Jenny von T - Kommentare

Alle Kommentare von Jenny von T

  • 3 .5

    Ist meine Erde eine Scheibe, machst du sie wieder rund
    Zeigst mir auf leise Art und Weise, was Weitsicht heißt
    Du flüsterst Sätze mit Bedacht
    Durch all den Lärm
    Als ob sie mein Sextant und Kompass wär'n.

    Der Sportfreunde Stiller-Song unter den Filmen.

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    • 8

      9 von 10 Regisseuren würden die Abhandlung von IMAGES – die klaustrophobisch verengte Zerrüttung einer schizophrenen Kinderbuch-Autorin – vermutlich als entweder Psycho-Thriller oder Horrorfilm ausrichten. Jedenfalls als irgendetwas aus dem Lehrbuch, das sich bequem in die Westentasche stecken lässt. Nicht so Robert Altman, der sich für Behagen aus der Retorte gar nicht interessiert und über zuschnürende Genre-Befindlichkeiten, wie sie uns allzu vertraut sind, (un-?)souverän hinweg inszeniert. Weil er – als wolle er aufheben und ihr hinter tragen, was sie verloren hat - fieberhaft damit beschäftigt ist, diese Frau, um die es hier geht, zu verstehen. Und weil er – auch, falls er es nicht schafft - überzeugt ist, dass sie verdient mehr zu sein als ein Stereotyp. Obwohl er weiß, dass die Fragen, wie sie mit der Zeit voran schreiten, an Zahl wie Gewicht aufnehmen und scheinbar greifbar nahe Antworten schon bald wie Ballons in die Luft steigen, wenn sie nicht bereits geplatzt sind. Und dennoch mit existenziellem, wiederum tollkühnem Eigennutz... denn wer nicht Angst hat, ist unmöglich Mensch.

      Wir erspähen Schriftstellerin Cathryn erstmals vorsichtig durch ein Fenster, als sie gerade auf dem Fußboden kniend an einem neuen Werk arbeitet, das den Titel „In Search of Unicorns“ trägt. Sie lässt uns an ihren Zeilen teilhaben, während dazu ein unschuldiges, gleichsam melancholisches Thema erklingt. Schon im nächsten Augenblick bestätigt Robert Altman – indem er ruckartig vermeintlich harmlose Gegenstände verdunkelt und entfremdet -, dass dies ganz und gar kein Märchen sein wird. Der Zuschauer aber bleibt an der ins Bodenlose fallenden Protagonistin hängen, deren Schreie niemand hört, wird Teil von ihr, sammelt mit blutigen Händen ihre Scherben auf, weil Altman es so will.
      Ein Telefon mutiert zum Folterinstrument. Es ist nur eine Freundin am anderen Ende, nach wenigen Sätzen jedoch drängelt sich eine unbekannte Stimme in die Leitung, welche Cathryn erzählt, ihr Mann Hugh würde sie just in diesem Moment mit einer anderen betrügen. Jetzt klingelt es unaufhörlich und ihr Verlorensein in diesem geräumig-noblen Anwesen wendet sich endgültig gegen sie, da unglücklicherweise gleich mehrere Zimmer mit einem Telefon ausgestattet sind. Als Hugh endlich zu Hause eintrifft, spürt Cathryn nichts mehr unter ihren Füßen.
      Zur Entspannung unternimmt das Ehepaar daraufhin einen Trip aufs Land, und wie der „Zufall“ so spielt, führt der Weg zum Ferienhaus unter bedrohlich dunklen Wolkendecken tatsächlich an einem Abgrund vorbei – die malerische Schönheit Irlands dazwischen eingequetscht. Beinahe fürchtet man um sie. Der Himmel erscheint so nah, dass man glaubt, er würde gleich herab brechen.
      Interessant auch das, was man NICHT sieht: Während der Autofahrt beobachtet die Kamera Cathryn von der Seite und durch den Innenspiegel; nicht gezeigt hingegen wird der Fahrer des Wagens. Im Grunde ist zwar klar, dass – wer sonst? – Gatte Hugh am Steuer sitzen muss, aber Altman verweigert sich gar bescheidenster Versicherungen - und nimmt den Zuschauer damit so richtig in den Schwitzkasten. Wenn das Selbstverständliche wirklich so gewiss ist, warum dann strauchelt man hier so sehr dabei, es sich einfach hinzuzudenken?
      Sodann treten – nein, angenehmer wird der Film nicht mehr - weitere Figuren auf den Radar: Marcel, ein Anwohner und offenbar Bekannter des Pärchens mit seiner Tochter Susannah sowie René, ein ehemaliger Liebhaber Cathryns, der Jahre zuvor bei einem Flugzeugabsturz zu Tode kam. Beängstigend und dicht changiert IMAGES nun die drei Männer um Cathryn herum – René irritiert sie, Marcel bedrängt sie und ausgerechnet Hugh, von dem wir noch am Sichersten überzeugt sein können, dass er überhaupt körperlich anwesend ist, wirkt verstörend sorglos bzw. gleichgültig gegenüber seiner eigenen Frau. Aber was davon hält dem bloßen Auge stand? Oder müssen wir nicht alles - von Einhörnern und Doppelgängern -, glauben, weil wir Cathryn glauben? Es gibt eine Szene, die zwar alle Charaktere ins Bild rückt, dem Beobachter aber umfassend verwehrt, wer in der Lage ist, wen wahrzunehmen.
      Als Spiegelfilm weiblicher Sensibilität/Komplexität liegen Vergleiche zu Polanski (insbesondere DEATH AND THE MAIDEN, REPULSION) und PERSONA auf dem Tisch, irgendwo da wird Altman mit diesem vergessenen, psychedelischen Werk sein Zelt aufgeschlagen haben.
      Eindeutig festzuhalten ist nach IMAGES lediglich, dass kein Stein auf dem anderen steht – nicht nur nicht im Film, sondern vermutlich auch nicht in uns. Denn wo die Begegnung mit sich selbst als die erschreckendste von allen ausfällt, müssen wir erst recht am ganzen Rest verzweifeln und verrückt werden, zurückgelassen mit der Frage: Was ist eigentlich um uns geschehen?

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      • Applaus! Fincher ist ein - mit nur wenigen Abstrichen - substanzloser Schönabfilmer, dem Twists und Turns und glatte Bilder über alles gehen - auf Kosten lebhafter Figuren. Dass gerade hier ihm diese hübsch-sterile Flachheit offenbar von vielen als bedeutsame Meta-Ebene zwischen Form und Inhalt angerechnet wird, kann ich nicht ganz nachvollziehen, denn Finchers Filme sehen ja alle so aus. Das ist nicht etwa hintersinnig, sondern eine künstlerische Bankrotterklärung.
        Danke jedenfalls für diese voice of reason inmitten eines befremdlichen Hypes. :-)

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        • 8

          Achtung, Achtung: Wer GHOST noch nicht kennt und beabsichtigt, dieses unvertretbare Defizit zu beheben, sollte sich provisorisch mit mindestens 2 Kleenex-Boxen eindecken: Eine für Schmalz und Zuckerguss (der Name des Regisseurs ist Programm), die während der Vorführung von innen bis zur Unkenntlichkeit den Bildschirm verkleben, die andere für jenen Ozean aus Tränen, den es zum Wohle von Wohnungseinrichtung/umliegenden Wertgegenständen aufzuhalten gilt. Sind die Vorräte aufgefüllt und ein Damm errichtet, darf andächtig teilgenommen werden an einem Gottesdienst der Liebe, auf dass sie niemals enden möge.

          Vor wenigen Monaten fand ich mich von LABOR DAY verzaubert, da ich schon lange keine so wunderbar schlichte, unzynisch erzählte, sinnlich-schwärmerische Romanze mehr gesehen hatte und bedauerte, dass so etwas heute im Grunde gar nicht mehr gedreht wird – womöglich, weil viele Menschen zu verbraucht sind, sich ohne Filter mit einem ganz entscheidenden Charakteristikum der monumentalsten aller Emotionen konfrontieren zu lassen: Ihrer Naivität, ihrer Unschuld, der Schlichtheit in ihrer Größe. Bei GHOST fand ich dies noch einmal, und mehr: Jede Wette, Jason Reitman hat sich hier eine Ladung Inspiration für seine Pfirsichkuchen-Szene abgeholt.

          Wie einfach es doch sein kann. Ein Mann (Sam) wird auf offener Straße von einem Gauner erschossen und versucht daraufhin – was sich als Geist zunächst schwierig gestaltet -, aus dem Jenseits seine Freundin (Molly) zu beschützen, die ihrerseits in Gefahr schwebt. Erst dann, und keine Sekunde früher, wird er zur Ruhe kommen können. Wahrsagerin Whoopi Goldberg ist schließlich die Frau, die alles ermöglicht, indem sie – als Bindeglied zwischen den Welten - Sams (und auch Mollys) sehnsuchtsgebeutelte Ohnmacht wieder in (Liebes-)Macht umkehrt. Dass gerade sie von allen Außenstehenden für entweder verrückt oder kriminell erklärt wird, ist Teil des Konzepts, geht aber auf – mit urigem Humor, drolligen visuellen Gags und engagiertem Schauspiel. Mehr braucht es in den frühen 90'ern nicht, um die Grenzenlosigkeit eines Gefühls gegen jeden Verdacht aufs Couragierteste zu behaupten.
          Ja, das Dauerglitzern in Patrick Swayzes Augen verrät, dass er wahrscheinlich selbst auf einer grünen Wiese inmitten einer Schafherde noch wütend und traurig seiner Lage trotzte, doch, meine Güte: Würde ich ihn gegen Zach Braff eintauschen? No way! Tja, so war das... damals, als sogar die Sonnyboys noch Charismatiker waren.

          Ich möchte bei niemandem Hoffnungen wecken, denn das alles ist - ob nun positiv oder negativ konnotiert, sei jedem individuell belassen - verdammter Kitsch. Wahrscheinlich wird mich meine Begeisterung für GHOST – wenn ich mich irgendwann für meine guilty pleasures vor einem Film-Gericht verantworten muss – endgültig meinen Platz im Cineasten-Himmel kosten. Mein Herz aber pumpt ganze Sonnenstrahlen durch meinen Körper und fragt: Hatte ein simples "[Auf] Wiedersehen" jemals so viel Kraft?
          Wir Menschen sind schon 'ne drollige Spezies. Können nach tausenden Jahren auf dieser Erde unsere dringendsten Fragen noch immer nicht beantworten. Wissen weder woher wir kommen noch wohin es uns verschlagen wird noch ob wir schon einmal da waren, glauben aber – obwohl vieles dafür spricht, dass unsere Reise gar nicht weh tut - fest daran, dass unsere Seelen einander berühren und erlösen können. Wovon, wohin, wonach auch immer. Doch kein Grund zur Angst. Von hier aus führt jeder Weg nach Hause.

