999CINEASTOR666 - Kommentare

Alle Kommentare von 999CINEASTOR666

  • 5 .5
    999CINEASTOR666 30.07.2025, 07:48 Geändert 30.07.2025, 07:48

    The Ferryman – Jeder muss zahlen (OT: The Ferryman) / NZ/GB / 2007

    >>> mit Vorsicht zu genießen /// enthält möglicherweise Spuren von leichten Spoilern <<<

    THE FERRYMAN – JEDER MUSS ZAHLEN ist ein übernatürlicher Thriller mit mythologischem Unterbau, dessen Ausgangspunkt ein altes Seemansgarn über einen Dolch ist, der die Seele eines jeden in den Körper desjenigen transferiert, den er damit ersticht. Damit beginnt ein mörderisches Wechselspiel an Bord einer Segelyacht, die sich weitab vom Festland auf dem Meer befindet.

    Ein Segeltörn von Neuseeland zu den Fidschi-Inseln wird zum Höllentrip: Zwei Paare haben sich auf eine entspannte Reise mit einem Skipper und dessen Frau begeben, doch ein mysteriöser Notruf führt sie zu einem treibenden Fischerboot im Nebel. An Bord: ein verwirrter alter Mann (JOHN RHYS-DAVIES), der nicht das ist, was er zu sein scheint. Schon bald häufen sich unheimliche Vorfälle, als ein Fluch über die Gruppe hereinbricht – ausgelöst durch einen Dolch, der Körpertausch ermöglicht. Niemand ist mehr, wer er zu sein vorgibt, und auf engstem Raum beginnt ein tödliches Spiel aus Täuschung, Wahnsinn und Überleben.

    Die Geschichte spielt relativ geschlossen auf engem Raum und bedient sich des klassischen Setups einer Gruppe sehr unterschiedlicher Personen, die unfreiwillig Zeugen und Opfer einer übernatürlichen Bedrohung werden. Die Figuren bleiben dabei weitgehend stereotyp, was emotionale Bindung erschwert. JOHN RHYS-DAVIES ist der einzige Darsteller, der konstant überzeugt – der übrige Cast wirkt im Vergleich blass und teilweise überfordert.

    Zwar wird relativ bald deutlich, dass eine fremde Macht die Körper der Figuren kapert, doch der Film lässt sich lange Zeit mit seiner Eskalation. Der Spannungsaufbau ist zäh, und dramaturgisch fehlt die Konsequenz, dem Zuschauer Informationen gezielt dosiert oder raffiniert zu vermitteln. Stattdessen wird viel Hysterie generiert – die überzeichneten Besessenheitsszenen überschreiten oft die Grenze zum Overacting. Erst im letzten Drittel, wenn alle Figuren kompromittiert und der Konflikt auf die Spitze getrieben wird, kommt so etwas wie Spannung auf.

    Visuell verlässt sich der Film auf eine Mischung aus solider Kameraarbeit, einfachen, aber effektiven Make-up-Effekten und einigen CGI-Elementen, die inzwischen sichtlich gealtert sind. Die isolierte Kulisse – ein Boot im Nebel – schafft phasenweise eine dichte Atmosphäre, leidet aber unter mangelnder filmischer Variation. Das Setting wirkt dramaturgisch schnell erschöpft. Die Kameraarbeit bleibt funktional, aber ohne besondere Bildsprache oder Symbolik. Die stilistische Handschrift ist uneinheitlich, die Inszenierung fragmentarisch.

    Was den Film dennoch über den Durchschnitt hebt, ist sein mythologischer Unterbau: Der Dolch, der Seele und Körper voneinander löst, ist nicht einfach ein MacGuffin, sondern verweist deutlich auf griechische Totenglauben – etwa den Fährmann Charon, der die Seelen über den Styx bringt. Das Boot trägt symbolisch den Namen „Dionysos“, was auf den Gott des Rausches, des Wahnsinns und der Grenzüberschreitung anspielt. Diese Bezüge sind zwar nicht durchgängig klug eingesetzt, geben dem Film aber einen zusätzlichen Resonanzraum.

    Fazit: Insgesamt bleibt THE FERRYMAN – JEDER MUSS ZAHLEN ein Low-Budget-Thriller mit einer guten Grundidee, der es jedoch nicht schafft, seine Potentiale dramaturgisch auszuspielen. Er ist weder durchgehend spannend, noch in seiner Figurenzeichnung tiefgehend oder überraschend. Die Atmosphäre punktet in einzelnen Momenten, leidet jedoch unter erzählerischer Unentschlossenheit. Für Fans des übernatürlichen Thrillers mit einem Faible für Körpertausch und mythologische Motive durchaus einen Blick wert – aber insgesamt zu unausgegoren, um nachhaltig zu beeindrucken.

    11
    • 6 .5
      999CINEASTOR666 29.07.2025, 12:11 Geändert 29.07.2025, 12:15

      Prey of the Jaguar / US / 1996

      >>> mit Vorsicht zu genießen /// enthält möglicherweise Spuren von leichten Spoilern <<<

      Mit PREY OF THE JAGUAR liefert DAVID DECOTEAU einen typischen Low-Budget-Rachethriller der 90er-Jahre, der sich irgendwo zwischen Superhelden-Camp, B-Action und TV-Pilotfolge bewegt. Der Film vereint illustre Namen, die aufhorchen lassen, letztlich aber ein Produkt zieren, das eher durch unfreiwillige Komik und Nostalgie-Charme in Erinnerung bleibt als durch Qualität. PREY OF THE JAGUAR kann durchaus als ein Rip-off von THE PUNISHER betrachtet werden. Der Film folgt nämlich einem ähnlichen Rachethema.

      Der ehemalige Special-Forces-Agent Derek Leigh (MAXWELL CAULFIELD) verliert seine Familie durch die Hand des Drogenbarons Damien Bandera (TREVOR GODDARD) und nimmt daraufhin das Gesetz in die eigene Hand. Er wird zum kostümierten Vigilanten „Jaguar“, inspiriert von den Zeichnungen seines verstorbenen Sohnes. Mit Hilfe eines Waffenexperten und eines Martial-Arts-Meisters rüstet er sich für seinen Rachefeldzug.

      Der Film zeichnet sich durch eine schnelle, actionreiche Erzählweise aus. Die Atmosphäre erinnert an andere B-Movies der 90er Jahre, mit einem Hauch von THE CROW und BATMAN. Die Inszenierung schwankt zwischen bemühtem Ernst und trashigem Overacting. Die Kameraarbeit wirkt oft wie aus einer spätabendlichen TV-Serie, die Action ist rudimentär choreografiert, und das Kostüm des Jaguar bleibt in Erinnerung – wenn auch eher, weil es aussieht wie aus dem Restpostenlager eines Karnevalsgeschäfts.

      Der Versuch, eine Art düsteren Superhelden mit innerem Konflikt zu etablieren, scheitert am engen Budget, der klischeehaften Dramaturgie und dem zu vorhersehbaren Verlauf. MAXWELL CAULFIELD bemüht sich redlich, dem innerlich zerrissenen Racheengel Tiefe zu verleihen, bleibt aber zu steif und glatt, um die Figur wirklich greifbar zu machen. TREVOR GODDARD hingegen hat als größenwahnsinniger Killer offensichtlich Spaß am Overacting und ist dadurch das Highlight eines ansonsten blassen Antagonisten-Tableaus. STACY KEACH bringt eine gewisse Gravitas als väterlicher Mentor mit, wirkt aber verschenkt, während LINDA BLAIR kaum Gelegenheit bekommt, ihrer Polizistin Profil zu verleihen.

      Fazit: Trotz aller Mängel – PREY OF THE JAGUAR hat einen gewissen Retro-Charme. Wer mit niedrigem Anspruch, einem Faible für B-Movies und einer Vorliebe für obskure Superheldenexperimente der 90er an den Film herangeht, wird solide unterhalten. Die knappe Laufzeit, das unfreiwillige Humorpotenzial und die trashige Atmosphäre machen ihn zumindest für Genre-Nostalgiker interessant. Insgesamt ist PREY OF THE JAGUAR ein typischer Vertreter der 90er-Jahre-Vigilantenfilme, der sich stark an THE PUNISHER orientiert, dabei jedoch seinen eigenen, wenn auch bescheidenen, Platz im Genre gefunden hat.

      12
      • 6
        999CINEASTOR666 29.07.2025, 10:35 Geändert 29.07.2025, 10:35

        Jagd auf einen Unsichtbaren (OT: Memoirs of an Invisible Man / AT: Les Aventures d'un homme invisible) / FR/US / 1992

        >>> mit Vorsicht zu genießen /// enthält möglicherweise Spuren von leichten Spoilern <<<

        JOHN CARPENTER, der sonst für düstere Genrewerke wie HALLOWEEN – DIE NACHT DES GRAUENS, DAS DING AUS EINER ANDEREN WELT oder SIE LEBEN! bekannt ist, wagte sich 1992 mit JAGD AUF EINEN UNSICHTBAREN an ein eher untypisches Projekt: eine Mischung aus Science-Fiction-Thriller, romantischer Komödie und Charakterdrama. Das Ergebnis ist ein filmisches Kuriosum, das mehr durch Ambition auffällt als durch erzählerische Geschlossenheit.

        Der Film erzählt von Nick Halloway (CHEVY CHASE), einem gelangweilten Börsenanalysten, der bei einem Laborunfall unsichtbar wird. Fortan muss er sich nicht nur vor dem skrupellosen CIA-Agenten David Jenkins (SAM NEILL) verstecken, sondern auch versuchen, seine neue Existenz zu verstehen – während er gleichzeitig eine Romanze mit der bildhübschen Alice Monroe (DARYL HANNAH) entwickelt. Die Prämisse klingt reizvoll, doch der Film verliert sich in tonal unausgegorenem Terrain. Ist das nun eine Tragikomödie? Ein Agententhriller? Oder doch eine Satire auf gesellschaftliche Unsichtbarkeit?

        CHEVY CHASE bemüht sich redlich, seinen gewohnten Slapstick-Habitus zugunsten einer ernsteren, melancholischeren Performance zu unterdrücken. Es ist ein seltener Versuch des Komikers, als ernster Leading Man zu agieren. Und tatsächlich gibt es Momente, in denen man seine Figur den desillusionierten, zynischen Großstadtneurotiker abkauft. Doch immer wieder blitzt der alte CHEVY CHASE durch – mit trockenem Humor, der nicht recht zum tragischen Grundton passen will. DARYL HANNAH bleibt weitgehend unterfordert und dient hauptsächlich als Love Interest, ohne viel zur Handlung beizutragen.

        Die Handschrift von JOHN CARPENTER spiegelt sich in der Inszenierung nur gelegentlich wider. Die Kameraführung ist solide, die Effekte – insbesondere für ihre Zeit – beeindruckend. Die Unsichtbarkeitstricks sind elegant gelöst, besonders in Szenen mit Kleidung, Essen oder Regen. Doch stilistisch wirkt der Film seltsam glattgebügelt, fast steril – als hätte sich JOHN CARPENTER dem Studiozwang unterworfen. Auch der Score von SHIRLEY WALKER bleibt unauffällig, was angesichts der sonst so markanten Carpenter-Klänge enttäuscht.

        JAGD AUF EINEN UNSICHTBAREN krankt nicht an seiner Idee, sondern an der fehlenden Entschlossenheit, diese auch tonal sauber durchzuziehen. Der Film ist nie richtig spannend, nie wirklich lustig und nie emotional packend. Stattdessen mäandert er zwischen Genres und verliert dabei zunehmend an Fokus. SAM NEILL bringt als Gegenspieler zwar Charisma und Bedrohlichkeit ins Spiel, doch auch seine Figur bleibt letztlich blass.

        Fazit: JAGD AUF EINEN UNSICHTBAREN ist kein schlechter Film, aber einer, der sich zwischen Ambition und Erwartungshaltung verheddert. Für Carpenter-Komplettisten und Fans technischer Effektkunst bietet er immerhin solide Unterhaltung – doch wirklich sichtbar bleibt er im Gedächtnis nicht. Handwerklich ordentlich, aber erzählerisch und tonal zu diffus, um nachhaltig zu beeindrucken.

        12
        • 7
          999CINEASTOR666 28.07.2025, 22:40 Geändert 29.07.2025, 11:40

          Die nackte Kanone 33⅓ (OT: Naked Gun 33 1/3: The Final Insult / AT: The Naked Gun III) / US / 1994

          >>> mit Vorsicht zu genießen /// enthält möglicherweise Spuren von leichten Spoilern <<<

          Im dritten und letzten Teil der Reihe wagt sich das bewährte Team rund um LESLIE NIELSEN auf neues Terrain – und genau das tut dem Franchise erstaunlich gut. DIE NACKTE KANONE 33⅓ ist keine bloße Wiederholung der altbewährten Formel, sondern schlägt einige frische, narrativ abweichende Töne an – ohne auf die gewohnte Mischung aus Slapstick, Kalauern und politisch unkorrektem Klamauk zu verzichten.

