsätzlich berühren mich aber solche Themen: Probleme mit der eigenen Sexualität, mit dem eigenen Körper, Gefühle nicht leben zu können…

Könnten Sie sich als Mann auch vorstellen, so einen Film über eine weibliche Figur zu machen, die Probleme mit ihrer Sexualität hat?

Matthias Glasner : Ich versuchem in meinen Filmen möglichst ehrlich zu sein. Ich habe für This Is Love sehr viel zum Thema Kinderprostitution recherchiert, war länger in Vietnam und Kambodscha und es gab Drehbuchfassungen, in denen der Fokus stärker darauf lag. Am Ende habe ich das alles wieder rausgenommen, weil ich nichts behaupten will, was ich nur aus zweiter Hand weiß. Dieser journalistische Zugang wiederstrebt mir beim Filmemachen. Es hat einfach etwas unsauberes für mein Gefühl, aber das liegt vielleicht nur an meiner sehr subjektiven Sicht auf meine Arbeit. Und dadurch wirkt der Film nicht voyeuristisch. Hoffentlich. Bei Der freie Wille hatte ich wirklich unterschätzt, wie sehr sich die Leute auf die Vergewaltigungsszene am Anfang stürzen werden. Das hat den Film immer mit dem Schlagwort „brutal“ gebrandmarkt. Ich habe mir darum vorgenommen, diesmal niemandem Futter für seine Sensationslust zu geben.

Es ist jedenfalls ein Film für Erwachsene…

Matthias Glasner : Und für Menschen die mit diesen Gefühlen, diesem Liebesleid schonmal konfrontiert worden sind. Und die sich dann – das kenne ich auch von mir – von Musik und Filmen angesprochen fühlen, die genau das behandeln. Weil man sich dann weniger allein fühlt.

Mit Material von Kinowelt

This Is Love kommt am 19. November in die Kinos. Mehr Informationen zum Film findet ihr HIER.

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