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          • 3 .5
            über Aviator

            Fun fact: Es existiert eine Ramsch-DVD-Edition von AVIATOR und PEARL HARBOR. Nun könnte man sich natürlich darüber empören, wie ein Verleih auch nur daran denkt, einen renommierten Großmeister mit einem Stümper in denselben Topf zu schmeißen - doch meiner Meinung nach verbindet diese Filme tatsächlich noch ein wenig mehr als Flugzeuge, deren Piloten, ihr grobes Zeit-Setting ab den 30'ern bis hinein in die 40'er Jahre, ihre Über-Überlänge sowie ein mal überschaubares, im anderen Fall etwas üppiger ausfallendes Stand-in zur damaligen Award-Saison:
            Beide Produktionen scheren sich weitaus mehr um Effekte als um Subjekte (um namhafte, gut aussehende Darsteller hingegen sehr wohl), beide wurzeln in einem unglaublich lieblosen Drehbuch, beide ermüden schneller als jede Gute-Nacht-Geschichte und beide machen viel Krach. Zwar entbehrt Scorseses eingefahrene Tragfläche jeglichem Pathos, weil sich sein Protagonist, wieder einmal, am amerikanischen Traum die Zähne - bzw. die Seele - ausbeißt (oder womöglich der amerikanische Traum an ihm), während PEARL HARBOR im Gegensatz dazu... naja, ihr wisst schon; doch ist AVIATOR deshalb auch ein richtig guter Film? Hier muss ich leider vehement den Kopf schütteln und schon bald um ein Aspirin bitten – so sehr erstaunt und besorgt mich, wie geist- und mutlos man zu Werke geschritten ist.
            Howard Hughes wird dem Publikum als Weirdo verkauft, dessen zunehmende Zwangsneurosen wiederum auf seine Mutter zurückführen, die ihn während seiner Kindheit ein paar Mal "Quarantäne" hat buchstabieren lassen [sic!]. Und damit das auch schön geschliffen rüberkommt, wird uns dieses Motiv nach bester Küchenpsychologie einmal zu Anfang und - weil man es nach einschläfernden 3 Stunden schließlich fast schon wieder vergessen hat - einmal zum Abschluss vor den Latz geknallt. Womit nach Ansicht der Macher alles ge-, und erklärt wäre.
            Seriously, Marty? Ich bin mir im Klaren darüber, dass Eltern Einfluss auf ihre Kinder ausüben, so unausgefertigt und grob jedoch wie in AVIATOR kann ich derlei Zusammenhänge einfach nicht verdauen. Zumal dieses frühe "Trauma" der einzige und abschließende Ansatz bleibt, welchen Scorsese für die Eigenarten der Hauptfigur – und damit für jede ihrer Handlungen – ins Feld führt... jener Hauptfigur, die bei allem Reinlichkeitsfanatismus im Übrigen und auf wundersame Weise keine Probleme mit der Art von Keimen zu haben scheint, denen man sich beim intimen Kontakt mit dem anderen Geschlecht aussetzt. SO genau wollte man es offenbar dann doch nicht wissen.

            Wieso bloß werde ich den Eindruck nicht los – und dies betrifft nicht allein den besessenen Hughes -, dass die Autoren ausschließlich auf "Tatsachen" rekurrieren, die auch du und ich aus Klatschpresse oder sonstigen, denkbar oberflächlichen Anhaltspunkten zusammenkleistern könnten? Och, Katharine Hepburn wird privat bestimmt irgendwie genauso drauf gewesen sein wie halt der Typ Frau, den sie andauernd in ihren Filmen verkörpert hat. Passt schon, merkt eh keiner!

            Tjoa, und so gähnt sich der Star-Regisseur schwafelnd durch mäßig unterhaltsame 170 Minuten. Durch Frauengeschichten, Abstürze, Milchflaschen und Hahnenkämpfe mit konkurrierenden Fluggesellschaftern - ohne die Vereinsamung von Howard Hughes im Rausch der Lüfte und des Geldes jemals dringlich werden zu lassen. Daneben steht auch DiCaprio sich selbst im Weg, weil er nicht aus seinen Manierismen herauskommt.

            Und sogar beim Erstellen seiner Bilder hat Scorsese den Zauberstab vergessen. Ich versichere, folgende Screenshots stammen tatsächlich aus AVIATOR (ein Schelm, wer nun schon wieder an PEARL HARBOR denkt):

            http://imgur.com/a/xiSid

            Es verblüfft, wie konsterniert die Regie-Ikonie stilvolle Kamerafahrten ad acta legt und wie offensiv sie auf einmal Möglichkeiten von Bewegung, On- und Offscreen-Space nutzt, um eine räumliche Dimension von Epik zu erzeugen und so schamlos den Zuschauer mit vorgegaukelter Größe zu überrollen. Wie in einem Werbef... ääh, ja, sicher nur ein Irrtum.

            Fazit: Als Drama zu oberflächlich, als Spektakel langweilig. Mir fällt partout nichts ein, was an AVIATOR nicht austauschbar wäre. Mühsam hangelt sich Scorsese durch die Stationen eines Lebens ohne nach rechts und links zu schauen. Dabei hätte man - weil es sich mehr und mehr verselbstständigt hat - beispielsweise mit ein wenig mehr Effet das Motiv wahnhafter Antisepsis vom Protagonisten in unsere heutige Zeit hinüberziehen können. Indes verleibt sie im Film greift auf dessen Form über. Eine äußerst zähe Angelegenheit, prädestiniert als filmische Ablage für die Mahagoni-Schreibtische der Academy.

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            • 9

              Willkommen im Institut. Sie möchten sich einschreiben? Seien Sie bereit, die Stadt und ihre kalten Mauern, zwischen denen sie nicht glücklich wurden, für immer hinter sich zu lassen und weichen Waldboden zu betreten, der - ein wenig ähnlich vielleicht sogar dem Knarzen der alten Treppe, die ihnen eben noch eine Brücke war - unter ihren Füßen knistert, während ringsherum sanft Blätter rascheln und die Stimme einer Nachtigall von fern Ihre Einsamkeit lindert, welche sie nun hierher mitbringen aus jener Dimension, die Sie Wirklichkeit nennen. Schön, dass Sie mich gefunden haben. Nur eine Tür, ein Kuss oder das Streicheln einer Wange trennt sie noch von mir. Da, der Abdruck in Ihrer Handfläche - Sie sehen, den Schlüssel besitzen Sie bereits. Nur eine Tür...

              Doch was hat es eigentlich auf sich mit diesen Zwischenwelten? Haben wir Angst vor ihnen, weil uns Unbekanntes (ergo: Unheimliches) erwarten könnte, oder hoffen wir auf sie und flehen, das Leben in ihnen möge erfüllter sein als unseres? Die Gebrüder Quay überbringen aufregende Nachrichten, denn sie erzählen davon und sensibilisieren dafür, wie so vieles aus metaphysischen Kreisen in unsere Umlaufbahnen hinüberschwappt und wir im Grunde bloß die Augen öffnen/schließen bräuchten, um diese Dinge zu berühren. Hier wären es – symbolisch - im Institut verstreute Baumzapfen sowie Geweihe an den Wänden aus dem geheimnisvollen Hirschwald - ein wiederkehrendes Motiv, ebenso wie Essgabeln als zu ihnen "irdisches", weil von Menschenhand angefertigtes Pendant.

              Was diesen Film jedoch so traurig macht, sind eben diese Menschen, die im (und als) Abbild des Phantastischen verzagen. Kaum traut man seinen Ohren, wenn Jakob an der Pforte steht und um Aufnahme bittet, weil er – wie seine Kommilitonen - keinen gesellschaftlichen Aufstieg für sich in Betracht zieht, zum Tausch für seine Würde unbedingt dienen und sein Dasein bereitwillig mit monotonen Ritualen füllen möchte. Ja, kaum zu glauben in einer modernen Periode wie dieser, wo Selbstverwirklichung ein hohes Gut und "Knechtschaft" aus dem westlichen Vokabular gestrichen ist – so weit die Theorie, würde womöglich auch Franz Kafka sagen.
              Jakob reibt den Sand aus seinen Augen und windet sich in einem Labyrinth aus Gleichförmigkeit bis zur Erschöpfung, skurrilen Lerneinheiten, unterdrückten Instinkten und schließlich übergreifender Katatonie. Er kam als Prinz und brachte Tod, seiner alsbald verehrten Dozentin Lisa Benjamenta geradeso wie dem morschen Institut als solchem. Eine Unrichtigkeit, die stehen bleibt, weil jemand lautlos die Zeit versiegelt hat.
              Ein Märchen sieht anders aus, flüstert mein Verstand. Mein Auge aber erkennt glasklar und untrüglich, wie sich vor mir Jean Cocteau und Béla Tarr in einer vernebelten Herbstnacht die Hände reichen. Weil es außerdem schon dunkel ist, können auch Trost und Trübsal sorglos die Identität tauschen. Für mich bedeutet dies, allem Schmerz zum Trotz: Hier muss ich verweilen.
              In diesem Moment erwache ich. Und dann das Wunder: Ich habe gar nicht geträumt.

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              • 6

                Cronenbergs Wegweiser zu den Sternen führt in irdische Einbahnstraßen. Man erahnt, dass die Ansprüche des Altmeisters an sich selbst – also dahingehend, für wagemutiges, gerne auch "abartiges" Kino zu stehen – in etwa gleich geblieben sind, erfüllen kann er sie hingegen nicht mehr. Ich lasse hier Geschichten über Inzest, Misshandlungen und Mord auf mich niederprasseln, aber erreichen tun sie mich nicht. Vielmehr ist jener Kopflastigkeit, die Cronenbergs Vision ja schon immer ein bisschen immanent, obgleich häufig ertragreich war, eine Biederkeit der Bilder an die Seite getreten, die mehr zuschnürt als dass die Sauerstoff generiert. Noch bei COSMOPOLIS hat dieses unnahbar Sterile als Zusammenspiel von Form und Inhalt gewissermaßen Sinn ergeben, hier jedoch hätte – zumindest für meine Begriffe – die Hässlichkeit unbedingt ein Comeback feiern müssen.

                Was anstelle dessen eintritt, ist der BLING RING-Effekt: Der Zuschauer wird Zeuge einer kühl inszenierten, aber nicht wirklich satirisch durchschlagenden Selbstabschaffung gescheiterter, abgestumpfter, reicher Menschen ohne Schamgefühl, doch es ist ihm egal, weil diese Welt für Normalsterbliche nun einmal fremd und der Film arrogant genug ist, sein Publikum damit alleine auf dem Mulholland Drive stehen zu lassen – bloß ohne David Lynch. Doch fühle ich mich jetzt – was ich wiederum positiv angerechnet hätte - als dumm und empathielos entlarvt, weil Abgründe an mir vorbeigezogen sind wie eine Schäfchenwolke? Nö, leider nicht.

                Vielleicht war es schon ein Fehler, der Welt MAPS TO THE STARS als "Abrechnung mit Hollywood" zu verkaufen, denn das Zentrum kann man problemlos ganz woanders ausmachen: Im Mittelpunkt des Films stehen Figuren verschiedener Generationen, die nicht mit ihrer Vergangenheit (insbesondere: Den auf sie zurückfallenden Taten ihrer Mütter und Väter) abgeschlossen haben und nun - sogar im Wortsinne - von deren Dämonen heimgesucht werden. Am Dicksten trifft es Julianne Moore, und das, obwohl eigentlich sie diejenige ist, die den Kampf aufnimmt. [Nebenbei: Wie platt (und mittlerweile auch verbraucht) dieses Geister-Motiv ist, scheint man auf Macher-Seite immerhin erkannt zu haben: Daumen hoch für den potentiell ironischen Verweis auf THE SIXTH SENSE.]

                Ein freud'scher Ansatz also, der sich zufällig passend zwischen den Pforten der Traumfabrik einbetten lässt, weil dies eben – wir Cineasten klatschen in die Hände - ein böser Ort ist, aus dessen Boden Geldscheine, aber keine Blumen wachsen. Wer's nochmal genau wissen möchte, kramt Billy Wilder aus dem Regal hervor.