          Frank Drebin, mittlerweile im Ruhestand und mit Eheproblemen gesegnet, wird wieder reaktiviert – diesmal nicht als Ermittler, sondern als Häftling in einem Gefängnis. Dort kommt es zu einer Reihe gelungener Sequenzen mit dem fiesen Bombenbauer Rocco Dillon (herrlich schmierig gespielt von FRED WARD). Auf freiem Fuß bleibt Drebin undercover an Roccos Fersen und trifft dabei auf zwei neue Figuren, die für einige der besten Momente des Films sorgen: Roccos dominante Mutter Muriel (herrlich grantig gespielt von KATHLEEN FREEMAN), und die naive Tanya (ANNA NICOLE SMITH), die Drebin mit einer Mischung aus Dekolleté und Charme gehörig durcheinanderbringt. Diese Konstellation bringt frischen Wind in die Reihe und gibt LESLIE NIELSEN Gelegenheit, Drebin zwischen Macho und Tollpatsch pendeln zu lassen.

          Der Fluchtplan bietet klassische Parodien auf Gefängnisfilme, bevor der Film in einem überdrehten, aber genialen Finale bei der Oscarverleihung kulminiert. Die Satire auf Hollywoods Glitzerzirkus gehört zu den absoluten Höhepunkten des Films: Cameos und Parodien von Stars wie JAMES EARL JONES, OLYMPIA DUKAKIS und RAQUEL WELCH sorgen für echte Lacher.

          Natürlich sind auch hier nicht alle Gags ein Volltreffer, und manches wirkt noch platter als in den Vorgängern. Doch gerade die narrative Struktur – mit Gefängnisausbruch, Familiendrama und Hollywood-Abrechnung – hebt den dritten Teil wohltuend ab. Zudem wirken viele Figuren als willkommene Ergänzung zur altbekannten Stammbesetzung um PRISCILLA PRESLEY, GEORGE KENNEDY und O. J. SIMPSON.

          Fazit: Die nackte Kanone 33⅓ bietet mehr als nur ein weiteres Gag-Feuerwerk – er versucht, dem Franchise eine kleine neue Richtung zu geben, und hat damit durchaus Erfolg. Die Mischung aus Undercover-Plot, Gefängnisfilm-Spoof und Mediensatire sorgt für Abwechslung und neue Energie. Das furiose Oscar-Finale ist ein würdiger Höhepunkt – überzogen, wild und treffend absurd. Wer die Vorgänger mochte, wird diesen Film vielleicht sogar am meisten schätzen.

          9
          • 6
            999CINEASTOR666 28.07.2025, 21:35 Geändert 28.07.2025, 21:36

            Die nackte Kanone 2½ (OT: The Naked Gun 2 1/2: The Smell of Fear / AT: The Naked Gun 2½) / US / 1991

            >>> mit Vorsicht zu genießen /// enthält möglicherweise Spuren von leichten Spoilern <<<

            Nach dem Überraschungserfolg des ersten Films kehrte 1991 mit DIE NACKTE KANONE 2½ erneut der trottelige Lt. Frank Drebin (LESLIE NIELSEN) auf die Leinwand zurück. LESLIE NIELSEN schlüpft abermals in seine Paraderolle als inkompetenter, aber unbeirrbarer Cop, der diesmal einen Umweltkomplott aufdecken soll. Doch während der Vorgänger noch frisch und treffsicher wirkte, zeigt sich die Fortsetzung bereits leicht abgestanden – eine klassische Fortsetzung, die dem Original treu bleibt, ohne es wirklich weiterzuentwickeln.

            Die Handlung ist, wie zu erwarten, eher zweitrangig: Ein Attentat auf den Wissenschaftler Dr. Meinheimer (RICHARD GRIFFITHS) soll dafür sorgen, dass die umweltfreundliche Energiepolitik zugunsten der fossilen Lobby sabotiert wird. Das klingt fast erschreckend aktuell, ist im Film jedoch bloßer Aufhänger für eine Vielzahl von Slapstick-Einlagen, visuellen Gags und wortwörtlichen Missverständnissen. Die Geschichte dient eher als loses Gerüst denn als funktionierender Krimiplot – was bei dieser Art Komödie nicht unbedingt ein Problem ist.

            Was allerdings auffällt: Die Gagdichte ist nach wie vor hoch, aber das Treffer-Niveau variiert stärker als im ersten Teil. Einige Szenen sind herrlich absurd – etwa Drebins brachialer Auftritt bei einer Politkonferenz mit der First Lady oder der Showdown in einer Forschungseinrichtung – doch vieles wirkt wie eine Wiederholung bekannter Muster. Besonders einige Slapstickeinlagen scheinen diesmal bemüht, fast zwanghaft überdreht.

            LESLIE NIELSEN bleibt das Zugpferd des Films. Seine stoische Ernsthaftigkeit inmitten des Wahnsinns funktioniert noch immer, doch die Chemie mit PRISCILLA PRESLEY wirkt diesmal etwas routinierter und weniger charmant. Auch GEORGE KENNEDY und O. J. SIMPSON sind wieder mit dabei, liefern solide, aber wenig erinnerungswürdige Beiträge zum Chaos.

            Fazit: DIE NACKTE KANONE 2½ ist eine solide, aber uninspirierte Fortsetzung, die am Erfolg des Originals andockt, ohne selbst einen bleibenden Eindruck zu hinterlassen. Einige Gags zünden hervorragend, andere verpuffen kläglich. Wer dem Humor des ersten Teils etwas abgewinnen konnte, wird auch hier auf seine Kosten kommen – jedoch mit einem gewissen Gefühl von Déjà-vu. Am Ende ist es immer noch witzig, aber nicht mehr ganz so frisch.

            11
            • 6 .5
              999CINEASTOR666 28.07.2025, 20:14 Geändert 29.07.2025, 07:57

              Die nackte Kanone (OT: The Naked Gun: From the Files of Police Squad! / AT: The Naked Gun) / 1988

              >>> mit Vorsicht zu genießen /// enthält möglicherweise Spuren von leichten Spoilern <<<

              Mit DIE NACKTE KANONE wurde eine der erfolgreichsten Parodien der Filmgeschichte vorgelegt. Ein anarchisches Gagfeuerwerk rund um den tolpatschigen Lt. Frank Drebin, gespielt vom unvergesslichen LESLIE NIELSEN, wurde erschaffen. Was hier geboten wird, ist kein subtiler Humor, sondern eine bewusst überdrehte, brachiale Farce auf das Cop-Genre – irgendwo zwischen DIE STRAßEN VON SAN FRANCISCO, DIRTY HARRY und dem Irrsinn von MONTY PYTHON.

              Die Handlung dient dabei lediglich als Aufhänger für eine Kette absurdester Szenen: Der englische Königin ist in Gefahr, und Drebin muss eine Verschwörung aufdecken, die mit einem Baseballspiel und ferngesteuerten Attentätern zu tun hat. Das klingt bereits sinnfrei, wird aber durch eine nahezu lückenlose Aneinanderreihung von visuellen Gags, Slapstick und Wortspielen noch auf die Spitze getrieben.

              LESLIE NIELSEN brilliert als scheinbar unerschütterlicher Trottel mit Pokerface. Seine stoische Ernsthaftigkeit inmitten des Chaos ist das Fundament, auf dem die meisten Gags überhaupt erst funktionieren. PRISCILLA PRESLEY überrascht als charmante Femme Fatale mit komödiantischem Timing, während RICARDO MONTALBAN als Bösewicht einen herrlich klischeehaften Antagonisten gibt.

              Trotz aller Lobeshymnen muss man festhalten: Nicht jeder Gag zündet. Manche Pointen wirken heute etwas angestaubt oder ziehen sich zu lang. Auch die durchgehende Überdrehtheit kann ermüdend wirken, wenn man nicht in der richtigen Stimmung ist. Zudem lebt der Film stark vom damaligen Zeitgeist und popkulturellen Bezügen der 1980er, die nicht mehr alle funktionieren.

              Fazit: DIE NACKTE KANONE ist ein Paradebeispiel für kompromisslosen Klamauk, der bewusst keinen Wert auf Realismus oder Logik legt. Wer mit Slapstick und schrägem Humor etwas anfangen kann, kommt voll auf seine Kosten. Trotz kleiner Durchhänger bleibt der Film ein Meilenstein der Parodie, getragen von einem bestens aufgelegten LESLIE NIELSEN. Kein Meisterwerk, aber ein äußerst unterhaltsamer Klassiker.

              14
              • 6 .5
                999CINEASTOR666 28.07.2025, 18:50 Geändert 28.07.2025, 18:51

                Neues vom Wixxer (AT: The Vexxer) / DE / 2007

                >>> mit Vorsicht zu genießen /// enthält möglicherweise Spuren von leichten Spoilern <<<

                Fortsetzungen haben es schwer – besonders dann, wenn der Vorgänger bereits ein Überraschungserfolg war. NEUES VOM WIXXER versucht gar nicht erst, neue Wege zu gehen, sondern setzt voll auf die Formel des ersten Teils: Nostalgie trifft Klamauk, Edgar-Wallace-Zitate prallen auf deutschen Blödelwitz.

                Die Handlung: Chief Inspector Even Longer (OLIVER KALKOFE) und sein Partner Very Long (BASTIAN PASTEWKA) bekommen es mit einem neuen Wixxer zu tun, der binnen 24 Stunden eine Todesliste abarbeiten will. Auch Lord David Dickhams Tochter Victoria (CHRISTIANE PAUL) steht darauf – und wie es der Zufall will, ist Longer ausgerechnet in sie verliebt. Die Ermittlungen führen die beiden Inspektoren über ein gruseliges Kloster namens St. Vokuhila bis in die Irrenanstalt „Bates Hospital“, in der der ehemalige Butler Dr. Alfons Hatler (CHRISTOPH MARIA HERBST) das Sagen hat. Spätestens hier biegt der Film endgültig in den Irrwitz ab – und das nicht zum letzten Mal.

                Die Besetzungsliste liest sich wie ein Schaulaufen der deutschen Fernsehlandschaft: CHRISTIAN TRAMITZ gibt den eitlen Privatdetektiv Much Longer, WOLFGANG VÖLZ kehrt als Sir John zurück, und HELLA VON SINNEN überzeugt als undercover agierende Inge Lenßen alias Schwester Stefanie. Dazu kommen Gastauftritte von FRANK ZANDER, ACHIM MENTZEL, BERND CLÜVER und ROBERTO BLANCO – das ist gewollter Trash mit Kalkül.

                Die größte Stärke ist und bleibt der Look: Wie schon im ersten Teil wird der Edgar-Wallace-Stil detailverliebt nachgebaut. Die Sets, Kostüme und die Bildsprache zitieren erneut liebevoll die s/w-Vorlagen, diesmal mit noch mehr Tempo und höherem Budget. Doch diese visuelle Souveränität kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Gagdichte nicht durchgehend hält. Einige Kalauer wirken angestrengt, manch Parodie zu platt. Auch die Auflösung rund um die wahre Identität des Wixxers wirkt bemüht und hinterlässt einen faden Beigeschmack, zumal das Motiv reichlich konstruiert daherkommt.

                Fazit: Neues vom Wixxer bietet mehr vom Alten – Fans des ersten Films kommen auf ihre Kosten, auch wenn die Fortsetzung weniger treffsicher wirkt. Zwischen gelungenen Parodien und zu bemühten Albernheiten pendelt der Film ziellos, aber unterhaltsam.

                11
                • 6 .5
                  999CINEASTOR666 28.07.2025, 09:15 Geändert 28.07.2025, 10:47

                  Der Wixxer (AT: The Trixxer) / DE / 2004

                  >>> mit Vorsicht zu genießen /// enthält möglicherweise Spuren von leichten Spoilern <<<

                  Mit DER WIXXER gelang es, den deutschen Klamaukfilm mit einem Schlag ins Edgar-Wallace-Kanon zu katapultieren – zwischen liebevoller Hommage und hemmungslosem Blödsinn. OLIVER KALKOFE, OLIVER WELKE und BASTIAN PASTEWKA, die das Drehbuch verantworteten, nehmen unter der Regie von TOBI BAUMANN die ikonischen Krimis der 1950er und 1960er Jahre genüsslich aufs Korn und liefern eine stilistisch überraschend treffsichere Parodie.

