Twilight und Miley Cyrus zerstören Filmkritik?

28.11.2008 - 13:10 UhrVor 13 Jahren aktualisiert
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THEMA » Roger Ebert über den Celebrity-Kult und den Tod des kritischen Denkens

Die professionelle Filmkritik steckt in einer Krise. Immer mehr Zeitungen halten “Content” wohl eher für ein notwendiges Übel, als den eigentlichen Sinn ihrer Veröffentlichung. Die Häppchenkultur hat Einzug gehalten. Immer mehr News-Bits, immer weniger Analyse, immer weniger Herausforderung an das Publikum, das sich auch gerne mit geschriebenem Bubble-Gum abspeisen lässt.

Waren früher die bunten Seiten, die Klatsch- und Tratsch-Artikel nur ein Element der Berichterstattung, scheinen sie mittlerweile der einzige Fokus der Blattmacher zu sein. Die Leserzahlen stagnieren oder gehen zurück, nicht nur hierzulande, sondern auch in den USA.

Doch während einige Protagonisten der deutschen Filmkritik die Blogosphäre und das Internet als Schuldige ausgemacht haben (wir berichteten hier ausführlich ), machte Starkritiker und Pulitzerpreisträger Roger Ebert in seinem jüngsten Blog-Artikel den Celebritykult verantwortlich. In einem sehr lesenswerten, zornigen Artikel schreibt er:

“Der Todesstoß kam diese Woche, als die einst ehrenwerte Associate Press ein 500-Worte-Limit für alle Unterhaltungs-Artikel aussprach. Diese 500 Worte betreffen Kritiken, Interviews, News, Trendberichte und Denkanstösse. Sicher, das ist machbar. Aber mit einem Film wie Synecdoche, New York?

Schlimmer noch: AP verlangt von seinen Unterhaltungs-Autoren den Fokus auf jene Art kurzlebiger Celebrity-Berichte zu legen, für die sich das Publikum ja augenscheinlich so sehr begeistert. Die AP, lange Zeit als unentbehrlich für jede Nordamerikanische Zeitung angesehen, sah sich in letzter Zeit mit einigen Kündigungen konfrontiert und wurde zweifellos darüber in Kenntnis gesetzt, was die Leser wirklich wollen: Affären, Scheidungen, Sucht, Krankheit, Erfolg, Scheitern, Todesspekulationen, Verhaftungen, Ausfälle, Skandale, “Wer wurde mit wem gesehen”, “Wer wurde mit wem beobachtet” und Top Ten-Listen dieser Dinge.

Der Promikult-Virus frisst unsere Kultur bei lebendigem Leibe und Zeitungen setzen sich ihm auch noch freiwillig aus. Er lehrt unsere Jugend schäbige Werte, befüttert ungesunde Neugier, missachtet die Privatsphäre und ignoriert Werte und Leistungen. Eine der TV-Promishows hat verkündet, es werde über die Obama-Family wie über eine Hollywood-Story berichten und ich verspüre den Drang etwas gegen eine Wand zu schmettern. (…)

Seit der Promikult triumphiert, haben große Zeitungen erfahrene Filmkritiker gefeuert. Sie wollen weniger Platz für etwas, das als langweilige Erzählung empfunden wird und mehr für dummen Voyeurismus. (…) Warum dreht sich die größte Twilight – Bis(s) zum Morgengrauen -Story um die Fans? Brauchen wir wirklich Interwiews, in denen 16jährige Mädchen etwas über Robert Pattinson erzählen? Wann haben die zum letzten Mal eine Zeitung gelesen? Ist es nicht offenkundig, dass es im Film um sexuelle Abstinenz und die jugendlichen Faszination für gothige Todessehnsucht geht? (…)

Warum brauchen wir Kritiker? Einem guter Freund in einer sehr großen Stadt wurde einst von seinem Chefredakteur gesagt, die Kritik solle “den Geschmack der Leser widerspiegeln”. Mein Freund fragte: “Bedeutet das, der Restaurantkritiker muss McDonald lieben?” Der Chefredakteur: “Absolut!”
Ich glaube nicht, dass Leser eine Zeitung kaufen, um sich bestätigen zu lassen. Ein Kritiker für eine Zeitung sollte kritisches Denken ermutigen, neue Entwicklungen aufzeigen, die heimische Szene kennen, über die Fanboy-Specials hinausblicken, neue Trends vorhersagen, den großen Zusammenhang aufzeigen, lehren, informieren, amüsieren, inspirieren, mutig sein und zornig."

Auch wenn es unpopulär sein mag: Ebert hat Recht. Klatsch und Tratsch haben ihren Platz und waren immer Bestandteil der Berichterstattung. Auch wir haben unsere Cindy Ast, die sich den seichteren Dingen der Filmszene widmet. Doch der derzeitig überall zu beobachtende Trend, ausschließlich Promi-News zu kolportieren, auf der Hatz nach Lesern, Abonnenten, Klicks, schadet letzten Endes der Kultur als Ganzem.

Klatsch- und Trasch waren immer der Zucker, der zwischendurch als Auflockerung serviert wurde. Doch wie mit echten Süssigkeiten ist es auch mit der geschriebenen Form: Wer sich alleine davon ernährt, verfettet im Kopf. Film sollte immer auch Möglichkeit zur Auseinandersetzung sein, aber dort, wo kritisches Denken nicht mehr gelehrt wird, wird Film tatsächlich zu etwas, das man schaut, um “sein Gehirn abzuschalten”.

Und das ist wirklich erbärmlich.

Ebert endet in seinem Artikel mit einem abgewandelten Zitat aus Sunset Boulevard – Boulevard der Dämmerung :

“The news is still big. It’s the newspapers that got small.”

Hier gibt es den ganzen Text zu lesen

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