                Dennoch will ich nicht nur meckern. Es ist nicht so, dass hier gar nichts drin gewesen für Cronenberg und sein Team. Mir gefiel (Achtung, kryptischer Spoiler), wie die zwei jüngsten Charaktere des Films schließlich so etwas wie eine neue Freiheit gewinnen und dabei irgendwie doch in einer neuen Hölle landen, indem sie – besiegelt durch zwei Ringe - auf dem Pfad der Eltern, welcher auch schicksalhaft ihr eigener geworden ist, leblos-freudetrunken liegen bleiben... wahrscheinlich, bis jemand sie überfährt. Man kann es sich ausmalen. Aber immer diese intellektuelle Formelhaftigkeit! Natürlich müssen vorher noch schnell – egal, wie! - ein paar Leute sterben, damit am anderen Ufer eine Hochzeit steigen kann.

                On a sidenote: Wird John Cusack jemals wieder einen richtig guten Film drehen? Ich glaube, mir ist es schnuppe, denn ich stelle fest, dass ich fast 15 Jahre nach HIGH FIDELITY noch immer ein bisschen in ihn verliebt bin. Ob für solche Dinge wohl Platz ist im düsteren Dickicht des Stechpalmenwalds? Ich sollte an der Stelle vermutlich lieber aufhören, bis Cronenberg endlich neue Munition findet.
                Man sieht sich auf dem Sunset Boulevard!

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                • Jenny von T 12.09.2014, 17:01 Geändert 12.09.2014, 20:57

                  Ich will hier mal ein paar Filme einwerfen, die meiner Meinung nach nicht nur verdeutlichen, wie schmal der Grat zwischen "Kitsch" und "Kunst" sein kann, sondern diese Unterscheidung eigentlich auch von Grund auf in Frage stellen. Muss es am Ende nicht beides geben? Und lässt sich überhaupt immer klar unterscheiden, was was ist? Wohl kaum, denn sonst hieße es nicht "Kunst", sondern nur "Handwerk".

                  - THE TREE OF LIFE: Ein Film, der wunderbar aufzeigt, dass es auch im Autorenfilmbereich so etwas wie Kitsch gibt. Das ist natürlich kein Kitsch im Sinne von zum Beispiel einer Steven Spielberg-Sentimentalität, aber eben eine andere Form. Mir stellen sich bei diesem naiven Gottesgesäusel zu Bildern vom Discovery Channel jedenfalls nach wie vor die Zehennägel hoch, aber es gibt mehr als genug Menschen, die dieses Werk als spirituellen Gedankenstrom und große Inspiration sehen. Und wo wir schon bei Malick sind:
                  - TO THE WONDER lässt sich sehr einfach als aufgeblasene Parfum-Werbung mit durch Ästhetizismus behaupteten Gefühlen und fast schon alttestamentarisch archetypischen Figuren in der Luft zerreißen, aber ist nicht alles, was eine ästhetische Form bemüht, auch irgendwo als Kunst und Poesie vertretbar? Gerade aus den Händen eines Terrence Malick?
                  - Das Kino von Lars von Trier ist für mich persönlich reinste Sehnsuchtsbefriedigung. Wenn in BREAKING THE WAVES oder DANCER IN THE DARK die jeweilige Protagonistin ihr Leben für eine geliebte Person opfert, ist das etwas, das mich zutiefst anrührt, weil ich mir gerne einbilde, auch so selbstlos zu sein wie diese Frauen und ebenso viel unkorrumpierbare Liebe in mir zu tragen. Die Realität sieht wahrscheinlich ein wenig anders aus. Und MELANCHOLIA ist zumindest audio-visueller Kitsch, aber wohl auch darüber hinaus - wie immer eben, wenn von Trier Empfindungen überhöht. Im Grunde ist er ein Meister der Manipulation... genau wie diverse Kollegen aus Hollywood.
                  - Aus exakt denselben Gründen wie bei LvT liebe ich die Filme von Baz Luhrmann. Auch hier sterben andauernd Menschen aus Liebe und an gebrochenen Herzen. Ganz zu schweigen von Luhrmanns ausladender Bildsprache und seinem Hang zu großen Gesten. Romantik oder Kitsch? Für mich definitiv Ultrakunst und darum egal.
                  - DIE ERMORDUNG DES JESSE JAMES DURCH DEN FEIGLING ROBERT FORD: Der Film hat ein Voiceover, das sich mitunter nahe am Schmalz bewegt (in meinen Augen gelingt dieser Spagat grandios), und auch sonst scheint dort immer wieder so ein bisschen versinnlichte Weinerlichkeit durch. Daneben und ganz nebenbei jedoch wurde mir noch niemals so fühlbar gemacht, was es bedeutet, eine auf eine andere Person gerichtete Illusion zu verlieren, auf welcher wiederum praktisch ein ganzes Leben aufgebaut war. (Der Film ist also genauso meta wie FIGHT CLUB! ;-)) Das alles zusammen ergibt für mein Dafürhalten ein absolutes Meisterwerk.

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                    Buuuuuuuuuuuuuuuh! Man sehe mir nach, dass ich entrüstet in diese Rezension einsteige, aber: Warum bitteschön sind die neuen Turtles denn nun doch keine Aliens? Hat Bay, der sich ja ansonsten dadurch ausweist, dass er nicht lediglich außergewöhnliche Ideen gebärt (wir erinnern uns begeistert an den Transformer mit Abrissbirnen als Hoden), sondern diese auch knallhart in die Tat umsetzt und damit Millionen Dollar einspielt, sich wirklich von ein paar nörgelnden Fanboys aus dem Internet auf dem Kopf herumtanzen lassen? So hatten wir aber nicht gewettet, mein Herr. Was für eine Ernüchterung!
                    Das Verwerfen dieses Ansatzes bringt mit sich, dass der Film zwar immerhin nicht doofer dasteht als sein Bezugsformat, doch was heißt dies schon bei einer Vorlage, welche von vier mutierten, Pizza-affinen Schildkröten handelt, die in der Kanalisation von einer ebenfalls mutierten Ratte großgezogen und im Kampfsport trainiert werden? Ich jedenfalls hätte die tierischen Protagonisten als Außerirdische mit offenen Armen empfangen (der tote Punkt ist sowieso bereits erreicht und jegliche Gehirnaktivität heruntergefahren), muss aber dazu sagen, dass ich – obwohl ich mir als kleines Knöpfchen durchaus auch die Turtles Samstag morgens auf KRTL angeschaut habe – niemals einen ernstzunehmenden Fanstolz entwickelte, der einer Aufgeschlossenheit entgegen stehen könnte. Oder zumindest keinen, der Konkurrenz aufnähme zu meiner Faszination für Boom-Boom-Bay als filmisch-zeitgeistlichem Phänomen, das auch besagt: Man kann den Leuten absolut jeden noch nie da gewesenen Blödsinn verkaufen, solange man nur siegessicher genug dahinter steht. Dämlich darf dein Film gerne im Überfluss sein, nicht aber leise und mutlos.
                    TEENAGE MUTANT NINJA TURTLES bricht nach dem Komma (zur Klarstellung: Albern genug bleibt das Werk selbstredend) gewissermaßen mit dieser Devise; seine Inszenierung durch Jonathan Liebesman langweilt ohne Kanten, ist dramaturgisch behäbiger und gläserner als (ohne an dieser Stelle Zack Snyder auf den Plan rufen zu wollen) jeder Superhelden-Film und formal konservativer als die Tea Party. Zielpublikum-Besänftigung nach dem Beinahe-Alien-Skandal?

                    Die alleinige Schuld liegt natürlich nicht bei Megan Fox, deren Botox-glattes Gesicht ihrer ohnehin dürftigen mimischen Ausdruckskraft einen Bärendienst erweist. Erwartungsgemäß transportiert – was ja auch irgendwo bezeichnend ist - ihre "Interpretation" der weiblichen Hauptrolle kaum etwas von jener toughness und Bodenständigkeit einer ganz normalen Frau, wie sie der originalen April O'Neil anhaftet. Fox setzt Glanzlichter vor allem dann, wenn sie während einer Verfolgungsjagd auf dem Beifahrersitz kniet und ihrem Kollegen ihren Po entgegenstreckt. Ein Kommentar erübrigt sich, denn wer ausgerechnet seitens dieser Produktion einen feministischen Aufschrei erwartet hat, sitzt sprichwörtlich im falschen Film und wäre gut damit beraten, seine Hoffnungen besser langsam mit der Realität abgleichen, ergo nicht weiter auf Platinum Bay und dessen Dunstkreise zu richten. Eine richtige Schauspielerin hätte eben mehr gekostet und weniger Schotter eingebracht – auch ein Argument.

                    Auch nicht der Rede wert ist die Planlos-Action, zu der sich der Film im finalen Drittel aufrafft, denn sie ist nicht ansatzweise so konsequent planlos, dass hier gar das Prädikat "Bayhem" oder ein vergleichbarer Ritterschlag funkelnd am Horizont aufleuchtet. So bad it's good? Leider nein also.

                    Und sogar das seltsame Design der Panzertiere besitzt einen hohen Gewohnheitsfaktor. Besonders spitzfindige Kritiker dürfen sich angesichts echter Nasen und Lippen der Turtles, aber auch des Schulterschlusses der vier Brüder mit April einmal mehr über die voranschreitende, vermeintliche Enthumanisierung des Unterhaltungskinos durch Gleichstellung von Mensch und nicht-menschlicher Spezies echauffieren und somit weitere Kilometer in den Untergang des Abendlandes reiten. Mir ist beinahe jede Interpretation, für die ich meinen Kopf gebrauchen müsste, zu müßig, weil die Macher sich schon lange die Bäuche vor Lachen halten, bevor man überhaupt dazu ansetzt, den TEENAGE MUTANT NINJA TURTLES ein Bewusstsein zuzubilligen, das - und diese praktische Seite der Medaille ist ja viel aussagekräftiger als sprechende Tiere oder Roboter auf der *Leinwand* - mit Geld nicht kaufbar wäre. Nicht umsonst steht eine Fortsetzung in den Startlöchern, noch bevor der Auftakt hierzulande offiziell angepfiffen ist. Die Maschinerie läuft – vielleicht ja demnächst mit einem Turtles/Transformers-Crossover. (Habe ich das jetzt wirklich gesagt?) Darauf eine Pizza mit extra Käse.

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                    • "Wirr und zusammenhanglos": Das wurde auch schon so manchem Pasolini-Film vorgeworfen.
                      "Nur für Pasolini-Experten zu verstehen": Auch dieses Kritiker-Urteil bewerte ich nicht als negativ, eher im Gegenteil kann das im besten Fall doch zur weiteren Auseinandersetzung mit einem großen Denker und Künstler anregen. Vielleicht entstand dieser Eindruck ja dadurch, dass Pasolini nun einmal eine unglaublich schillernde Persönlichkeit war, deren Glanz und Mehrdeutigkeit man - was der Regisseur erkannt hat - unmöglich im Rahmen eines Spielfilms erklären kann. Ich würde es darum tendenziell zugunsten Ferraras auslegen, soweit er dieses Werk aus Schemen und Eindrücken erbaut hat.
                      Auch die Besetzung mit Dafoe hat mich von Anfang an in Verzückung versetzt. Sein Gesicht ist von ähnlich faszinierender Markanz wie Pasolinis, sein schauspielerisches Können wiederum sicherlich ausreichend, um die Last zu stemmen.
                      Was ich insgesamt aus den obigen Rezensionen herauslese, ist, dass hier ein ambitionierter Film entstanden ist, der sich - in welcher Richtung auch immer - aus der schnarchigen Soße an unnötigen Biopics hervorheben könnte. Ich freue mich und behalte mir vor, begeistert zu sein.