                  Scotland Yard ermittelt: Chief Inspector Even Longer (OLIVER KALKOFE) und sein Partner Very Long (BASTIAN PASTEWKA) jagen den maskierten Bösewicht „Der Wixxer“, der mit Totenkopfmaske und pompösen Drohungen eine Mordserie im britischen Hochnebel entfacht. Die Handlung ist Nebensache – was zählt, sind Running Gags, absurde Dialoge und die akkurate Nachstellung des Wallace-Stils: Dauernebel, verrauschte Schlosskulissen und undurchsichtige Butler inklusive.

                  Optisch überzeugt der Film auf ganzer Linie. Die Ausstattung wirkt hochwertiger als bei manch ernst gemeinter deutscher Produktion der 2000er, die Kameraarbeit zitiert gezielt Bildkompositionen aus den Original-Rialto-Filmen. Auch musikalisch wird stilsicher operiert – zwischen Suspense und Slapstick.

                  Das Ensemble ist prominent und spielfreudig: ANKE ENGELKE und OLLI DITTRICH spielen das ostdeutsche Ehepaar Dieter und Doris Dubinsky, THOMAS FRITSCH glänzt als Earl of Cockwood, TANJA WENZEL als Jennifer Pennymarket und CHRISTOPH MARIA HERBST als Diener Alfons Hatler – eine Karikatur von ADOLF HITLER. Mit GRIT BOETTCHER, EVA EBNER und WOLFGANG VÖLZ verleihen sogar Originaldarsteller der Wallace-Ära dem Projekt eine zusätzliche Nostalgieebene.

                  Trotz allem: Der Humor ist nicht jedermanns Sache. Viele Gags zünden zwar, manche aber versacken im albernen Selbstzweck. Der Spagat zwischen pointierter Satire und Klamotte gelingt nicht immer. Gerade in der zweiten Filmhälfte verliert der Plot merklich an Tempo, was durch eine gewisse Ideenarmut im Drehbuch verstärkt wird.

                  Fazit: DER WIXXER ist ein kurioses Experiment: mehr Zitatenkino als eigenständiger Film, mehr Sketchshow als Krimikomödie. Wer die Wallace-Vorlagen kennt und schätzt, wird hier zweifellos unterhalten. Wer mit Kalauern und Meta-Witzen fremdelt, dürfte danach eher erschöpft als begeistert sein.

                  16
                  • 6
                    999CINEASTOR666 27.07.2025, 12:02 Geändert 28.07.2025, 10:48

                    Monsieur Claude und sein großes Fest (OT: Qu'est-ce qu'on a tous fait au Bon Dieu? / Serial (Bad) Weddings 3 / What the Hell Have We All Done) / FR/BG / 2021

                    >>> mit Vorsicht zu genießen /// enthält möglicherweise Spuren von leichten Spoilern <<<

                    Im dritten Teil der Monsieur-Claude-Reihe kehrt die französisch-multikulturelle Großfamilie zurück – mitsamt aller altbekannten Reibereien. Während Claude (CHRISTIAN CLAVIER) zunehmend unter der Dauerpräsenz seiner Schwiegersöhne leidet, steht mit dem 40. Hochzeitstag ein Jubiläum an, das seine Frau Marie (CHANTAL LAUBY) feierlich begehen will. Er hingegen plant ein schlichtes Abendessen – nichts ahnend, dass die Töchter ein großes Familienfest mit allen Schwiegereltern organisieren.

                    Was folgt, ist ein erneutes Aufeinandertreffen kultureller und familiärer Konflikte: Scheidungsdramen, kulturelle Vorurteile, narzisstische Altrocker, beleidigte Eltern und ein deutscher Kunstsammler, der gleich doppelt für Turbulenzen sorgt – einmal als Möchtegern-Schwiegersohn für Ségolène (ÉMILIE CAEN), einmal als Marie-Charmeur. Ein geplatzter Ausflug, chaotische Junggesellenabschiede und ein kollektives Erwachen im Polizeirevier gehören ebenfalls zum Programm.

                    Fazit: Der Humor bleibt wie gewohnt harmlos, oft klamaukig, aber mit Tempo inszeniert. Wirklich neue Impulse setzt Teil drei nicht, die Konflikte sind routiniert abgehandelt und lösen sich zuverlässig in Wohlgefallen auf. Dennoch punktet der Film mit seinem eingespielten Ensemble, Situationskomik und dem typischen Mix aus Slapstick und Herz. Wer die Vorgänger mochte, wird auch diesmal gut unterhalten – aber Überraschungen sollte man keine erwarten.

                    12
                    • 6
                      999CINEASTOR666 25.07.2025, 22:19 Geändert 25.07.2025, 22:20

                      Monsieur Claude 2 – Immer für eine Überraschung gut (OT: Qu'est-ce qu'on a encore fait au bon Dieu? / AT: Monsieur Claude und seine Töchter 2 / Serial (Bad) Weddings 2) / FR / 2019

                      >>> mit Vorsicht zu genießen /// enthält möglicherweise Spuren von leichten Spoilern <<<

                      Auch in der Fortsetzung der erfolgreichen Multikulti-Komödie bleibt alles beim Alten – und doch kommt einiges durcheinander. Während in MONSIEUR CLAUDE UND SEINE TÖCHTER noch mit der kulturellen Vielfalt der Schwiegersöhne gerungen wurde, steht nun das große Auswandern bevor: Die vier Töchter planen, gemeinsam mit ihren Partnern das Land zu verlassen – Richtung Algerien, Israel, China und Indien. Der Kulturschock kehrt zurück, aber diesmal in beide Richtungen.

                      Regisseur PHILIPPE DE CHAUVERON knüpft an den ersten Teil an und verlegt den Fokus von reiner Toleranzsatire auf die Herausforderungen der Integration in Frankreich. Die pointierte Weltreise des Ehepaars Verneuil in die Heimatländer ihrer Schwiegersöhne dient dabei als augenzwinkernde Spiegelung ihrer eigenen Ignoranz – wobei Claude (CHRISTIAN CLAVIER) in alter Manier mit Vorurteilen jongliert, die hier und da für Lacher sorgen, aber nie ernsthaft problematisiert werden.

                      Die satirische Schärfe bleibt weiterhin gezähmt, Konflikte wie der Nahostkonflikt, Alltagsrassismus oder sexuelle Identität werden angerissen, aber letztlich weichgespült. Der Film scheut sich, unbequem zu werden, obwohl er Themen anreißt, die eine bissigere Behandlung verdient hätten. Besonders auffällig ist das bei den beruflichen und gesellschaftlichen Hindernissen, mit denen die Schwiegersöhne kämpfen: Chao (FRÉDÉRIC CHAU)
                      lebt in ständiger Angst vor antiasiatischer Gewalt, Charles (NOOM DIAWARA) wird in stereotype Rollen gezwängt, Rachid (MEDI SADOUN) als muslimischer Anwalt auf Schleierprozesse reduziert, und David (ARY ABITTAN) hadert mit realitätsfernem Selbstmitleid.

                      Statt echte Lösungen zu bieten oder Diskurse aufzumachen, setzt die Geschichte lieber auf den versöhnlichen Familiengeist. Mit einer gehörigen Portion Manipulation versuchen Claude und Marie (CHANTAL LAUBY), die Familie zum Bleiben zu bewegen. Das ist in seiner Absurdität zwar amüsant, aber auch bequem: Die Komik entspringt nicht aus der Überwindung der Konflikte, sondern aus ihrer Umgehung.

                      Dabei lebt der Film vom Ensemble: CHRISTIAN CLAVIER bleibt das grantige Zentrum, das pointiert seine Abscheu vor jeder Abweichung vom Gewohnten äußert, während CHANTAL LAUBY zunehmend zur Stimme des Herzens wird. Die Schwiegersöhne bleiben in ihrer Typisierung funktional, doch ihre jeweiligen Pläne und Krisen sorgen diesmal für mehr narrative Tiefe. Besonders das Coming-out der Tochter Vivianne (TATIANA ROJO) samt Lesbenhochzeit mit dem „versteckten“ Twist, dass „Nicolas“ eine Nicole (CLAUDIA TAGBO) ist, bringt gegen Ende zumindest einen echten emotionalen Konflikt ins Spiel – samt versöhnlicher Auflösung durch Claude, der sich als heimlicher Familienkitt entpuppt.

                      Dass ausgerechnet ein afghanischer Flüchtling zum unfreiwilligen Sprengstoff in Claude Verneuils Weltbild wird, verdeutlicht, wie fest dieser in Vorurteilen verhaftet bleibt – und gleichzeitig, wie leicht der Film auf der Slapstick-Schiene abbiegt, anstatt das Potenzial solcher Szenen für kritische Reflexion zu nutzen.

                      Fazit: Unterm Strich bleibt MONSIEUR CLAUDE 2 – IMMER FÜR EINE ÜBERRASCHUNG GUT eine charmante, routinierte Fortsetzung, die etwas mehr Inhalt wagt als der Vorgänger, sich aber letztlich wieder ins Wohlfühlkino zurückzieht. Wer den ersten Teil mochte, wird hier solide Unterhaltung finden – gewürzt mit bekannten Pointen, karikaturesken Charakteren und einem gut gemeinten Appell an Zusammenhalt. Tiefgang bleibt optional, aber immerhin: Der Film versucht, die familiären wie gesellschaftlichen Spannungen auf eine versöhnliche Art zu verhandeln – auch wenn dabei mehr Mut zum Widerspruch wünschenswert gewesen wäre.

                      9
                      • 2 .5
                        999CINEASTOR666 25.07.2025, 07:07 Geändert 25.07.2025, 22:20

                        In der Gewalt der Zombies (OT: Le Notti erotiche dei morti viventi / AT: Erotic Nights of the Living Dead / La Regina degli Zombi / Notti erotiche / Sexy Nights of the Living Dead / Nite of the Zombies / Queen of the Zombies) / IT / 1980

                        >>> mit Vorsicht zu genießen /// enthält möglicherweise Spuren von leichten Spoilern <<<

                        Keinen blassen Schimmer, ob es daran gelegen hat, dass ich die Hardcore-Fassung in Augenschein genommen habe, aber der Streifen ist mehr unästhetischer Porno als blutrünstiger Zombie-Reißer. Italiens Sleaze-Maestro JOE D'AMATO hat diesen amoralischen und geschmacklosen Genrebastard verbrochen.

                        Angeheuert wurden unter anderem sein Stammdarsteller GEORGE EASTMAN und die niederländisch-philippinische Sexploitation-Queen LAURA GEMSER. Die Hauptrolle übernimmt jedoch MARK SHANNON, seines Zeichens italienischer Pornodarsteller mit Stanni-Pint und flinker Zunge.

                        Er spielt den dauergeilen Geschäftsmann John Wilson, der auf der vermeintlich unbewohnten Katzeninsel ein Luxusresort errichten will. Mit der flüchtigen Bekanntschaft Fiona (DIRCE FUNARI) und dem Skipper Larry O’Hara (GEORGE EASTMAN) macht er sich auf den Weg zum fluchbeladenen Eiland, dessen Schutzgeist eine schwarze Katze ist.

                        Während sie die Gegend auskundschaften und vermessen, treffen sie auf die exotische Schönheit Luna (LAURA GEMSER) und ihren verbeulten Onkel. Die restlichen Dorfbewohner wurden von einer Sturmflut und Seuche dahingerafft. Wie sollte es auch anders sein – die ungebetenen Gäste werden eindringlich gewarnt und gebeten, das paradiesische Fleckchen Erde schnellstmöglich zu verlassen.

                        Die klapperdürre Handlung dient jedoch nur als Vorwand, jede noch so ungelenke Gelegenheit für ausgedehnte Sex- und Nacktszenen zu nutzen. GEORGE EASTMAN und LAURA GEMSER haben sich an den Hardcoreszenen übrigens nicht beteiligt. LAURA GEMSER läuft nur wie gewohnt im Evaskostüm durchs Tropenparadies, und GEORGE EASTMAN hat Trockensex.

                        Die Zombies lassen derweil auf sich warten und steigen erst zum Schluss aus ihren Gräbern. Das Make-up der lebenden Toten ist meines Erachtens keine Katastrophe, die Action aber umso mehr. Weil die Zombies schlecht zu Fuß sind, rennen die Survivalisten einfach nur am Strand hin und her.

                        Nichtsdestotrotz werden sie dann und wann in die Enge getrieben. Dann werden auch mal Köpfe abgeschlagen – aber Obacht: Die Oberhäupter können immer noch bissig sein. Innereien werden auch noch verspeist, aber dann war’s das auch schon in Sachen Blood, Guts & Gore.

