Vikings: Warum wir genau diesen Ragnar Lothbrok brauchen

13.09.2018 - 09:35 UhrVor 5 Jahren aktualisiert
Ragnar LothbrokHistory, MGM
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Ragnar Lothbrok ist nicht nur der Protagonist in Vikings, sondern ebenfalls Identifikationsfigur für uns Zuschauer. Doch wieso kommt gerade ihm diese Rolle zu?

In der unerbittlichen Welt von Vikings habe ich mich sofort verloren und dies liegt nicht nur am ungemein spannenden Setting, sondern besonders an den Charakteren - allen voran natürlich Protagonist Ragnar Lothbrok (toll gespielt von Travis Fimmel). Ragnar, welcher von einem einfachen Bauern und Krieger gar zum König aufsteigen soll, zog mich schnell in seinen Bann und gehört sogar zu meinen absoluten Lieblings-Protagonisten in Serien. Ihn auf seinen Abenteuern und Beutezügen zu begleiten, zu sehen, wie er voller Leidenschaft kämpft, liebt, verzweifelt, konnte mich schnell begeistern, weshalb ich ihm sowie Vikings heute mein Herz für Serie schenken möchte.

Ragnar Lothbrok in Vikings - Der Held als Anachronismus

Mit Ragnars Abenteuern in Vikings setzte ich mich bisher nicht nur ganz entspannt in meiner Freizeit auseinander, wenn ich mal wieder eine ganze Staffel am Stück verschlang, sondern auch in der Uni. Im Rahmen eines Seminars beschäftigten wir uns damit, wie "das Mittelalter" in Filmen und Serien dargestellt wird. Dabei gingen wir unter anderem darauf ein, wie Charaktere, speziell die Protagonisten eines Films mit historischem Setting - oder im Falle von Vikings einer Serie - porträtiert werden. Unsere Hauptfiguren sind dabei oftmals überraschend neugierig, tolerant sowie weltoffen; sie wirken beinahe aufgeklärt, obgleich die Aufklärung erst Jahrhunderte später beginnen sollte. All diese Attribute treffen so ebenfalls auf Ragnar zu. Sogar besonders auf ihn, wenn man ihn mit den übrigen Figuren in seinem Umfeld vergleicht.

Ragnar Lothbrok

Sein Traum ist es, das Meer zu überqueren, da er von einem unglaublich wohlhabenden Reich gehört hat, welches sich jenseits des Horizonts verbirgt. In England angekommen - übrigens am historisch korrekten Datum - befürchten die einheimischen Geistlichen bereits das Ende aller Tage sowie Dämonen, welche dem Meer entsteigen, um sie zu massakrieren. Dem neuen Glauben, dem Christentum, steht Ragnar von Beginn an überraschend offen gegenüber: Dieser Glaube, welcher so anders ist als sein eigener, fasziniert ihn und er will mehr darüber erfahren. Selbiges gilt für die Sprache der Fremden. Obgleich Ragnar nur ein einfacher Bauer ist, strebt er von Beginn an nach Höherem und dies nicht nur mit Gewalt, sondern noch mehr mit seinem Verstand. Er will seinen Feind kennenlernen, ihn studieren und verstehen - er ist ein lebender Anachronismus.

Ragnar Lothbrok - Ein Mann unserer Zeit?

Die Macher eines Films oder einer Serie mit historischem Setting sehen sich mit der Schwierigkeit konfrontiert, uns Charaktere näher zu bringen, die sehr wahrscheinlich einem gänzlich anderen moralischen Kompass folgten sowie andere Werte hochhielten, als wir es gegenwärtig tun. Diese Dinge entwickelten sich erst im Laufe der Zeit und können sich auch weiterhin noch verändern; vermutlich werden sie das in Zukunft auch. Damit wir dennoch mit den Figuren mitfiebern können, dürfen speziell die Protagonisten nicht zu sehr von unseren eigenen derzeitigen Wertvorstellungen abweichen. Sie müssen gewissermaßen aufgeklärter agieren, als es die Menschen zu jener Zeit sehr wahrscheinlich waren. Darüber hinaus können Schauspieler ohnehin nur zu einem gewissen Grad eine mittelalterliche Persönlichkeit darstellen. Ihr eigener Habitus, ihre Gestik sowie Mimik dürften kein authentisches oder gar realistisches Bild eines Menschen aus dem 8. Jahrhundert vermitteln, bewegen sie sich doch in einem modernen Körper.

Ragnar Lothbrok

Ragnars sehr moderne, aufgeklärte Art, Probleme und Situationen anzugehen, macht aus ihm für uns Zuschauer letztendlich die perfekte Identifikationsfigur. Im übrigen illustren Figurenkabinett gäbe es ohnehin nicht allzu viele brauchbare Alternativen. Ragnars Weggefährten vergewaltigen und morden speziell zu Beginn des Abenteuers nach Herzenslust. Darüber hinaus distanzieren sie sich wegen seiner aufgeschlossenen Haltung gegenüber den Engländern sogar von Ragnar, da er für sie gewissermaßen zu einem Zwitterwesen mutiert - weder Nordmann noch Engländer. Er kämpft zwar Seite an Seite mit seinen Brüdern, führt sie später sogar als Oberhaupt an, doch gleichzeitig lernt er nicht nur die Sprache, sondern ebenfalls Kultur und Religion der Fremden kennen, die ursprünglich lediglich aufgrund ihres Reichtums im Rahmen von Beutezügen immer wieder ausgenommen werden sollten. Ragnar witterte hingegen früh die Chance, die Beziehungen beider Seiten zu vertiefen, da sich dies auf lange Sicht als lohnender erweisen könnte.

Anachronismen wie Ragnar in Vikings sind nicht schlimm

Eine authentische, realistische oder gar naturalistische Rekonstruktion von Ereignissen, die bereits Jahrhunderte zurückliegen, ist schlicht nicht möglich. Selbst wenn ein Spielfilm vom Schlage eines Königreich der Himmel damit wirbt, auf historischen Geschehnissen zu basieren, so werden jene - in diesem Fall die Zeit zwischen dem Zweiten (1147-1149) und Dritten Kreuzzug (1189-1192) - doch nie der damaligen Realität nahekommen können. Es kann lediglich versucht werden, eine möglichst große Nähe zwischen Vergangenheit und der filmischen Rekonstruktion herzustellen. Oder Filmemacher wählen, wie im Falle von Ridley Scotts Kreuzzugs-Epos, die Vergangenheit als Projektionsfläche für gegenwärtige Ereignisse.

Ragnar Lothbrok

Doch dass die Vergangenheit in Filmen sowie Serien nicht naturalistisch abgebildet werden kann, finde ich persönlich überhaupt nicht schlimm, schließlich handelt es sich hierbei Produkte, die in erster Linie unterhalten wollen. Zudem ist es natürlich absolut verständlich, uns Zuschauern einen emotionalen Anker anzubieten, an dem wir uns auf unserer Reise festhalten können, selbst wenn dieser Charakter dann etwas aus dem (historischen) Rahmen zu fallen mag. Mit Ragnar Lothbrok bekam ich genau einen solchen Anker, einen Bezugspunkt, an dem ich mich festhalten konnte, selbst wenn er ein Anachronismus sein mag. Ich hatte schlicht viel zu viel Spaß, mich gemeinsam mit ihm auf die nächste große Fahrt oder in die nächste blutige Schlacht zu stürzen, um über sowas nachdenken zu können.

Die ersten vier Staffeln von Vikings könnt ihr über Sky Ticket  streamen.

Stören euch Anachronismen in Filmen/Serien mit historischem Setting?

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