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                      • Hier liegt ein gewaltiges Missverständnis vor, denn vor allem Bays neueres Œuvre ist alles andere als unterhaltsam und konsumierbar - wer ebenfalls 160 Minuten TRANSFORMERS 4 und dessen Action-Avantgarde durchgestanden hat, weiß, wovon ich rede! Erst spielt das Ding in Texas, plötzlich ist man irgendwo in Asien und bekommt nebenbei auch noch die Geschichte unseres Planeten - und zwar auf der Höhe unserer Zeit (nämlich mit Dino-Robotern!) - neu interpretiert.
                        Im Grunde ist es - auch erzählerisch - das Arthouse-Kino, dem Bay mittlerweile näher steht. Der Griff in den Popcorn-Behälter ist also ein Reflex klassischen Frustfressens all jener, die einen gewöhnlichen Blockbuster erwarten. :-)

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                        • Jenny von T 04.09.2014, 10:51 Geändert 14.09.2014, 10:54

                          Shion Sono ist womöglich derjenige Filmschaffende, welcher uns aktuell am Deutlichsten von allen vor Augen führt, wohin die Postmoderne uns gebracht hat. Alles, aber auch wirklich alles – gerne auch ein Höchstmaß an Menschenverachtung - wird genüsslich mit Nachtisch goutiert, solange es nur quietschbunt und popkulturell scheppert und schillert.
                          Sinnlichkeit, das ist für Sono, wenn ein kleines Mädchen über einen Teppich aus Blut schlittert und irgendwann nach ein paar Metern über eine Leiche stolpert. Liebe, das ist für ihn, wenn ein Mann eine Erektion hat und/oder sich sein Recht an der Frau nimmt. Und Katharsis, das ist für ihn erst möglich, nachdem seine Figuren so sehr erniedrigt wurden, dass sie entweder ihrerseits die Sono-Methode übernehmen oder, wenn schon nicht das, wenigstens – selbstverständlich nach avantgardistischer Überlänge – ihre eigene Minderwertigkeit einsehen... bzw. das, was Sono dafür hält. Darf der universell bemühte Feuerlöscher-Gültigkeitsanspruch der Kunst als "Gesellschaftskritik" nicht auch einmal hinterfragt werden?
                          Ich "mag" ein Kino der Abgründe und erachte vor allem auch die Auseinandersetzung mit Gewalt sowie deren Mechanismen als absolut notwendig, habe bei ihm aber noch zu keinem Zeitpunkt ein genuines Interesse am Menschsein entdecken können, welches über Spott, reine Sensationswerte sowie ein akutes Regie-Aufmerksamkeitsdefizit hinausreicht. Und noch weniger: Während keinem seiner Filme habe ich bislang den Eindruck gewonnen, mich überhaupt in den Händen eines zu Empathie und Denken befähigten Ingeniums zu befinden.
                          Vergewaltigung, Inzest, Köpfe abhacken – darf’s noch ein bisschen mehr sein? Ganz oder zerstückelt?
                          Wenn nun meine Gleichgültigkeit gegenüber grellen Klecksen ohne jegliche Farbtiefe und meine Abneigung gegen Zynismus mich zu einer antiquierten, gestrigen Person machen, wäre dies der vielleicht erste Moment in meinem Leben, in dem ich stolz darauf bin, so bezeichnet zu werden.
                          Ach, Sono... why don't you play in hell?

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                            Das muss Godard erstmal jemand nachmachen. Wo bei anderen Trägheit eintritt und Ideale vergangener Tage durch das Sieb der Resignation oder Bequemlichkeit rutschen, verdichtet sich beim ollen Revoluzzer der Schaum vorm Mund zu einem Rauschebart. Ja, er rebelliert immer noch – und zwar radikaler als jemals zuvor.
                            Alles, wofür Godard jemals stand, explodiert 2010 in einer ausnehmend unzurechnungsfähigen Collage, der man sich eigentlich nur meditativ nähern kann. Der englischsprachige Wikipedia-Eintrag zum Film klaut die Synopsis sicherheitshalber gleich von der offiziellen Website und wird wissen, warum.
                            Ich habe die Untertitel zwar unter höchster Anspannung verfolgt, bisweilen jedoch lediglich die einzelnen Worte - im besten Fall Sätze -, nicht aber die Bedeutung ihrer konkreten Zusammenführung verstanden (Adieu au langage?). Irgendwann - vielleicht auch schon nach 3 Minuten - hisste mein Gehirn ein weißes Fähnchen ... und das Werk funktionierte wie am Schnürchen. Gierig schnappte ich jetzt wie ein Trüffelschwein einzelne Häppchen auf, die mich ohne Umwege zum Regisseur geleiteten:

                            • Godard dreht auf einem luxuriösen Kreuzfahrtschiff, um dort in Hochglanzaufnahmen und mit Handykamera Dekadenz und Verfall der Moderne ans Reißbrett zu nageln. Zu sehen gibt es vergnügliches Treiben im Pool, während aus den Boxen Madonnas "Material Girl" schallt. Auf den Zimmern werden die Funksignale des Wi-Fi aufgesaugt, um sich an Katzenvideos aus dem Internet zu erquicken. Eine ganz besondere Urlaubsdokumentation; Zweifel bestehen keine: Der Begründer der Nouvelle Vague ist am Puls der Zeit.
                            [Dies mag sich wie sein letztes Vermächtnis anfühlen, aber Godard darf nicht abtreten, ohne auch noch die 3D-Technologie gegen sich selbst auszuspielen. Und - siehe da - just dieses Jahr in Cannes ist es wirklich geschehen.]

                            • Referenzen kommen nicht zu kurz. Im zweiten Abschnitt, der unser schemenhaftes Mosaik um das Sujet des Generationenkonflikts erweitert, zählen unter anderem ein Lama und ein knuffiger Esel zu den "Protagonisten", dessen Name – wenn ich mich korrekt entsinne – mit einem "B" beginnt.

                            • FILM SOCIALISME ist ein einziges Politikum. In Palästina, Israel, Griechenland, Ägypten, Italien, Spanien und der Ukraine wühlt Godard aufgebracht nach kulturellen wie humanistischen Ursprüngen und Überbleibseln, trifft im Rahmen flüchtiger Aufenthalte jedoch Krieg und Niedergang an, wovon zumindest Teile der Kunst sich mutmaßlich nie erholt haben. Sein Weg führt aber über Eisenstein und damit über die Anfänge des Kinos, was nahe legt, dass wir es in Sachen FILM SOCIALISME tatsächlich immer noch mit einem Film zu tun haben. Wer Einspruch erheben möchte, kann das nun tun.

                            Leicht könnte man auf die Idee kommen, Godard sei – seine Errungenschaften für die Kunst außen vor - von einem griesgrämigen Jungspund zu einem griesgrämigen alten Mann geworden, der sich in ein pessimistisch-destruktives Weltbild verrannt hat und der alles verteufelt, was modern ist. Auch die Antisemitismus-Vorwürfe werden ihn nach aller Voraussicht überleben, wobei Godard – weil er sich treu bleibt - auch durch dieses Werk nicht unbedingt dazu ansetzt, mit kritischen Stimmen reinen Tisch zu machen. Soweit er es mit der eigenen Person tut, bleibt es sein Geheimnis. Wo sollte man auch ansetzen, wenn es heißt: "No comment"?

                            Und dennoch: Gäbe es Godard nicht, müsste man ihn erfinden. Obwohl er seit einem halben Jahrhundert im Geschäft ist, war ich mir, um ehrlich zu sein, manchmal nicht sicher, ob er seine Tätigkeit und insbesondere sein Publikum liebt oder hasst. Neulinge im Saal geraten hier garantiert zwischen die Schiffsschrauben. Eingeweihte fahren am Besten damit, auf gar keinen Fall die große Erleuchtung zu erwarten und sich einer dadaesken Symphonie hinzugeben, die abstößt und elektrisiert. Was dabei Kalkül und was dessen Reflex ist: Ich habe keine Ahnung.
                            Wenn ich hingegen eines sicher sagen kann, dann, dass Godard und ich in diesem Leben keine besten Freunde mehr werden (denn dafür hat er mich zu oft mit seinen Eitelkeiten auf die Palme getrieben). Trotzdem muss ich ihm aus gebührender Distanz das womöglich größte Kompliment aussprechen: Gegen ihn kann man nur verlieren.
                            Comme ci, comme ça. Un Godard est un Godard.

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                            • Super! Glückwunsch an Graf. Die SCHWESTERN ist ein in vielen Belangen außergewöhnlicher Film, der trotz (oder wegen) seiner Eigenheiten einen klaren Stilwillen erkennen lässt, angenehm straff erzählt ist und mich persönlich absolut glaubhaft ins 18. Jahrhundert versetzt hat. Wenn ich mir die Konkurrenz so ansehe, erscheint mir die Nominierung äußerst verdient - gerade im Vergleich zu beispielsweise einem Film wie KREUZWEG, der dann eben doch die nötige Reife vermissen lässt. Für die Ästheten unter uns wäre wahrscheinlich Edgar Reitz die obligatorische Wahl gewesen, ich kann aber nachvollziehen, dass man die eher kunstfremde Academy nicht mit einem 4-Stunden-Mammutwerk in schwarz-weiß behellligen möchte, das im Hunsrück des vorletzten Jahrhunderts spielt. Zu viel des Guten!

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                                Es sind harte Zeiten für Romantiker. Manchmal glaube ich, dass man, in gewissen Belangen, in den 60'ern und 70'ern weiter war als heute, dann aber den Rückwärtsgang eingelegt hat. Zumindest fühlt es sich so an, wenn man einmal davon ausgeht, dass Kunst ja immer auch in ihrer Entstehungsepoche verwurzelt ist. Dieser Tage jedenfalls kommt, wie auch immer, nicht mehr viel nach. Vermeintliche Tabubrüche verklingen als reine Behauptung und wir sind nun wieder so weit, dass vielen von uns ein stilles "Gewagt!" entfährt, wenn sich auf der Leinwand zwei Menschen von 10 Jahren Altersunterschied einander annähern – und wir erleichtert aufatmen, wenn am Ende eines Skripts die ewig alternativlose Familienplanung steht. Alles im grünen Bereich. Manchmal erfahren wir auch, dass Pornos böse sind und auf jeden Fall die alleinige Ursache dafür bilden, dass wir eigentlich alle keine Lust mehr aufeinander haben.