                        Über den (surrealen) Ausgang der Geschichte lege ich an der Stelle den Mantel des Schweigens.

                        12
                        • 2 .5
                          999CINEASTOR666 22.07.2025, 09:31 Geändert 22.07.2025, 09:35

                          Nosferatu – Der Untote (OT: Nosferatu) / US / 2024

                          >>> mit Vorsicht zu genießen /// enthält möglicherweise Spuren von leichten Spoilern <<<

                          NOSFERATU – DER UNTOTE verspricht mit seinem Titel eine Rückbesinnung auf die Anfänge des Horrorfilms und versucht sich gleichzeitig als moderne Hommage an den deutschen Expressionismus des frühen 20. Jahrhunderts. Doch was als atmosphärischer Grusel gedacht war, entpuppt sich schnell als zähes, uninspiriertes Wiederaufwärmen einer Geschichte, die mittlerweile schon in dutzenden Varianten erzählt wurde – und das meist mit mehr Tempo, Spannung und Eigenständigkeit.

                          Ohne den Klassiker NOSFERATU – EINE SYMPHONIE DES GRAUENS von 1922 gesehen zu haben, ist dennoch klar: Der vorliegende Film will bewusst an dessen Stil anknüpfen. Dunkle Schatten, expressionistische Bilder, bedeutungsschwangere Musik und eine Aura des Unheimlichen bestimmen den Ton. Doch anstatt damit zu faszinieren, erstickt der Film förmlich an seiner selbstverliebten Inszenierung. Alles wirkt überstilisiert, gekünstelt – als würde man einer Theaterprobe zusehen, bei der niemand auf die Idee kommt, dass das Publikum vielleicht auch unterhalten werden möchte.

                          Dabei ist die Geschichte denkbar bekannt: Ein geheimnisvoller Fremder aus dem Osten, der sich in einem abgelegenen Schloss herumdrückt, Blutsauger ist, nach Westen zieht und dort Unheil verbreitet. „Bram Stokers Dracula“ lässt grüßen – und zwar in einer Form, die jeglichen Reiz durch Übersättigung längst verloren hat. Der Film unternimmt keinen ernsthaften Versuch, neue Perspektiven zu eröffnen oder die altbekannte Vorlage zu dekonstruieren. Stattdessen schreitet er in aller Seelenruhe voran, gefühlt in Zeitlupe, als würde allein das Tempo Tiefgang suggerieren.

                          Auch die darstellerischen Leistungen tragen kaum zur Rettung bei. Theatralik dominiert, Mimik und Gestik sind so überzeichnet, dass man sich gelegentlich fragt, ob es sich um eine Parodie handelt. Wenn jede Bewegung, jeder Blick und jeder Seufzer mit größtem Pathos zelebriert wird, bleibt wenig Platz für echte Emotionen oder ein Gefühl von Authentizität. Vielmehr wirkt das alles wie ein überambitioniertes Kunstprojekt, das sich wichtiger nimmt, als es ist.

                          Letztlich bleibt NOSFERATU – DER UNTOTE ein stilistisch überfrachteter Versuch, klassischen Horror in neuem Licht erscheinen zu lassen – nur ohne Spannung, Innovation oder erzählerischen Biss. Der Film verliert sich in seiner bemühten Ästhetik und vergisst dabei völlig, dass Atmosphäre allein kein Ersatz für Inhalt oder Dynamik ist. So bleibt am Ende ein hübsch verpackter, aber inhaltlich ausgelaugter Schatten seiner selbst.

                          Fazit: Eine altbekannte Geschichte, lähmendes Erzähltempo und aufgesetzte Kunstsinnigkeit. Atmosphäre ersetzt hier Handlung, Pose ersetzt Spiel – und das Ergebnis ist ein Film, der mehr wie ein stilisiertes Denkmal wirkt als wie lebendiges Kino.

                          12
                          • 2 .5
                            999CINEASTOR666 21.07.2025, 23:19 Geändert 21.07.2025, 23:26

                            Blood & Sinners (OT: Sinners) / US/AU/CA / 2025

                            >>> mit Vorsicht zu genießen /// enthält möglicherweise Spuren von leichten Spoilern <<<

                            Wenn ein Film mit Vampiren, Südstaatenrassismus und einem Juke Joint aufwartet, könnte man zumindest kurzweilige Exploitationkost erwarten – doch BLOOD & SINNERS belehrt eines Besseren. Regie führte RYAN COOGLER, der auch das Drehbuch schrieb – bekannt unter anderem für CREED – ROCKY'S LEGACY und BLACK PANTHER. Ihm gelingt das Kunststück, mit einem Genremix aus Blaxploitation, Südstaatendrama und Vampirhorror gleichzeitig alles und nichts zu erzählen.

                            Dabei liegt das zentrale Problem nicht einmal am Budget oder den Darstellern, sondern in der absurden Erzählstruktur. Der Film schleppt sich über eine Laufzeit von über zwei Stunden und verliert sich bereits in der ersten Hälfte in irrelevanten Dialogen und Figurenkonstellationen, die wie aus einem Sozialdrama wirken – aber ohne Tiefgang, ohne Pointe. Eine gefühlte Ewigkeit geht es ausschließlich darum, ein Team für den „Juke Club“ zusammenzustellen.

                            Der Juke Joint soll nicht nur ein Handlungsort sein, sondern ein kulturelles Symbol. Ursprünglich waren Juke Joints im ländlichen Süden der USA informelle Treffpunkte afroamerikanischer Arbeiter – besonders Baumwollpflücker – die dort in einem geschützten Raum Musik hörten, tanzten, tranken, rauchten und dem entmenschlichenden Alltag der Rassentrennung für einen Moment entkamen. Sie waren Orte der Befreiung, des Blues, aber auch der Exzesse. BLOOD & SINNERS greift dieses Setting durchaus bewusst auf – aber der Film verliert sich so sehr in dessen Ausschmückung, dass darüber vergessen wird, überhaupt eine stringente Geschichte zu erzählen.

                            Das ständige Gelaber wirkt willkürlich, redundant und letztlich nicht relevant für das, was später passiert. Auch wer mit Bluesmusik wenig anfangen kann, dürfte hier schnell die Geduld verlieren – die Musik mag authentisch gemeint sein, aber der Film erliegt der Versuchung, sich in der musikalischen Stimmung zu verlieren, anstatt seine Geschichte zu erzählen.

                            Wenn dann endlich die Vampire auftauchen, keimt kurzzeitig Hoffnung auf. Der vampirische Anführer bringt tatsächlich eine gewisse Bedrohlichkeit mit – mit seinem starren Blick und der kalten Präsenz. Leider bleibt es bei wenigen Momenten echter Gruselkraft. Die Vampire haben insgesamt erschreckend wenig Screentime und wirken eher wie dekorative Randerscheinungen denn als echte Bedrohung.

                            Besonders peinlich wird es, als sie plötzlich anfangen zu singen und zu tanzen. Was als kultige Note gedacht war, wirkt unfreiwillig komisch und nimmt den Blutsaugern jegliche Bedrohlichkeit. Noch dazu greift der Film auf sämtliche angestaubten Klischees zurück, die das Genre hergibt: vom Hereinbeten bis hin zu Knoblauch als Abschreckungsmittel.

                            Nach etwa 80 Minuten beginnt anscheinend der überraschend kurze Showdown, der offensichtlich FROM DUSK TILL DAWN nacheifert – allerdings ohne dessen Stil, Biss oder Timing. Ein paar blutige Effekte werden geliefert, aber weder Spannung noch nennenswerte visuelle Ideen geboten.

                            Doch anstatt danach zum Abspann überzugehen, setzt BLOOD & SINNERS noch einen drauf – und das gleich doppelt. Am nächsten Morgen tauchen plötzlich Klan-Mitglieder auf, werden in einen Hinterhalt gelockt und hingerichtet. Auch diese Szene wirkt wie ein Film im Film: lose angebunden, visuell uninspiriert und in ihrer moralischen Eindeutigkeit fast peinlich plakativ. Aber damit nicht genug. Nach diesem Epilog folgt noch ein zweiter – ein unnötiger Zeitsprung in die 1990er, in dem nur noch geredet wird. Offenbar will man hier den Grundstein für eine mögliche Fortsetzung legen, aber warum sollte man sich auf Teil zwei freuen, wenn man Teil eins kaum überstanden hat?

                            MICHAEL B. JORDAN bleibt in seiner Doppelrolle überraschend blass. Die Ambivalenz seines Charakters wirkt eher wie ein Resultat eines inkonsequenten Drehbuchs als wie ein bewusster erzählerischer Kniff.

                            Fazit: BLOOD & SINNERS ist ein Paradebeispiel dafür, wie man ein eigentlich reizvolles Setup durch falsches Timing, endlose Dialoge und ziellose Struktur in den Sand setzen kann. Statt Biss gibt es Gelaber. Statt Style gibt es Blues. Statt Horror gibt es Ermüdung – garniert mit Knobiatem und Tanz der Vampire.

                            15
                            • 3 .5
                              999CINEASTOR666 21.07.2025, 21:53 Geändert 21.07.2025, 21:54

                              Monster Summer (AT: Boys of Summer) / US / 2024

                              >>> mit Vorsicht zu genießen /// enthält möglicherweise Spuren von leichten Spoilern <<<

                              Was als sommerliches Abenteuer samt Mystery-Einschlag beginnt, verkommt zunehmend zum formelhaften Hexen-Humbug. MONSTER SUMMER, inszeniert von DAVID HENRIE, möchte eine herzliche Hommage an klassische Gruselgeschichten für Jugendliche sein – irgendwo zwischen DIE GOONIES und STAND BY ME. Doch trotz bewährter Zutaten fehlt dem Film vor allem eins: eine eigene Handschrift.

                              Im Zentrum steht Noah Reed (MASON THAMES), der mit seinen Freunden die Sommerferien in einem kleinen Küstenstädtchen auf einer Insel verbringt – bis eine düstere Macht die scheinbare Idylle unterwandert. Eine mysteriöse Hexe raubt den Kindern nach und nach ihre Energie – oder ihre Seele. Zurück bleiben blasse, apathische Hüllen ihrer selbst. Ein schauriger Gedanke, dem der Film allerdings kaum Nachdruck verleiht.

                              Noah versucht verzweifelt, die Gefahr zu benennen – doch seine Freunde glauben ihm nicht. Statt unterstützender Gruppendynamik herrscht lange Zeit Ablehnung und Bagatellisierung. Die Figuren – deren Namen kaum haften bleiben – bleiben bloße Klischees: mal besorgt, mal genervt, aber nie eigenständig. Die „Teamwork“-Message, die sich irgendwann zaghaft Bahn brechen soll, wirkt mehr wie eine pädagogische Pflichtübung denn wie emotionale Entwicklung.

                              Ernstzunehmende Hilfe bekommt Noah ausgerechnet vom pensionierten Polizisten Gene Carruthers (MEL GIBSON), einem ruppigen Eigenbrötler mit Vergangenheit. MEL GIBSON bringt anfangs Präsenz, wirkt im Verlauf aber zunehmend unterfordert – als ahne er, dass der Film ihm nichts Interessantes zu tun gibt. Als Mentorfigur mit Bindung zur Bedrohung soll er für emotionale Schwere sorgen, doch mangels echter Dialogtiefe verpufft diese Funktion ebenso wie sein Handlungsanteil.

                              KEVIN JAMES als verschrobener Zeitungsverleger bleibt vollends verschenkt. Seine Rolle ist weder lustig noch plotrelevant, sondern wirkt wie ein übrig gebliebener Nebenstrang aus einer früheren Drehbuchfassung.

                              Die Hexe selbst – eigentlich Zentrum der Handlung – bleibt seltsam abstrakt. Kaum Screentime, keine Mythologie, keine wirkliche Präsenz. Statt einer fassbaren Bedrohung gibt es ein paar Effekte, ein bisschen Nebel, ein paar blasse Kinderblicke – das war’s. Der Film scheint selbst nicht zu wissen, was für ein Wesen seine Geschichte da eigentlich trägt. Suspense entsteht zu keiner Zeit, der Horror bleibt zahm.

                              Tonal ist MONSTER SUMMER ein Flickenteppich. Einige Szenen wollen kindgerechten Grusel, andere bauen Pathos auf, das nie eingelöst wird. Die finale Konfrontation ist so vorhersehbar wie harmlos, der emotionale Payoff aufgesetzt und überraschungsfrei.