                                Wenn ich hingegen aus dem Fenster schaue, ist die Welt – oh Schreck - nach wie vor voll von betörender Sinnlichkeit und sinnlicher Unerklärlichkeiten. Dies ist auch die Welt von Leos Carax, der aber Zynikern, Einfallslosen sowie einfallslosen Zynikern das Feld überlassen muss, weil die Rahmenbedingungen sich nun mal entsprechend so darstellen, dass er in einer kümmerlichen Nische Platz zu nehmen hat. Denn auch, wenn seine Filme sich um die Liebe drehen, sind sie nicht lediglich in diesem einen, ausschließlichen Sinne romantisch – der Franzose macht sich überhaupt frei von der einengenden Vorstellung einer für uns ultimativ selbsterkenntlich entschlüsselbaren objektiven Realität (hierzu insbesondere: HOLY MOTORS), was wiederum signalisiert: Alles ist wahr und alles ist falsch – von Carax interpretiert als: Alles ist möglich. Darum verdienen sich ein Obdachloser und eine erblindende junge Frau ihr Happy End in und auf der Seine, darum können Limousinen sprechen.

                                Und auch MAUVAIS SANG aus dem Jahre 1986 ist ein ziemlich abgefahrener Streifen. Carax schiebt ein Sci-Fi-Fundament und äußere Kennzeichen einer Gangster-Story vor (die Mafia-Patin ist im Übrigen eine Frau), um fernab jeder Genre-Stereotypie schließlich doch etwas gänzlich anderes zu erzählen und seinen Rahmen, der für den Film ohnehin zu klein ist, frech im Türspalt zu zerquetschen, bevor er den Boden des vertrauten Heims betritt.
                                Der risikofreudige Alex verlässt sein Provinznest (und seine nach ihm verrückte Freundin Lise), um mit seinen flinken Händen für zwei alternde Gauner, Marc und Hans, ein neu entwickeltes Serum zu stehlen, das ein gefährliches Virus eindämmen wird - überall sterben Menschen, wenn sie ohne Gefühle füreinander miteinander schlafen. Marcs etwa 40 Jahre jüngere Freundin Anna weckt Begehrlichkeiten bei Alex, und damit sind die tragenden Säulen des Films abgesteckt: Jeder Beteiligte ist unglücklich verliebt in jemanden, der auch unglücklich verliebt ist. Erst jetzt kann Carax sich so richtig austoben.

                                So gut wie jeder Satz, der hier fällt, ist von lyrischer Qualität und mit einem poetischen und/oder gar philosophischen Überbau gesegnet. Banalen Dialog gibt es praktisch nicht. Das verleitet dazu, den Film andauernd anzuhalten, weil man keine Facette seiner Schönheit verpassen möchte und ist dabei doch bemerkenswert unanstrengend (die französische Leichtigkeit). Der triste, aber gleichsam pastell-anmutige Farbkosmos wird gelegentlich durchbrochen von knalligem Rot (= der Liebe) und Blau (= Annas Bademantel). Und auch der Regisseur drückt berauscht die Stopptaste, wenn er Denis Lavant, der gerade markant genug ist für einen Leos Carax-Film, zu David Bowie durch die Straßen tanzen lässt. Hinein in ein neues Leben, hinein in das Erwachsensein und eine – obschon sie kurz sein mag, aber das weiß man ja noch nicht - ungewisse Zukunft, so weit ihn seine Füße tragen. Wenn man sich das so ansieht, könnte man es ebenso für ein wirres Stolpern halten, das jedoch macht die Szene wahrlich nicht weniger sinnstiftend.
                                Carax' Freiheitsdrang ist derart durchschlagend, dass er diesen einfach in einen radikalen Formwillen übersetzt. Vielleicht ist dies die geheime Zutat, welche seinen Filmen beinahe eine körperliche Spürbarkeit überträgt, daneben allerdings – nun wird es bittersüß - das Kino als letzten Zufluchtsort für derlei Dinge erahnen lässt. Wo sonst geschieht es, dass einem die Zuneigung eines anderen sprichwörtlich Flügel verleiht und die Angst vorm Fliegen, die notwendigerweise auch eine Angst vorm Fallen ist, wie durch Zauberhand auslöscht?
                                Auf, auf, ihr Liebenden – jünger wird die Nacht nicht mehr.

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                                  Noch nie habe ich Zack Snyder und mein Dashboard so verzagt erlebt. Sogar ausgewiesene Nicht-Fans des Regisseurs schlagen an meinem Browser-Seitenrand Purzelbäume vor Begeisterung und lassen großzügig Punkte kullern. Was ist nur passiert?
                                  Ich sehe hier eine stark überfrachtete, aber eben auch arg konventionelle Comic-Verfilmung, die ihrer Vorlage wahrscheinlich nicht gerecht wird. Die Handlung ist relativ verschachtelt und umfangreich und kann jemandem, der mit der graphic novel nicht vertraut ist, eigentlich nur Fragezeichen aus sämtlichen Körperöffnungen quellen lassen, da der Gewichtung der Geschehnisse kaum Bedeutung beigemessen wird und man als Zuschauer schnell den Eindruck gewinnt, auch viel Irrelevantes an reinem, durchgehetztem Plot vorgesetzt zu bekommen – ob dies tatsächlich so ist, sei damit zwar noch nicht gesagt, Snyders missliches Pacing allerdings bringt mich, die nach ca. eineinhalb Stunden dann erstmal soweit ist, den Superhelden langsam ihre Namen zuordnen zu können, in Schwierigkeiten.
                                  Es ist, als wolle man so wenig wie möglich vom Original abweichen, um eingefleischte Fans nicht zu verärgern und 158 Minuten werden so zu einem einzigen Kampf – allein bei dem Gedanken an die Existenz eines 215-Minuten Cuts nehmen meine Augenlider wieder beträchtlich an Gewicht auf. Trotz allen Bemühungen, die Makellosigkeit der eben doch nicht ganz so ehrenhaften Protagonisten kritisch auszuleuchten, falle ich darum offenbar noch lange nicht in die Zielgruppe.
                                  Was nämlich jedenfalls auf der Strecke bleibt, ist jedwede Charakter-Dynamik (wie auch sonst einiges, was einen guten Film in meinen Augen ausmacht). In wenigen Momenten vermag ich es, mir vorzustellen, dass beispielsweise der "Comedian" eine Figur von moralischer Komplexität/Ambivalenz sein könnte, doch dazu bedarf es großer Energie (mindestens der eines Dr. Manhattan!), wenn Snyder – volle Kraft voraus - weite Teile davon in Zeitlupen-Gewalt und altbekannten Überwältigungs-Krawallmätzchen ertränkt.
                                  Und es ist nun absolut nicht so, als hätte ich es nicht versucht mit Minutemen und Watchmen. Wenn bereits erwähnter Dr. Manhattan sich vor lauter Kummer auf den Mars beamt und seine Holde zu sich ruft, bin ich sogar nahe dran, hiermit als überhöhter, romantischer Idee meinen Frieden zu schließen, aber was dabei herauskommt, ist dann so überladen und cheesy, dass meine Synapsen noch am Ehesten die Verknüpfung zu Aronofskys Käsekuchen THE FOUNTAIN herstellen, ich am Liebsten ebenfalls auf einen anderen Planeten teleportiert werden würde und die Kerze neben mir schleunigst wieder auspuste, bevor es der dröhnende Film tut.
                                  Überhaupt verdutzt es mich, wie beharrlich Form und Inhalt sich wechselseitig ein Bein stellen – wohl nicht einmal Tarkovsky wüsste hier, ob er schauen oder sehen soll. Dies ist besonders bedauerlich, denn hin und wieder bilde ich mir ein, bei Snyder so etwas wie eine Hingabe an visuelles Kino auszumachen, die beinahe zum Mitjubeln verleitet. Er überzeugt mich als begnadeter bildlicher Erzähler nach postmodernen Maßstäben - auf Musikvideo-Niveau; überfordert damit - oder verweigernd -, einen Rhythmus zu entwickeln, der auf Spielfilmlänge auch inhaltlichen Ballast stemmen kann, welcher mit allem optischen Aufwand mithalten würde.
                                  Snyder ist sogar so begnadet, dass ihm anscheinend der Nachhall eines 6-minütigen Intros ausreicht, um vieles vergessen zu machen. Vergessen die epischen Fights gegen den Schlaf, vergessen das eher pubertär-anachronistische Einbinden von Simon + Garfunkel, Nenas "99 Luftballons", auf der anderen Seite Wagners Walkürenritt und - wenn es noch ein Klischee mehr sein darf - Mozarts Requiem, vergessen der Regie-Übermut, vergessen so mancher Dialog am Rande des Wahnsinns. Naja, fast.
                                  Die Watchmen mögen - auch ohne eigene Bewacher - schlussendlich zur Ruhe gekommen sein, wir sowieso Normalsterblichen aber haben noch weitaus diffizilere Kaliber vor uns: Wer hält Zack Snyder im Zaum?

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                                  • Wenn man Bay also nur als Produzent und nicht als Regisseur runtermacht, fällt das also nicht mehr unter Bay-Bashing? Super, merke ich mir. Wer das meiste Geld einfährt, hat recht, das ist eben Wirtschaft - und Hollywood IST Wirtschaft. Ich weiß nicht, wie Leute es schaffen, so viel Energie auf einen lausigen Turtles-Film aufzubringen, den man ja auch einfach ignorieren könnte - übrigens die wohl einzig effektive Möglichkeit, zum Nicht-Erfolg eines Werks beizutragen. Am Ende wird es aber eh wieder so laufen, dass allesamt im Kino sitzen, und Bay damit bestätigen werden. Auch ist es ja gerade nicht so, dass mit diesem Projekt ein für alle Mal die Option für einen anderen Produzent/Regisseur aus der Welt wäre, einen Turtles-Film zu drehen, der eher den Vorstellungen aktuell rebellierender Fans entspricht.
                                    Lustig finde ich außerdem, wie dieser Artikel nicht nur die langjährigen Weggefährten Bay und Bruckheimer künstlich trennt, sondern letzteren auch noch als "Produzent mit Visionen" hervorhebt. Als wäre nun wirklich jedes Mittel recht, solange es nur gegen Bay geht. Aber dem wird auch das vollkommen egal sein, und damit liegt er goldrichtig. Wahrscheinlich sonnt er sich gerade irgendwo am Strand und lässt sich von langbeinigen, leicht bekleideten Models Cocktails servieren. :-)

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                                      Jenny von T 10.08.2014, 16:45 Geändert 19.12.2014, 21:58

                                      Bei allen berechtigten Beschwerden über den Zustand des gegenwärtigen Blockbuster-Kinos sollte nicht übersehen werden, dass es auch um die Qualität kleinerer Produktionen schon besser bestellt war.
                                      In unfassbarer Dichte bündelt LIBERAL ARTS alles, was in der amerikanischen Indie-Sektion momentan falsch läuft. Hier schwingt sich nun mit Zach Braff, Joseph Gordon-Levitt, eben HOW I MET YOUR MOTHER-Star Josh Radnor und noch einigen anderen eine Generation von Autoren zur Zepterübernahme auf, die keinerlei tiefer gehendes Problembewusstsein besitzt, stattdessen selbstmitleidig neue Hürden schafft und deren künstlerische Ergüsse hinter hübsch anzusehender IKEA-Optik am Ende des Tages genauso konturenlos, glatt, austauschbar und harmlos daher dümpeln wie die Ü30-Milchgesichter ihrer Macher.
                                      Was das Prädikat "harmlos" betrifft, bin ich mir – obwohl ich über wenigstens das unsägliche "Manic Pixie Dream Girl" langsam hinweg komme - allerdings nicht einmal mehr sicher; dieser Film nämlich predigt unter seiner ach so locker-liberalen Oberfläche haarsträubend konservative Lebens- und Liebesideale, von denen zu befürchten ist, dass die Zielgruppe sie auch noch ernst nehmen könnte.