                              Fazit: MONSTER SUMMER will viel: Nostalgie, Grusel, Coming-of-Age, Herz. Doch es bleibt bei Absichtserklärungen. Statt eines charmanten Jugendabenteuers liefert DAVID HENRIE eine matte Abfolge altbekannter Versatzstücke – brav, zahnlos und spannungsarm. Selbst MEL GIBSON kann diesem Geisterbahn-Drehbuch keine Seele einhauchen. Und genau das ist das Problem: Der Film wirkt wie die Kinder darin – ausdruckslos, leblos, wie ein Schatten seiner selbst.

                              16
                              • 5 .5
                                999CINEASTOR666 21.07.2025, 12:27 Geändert 21.07.2025, 12:54

                                Hell of a Summer / US/CA / 2023

                                >>> mit Vorsicht zu genießen /// enthält möglicherweise Spuren von leichten Spoilern <<<

                                Mit HELL OF A SUMMER versuchen FINN WOLFHARD (STRANGER THINGS) und BILLY BRYK (GHOSTBUSTERS: LEGACY), dem Slashergenre frisches Leben einzuhauchen – und zwar mit einer Mischung aus Retrofeeling, augenzwinkerndem Humor und persönlicher Handschrift. Als Autoren, Regisseure und Darsteller setzen die beiden auf ein klassisches Setup: ein abgelegenes Sommercamp, eine Gruppe junger Betreuer und ein maskierter Killer, der das Blutvergießen stilecht mit einem nostalgischen 80s-Vibe einläutet. Was nach einer liebevollen Hommage klingt – und das stellenweise auch ist – bleibt letztlich hinter seinen Möglichkeiten zurück.

                                Die Kulisse ist gelungen gewählt: Der Campmythos funktioniert visuell wie atmosphärisch, inklusive Lagerfeuer, Holzbuden und nächtlicher Schatten im Wald. Auch die Besetzung überzeugt durchweg. FINN WOLFHARD und BILLY BRYK nehmen sich selbst nicht zu ernst, was dem Ganzen eine sympathische Grundnote verleiht. Die Figuren sind angenehm skurril, ohne ins völlige Overacting zu kippen – und vor allem: keine bloßen Abziehbilder. Hier wurde spürbar versucht, Klischees zu umspielen oder zumindest mit ihnen zu spielen.

                                Auch der Humor funktioniert über weite Strecken. Die Dialoge sind pointiert, manchmal albern, manchmal meta – das passt zum Ton des Films. Und selbst die Motivation des Killers ist überraschend originell und zeugt davon, dass hier nicht bloß ein Genrekatalog abgearbeitet, sondern ein echter Beitrag zur Slasherrenaissance angestrebt wurde.

                                Trotz all dieser positiven Aspekte bleibt das Gesamtbild ernüchternd. HELL OF A SUMMER wirkt wie ein Film, der in allen Disziplinen das Potenzial andeutet, aber nichts ganz ausformuliert: Die Gags zünden, aber nie wirklich laut. Die Spannung steigt, aber erreicht nie den Siedepunkt. Der Bodycount ist da, aber ohne Wucht. Man hat das Gefühl, als hätten sich FINN WOLFHARD und BILLY BRYK nicht entscheiden wollen, ob sie eine liebevolle Parodie, eine ernsthafte Genrereferenz oder einfach nur eine launige Fingerübung vorlegen wollen – und in diesem Zögern liegt das Hauptproblem.

                                Was bleibt, ist eine charmante, aber letztlich zu harmlose Horrorkomödie, die vor allem für Genrefans einige hübsche Momente bereithält, jedoch zu wenig Biss entwickelt, um wirklich zu begeistern. HELL OF A SUMMER ist ein verspielter Slashersnack mit sympathischem Ensemble und guten Ideen, denen es an Konsequenz mangelt.

                                Fazit: Guter Wille und Genreliebe sind spürbar, aber am Ende ist der Sommer eher lauwarm als höllisch heiß.

                                11
                                • 8
                                  999CINEASTOR666 20.07.2025, 21:59 Geändert 20.07.2025, 22:00

                                  Captain Fantastic – Einmal Wildnis und zurück (OT: Captain Fantastic) / US / 2016

                                  >>> mit Vorsicht zu genießen /// enthält möglicherweise Spuren von leichten Spoilern <<<

                                  In ... geht es nicht um einen Superhelden mit Umhang, sondern um Ben (VIGGO MORTENSEN), einen Vater von sechs Kindern, der sich gegen die moderne Konsumgesellschaft entschieden hat – und mit seiner Familie ein radikal alternatives Leben im Wald führt. Was zunächst wie ein romantisches Freiheitsmärchen anmutet, entpuppt sich schnell als vielschichtiges Familiendrama über Ideale, Erziehung und den Preis radikaler Konsequenz.

                                  Regisseur und Drehbuchautor MATT ROSS gelingt mit seinem zweiten Langfilm ein intelligenter Balanceakt zwischen Gesellschaftskritik und Charakterstudie. Das Leben im Wald, mit täglichen Sporteinheiten, intellektueller Förderung und praktischer Überlebensschule, erscheint in den ersten Szenen beinahe paradiesisch. Doch spätestens mit dem Tod von Bens Frau und der damit verbundenen Rückkehr in die Zivilisation beginnt die Fassade zu bröckeln. Die Kinder, in Debattierkunst und Marxismus geschult, sind gesellschaftlich unerfahren, sozial unbeholfen – und vor allem: nie gefragt worden, ob sie dieses Leben überhaupt wollen.

                                  VIGGO MORTENSEN spielt Ben mit stoischer Überzeugung und sanfter Strenge, als Übervater mit Idealen, aber auch blindem Eigensinn. Seine Darstellung ist facettenreich: mal charismatisch, mal verstörend, mal rührend verletzlich. Dass VIGGO MORTENSEN für diese Rolle Oscar-nominiert wurde, überrascht kaum – seine Präsenz ist das emotionale Zentrum des Films.

                                  ... überzeugt durch starke Dialoge, lebendige Kinderdarsteller (die nie zur Karikatur verkommen), eine natürliche Bildsprache und einen eigenwilligen Soundtrack, der perfekt zur melancholischen Grundstimmung passt. Dass der Film dabei nie in kitschige Indie-Romantik oder ideologische Besserwisserei abrutscht, ist eine seiner größten Stärken. Stattdessen wird das Publikum eingeladen, mitzudenken, zu hinterfragen – und auch eigene Ideale zu überdenken.

                                  Nicht alles funktioniert: Einige Nebenfiguren wie jene von FRANK LANGELLA als konservativer Schwiegervater bleiben eher funktional, und gegen Ende wird die Geschichte etwas zu versöhnlich – als müsste man sich doch noch einem Mainstream-Komfort hingeben. Doch diese kleinen Schwächen trüben das Gesamterlebnis kaum.

                                  Fazit: ... ist ein kluges, ungewöhnliches Drama über die Suche nach dem richtigen Leben im Falschen. Ein Film, der Fragen stellt, statt Antworten zu geben – und gerade dadurch lange im Gedächtnis bleibt. Kein Held, aber ein fantastischer Film.

                                  15
                                  • 6 .5
                                    999CINEASTOR666 20.07.2025, 19:49 Geändert 20.07.2025, 19:50

                                    Was ist schon normal? (OT: Un p'tit truc en plus / AT: A Little Something Extra) / FR / 2024

                                    >>> mit Vorsicht zu genießen /// enthält möglicherweise Spuren von leichten Spoilern <<<

                                    Mit der französischen Komödie WAS IST SCHON NORMAL? legt Regisseur ARTUS einen Film vor, der auf den ersten Blick wie eine klassische Verwechslungsfarce daherkommt, im Kern jedoch deutlich mehr sein will – ein Plädoyer für Inklusion, Empathie und das Aufbrechen gesellschaftlicher Vorurteile. Ob das Vorhaben gelingt, ist jedoch eine Frage des Tons, der Balance und der Glaubwürdigkeit – und genau hier schwankt der Film zwischen berührender Aufrichtigkeit und klamaukiger Überzeichnung.

                                    Die Prämisse klingt nach typischer französischer Feelgood-Komödie: Ein Vater-Sohn-Duo auf der Flucht vor der Polizei gerät zufällig in ein Ferienzentrum für Menschen mit Behinderung. Anstatt sich zu erkennen zu geben, tarnen sie sich – der eine als Betreuer, der andere als Teilnehmer. Was folgt, ist eine Reihe an Missverständnissen, Konfrontationen und Momenten echter Nähe. Die Lüge sorgt zwar für viel situativen Humor, doch schon bald geht es um mehr als nur Versteckspiel und Slapstick.

                                    ARTUS, der auch gleich die Hauptrolle spielt, wagt mit seinem Regiedebüt einen heiklen Drahtseilakt: Komik mit Menschen zu machen, nicht über sie. Und das gelingt ihm über weite Strecken erfreulich respektvoll – nicht zuletzt, weil viele der behinderten Figuren von Menschen mit tatsächlichen Behinderungen gespielt werden. Ihre Präsenz verleiht dem Film Authentizität und Herz.

                                    Der Humor ist meist harmlos, gelegentlich aber auch sehr französisch-frontal, was nicht jedermanns Geschmack treffen dürfte. Gerade die Vaterfigur – ein ausgemachter Kleinganove mit der Empathie eines Betonklotzes – dient als Projektionsfläche für den moralischen Wandel, der erwartungsgemäß nicht ausbleibt. Diese Wandlung ist zwar absehbar, aber solide inszeniert.

                                    Zu den großen Pluspunkten des Films zählt die sommerlich-leichte Atmosphäre, die durch die wunderschönen Landschaftsaufnahmen der französischen Provinz noch unterstrichen wird. Das Ferienzentrum als Schauplatz ist eingebettet in sattgrüne Natur, Berge, weite Felder und Wälder – eine Kulisse, die nicht nur das Herz aufmacht, sondern auch das Gefühl von Unbeschwertheit und Aufbruch verstärkt. Der Sommer scheint hier wie eine Metapher für die emotionale Reifung der Figuren.

                                    Besonders hervorsticht ALICE BELAÏDI in einer der Hauptrollen. Als Betreuerin Julie ist sie das emotionale Zentrum des Films – eine Figur voller Empathie, Tatkraft und trockenem Witz. Ihr liebevoller, gleichzeitig aber klar strukturierter Umgang mit den behinderten Teilnehmern verleiht der Geschichte nicht nur Glaubwürdigkeit, sondern auch Würde. Ohne in pädagogischen Kitsch oder heroische Überhöhung abzudriften, zeigt sie, wie echter Respekt und menschliche Nähe aussehen können. Ihre Szenen gehören zu den stärksten und aufrichtigsten Momenten des Films – gerade weil sie nie sentimental, sondern ehrlich und lebensnah wirken.

                                    Kritisch betrachtet bleibt der Film oft auf sicherem Terrain, was die Darstellung von Behinderung angeht. Zwar werden stereotype Bilder vermieden, doch manche Nebenfiguren bleiben letztlich Kulisse für die Entwicklung der Hauptcharaktere. Das ist schade, weil das Ensemble spürbar mehr hergegeben hätte.

                                    Fazit: WAS IST SCHON NORMAL? ist eine warmherzige Komödie mit ehrlichem Anliegen, aber überschaubarer Originalität. Der Film punktet durch seine respektvolle Darstellung behinderter Menschen, einzelne berührende Momente, die charmante Präsenz von ALICE BELAÏDI und nicht zuletzt die sommerliche, landschaftlich reizvolle Kulisse. Trotz großer Sympathiewerte bleibt es ein kleiner Film, der sein volles Potenzial nicht ganz ausschöpft.

                                    10
                                    • 5
                                      999CINEASTOR666 20.07.2025, 16:35 Geändert 20.07.2025, 16:38
                                      über Brick

                                      Brick / DE / 2025

                                      >>> mit Vorsicht zu genießen /// enthält möglicherweise Spuren von leichten Spoilern <<<

                                      Urplötzlich ist alles dicht – so beginnt BRICK, der neue Netflix-Thriller von PHILIPP KOCH. Was als Beziehungsdrama startet, entwickelt sich zum klaustrophobischen Kammerspiel mit Science-Fiction-Elementen und sozialer Symbolik. Trotz starkem Anfang verliert sich der Film aber zunehmend in der Beliebigkeit seiner Prämisse und lässt sein Potenzial so gut wie ungenutzt.

                                      MATTHIAS SCHWEIGHÖFER und RUBY O. FEE spielen ein Paar kurz vor dem Auseinanderbrechen: Tim, ein verschlossener ITler, und Olivia, eine gestresste Architektin, wollen eigentlich getrennte Wege gehen – doch dann wird ihre Wohnung über Nacht vollständig von einer schwarzen, glatten Wand versiegelt. Kein Fenster, keine Tür, kein Ausweg. Und sie sind nicht allein: Auch ihre Nachbarn – gespielt u. a. von FREDERICK LAU, SALBER LEE WILLIAMS und MURATHAN MUSLU – stecken in demselben Albtraum.

                                      Was folgt, ist eine Art Dystopie im Mikrokosmos. In Gesprächen, Streitereien und Gewaltakten eskalieren die Spannungen zwischen den Eingeschlossenen. Doch je länger das Szenario dauert, desto deutlicher wird: BRICK hat mehr Interesse an seiner stilisierten Oberfläche als an psychologischer Tiefe.

                                      PHILIPP KOCH inszeniert den Film mit Gespür für Beklemmung. Die stilvolle Normalität der Wohnungen kippt rasch in eine unheimliche Enge – unterstützt durch das fortschreitende Fehlen natürlichen Lichts und eine zunehmend düstere, kontrollierte Ausleuchtung. Kamerafahrten durch Wände und Decken suggerieren Überwachung und Entmenschlichung – ein starker visueller Zugriff, der an Produktionen wie CUBE oder PANIC ROOM erinnert. Leider kann BRICK diesen visuellen Anspruch nicht in eine ebenso starke inhaltliche Ebene überführen.

                                      Das Drehbuch verpasst es, die Isolation wirklich auszureizen. Statt existenzieller Verzweiflung oder psychologischer Eskalation gibt es altbekannte Gruppendynamiken und Stereotypen: den paranoiden Prepper, das trauernde Paar, die intellektuelle Einzelgängerin. Konflikte wirken oft mechanisch herbeigeführt, und selbst tragische Schicksale verfehlen ihre emotionale Wirkung.

                                      Spätestens im letzten Drittel, wenn sich die Herkunft der Wand als fehlgeleitetes Sicherheitssystem mit nanotechnologischer Grundlage entpuppt, verliert der Film endgültig seine metaphorische Kraft. Was als Parabel auf Beziehungsunfähigkeit, Kontrollverlust und gesellschaftliche Isolation funktioniert haben könnte, entpuppt sich als überkonstruierter Technik-Fehltritt. Die finale Auflösung per Handy-Entschlüsselung ist nicht nur antiklimaktisch, sondern auch dramaturgisch unbefriedigend.

                                      Selbst der Versuch, das Geschehen als kafkaesken Kommentar auf moderne Überwachung und Entfremdung zu deuten, bleibt letztlich Behauptung. BRICK scheitert an seinem eigenen Konzept, weil es weder als Thriller packt noch als Gesellschaftsparabel überzeugt.

                                      Das prominent besetzte Ensemble müht sich redlich. MATTHIAS SCHWEIGHÖFER spielt gegen sein Image an, bleibt aber blass. RUBY O. FEE wirkt unterfordert, FREDERICK LAU fällt durch markantes Spiel auf, bekommt aber kaum Raum zur Entfaltung. MURATHAN MUSLU gibt den Verschwörer mit gewohnter Intensität, wird aber auf Klischees reduziert. Insgesamt fehlt den Figuren die narrative Tiefe, um mehr als Platzhalter in einem Szenario zu sein, das spannender klingt, als es letztlich ist.

                                      Fazit: BRICK will dystopischer Mindfuck, psychologisches Beziehungsdrama und technokratischer Kommentar zugleich sein – und bringt davon zu wenig überzeugend auf die Leinwand. Das Szenario ist interessant, das Setting effektiv, aber die Dramaturgie flach und die Auflösung enttäuschend. Die Mauern in diesem Film stehen sinnbildlich für seinen eigenen Mangel an Tiefe: glatt, kalt – und letztlich undurchdringlich. Ein gut gemeintes Gedankenspiel mit formaler Raffinesse, dem leider die Substanz fehlt.

                                      15
                                      • 4 .5
                                        999CINEASTOR666 20.07.2025, 12:39 Geändert 20.07.2025, 12:40

                                        Almost Cops (OT: Bad Boa's) / NL / 2025

                                        >>> mit Vorsicht zu genießen /// enthält möglicherweise Spuren von leichten Spoilern <<<

                                        Mit Almost Cops, im Original deutlich doppeldeutiger Bad Boa's betitelt, versucht sich Regisseur GONZALO FERNANDEZ CARMONA an einer niederländischen Buddy-Komödie im Polizei-Milieu – aber weder Krimi noch Komik wollen so recht zünden. Am Ende bleibt eine gut gemeinte Provinzposse mit ambivalentem Ton und ausbaufähiger Figurenzeichnung.

                                        Der Originaltitel ist cleverer als die deutsche Verlegenheitsübersetzung: BOA steht für Buitengewoon Opsporingsambtenaar, eine niederländische Ordnungskraft mit begrenzten Polizeibefugnissen – ein Hybrid aus Ordnungsamt, Stadtpolizei und Hilfssheriff. Der Film spielt mit diesem Status: irgendwo zwischen Befugnis und Belächeltwerden.

                                        Im Mittelpunkt steht der degradierte Drogenfahnder Jack (WERNER KOLF), der nach einem Zwischenfall strafversetzt wird – ausgerechnet in den kommunalen Ordnungsdienst. Dort trifft er auf Ramon (JANDINO ASPORAAT), einen pedantischen, überkorrekten Hilfscop, der im Viertel eher als Witzfigur gilt: höflich, regelhörig, aber von niemandem ernst genommen. Während Jack mit überzogenen Maßnahmen gegen Ordnungswidrigkeiten vorgeht, hält sich Ramon stoisch an Vorschriften.

                                        Als Ramons Halbbruder ermordet wird, kippt der Ton. Aus der harmlosen Alltagsbeobachtung wird ein Kriminalfall, in den das ungleiche Duo zunehmend hineingezogen wird. Doch genau hier offenbart der Film seine strukturellen Schwächen: Die Krimihandlung bleibt formelhaft, der Bösewicht schemenhaft, die Ermittlungsarbeit rudimentär. Vor allem aber gelingt es der Inszenierung nicht, zwischen Albernheit und Ernsthaftigkeit zu vermitteln – was dem Stoff guttun würde.

                                        Die Buddy-Dynamik funktioniert auf dem Papier: der zynische, abgeklärte Ex-Polizist trifft auf den naiven Paragraphenreiter. Doch statt daraus Komik oder Reibung zu generieren, bleibt der Film seltsam flach. WERNER KOLF spielt Jack mit müder Strenge, während JANDINO ASPORAAT Ramons Unterwürfigkeit und Gutmenschentum in seichten Slapstick überführt – ohne dass daraus eine echte Spannung oder Sympathie entsteht.

                                        Fazit: Visuell solide, mit passendem Lokalkolorit und klarer Kameraarbeit, krankt ALMOST COPS vor allem an seinem Ton: Zu harmlos für eine echte Satire, zu fahrig für einen Krimi, zu brav für anarchische Comedy. Die Grundidee – zwei niederländische BOAs geraten in einen Mordfall – klingt nach gutem Stoff. Stattdessen bekommt man eine lose Abfolge unentschlossener Szenen, deren Höhepunkte man am besten vergisst.

                                        11
                                        • 4 .5
                                          999CINEASTOR666 19.07.2025, 12:59 Geändert 21.07.2025, 09:59

                                          Out Come the Wolves – Wir sind die Beute / CA/US / 2024

                                          >>> mit Vorsicht zu genießen /// enthält möglicherweise Spuren von leichten Spoilern <<<

                                          ADAM MACDONALD bleibt mit OUT COME THE WOLVES – WIR SIND DIE BEUTE seiner Vorliebe für den Kampf Mensch gegen Natur treu. Doch anders als in seinem Debüt BACKCOUNTRY – GNADENLOSE WILDNIS, das trotz minimalistischer Inszenierung durch echtes Tiertraining, glaubwürdige Figuren und starke darstellerische Leistungen noch im besseren Durchschnitt rangierte, misslingt ihm hier die Balance zwischen Psychodrama, Beziehungsthriller und Tierhorror fast vollständig.

                                          Im Zentrum steht Sophie (MISSY PEREGRYM), die mit ihrem Verlobten Nolan (DAMON RUNYAN) in eine abgelegene Jagdhütte reist. Als ihr Ex-Freund Kyle (JORIS JARSKY) dazustößt, geraten alte Emotionen ins Wanken. Aus dieser Konstellation entsteht zunächst eine Spannung, die man eher in einem Indie-Drama erwarten würde – latent toxisch, aber psychologisch aufgeladen. Doch diese interessante Ausgangslage wird wenig konsequent verfolgt, weil der Film spätestens zur Halbzeit meint, in den Tierhorror kippen zu müssen. Ein Wolfsrudel betritt die Bühne – doch statt für Angst, Bedrohung oder auch nur erzählerischen Mehrwert zu sorgen, geraten die Tiere zum dramaturgischen Lückenfüller.

                                          Das Problem liegt nicht an der Inszenierung selbst. ADAM MACDONALD versteht es weiterhin, mit natürlichem Licht, enger Kameraführung und reduziertem Score Atmosphäre zu schaffen. Auch der Einsatz echter Tiere – in Zeiten überhandnehmender CGI ein Pluspunkt – trägt zur Glaubwürdigkeit bei. Doch die Geschichte bleibt fahrig, weil sie zu viele Ideen anreißt, ohne eine wirklich zu Ende zu denken. Weder die Figurenentwicklung noch die Bedrohung durch die Natur erfahren die nötige Zuspitzung. Die zweite Filmhälfte hangelt sich von Szene zu Szene, verliert den Fokus und wirkt zunehmend beliebig. Überraschungen? Fehlanzeige. Spannung? Sporadisch. Bedrohung? Konstruiert.

                                          In BACKCOUNTRY – GNADENLOSE WILDNIS war es die Kombination aus überzeugendem Schauspiel, echtem Tierkontakt und langsam wachsender Bedrohung, die den Film trotz Vorhersehbarkeit aufwertete. OUT COME THE WOLVES – WIR SIND DIE BEUTE hingegen verschenkt seine eigenen Ansätze, weil es ihm an narrativer Konsequenz fehlt. Der symbolische Überbau – „Der Wolf im Manne“ – wird angedeutet, aber nie glaubhaft oder tiefgründig vermittelt.

                                          Fazit: Ein Genremix, der mehr verspricht, als er halten kann. Trotz schöner Naturbilder und grundsolider Regie bleibt OUT COME THE WOLVES – WIR SIND DIE BEUTE inhaltlich flach, dramaturgisch unausgegoren und emotional distanziert. In Relation zu BACKCOUNTRY – GNADENLOSE WILDNIS, der trotz erzählerischer Trägheit und überschaubarem Spannungsbogen noch solide Qualitäten bot, wirkt dieser Nachfolger wie eine hastig entworfene Skizze. Die Idee war da – nur der Biss fehlt.

                                          12
                                          • 4 .5
                                            999CINEASTOR666 19.07.2025, 09:45 Geändert 28.07.2025, 10:56

                                            The Woman in the Yard / US / 2025

                                            >>> mit Vorsicht zu genießen /// enthält möglicherweise Spuren von leichten Spoilern <<<

                                            Auf JAUME COLLET-SERRA war bisher stets Verlass – diesmal hat er es jedoch verkackt. Was zunächst wie eine klassische Spukhaus-Szenerie anmutet, entpuppt sich zunehmend als Sinnbild innerer Abgründe. Leider bleibt der Film zwischen Ambition und Ausführung stecken.

                                            Ramona (DANIELLE DEADWYLER) hat ihren Ehemann David (RUSSELL HORNSBY) bei einem Autounfall verloren. Gemeinsam mit ihren zwei Kindern lebt sie auf einer abgelegenen Farm in Georgia, wo der ältere Sohn Taylor (PEYTON JACKSON) sich um den Haushalt kümmern und als Vaterfigur für seine sechsjährige Schwester Annie (ESTELLA KAHIHA) fungieren muss. Ramona, selbst noch durch Krücken in ihrer Mobilität eingeschränkt, ist mit der Situation überfordert und schafft es nicht einmal, offene Rechnungen zu bezahlen. So fällt eines Tages der Strom aus, wodurch kein Kontakt mehr zur Außenwelt besteht, das Auto springt nicht mehr an, und auch das Futter für Familienhund Charlie geht zur Neige.

                                            Aus meiner Sicht stellt die schwarz gekleidete Frau auf dem Grundstück eine Allegorie für Verlust, verdrängte Schuld, unverarbeitete Trauer, Trauma, Depression und suizidale Gedanken dar. Nicht das Haus wird heimgesucht, sondern Ramona von ihren inneren Dämonen.