                                      Wie so viele vergleichbare Ausgeburten verzaubert auch LIBERAL ARTS sein Publikum mit einem zierlichen weiblichen Augenschmaus, an welchem der Protagonist sich vermeintlich emanzipieren darf – dumm nur, wenn es eigentlich anders herum läuft.
                                      Über – wooow! – Beethoven, Mozart, Wagner und darauf gründendes, schier unerträgliches Studenten-Intellektuellen-Geseiere beschwört Radnor nach Kräften eine Seelenverwandtschaft zwischen Zibby und dem 16 Jahre älteren Jesse herauf, um schließlich Zibby vorzuführen. Beide sind Single, beide stehen aufeinander, doch weil Taugenichts Jesse so sehr an dieser Bindung gereift ist, verzichtet er aus "Respekt" (vor dem Alterunterschied) auf Sex mit ihr. What the fuck, man. Ich möchte mal sehen, wer auf diesem Planeten DAS ritterlich durchzieht, wenn Elizabeth Olsen ihm schöne Augen macht. Und es geht noch weiter: Nachdem die ansonsten umsichtige Zibby mal eben schnell noch am selben Abend aus spontanem Frust und Verzweiflung über Jesses Abweisung einem komplett Unbekannten ihr Erstes Mal schenkt, bedankt sie sich schon kurz darauf demütig bei ihrem Prinzen für dessen reifes, rücksichtsvolles Verhalten. Freundschaft? Kein Problem! Es ist der Punkt erreicht, an dem ich Josh Radnor seinen Jutebeutel über den Kopf ziehen möchte, doch sein Genie kennt kein Erbarmen:
                                      Natürlich bleibt Zibby nicht die einzige Dame im Film, die Jesses Qualitäten erkennt und würdigt – nein, Frauen aller Altersklassen und Gesellschaftsschichten werfen sich dieser besonnenen, klugen Leseratte reihenweise vor die Füße. Trotzdem jedoch dürfen wir Mitleid mit ihm haben, wenn er als 35-Jähriger, der aussieht wie 25, durch eine vorgezogene Midlife Crisis hechtet. Um aber die Verhältnisse wieder gerade zu rücken und diese Junggesellenphantasie würdig abzuschließen, entscheidet sich Jesse unter seinen Verehrerinnen – wie es sich gehört – für eine Gleichaltrige, mit der er wohl bis ans Ende seiner Tage glücklich sein wird. Was für eine Geschichte!
                                      Wir haben gelernt:

                                      • Folge niemals deinem Herzen, sobald es dich zu unmoralischen Handlungen ermuntert, weil du dich in eine viel jüngere Frau verliebt hast.
                                      • Ältere Frauen zu vögeln, auf die du demgegenüber bloß notgeil bist, geht aber klar!
                                      • Mit Mitte 30 ist dein Leben praktisch vorbei. Erst recht, wenn du geduldig auf ein hübsches Mädchen wartest, das dir ein Seil spannt, über das du drüberspringen musst und bis dahin beharrlich den Status Quo aufrecht erhältst, indem du dich in Bibliotheken versteckst. Die Zeit ist gekommen, mit pensionierten Professoren die Köpfe zusammenzustecken und die Monotonie des Lebens zu beweinen. Gegenseitiges Aufmuntern durch witzeln über den Kleidungsstil des anderen erleichtert die Schwere des Seins.

                                      Rühmliche Woody Allen-Vergleiche, die zu Radnors Gunsten angestellt werden, haben für meine Begriffe etwas (oder auch etwas mehr) von einer Realsatire, hält man beispielsweise einmal das wirklich subversive MANHATTAN und LIBERAL ARTS, der im Grunde 1:1 den kleinbürgerlichen Gegenentwurf dazu darstellt, gegeneinander. Und obwohl der große Woody mittlerweile ein wenig schwächelt, halte ich noch immer meine Hand dafür ins Feuer, dass er nicht einmal mit 3 Promille ein Drehbuch wie dieses zustande bringen, geschweige denn in einem Anfall von Wahnsinn umsetzen würde. Falls doch, würde er ein tiefes Erdloch graben und sich zum Wohle aller darin verbarrikadieren, um die Menschheit nie wieder mit einer "romantic comedy" zu belästigen, die mit Romantik und Humor kaum weniger am Hut haben könnte.

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                                        Filme über den American Dream gibt es wie Sand am Meer. Viele von ihnen, gerade neueren Datums, wirken kaum noch nach, weil die Leier längst Mainstream geworden ist. Wenn zum Beispiel Martin Scorsese seine x-te Rise & Fall-Abhandlung abdreht, dann glauben wir ihm natürlich schon lange, dass er auf der richtigen Seite steht, sich nicht von Idealen oder gar Patriotismus blenden lässt. Und nach beinahe einem halben Jahrhundert im Business geht es somit irgendwann vielleicht auch darum, sich der eigenen Könnerschaft zu versichern (nicht despektierlich gemeint!), welche im Übrigen sowieso unbestritten ist.
                                        Nun aber stelle man sich einmal vor, Michael Bay nähme sich dieser – zwar abgenutzten aber nach wie vor nicht unsensiblen - Thematik an. Ganz genau: Der Mann, der sich selbst als "true American" bezeichnet, seit Anbeginn seiner Karriere mit stolz geschwellter Hühnerbrust durch Flaggensümpfe watet und dem nicht wenige entnervte Cinephile das schlichte Gemüt einer Weinbergschnecke sowie das Feingefühl eines Elefanten auf Speed attestieren (an dieser Stelle entschuldige ich mich vorsichtshalber, falls ich jene Tierarten diskriminiert haben sollte). Auch: Der Mann, der blumigen Formulierungen auf einem Teleprompter vertrauen muss, weil er nicht einfach offen sagen kann, dass Geld seine "künstlerische" Motivation ist.
                                        Nicht genug also damit, dass der sonst eher für seinen Größenwahn bekannte Bay PAIN & GAIN als "kleinen Film" und - oh weh - "Herzensprojekt" ankündigte, nein, schon besagte Ausgangslage verhieß eine gewisse Brisanz. Ich war mir vorab sicher, dass es hier etwas zu Lachen geben würde – nur aus welchem Grund wusste ich noch nicht. Nun aber sitze ich hier und hadere mit mir und der Welt, weil ich Bay den Film tatsächlich als Satire durchgehen lassen muss. Und weil ich mehr Spaß mit ihm hatte, als mir jemals lieb sein könnte.
                                        PAIN & GAIN benötigt keine Persönlichkeiten, denn er hat – mit Wahlberg und "The Rock" Dwayne Johnson - Symbole – alle anderen Darsteller, die es zu Beginn nicht sind, werden es noch. Und natürlich ist auch der Typ auf dem Regiestuhl ein Symbol. Die stählernen, durchtrainierten Körper der drei Bodybuilder auf kriminellen Abwegen würden normalerweise Stärke und Überlegenheit vortäuschen, genau wie es Bays humorlos männliche low angle shots für gewöhnlich unterstreichen. Auch dieses Mal kommt all das zusammen, doch irgendwas ist anders – unsere Muskelprotze sind nicht bloß gierig nach Reichtum und Ruhm, sondern obendrein himmelschreiend blöd. Eine fatale Kombination, wie der Film über 2 Stunden eindrucksvoll anarchisch dokumentiert. Dokumentiert, in der Tat, weil diese haarsträubende Geschichte – kaum zu glauben – auf wahren Ereignissen beruht. Sie ist so absurd, dass eine Schrifteinblendung uns zwischendurch an ihre authentische Herkunft erinnern muss.
                                        Manche der Opfer werden unter anderem zu eben solchen, weil sie – genau wie die Täter - hoch Maß nehmen und gewissenlos ihren Egos erliegen. Bay staffelt die Rollenverteilung der Begebenheit als praktisch willkürlich. Vielleicht befinden sich die Möchtegern-Ganoven zunächst allein aufgrund ihrer zahlenmäßigen Überlegenheit in der Angriffssituation. Und weil sie eben *echte Kerle* sind. Darf man spotten, wo Personen zu Tode kamen? Zugegeben, die Kiste ist grenzwertig – aber leider auch schmerzlich (und schmerzfrei) konsequent bewältigt.
                                        Bay übt sich in Häme, doch wem gilt sie? Den einzelnen Beteiligten oder womöglich einem größeren Gebilde? Der Umstand, dass PAIN & GAIN keiner einzigen seiner Figuren (nicht einmal der ermittelnden Polizei) zugesteht, mehr zu sein als eine Karikatur (Ausrede oder nicht?), bringt mich ins Grübeln. Was ist das denn für eine Gesellschaft, die einen von Kindesbeinen an lehrt, dass nur Oberflächliches (= Muskeln, Brüste), Materielles (= Geld) und eine darauf basierende Bewertung/"Anerkennung" (= Neid) von Bedeutung sind? Wundert es da noch, wenn Menschen sich darin verrennen?
                                        Ich weiß, ich weiß: Wenn ausgerechnet Michael Bay zu derartigen Erkenntnissen gelangt und dabei ganze ideologische Säulen seines Schaffens zum Abschuss freigibt, muss dies der Moment sein, in dem das Universum implodiert – jedoch weiß ich bei allen guten Geistern nicht, was es misszuverstehen gäbe. Ein paar Beispiele:

                                        • Daniel meint, Kershaw verdiene es, ausgeraubt zu werden, weil dieser Jude ist;
                                        • Paul verfällt in Panik, sobald ein Mann droht, ihm näher zu kommen, offenbart dann hingegen eine geheime Faszination für Dildos;
                                        • Später rechtfertigt er das gewaltsame Angehen anderer damit, dass Gott ihm ja schließlich die Kraft dazu verliehen habe;
                                        • Der Konsum von Steroiden geht einher mit Impotenz (Adrian) und Angstzuständen (Paul).

                                        ----------------THIS IS STILL A MICHAEL BAY FILM----------------

                                        Fast kathartisch: Das Wiedersehen mit der US-Flagge. Im Gefängnis begleitet sie Daniels Weg zur Trainingsbank durch einen Stacheldrahtzaun – Freiheit, Träume, Erfüllung, all das passiert jetzt auf der (von ihm aus betrachtet) anderen Seite. Trotzdem ist er – von der Jury zum Tode verurteilt! - überzeugt: Das Leben wird ihm "noch ein Set geben".
                                        Und Bay? Dessen Selbstdemontage bleibt eine rein filmische. Das darf er sich erlauben, weil er geschafft hat, woran seine Protagonisten, im Kino und im realen Leben, bereits beim Versuch so kläglich scheitern – mit legalen Mitteln (zumindest, solange das Veröffentlichen seiner Oden an den Schwachsinn nicht unter Strafe steht). Jeder kennt ihn, jeder hat eine Meinung über ihn, er verdient damit, er ist der König von Hollywood. Und er verwirrt seine Anhänger mit einer kaum erklärbaren Groteske namens PAIN & GAIN, nur, um die Massen ein Jahr später in alter Manier mit dem nächsten TRANSFORMERS zu lobotomisieren. Auch das ist Michael Bay. You better believe it.

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                                        • Wer sich schon beim Vorgänger-Film darüber schlapp lachen konnte, wie ein Mann seinen abgeschossenen Penis mit dem Mund von der Straße aufhebt, wird auch - daran habe ich keinerlei Zweifel - dieses Mal garantiert wieder voll auf seine Kosten kommen. Ich mache um diesen selten dämlichen Männerkitsch mit HANGOVER-Einschlag lieber einen raumgreifenden Bogen.

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                                            Sprache, allein auf weiter Flur, ist unnahbar, kühl und begrenzt. Darum fällt es den allermeisten schwer, jemandem etwas lebhaft zu beschreiben, das dieser nicht kennt – umso mehr, wenn dieses Etwas sich wiederum aus unbekannten oder ungeraden Koordinaten zusammensetzt. Man muss schon eine ganze Menge in sich tragen, um einen anderen allein durch Worte zu berühren. Worte, die jedes Missverständnis ausschließen und jede Übersetzung tragen. Etwas einfacher wird es da schon, wenn man beispielsweise eine Melodie zu Hilfe nimmt und/oder versucht, es aufzumalen. Doch wie malt man ein Gefühl? Wie komponiert man Liebe? Wie Einsamkeit? Es bleiben Lücken, die meine Vorstellungskraft, Intuition füllen muss. Aber leitet sie mich "richtig"? Und ist sie ihrem Gegenstand "würdig"? Es wird immer jemanden geben, der größer denkt als du und ich. Stanley Kubrick aber behauptete einmal, dass alles, was niedergeschrieben oder phantasiert werden könne, auch verfilmt werden kann.
                                            Und Theodoros Angelopoulos ist nun der Nächste, der mich lehrt, warum der Film meine liebste Kunstform ist. Hier bündeln, potenzieren sich alle Wege des Ausdrucks zu einer Einheit, und mit ihnen diejenigen unserer Sinne. Und manchmal, in Momenten wie diesen, wenn meine Seele Asyl findet, möchte ich sie gar nicht mehr auseinander wissen.
                                            Ich gebe zu: DER BLICK DES ODYSSEUS ist sehr gedunsen, beinahe schon eine echte Diva. Wenn Harvey Keitel den bulgarischen Hafen entert, wird er von Erland Josephson wie folgt begrüßt: "Als Erstes schuf Gott die Reise, dann den Zweifel, dann die Sehnsucht." Natürlich redet in Wahrheit niemand so schwülstig daher. Angelopoulos jedoch, dem – wie es aussieht – nichts auf dieser Welt zu traurig ist, um verarbeitet zu werden, gibt sich unversöhnlich. Unbestreitbar betastet er das Medium als Refugium der Poesie, der Melancholie, des Weltschmerzes.
                                            Als zunächst kurios empfand ich die Besetzung der Hauptrolle mit Harvey Keitel – diesen kannte ich bislang überwiegend aus Filmen, in denen er 50 Mal "fuck" in der Minute sagt. Und dann die unheilige Allianz mit Feingeist Angelopoulos, der klar auf die verletzliche, gebrochene Seite seines Darstellers aus ist. In der Tat scheint Keitel, obwohl die Uhr im fast 3 Stunden einräumt, niemals richtig anzukommen. Als Geist zwischen Diesseits, Jenseits und Vergangenheit torkelt er durch ein krisengeschütteltes Osteuropa, versinkend in einem Meer aus Plansequenzen. Andauernd muss man Angst um ihn haben, er könnte jeden Augenblick fallen und nicht mehr aufstehen. Die mitunter unbeholfenen englischen Zeilen, welche ihm das Skript in den Mund legt, tun ihr Übriges.
                                            Hier geht es um mehr als eine Zusammenfassung aussagen kann. Der griechisch-stämmige Regisseur A. kehrt aus den USA in seine Heimat zurück, im Gepäck ein obsessives Interesse an drei ganz bestimmten Filmrollen der Gebrüder Manakis – den vielleicht ersten filmischen Erzeugnissen aus Griechenland überhaupt. Seine Nachforschungen führen ihn über unter anderem Albanien und Rumänien nach Sarajevo. Dort trauen sich die Menschen lediglich bei starkem Nebel auf die Straßen, weil bei jenen Sichtverhältnissen nicht geschossen wird. Dass A. seinerseits getötet werden könnte, nimmt er leichtfertig in Kauf.
                                            Denn keine äußere Odyssee ohne eine innere: Angelopoulos sucht die Heimat, die niemand mehr hat. Eine ältere Dame, die nach über 40 Jahren nach Albanien zurückkehrt, steht dort schließlich verlassen inmitten einer sich verlaufenden Wohnsiedlung, die sie nicht wieder erkennt. Und auch A. ergeht es nicht besser: Er erstrebt Geborgenheit bei Frauen, die er nicht lieben (und darum nicht halten) kann oder flüchtet in einer unglaublichen, surrealen Sequenz mit seiner Mutter aus dem Zug in sein altes zu Hause, um dort noch einmal aufeinander folgende Jahreswechsel im Kreise der Familie zu verleben – seine (nicht gealterten) Tanten und Onkels reden ihm zu, als wäre er noch (bzw. wieder) ein Kind ("Du bist aber groß geworden!"), aber anstatt ihn tatsächlich durch ein Kind zu ersetzen, spielt (der alte) Keitel die Szene... außer für das Erinnerungsfoto – eine Kostprobe von Angelopoulos' Methode der Überwindung von Raum und Zeit.
                                            Wir glauben zu wissen - einzeln sowie als gesellschaftliches Kollektiv -, wonach wir uns sehnen, und doch attestiert uns jeder neue Tag ein gewaltiges Ungleichgewicht der Dinge. A.s Besessenheit auf seine noch unentwickelten Filmrollen ist demnach vielleicht Ausdruck eines Verlangens nach einem kleinen Fleckchen verbliebener Unschuld, während – hierin liegt die Ironie - ringsherum Mauern, Häuser und Hoffnungen einstürzen. Ja, manchmal auch Hoffnungen, weil uns, nach Erfolg wie nach Niederlage, immer etwas zwingt, von vorne zu beginnen – und womöglich noch einmal zu scheitern. Die Ewigkeit und wir, so viel und so wenig trennt uns voneinander.
                                            Dies aber sind bloß fade Überlegungen. Ich räume offen ein, meditativ überfordert am nebeltrunkenen Ufer stehen zu bleiben, und jeder, dem es genauso geht, wird später begrüßen, nicht gegangen zu sein – wer fühlt, der versteht.
                                            Verliere sich, wer kann.

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                                              Der oftmals geschmähte Michael Bay liefert ein Meisterwerk ab und das verbohrte Feuilleton kann – einmal mehr – nur zusehen, wie der große Auteur des amerikanischen Blockbusters die Scheinchen einstreicht: TRANSFORMERS: AGE OF EXTINCTION ist ein kompromissloses, revolutionäres, gewaltiges Spektakel.
                                              Jede Technologie hat ihren Erfinder, einen Verdichter und schließlich jemanden, der sie auseinandernimmt. Letztgenannter Schritt mag sich nicht selten als der undankbarste herausstellen, doch was taugt eine Erfindung, wenn niemand sie auf Herz und Nieren testet und – wo es nötig ist – sie furchtlos in ihre Einzelteile zerlegt, um festzustellen, woraus sie überhaupt besteht und warum so viele ihren Verlockungen verfallen sind? Kurzum: Visionär Michael Bay bewerkstelligt – ähnlich wie Jean-Luc Godard in den 60'ern - genau dies für das Kino des 21. Jahrhunderts, und dafür wird er gehasst.
                                              Mit seinem neuen Epos nämlich stellt der gebürtige Kalifornier gängige Sehgewohnheiten auf den Kopf, wo es nur geht. Auf Wiedersehen, Unterhaltungsmedium!
                                              Die stattliche Laufzeit von 166 Minuten garantiert wunde Pobacken, doch auch ansonsten zieht der vierte Teil der TRANSFORMERS-Reihe sämtliche Register des Umsturzes: Die Actionszenen sind - aufgrund fehlender Unterscheidbarkeit der involvierten Roboter sowie zahlreicher, anachronistischer Vorgänge innerhalb einzelner Frames - dermaßen unübersichtlich ausgefallen, dass einzig und allein der Titel "Avantgarde" ihnen gerecht wird.
                                              Die Spitze des Eisbergs jedoch ist noch lange nicht erreicht. Zwar markiert AGE OF EXTINCTION insgesamt fraglos den bislang ernstesten bzw. düstersten Teil der Franchise, die feinen Humorspitzen hingegen treffen umso gezielter ins Schwarze, wenn Bays politische Inkorrektheit (gewagt: das filmische Umgehen einer gesetzmäßigen Vergewaltigung durch die "Romeo and Juliet"-Bestimmung schließt Logiklöcher) den üblichen bigotten Sittenwächtern abermals einen verdienten K.O.-Schlag verpasst.
                                              Und damit ist noch immer nicht der finale Federstrich unter das Reifezeugnis des Regisseurs gesetzt: Das anspruchsvolle Drehbuch setzt sich die Krone auf, indem es – und dies war absolut nicht zu erwarten - spirituelle Türen eintritt. Können außerirdische Maschinen eine Seele haben? Sind sie ebenso ambivalent wie wir? Und ist der überheblich handelnde Mensch es wert, für ihn ein Todesopfer zu erbringen? Sollten wir uns bereit machen, unseren Thron im Universum zu Räumen für Mächte, die wir nicht verstehen? Dienen wir dem selben Gott?
                                              "Two possibilities exist: Either we are alone in the universe or we are not. Both are equally terrifying." Wer würde Arthur C. Clarke nach diesem Film widersprechen?
                                              Quasi beiläufig dazu gelingt es Bay - möglicherweise sogar mit Konsequenzen für die Evolutionstheorie -, Geschichte umzuschreiben, ja, umzukehren: So zeichnet er das Aussterben der Dinosaurier nicht etwa als Folge von Meteoriteneinschlägen oder denen eines Klimawandels, sondern unsere Schöpfer bewältigten den Vorgang, als sie einst Bomben auf die Erde warfen (hierzu hoffentlich mehr in Teil 5!). Die Wissenschaft horcht auf und alles fällt auf uns zurück, als – leider erst eine viertel Stunde vor Schluss – die spektakulären Dinobots unter Optimus Primes Kommando die Leinwand stürmen, um das Fortbestehen der Menschheit zu sichern.
                                              Daneben weiß der komplexe AGE OF EXTINCTION allerdings durchaus auch, ein jüngeres Publikum abzuholen – vornehmlich mit außerordentlicher Coolness. Sonnenbrillenträger, die einfach arrogant geradeaus oder zur Seite schauen, wenn jemand sie anspricht, weisen mit ultra lässigen Sprüchen ("Mein Gesicht ist mein Gerichtsbeschluss!") Stil-Ikonen alter Schule mühelos in die Schranken.
                                              Fazit: Michael Bay ist seinen Kritikern meilenweit voraus. Wie jedes herausragende Werk wird auch dieses kontrovers rezipiert, sein künstlerischer Wert voraussichtlich erst Dekaden später einhellig anerkannt werden. TRANSFORMERS: AGE OF EXTINCTION hält einer Welt am Abgrund rücksichtslos den Spiegel vor, entflammt unter Bergen aus Schutt und Asche aber ein Fünkchen Hoffnung – dieses durch unbedingten Zusammenhalt zum Lodern zu bringen, ist jetzt unsere Aufgabe.