                                            Diese psychologische Lesart verleiht dem Film eine gewisse Tiefe – doch leider bleibt sie weitgehend Theorie. Denn was auf der Bedeutungsebene schlüssig erscheint, scheitert auf der filmischen. JAUME COLLET-SERRA inszeniert überraschend zurückhaltend, beinahe leblos, mit großem Vertrauen in Symbolik, aber wenig Gespür für narrative Dringlichkeit. Statt sich zuzuspitzen, verliert sich der Film in redundanten Bildern, vagen Andeutungen und einem Finale, das mehr Verwirrung stiftet als kathartische Klarheit bringt. Das dramatische Ende wirkt konstruiert und emotional wenig greifbar – etwa durch Spiegelungen, die zwischen Realität und Fantasie verwischen.

                                            Die Bildsprache und der Klangteppich bemühen sich um beklemmende Atmosphäre, die das Thema psychischer Qual audiovisuell unterstreicht. Doch all das kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Handlung zu wenig entwickelt ist.

                                            PEYTON JACKSON bringt glaubhaft eine Mischung aus Verunsicherung, Frustration und beschützender Fürsorge zum Ausdruck. Seine Figur wirkt zwar stellenweise wie ein dramaturgisches Werkzeug, doch er schafft es, mit wenigen Momenten eine spürbare emotionale Verbindung aufzubauen.

                                            Deutlich jünger, aber nicht weniger eindrucksvoll: ESTELLA KAHIHA. Sie balanciert kindliche Unschuld mit subtiler Wahrnehmung der familiären Schieflage, ohne je ins Sentimentale abzurutschen – eine der wenigen echten Lichtblicke im Film.

                                            OKWUI OKPOKWASILI als die rätselhafte Frau im Garten bleibt ein wortkarges und körperlich statisches Menetekel – und genau das ist ihre verstörende Stärke. Sie spielt nicht im klassischen Sinn, sondern verkörpert – durch reine Präsenz – eine existenzielle Bedrohung, die umso unheimlicher wirkt, je weniger man über sie erfährt. Ihre eindringliche Körperhaltung, der starre Blick, die kontemplative Bewegungslosigkeit: All das verleiht der Allegorie ihre Kraft.

                                            DANIELLE DEADWYLER jedoch bleibt der emotionale Anker. Ihre Darstellung ist intensiv und glaubwürdig – sie verkörpert die emotionale Erschöpfung und Verzweiflung ihrer Figur mit großer Präsenz. Doch auch sie kann letztlich nicht verhindern, dass THE WOMAN IN THE YARD wie ein zu kurz gedachtes Therapieskript wirkt: eindrucksvoll im Ansatz, aber unausgereift in der Umsetzung.

                                            Fazit: Der Film besitzt ehrgeiziges symbolisches Potenzial und eine engagierte Hauptdarstellerin, doch dramaturgisch und erzählerisch bleibt vieles unklar, unzusammenhängend und wenig berührend. Trotz eines faszinierenden Grundgedankens erreicht die filmische Umsetzung emotional oder erzählerisch kaum Wirkung.

                                            12
                                            • 6 .5
                                              999CINEASTOR666 17.07.2025, 20:03 Geändert 17.07.2025, 20:04

                                              Kick-Ass 2 / GB/JP/US / 2013

                                              >>> mit Vorsicht zu genießen /// enthält möglicherweise Spuren von leichten Spoilern <<<

                                              Der Film setzt kurz nach den Ereignissen des ersten Teils an. Dave Lizewski (AARON TAYLOR-JOHNSON) will nicht mehr nur ein kostümierter Möchtegern sein, sondern ein echter Superheld – mit Training, Team und allem Drum und Dran. Unterstützung erhält er von Mindy Macready alias Hit-Girl (CHLOË GRACE MORETZ), die allerdings widerwillig versucht, das Leben einer normalen Teenagerin zu führen. Derweil mutiert Chris D’Amico (CHRISTOPHER MINTZ-PLASSE) zum selbsternannten Superschurken „The Motherfucker“ und will Kick-Ass für den Tod seines Vaters büßen lassen.

                                              KICK-ASS 2 bemüht sich redlich, den schwarzen Humor, die comichafte Gewalt und den anarchischen Charme des Vorgängers zu wiederholen. Doch es fehlt der Biss. Regisseur JEFF WADLOW tritt in die Fußstapfen von MATTHEW VAUGHN, der diesmal nur noch als Produzent agiert – und das merkt man. Die Inszenierung wirkt weniger versiert, die Actionsequenzen nicht mehr ganz so stilisiert, und der Witz pendelt zu oft zwischen pubertär und plump.

                                              Gleichzeitig versucht der Film, ernster zu werden. Themen wie Mobbing, Identitätsfindung und die Konsequenzen von Gewalt werden angerissen, aber selten konsequent ausgearbeitet. Deutlich wird das vor allem in Mindys Konflikt zwischen Highschool und Selbstjustiz. Der Anstoß zu diesem inneren Dilemma kommt von Detective Marcus Williams (MORRIS CHESTNUT), der als ihr gesetzlicher Vormund die Rolle der moralischen Instanz übernimmt und Hit-Girl dazu bewegen will, die Maske endgültig abzulegen. Seine Figur wirkt geerdet und emotional ehrlich – eine willkommene Gegenkraft zum überdrehten Rest des Films. Doch genau deshalb bleibt er letztlich blass und fast verschenkt.

                                              Trotz seiner Mängel hat KICK-ASS 2 einige unterhaltsame Momente – und ein paar denkwürdige Figuren. Die Idee einer Bürgerwehr von Superhelden namens „Justice Forever“, angeführt vom charismatischen Colonel Stars and Stripes (JIM CARREY), bringt frischen Wind. JIM CARREY spielt den bibelfesten Ex-Gangster mit trockenem Humor und knurriger Präsenz – fast untypisch zurückhaltend, aber effektiv. Umso bemerkenswerter ist, dass er sich nach Abschluss der Dreharbeiten öffentlich vom Film distanzierte. Nach einem Amoklauf erklärte er, er könne einen derart gewaltverherrlichenden Film nicht mit seinem Gewissen vereinbaren – was dem Marketing schadete, aber auch auf die innere Zerrissenheit des Films verweist: Er will Gewalt gleichzeitig feiern und kritisieren, doch der Spagat gelingt nur selten überzeugend.

                                              Erwähnung verdient Miranda Swedlow alias „Night Bitch“ (LINDY BOOTH), die nicht nur Teil des Superheldenteams ist, sondern auch eine romantische Beziehung mit Dave eingeht. Ihre Figur wirkt zunächst wie eine idealistische Mitläuferin mit etwas naivem Elan, doch genau diese Nähe zu Kick-Ass macht sie zur Zielscheibe der Schurken. Die Szene, in der sie von „The Motherfuckers“ Handlangern krankenhausreif geschlagen wird, markiert einen der düstersten Momente des Films – und einen der wenigen, in denen die Gewalt nicht mehr nur comichaft überzeichnet, sondern spürbar ernst ist.

                                              Auf der Gegenseite sorgt Mother Russia (OLGA KURKULINA), eine Ex-KGB-Agrntin für eines der absoluten Highlights. Die sowjetische Kampfmaschine stiehlt allen die Show – besonders in jener ikonischen Szene, in der sie auf offener Straße eine komplette Polizeieinheit auslöscht. Mit bloßen Händen zerlegt sie Beamte, schleudert Autos durch die Luft und lässt einen Streifenwagen explodieren. Es ist eine groteske Orgie der Gewalt – überzeichnet, absurd, aber auch visuell und inszenatorisch einer der stärksten Momente des Films. Genau hier blitzt der anarchische Irrsinn des Vorgängers noch einmal auf.

                                              Fazit: KICK-ASS 2 ist eine typische Fortsetzung: lauter, bunter, aber nicht zwingend besser. Während CHLOË GRACE MORETZ, einige gelungene Nebenfiguren und vor allem Mother Russia das Geschehen tragen, verliert sich der Film in tonalen Widersprüchen, überflüssigem Pathos und Wiederholungen. Die Gewalt ist weiterhin heftig, aber weniger pointiert als im Original. Und obwohl der Film ernste Themen wie Identität und Verantwortung andeutet, bleibt er ihnen die Tiefe schuldig.

                                              17
                                              • 7
                                                999CINEASTOR666 16.07.2025, 21:46 Geändert 16.07.2025, 21:46

                                                John Wick: Kapitel 3 (OT: John Wick: Chapter 3 - Parabellum / AT: John Wick 3 / John Wick 3: Parabellum / John Wick: Chapter Three / John Wick: Kapitel Drei / John Wick: Chapter 3 - Prepare for War) / US/MA/UA/IT / 2019

                                                >>> mit Vorsicht zu genießen /// enthält möglicherweise Spuren von leichten Spoilern <<<

                                                Mit JOHN WICK: KAPITEL 3 setzt Regisseur CHAD STAHELSKI die Saga um den legendären Auftragskiller fort – und zwar genau dort, wo der Vorgänger endete: John Wick (KEANU REEVES) ist „excommunicado“, eine riesige Prämie ist auf sein Kopf ausgestellt und die gesamte Killerbrigade ist ihm auf den Fersen. Der dritte Teil ist damit ein einziger, atemloser Überlebenskampf – stilisiert, brutal und visuell beeindruckend. Doch wo das Franchise früher mit eleganter Lakonie überzeugte, droht es hier zeitweise unter seiner eigenen Mythologie zu ersticken.

                                                Schon in den ersten Minuten wird klar: Die Action wurde erneut gesteigert – sowohl in Intensität als auch in Varianz. Ob Keilereien in einer Bibliothek, eine tödliche Motorradverfolgung oder eine furiose Hundekampfeinlage mit Sofia (HALLE BERRY): CHAD STAHELSKI choreografiert jeden Kampf mit der Präzision eines Balletts. Der Film ist ein Fest für Fans handgemachter Action und hebt sich durch seine klare, oft fast opernhafte Inszenierung vom üblichen Blockbuster-Einheitsbrei ab.

                                                Doch genau dieser Fokus auf Schauwerte lässt die Handlung zunehmend zur Nebensache werden. Die Welt von John Wick, einst faszinierend in ihrer Mischung aus geheimem Ehrenkodex, Münzwirtschaft und undurchsichtigen Hierarchien, wirkt hier zunehmend überfrachtet. Die Einführung neuer Figuren wie des „Ältesten“ (SAÏD TAGHMAOUI) oder der Adjudikatorin (ASIA KATE DILLON) mag die Lore erweitern, doch sie verleiht dem Ganzen eher den Beigeschmack eines Fantasy-Mythos als eines Noir-Thrillers.

                                                KEANU REEVES trägt auch dieses Kapitel mit stoischer Präsenz und physischem Einsatz. Die Rolle des wortkargen Killers ist ihm wie auf den Leib geschneidert, auch wenn sein Gesichtsausdruck selten variiert. HALLE BERRY sorgt als Sofia für einen frischen Impuls – ihr Duo mit zwei bissigen Kampf-Hunden ist eine der erinnerungswürdigsten Szenen des Films.

                                                Fazit: JOHN WICK: KAPITEL 3 ist ein stilistisch brillanter Actionfilm mit großem Schauwert, der seine Stärken in den beeindruckend inszenierten Kämpfen und der ästhetischen Konsequenz hat. Gleichzeitig verliert er sich mehr denn je in der selbstgeschaffenen Mythologie und wirkt dramaturgisch aufgebläht. Wer pures, gnadenloses Actionkino sucht, wird bestens bedient. Wer aber auf erzählerische Weiterentwicklung hofft, dürfte diesmal weniger mitfiebern.

                                                17
                                                • 7
                                                  999CINEASTOR666 16.07.2025, 18:30 Geändert 16.07.2025, 18:31

                                                  Death of a Unicorn / US/HU / 2025

                                                  >>> mit Vorsicht zu genießen /// enthält möglicherweise Spuren von leichten Spoilern <<<

                                                  Mit DEATH OF A UNICORN liefert Regisseur ALEX SCHARFMAN sein Langfilmdebüt ab. Produziert unter anderem von A24 und mit einer hochkarätigen Besetzung um JENNA ORTEGA und PAUL RUDD wagt sich der Film an eine ungewöhnliche Mischung aus Fantasymärchen, kapitalismuskritischer Groteske, Körper- und Öko-Horror sowie Familiendrama. Das Ergebnis ist ebenso bizarr wie faszinierend – und hinterlässt trotz kleiner Schwächen einen bleibenden Eindruck.