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                                                THE ZERO THEOREM steht ganz im Zeichen seines großen Bruders BRAZIL und versucht, diesem aus ein paar Lichtjahren Entfernung die Hand zu reichen – naheliegend ließe sich auch von einem gilliam'schen Software-Update 2014 sprechen: Werbebeschallung überall, ein 1-Personen-Management, Arbeit, deren System und Nutzen niemand versteht, connecting people (auf iPad-Partys), die schwerlich weniger miteinander verbunden sein könnten – und mittendrin Christoph Waltz, Fremdkörper unter anderen Fremden in einer existenzialistischen Krise. Als exzentrisches Computer-Genie Qohen Leth hat er sich in einer ehemaligen Kirche verschanzt, wartend auf einen ominösen Anruf, der ihm nach fester Überzeugung den Sinn des Lebens mitteilen wird. Die Wahl seiner Behausung passt damit ganz gut, denn immerhin glaubt Gilliams verkappter Faust noch an irgendetwas. Und sei es nur dieses verdammte Telefonat. Zynischerweise indessen bekommt ausgerechnet Qohen vom "Management" (Matt Damon) die Aufgabe zugeteilt, das so genannte Zero Theorem zu entschlüsseln – und somit, wie sich herausstellt, die Bedeutungslosigkeit allen Seins mathematisch zu belegen. Dass mit dieser rein theoretischen Erkenntnis im Grunde kaum etwas gewonnen ist, gestaltet sich für das Management als nachrangig, denn "there's money in ordering disorder". Und Geld bedeutet bekanntlich immer etwas.
                                                Flankiert auf seiner Reise ins Nichts wird Qohen von einigen weiteren skurrilen Charakteren, welche (allen voran - frisch aus dem SNOWPIERCER-Express - Online-Seelsorge Tilda Swinton) vielen Nicht-Gilliam-Jüngern so manche Faser des Nervenkostüms kosten dürften, für den Film (oder wenigstens seine Aussage) jedoch alle Male eine Relevanz besitzen. Der hochbegabte, pizza-süchtige Sohn des Managements wird Qohen zum Knacken des Codes hilfsweise an die Seite gestellt und für seinen blonden, vollbusigen love interest schlüpft er überdies in einen verdrahteten Anzug mit Narrenkappe, um (aber nur temporär) an einem virtuellen Liebesstrand so etwas wie den Ansatz von Glückseligkeit zu genießen: Alles ist recht, was der Ablenkung dient. Und womöglich bezeichnet gerade jene "Ablenkung" den Sinn des Lebens – auch dann, wenn sie in dieser Welt gar nicht mehr echt ist, sondern eine digitale Beschaffenheit angenommen hat. Hier allerdings könnte anstatt einem Punkt ebenso ein Fragezeichen stehen. Für Qohen steht dort sogar ein sehr großes, doch die Optionen erweisen sich nun einmal auch in diesem Jahrtausend als begrenzt. [SPOILER?] Sterben und Verrücktwerden sind die Auswahl-, oder besser gesagt Fluchtmöglichkeiten, welche Terry Gilliam ihm (sowie der kreativen Interpretation des Zuschauers) anbietet, um den Kreis abermals zu schließen. Dies schafft er auch, mit eigenwilligen Bildern und doch schnell durchgezählten neuen Ideen... und vor allem mit fühlbar weniger Wut im Bauch als noch zu alten Zeiten. Going forward to the past - haben wir wirklich schon alles gesehen?

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                                                  Wirklich gute Science Fiction- oder Fantasy-Produktionen erzählen – indem sie Vertrautes und Unbekanntes gegeneinander abwägen - mindestens genauso viel über die – unsere - irdische Gegenwart wie über ihr zu Grunde liegendes, (vermeintlich) der Phantasie entsprungenes Rahmenszenario. (Ich schreibe "vermeintlich", weil ich kaum eine Idee/Theorie – sei sie Utopie oder Dystopie - für absolut und alle Zeiten unmöglich halte, die ein menschliches Gehirn imstande ist, hervorzubringen.) Dort setzt auch UNDER THE SKIN an: Alien Scarlett Johansson ("Laura") landet auf der Erde und begibt sich im Auftrag ihres Heimatplaneten auf Männerfang.
                                                  Doch die zwei Welten kollidieren nun nicht etwa mit einem lauten Aufprall, sie zerfließen ineinander ohne, dass jemand es hört – eine, so will es Glazer, sehr viel beunruhigendere Variante. Und so passiert es, dass man sich einfach ausgestoßen fühlt in und von UNDER THE SKIN. Obwohl er in Schottland (und nicht etwa auf dem Mond) spielt und obwohl die Gestalten um Laura herum Menschen sind wie du und ich (wobei der regionale Dialekt sogar Englisch-Muttersprachlern gehörige Verständnisprobleme bereiten dürfte, was besagtem Wahrnehmungskonzept einen weiteren Terminus hinzufügt). Dass Scarletts Beutezug tatsächlich mit dokumentarischen Mitteln festgehalten wurde, bestärkt dabei die Verwirrung nur zusätzlich.
                                                  Sind vielleicht (auch) wir die Außerirdischen oder sind die Außerirdischen wie wir? Lässt man einmal auf sich wirken, wie distanziert und merkwürdig man bisweilen (spätestens aber während dieser 100 Minuten) selbst Vertreter der eigenen Spezies und wie bedrohlich die Natur empfindet, kommt man nicht umhin, einmal darüber zu grübeln, was überhaupt abschließend als human/weltlich definiert werden kann.
                                                  Laura, die vom Himmel fiel, trägt statt zu einer klaren Schrankenziehung eher zu einer zusätzlichen Grenzverwischung bei: Führt sie ihre Mission anfangs gewissenlos durch, weckt die Begegnung mit einem entstellten Elefantenmann (ein Gruß an David Lynch?) Anwandlungen des Mitleids, ihr Sexualtrieb jedoch muss unbefriedigt bleiben, weil unter der "geliehenen" Haut eben nach wie vor ein in dieser Umgebung kaum zweckdienlicher Alien-Körper steckt.
                                                  UNDER THE SKIN ist darum ein Film über die Alternativlosigkeit des Mensch- und Fremdseins. Was ebenso ein tröstlicher Gedanke sein könnte, begreift der Regisseur in erster Linie als Sackgasse – dies macht das Werk zu einer ultimativ hoffnungslosen Erfahrung. Wer möchte, der wird im Netz dieses stark interpretationsbedürftigen Artefakts daneben die feministisch wertvolle Aufarbeitung von Geschlechterrollen begrüßen, aber jener Kampf endet gleichfalls in Vernichtung. Auch eine anziehend beschilderte Sackgasse bleibt eine Sackgasse.
                                                  Etwas schade finde ich, dass Glazer sich ab und an mit - ja, ich bin mir der Willkür des Vorwurfs bewusst - sättigenden Kunstgewerblichkeiten aufhält, die sein Film nicht nötig hat. Soweit er der hypnotischen Monotonie misstraut, erfolgt umgehend ein Rückgriff auf Symbole und Echos – seien es Insekten, stachelige Rosen, Baumkronen oder die minutenlang mit leerem Blick im Nebel stehende Scarlett. Mittlerweile ebenfalls ein Klassiker: Die wehmütige Vereinigung von Tod und jungfräulichem Schnee.
                                                  UNDER THE SKIN reißt Löcher auf, die er damit nicht mehr füllen kann und belohnt sich leider nicht für seinen ansonsten audiovisuellen Wagemut - anders als noch sein Vorgänger BIRTH, welcher klarere Wege beschritt und mir als der reifere, gefühlt wahrhaftigere Film im Gedächtnis haftet.

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                                                    Bereits seit Kindertagen sind Fluggerätschaften die große Leidenschaft von Jiro Horikoshi, seine Sehschwäche aber verhindert eine Karriere als Pilot. Nachdem ihm in einer nächtlichen Vision erstmals der berühmte italienische Luftfahrt-Konstrukteur Caproni erscheint – und es soll nicht dessen einziger "Besuch" bleiben -, beschließt der kleine Jiro, ebenfalls die Tätigkeit als Ingenieur zu ergreifen und so sein Steckenpferd aus eben einer anderen, technisch-theoretischeren Perspektive zum Beruf zu machen.
                                                    Gesagt, getan.
                                                    Nun aber naht der Zweite Weltkrieg und Jiros Passion droht die Instrumentalisierung, denn welch vernichtenden Zwecken die Errungenschaften des jungen Mannes künftig dienen sollen (und auch werden), ist alsbald absehbar, und eine moralische Zwangslage damit immanent: Wie ist es verantwortbar, nach bestem Wissen (wenn auch nicht GEwissen) Maschinen zu entwerfen, die irgendwann verheerenden Schaden anrichten? Kann selbst das fabelhafteste Kunstwerk eines architektonischen Entwurfs noch unschuldig bleiben, wo es für grausame Absichten missbraucht wird?

                                                    Miyazaki verstreut - mal malerisch schön, mal unheilvoll, mal beides zugleich - Andeutungen und Hinweise, vertraut das Austragen dieser und anderer Spannungen aber seinem Publikum alleine an. Dafür schlägt dem Altmeister mitunter Kritik entgegen, ich jedoch lobe es mir, wenn sich Begebenheiten einer eindeutigen Beurteilung entziehen und ein Regisseur bemüht ist, zu verstehen – auch, wenn es manchmal zwangsläufig bedeutet, neben Anerkennung Irritationen oder Ablehnung zu ernten.

                                                    Der Wind hebt sich über Licht und Schatten. Hier erweist sich Jiro geradezu als Musterexemplar der Komplexität: Derselbe Protagonist, der nach dem Kantō-Beben ein Mädchen und dessen am Bein verletzte Magd sicher nach Hause bringt und hungernden Straßenkindern Kuchen anbietet, geht sogar dann noch unermüdlich seiner Arbeit nach, als eine Tuberkulose-Erkrankung im fortgeschrittenen Stadium seine Frau ans Bett fesselt; mit der einen Hand hält er ihre, mit der anderen skizziert er – wenn er nicht gerade für eine Zigarettenpause unterbricht. Ein Gemüt, sensibel wie unnahbar.

                                                    Durchaus also könnte man zu der Schlussfolgerung gelangen, Jiros Position sei eine (in Bezug auf das Fliegen) viel zu romantische und (in Bezug auf das Zeitgeschehen um ihn herum) viel zu ignorante, THE WIND RISES allerdings erblüht durch seine Feinheiten: Zwar ist der Himmel immer blau, wenn Jiro seinem Idol Caproni begegnet, doch lassen – auch schon vorausahnend zu Anfang! - Anblicke des Schreckens schließlich keinen Zweifel aufkommen, dass die Gräuel des Krieges sehr wohl Einzug in Jiros (Unter-)Bewusstsein gehalten haben. Und es dokumentiert, wie Miyazaki, der Apostel der Phantasie, Traum von Illusion trennt.

                                                    "Embrace the irony!" bekommt Jiro von seinem Freund und Kollegen Honjo ans Herz gelegt - der Film steht auf einem sehr ähnlichen Standpunkt und erfindet dafür tausend Bilder. Besonders in Erinnerung geblieben ist mir, als nach der Erderschütterung eine kleine Steinlawine zwischen zwei keimenden Pflanzen (welche nicht beschädigt werden) zum Erliegen kommt. Jenen Gefahr-bewussten Optimismus kennt man eigentlich von dem Japaner, trotzdem muss die Ghibli-Legende der Frage entgegen treten, ob auch ein historisch verpflichteter Film offensiv lebensbejahend sein darf - in aller Entschlossenheit. Meine Meinung: Es wäre bedenklich, wenn nicht.

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