                                                  Der von Allergien und einer Sehschwäche geplagte Elliot Kintner (PAUL RUDD) fährt mit seiner unter Akne leidenden Tochter Ridley (JENNA ORTEGA) am helllichten Tag auf einer abgelegenen Straße in einem kanadischen Nationalpark ein junges Einhorn an. Um das Leiden des fremdartigen Wesens zu beenden – und um keinen Ärger zu riskieren –, erschlägt er es brutal mit einem Wagenheber und packt den Körper in den Kofferraum.

                                                  Elliot arbeitet als Rechtsberater eines milliardenschweren Pharmaunternehmens und soll nach dem Tod seines krebskranken Chefs Odell Leopold (RICHARD E. GRANT) zum neuen CEO aufsteigen. Als entdeckt wird, dass das Blut des Wesens erstaunliche Heilkräfte besitzt, setzt er ungewollt eine Spirale aus Gier, Geheimhaltung und Gewalt in Gang. Odell sieht darin eine bahnbrechende Ressource – ohne Rücksicht auf ethische Bedenken oder ökologische Folgen.

                                                  Kurzerhand wird auf dem luxuriösen Familienanwesen eine geheime Forschungsstation eingerichtet. Doch sie haben nicht mit den rachsüchtigen Eltern des getöteten Einhorns gerechnet. Während eine perverse Jagd nach weiteren Exemplaren beginnt, versucht Ridley zu begreifen, was diese Kreaturen wirklich sind – nicht bloß eine Ressource, sondern lebendige Wesen in einem übernatürlichen Gleichgewicht.

                                                  JENNA ORTEGA überzeugt als Ridley Kintner – eine rebellische, selbstbewusste Teenagerin, deren misstrauische Distanz sie zum moralischen Zentrum des Films macht. Ihre zarte Verbindung zum Einhorn entfaltet sich leise, aber wirkungsvoll.

                                                  PAUL RUDD spielt den widrigen Vater Elliot – einen innerlich zerrissenen, durchschnittlich ehrgeizigen Firmenanwalt, dessen Loyalität zum Konzern ihn zunehmend in moralische Grauzonen führt.

                                                  RICHARD E. GRANT verkörpert den sterbenskranken Pharma-Magnaten Odell Leopold – getrieben vom Wahn, durch das Einhorn-Elixier dem Tod zu entkommen. Seine kalte Selbstsicherheit und bizarren Monologe markieren die satirische Spitze des entfesselten Kapitalismus.

                                                  TÉA LEONI tritt als Odells Ehefrau Belinda auf: vordergründig wohltätig, innerlich gleichgültig – bis das Einhornblut auch ihre Fassade zu bröckeln bringt.

                                                  WILL POULTER glänzt als Shepard Leopold – der verwöhnte Sohn, der sich in abgründige Machtspiele verirrt, inklusive Drogenkonsum mit Einhorn-Horn und bizarren Business-Ideen für eine "Unicorn Ranch".

                                                  ANTHONY CARRIGAN spielt Griff, den loyalen Hausbutler – ein ruhiger, moralischer Pol, der der Familie treu bleibt, bis er der blutigen Vergeltung der Einhörner nicht mehr entkommt.

                                                  DEATH OF A UNICORN ist durchzogen von scharfzüngiger Kritik an Raubtierkapitalismus und ethisch biegsamer Pharmaindustrie. Die Idee, eine magische Kreatur buchstäblich ausbluten zu lassen, um Medikamente zu patentieren und gewinnbringend zu vermarkten, ist keine subtile Metapher – sie trifft ins Schwarze. Besonders effektiv ist die Darstellung des Leopold’schen Biotech-Imperiums: kein gesichtsloser Großkonzern, sondern ein familiär geführtes Machtzentrum, in dem Moral längst dem Profit geopfert wurde. Forschung erscheint hier als Geschäftsmodell – skrupellos, effizient und entmenschlicht.

                                                  Die Einhörner werden nicht als süßliche Fabelwesen inszeniert, sondern als majestätisch-fremdartige Naturgewalten. Ihr Blut ist mythologisch aufgeladen – irgendwo zwischen Heilmittel und Fluch. Der Film deutet eine sakrale, größere Ordnung an, bleibt dabei aber bewusst vage. Das funktioniert gerade deshalb, weil es dem Mysterium Raum lässt und das Fremdartige der Kreaturen bewahrt. Visuell sind die Einhörner atmosphärisch stark: eine Mischung aus praktischen Effekten und CGI – wobei Letzteres in dynamischeren Szenen gelegentlich künstlich wirkt.

                                                  Der Gore-Anteil ist sparsam, aber gezielt eingesetzt. Das leuchtend violette Einhornblut wird zur makabren Ikone des Films und steht in bizarrer Spannung zu den grausamen Experimenten, die es auslöst. Der Film zeigt seine grausame Ader – ohne je ins plumpe Splattergenre abzurutschen.

                                                  Fazit: DEATH OF A UNICORN ist ein ungewöhnlicher Genre-Hybrid mit starkem moralischen Unterbau, getragen von einer überzeugenden Darstellern und einer kompromisslos durchgezogenen Prämisse. Die groteske Kapitalismuskritik sitzt, auch wenn manche Nebenfiguren etwas plakativ geraten und der Erzählrhythmus nicht immer konstant Spannung erzeugt. Die Mischung funktioniert erstaunlich gut – gerade weil der Film sich traut, unangenehm, absurd und wütend zugleich zu sein. Ein mutiger, origineller Genrebeitrag mit Ecken und Kanten.

                                                  18
                                                  • 8
                                                    999CINEASTOR666 13.07.2025, 20:36 Geändert 13.07.2025, 20:37

                                                    Pans Labyrinth (OT: El Laberinto del Fauno / AT: Pan's Labyrinth / The Labyrinth of the Faun) / MX/ES / 2006

                                                    >>> mit Vorsicht zu genießen /// enthält möglicherweise Spuren von leichten Spoilern <<<

                                                    PANS LABYRINTH von GUILLERMO DEL TORO ist eine jener seltenen Filmerfahrungen, die gleichermaßen als Kunstwerk, Parabel und Genre-Meisterstück funktionieren. Der mexikanische Regisseur erschafft eine Welt zwischen poetischer Schönheit und brutaler Realität – ein Märchen, das sich vor klassischen Erzählstrukturen verbeugt, aber dabei nie in Nostalgie oder Eskapismus versinkt. Vielmehr ist PANS LABYRINTH ein tief melancholischer Film über Verlust, Gewalt, Fantasie – und kindlichen Widerstand gegen ein unmenschliches System.

                                                    Im Spanien des Jahres 1944, fünf Jahre nach dem Bürgerkrieg, wird die junge Ofelia (IVANA BAQUERO) mit ihrer hochschwangeren Mutter Carmen (ARIADNE GIL) zu deren neuem Ehemann gebracht: dem brutalen faschistischen Hauptmann Vidal (SERGI LÓPEZ). In einem abgelegenen Waldlager führt dieser ein grausames Regiment gegen republikanische Widerstandskämpfer. Während die Realität zunehmend von Angst, Unterdrückung und Sadismus geprägt ist, zieht sich Ofelia in eine magische Welt zurück.

                                                    In einem alten Labyrinth begegnet sie einem mystischen Faun (DOUG JONES), der behauptet, sie sei die wiedergeborene Prinzessin eines unterirdischen Reiches. Um dorthin zurückkehren zu dürfen, muss sie drei gefährliche Aufgaben bestehen – Prüfungen, die eng mit den Themen Gehorsam, Schuld und moralischer Integrität verwoben sind. Je mehr sich die reale Welt in ein beklemmendes Kammerspiel aus Macht und Angst verwandelt, desto stärker verschwimmen die Grenzen zwischen Fantasie und Wirklichkeit.

                                                    GUILLERMO DEL TORO ist ein visueller Erzähler, und PANS LABYRINTH stellt dies auf eindrucksvolle Weise unter Beweis. Die Bildsprache ist von einer doppelten Codierung geprägt: Während die reale Welt in graubraunen, kühlen Tönen gehalten ist – beinahe klinisch, brutal und ohne Trost –, erstrahlen die Fantasiewelten in warmem Gold, tiefem Grün und mystischem Blau. Doch auch diese Welt ist nicht harmlos: Die Kreaturen, die Ofelia begegnen, sind ebenso furchteinflößend wie faszinierend, allen voran der Bleiche Mann (ebenfalls DOUG JONES) mit Augen in den Händen – eine albtraumhafte Allegorie auf blinden Gehorsam und menschenverachtende Autorität.

                                                    Die Kameraarbeit von GUILLERMO NAVARRO ist elegant und suggestiv, oft schwebend, nie effekthascherisch. Die Übergänge zwischen Fantasie und Realität gelingen so fließend, dass sich eine stetige Ambivalenz einstellt: Ist das alles nur die Einbildung eines traumatisierten Kindes – oder eine alternative Wahrheit, in der Moral, Mut und Hoffnung überleben dürfen?

                                                    Ofelia ist mehr als eine kindliche Identifikationsfigur – sie ist eine stille Rebellin, die sich in einer Welt voller Grausamkeit weigert, ihre Menschlichkeit zu opfern. IVANA BAQUERO verleiht der Rolle eine zurückhaltende Verletzlichkeit und stille Stärke, ohne je ins Larmoyante abzudriften.

                                                    Hauptmann Vidal, gespielt mit erschreckender Präsenz von SERGI LÓPEZ, ist einer der eindrucksvollsten Antagonisten der modernen Filmgeschichte: ein Mann, der sich über Kontrolle, Tradition und Blutlinie definiert und jegliche Form von Individualität und Schwäche als Bedrohung empfindet. Sein sadistisches Weltbild steht im direkten Kontrast zu Ofelias mitfühlender Weltauffassung. Die Nebenfigur Mercedes (MARIBEL VERDÚ), eine Hausangestellte mit geheimen Kontakten zur Guerilla, fungiert als heimlicher moralischer Anker der Geschichte.

                                                    PANS LABYRINTH ist ein Film, der sich bewusst der Sprache der Märchen bedient – aber nicht, um Trost zu spenden, sondern um die Realität umso eindringlicher zu spiegeln. Der Faun steht nicht für eine eindeutig gute oder böse Macht, sondern verkörpert das ambivalente Wesen von Prüfungen und Schicksal. Das Labyrinth als zentrales Symbol verweist auf die Irrwege des Lebens, die moralischen Entscheidungen, die jeder selbst treffen muss.

                                                    Gehorsam und Ungehorsam sind zentrale Themen: Während die Erwachsenenwelt durch ihre Unterwürfigkeit unter das Regime zerstört wird, besteht Ofelia ihre Prüfungen gerade deshalb, weil sie sich weigert, unmoralische Befehle zu befolgen. Diese ethische Haltung wird – im Gegensatz zu vielen Märchen – nicht mit einem klassischen Happy End belohnt, sondern mit einer bittersüßen Katharsis, die lange nachwirkt.

                                                    Trotz seiner visuell und narrativ beeindruckenden Struktur ist PANS LABYRINTH nicht ohne Schwächen. Einige Szenen, besonders in der politischen Rahmenhandlung, wirken leicht didaktisch und überpointiert. Die Brutalität mancher Momente – etwa Vidals Foltermethoden oder der gewaltsame Mord an einem Bauern – kann in ihrer expliziten Darstellung als überzeichnet empfunden werden, auch wenn sie nie rein voyeuristisch inszeniert sind.

                                                    Außerdem lässt sich argumentieren, dass die Parallelwelt trotz all ihrer Symbolkraft dramaturgisch manchmal zu stark vom Plot der realen Welt abgekoppelt bleibt. Die Verbindung zwischen den Aufgaben Ofelias und dem politischen Kampf wird eher durch thematische Spiegelung als durch narrative Verflechtung erzeugt – was bei manchen Zuschauern zu dem Eindruck führen kann, zwei Filme gleichzeitig zu sehen.

                                                    Fazit: GUILLERMO DEL TORO gelingt mit PANS LABYRINTH ein Balanceakt zwischen Grausamkeit und Poesie, Realität und Traum, Historie und Allegorie. Der Film ist ein zutiefst humanistisches Werk, das sich gegen jede Form von Totalitarismus stellt und die kindliche Fantasie nicht als Flucht, sondern als Widerstandskraft begreift.

                                                    Es ist ein Film, der fordert, verstört, verzaubert – und der nicht nur für Genrefans, sondern für jeden Cineasten zum Pflichtprogramm gehört. Kein perfekter Film, aber ein einzigartiger.

                                                    Ein düsteres Märchen mit politischer Sprengkraft und emotionaler Tiefe – visuell brillant, erzählerisch ambivalent und thematisch zeitlos.

                                                    18