Comic-Visionär Jean Giraud alias Moebius gestorben

12.03.2012 - 15:00 Uhr
Mit Der Incal schuf Jean Giraud aka Moebius ein SF-Standardwerk.
Ehapa
Mit Der Incal schuf Jean Giraud aka Moebius ein SF-Standardwerk.
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Wer schon einmal Science-Fiction-Filme wie Blade Runner oder Das fünfte Element gesehen hat, hat auch schon einmal die Arbeit und den Einfluss von Jean Giraud alias Moebius kennen gelernt. Einer der bedeutendsten europäischen Comicschaffenden verstarb am Samstag.

In mehrerer Hinsicht lebte der französische Comiczeichner Jean “Moebius” Giraud in zwei Welten. Einerseits schuf er mit dem Pseudonym Moebius und den dahinterstehenden surrealistischen, fast psychedelischen Werken eine Alternative zu seinem berühmten Westerncomic Blueberry, welche er unter dem Pseudonym Gir veröffentlicht hatte. Andererseits lebten gerade seine frühen Comics durch die Inspiration des amerikanischen Kinos, das in den späteren Jahren ebenso viel von Girauds Schaffen profitierte. Vielleicht vergleichbar mit den Filmemachern der Nouvelle Vague nahm er die amerikanische Geschichtenkultur und deren Genres und reflektierte sie mit einem französischen Dreh dorthin zurück. Ohne Moebius hätten Filme wie Blade Runner, Das fünfte Element und Alien – Das unheimliche Wesen aus einer fremden Welt anders ausgesehen. Am Samstag verstarb der Mann mit den zwei zeichnerischen Identitäten im Alter von 73 Jahren.

Als großer Freund von Westernfilmen erfand Jean Giraud im Alter von 25 Jahren und zusammen mit dem Autor Jean-Michel Charlier die Figur Steve Blueberry, einen trink- und prügelfreudigen Leutnant mit gebrochener Nase, der von seinen Vorgesetzten kaum im Zaum gehalten werden kann. Zunächst ganz im Stile der glatteren, amerikanischen Western, wandeln sich Figur und Comic mit der Zeit hin zum dreckigen Italo-Modell à la Sergio Leone. Von Anfang an jedoch war etwas anders an Leutnant Blueberry, der nicht umsonst Jean-Paul Belmondo nachempfunden war, einem der wichtigsten Darsteller der französischen Nouvelle Vague. Blueberry liest sich wie ein liebevoller Kommentar auf das Genre, etwa so, wie sich die Filme von François Truffaut als Kommentar lesen lassen, gleichzeitig aber eine liebevolle Hommage bleiben.

Nicht aber der Western war es, der den damals in Frankreich schon beliebten Jean Giraud weltweit berühmt machte. Zunächst gründete er zusammen mit anderen die Zeitschrift Métal Hurlant (Heulendes Metall), das vielen unter der amerikanischen Variante Heavy Metal bekannt sein dürfte. Métal Hurlant zeigte die andere Seite des Giraud, die er schon seit 1963 Moebius nannte und gab zahlreichen anderen Autoren und Zeichnern die Chance, sich außerhalb des Mainstream auszuleben. Moebius tobte sich in surrealistischen Science-Fiction-Welten aus, etwa in Form des Sprechblasen-losen Comics Arzach oder The Long Tomorrow, der mit seinen Designs nicht unerheblichen Einfluss auf Die Klapperschlange und noch mehr auf Blade Runner genommen haben dürfte.

Sein berühmtester, mit dem Autor und Regisseur Alejandro Jodorowsky zusammen geschaffener Comic Der Incal, eine surrealistische Science-Fiction-Serie, spielt mit fast schon assoziativen Bildern und einer ebenso fließenden Dramatik. Der stilistische Einfluss auf Das fünfte Element ist eindeutig. Sein Einfluss reichte aber nicht nur nach Amerika herüber. Hayao Miyazaki sagte über die Comics von Moebius, dass ihre visuelle Kraft ein großer Schock und eine große Inspiration für die Manga- und Animeszene gewesen seien. Für ihn steht auch sein eigener Film Nausicaä – Prinzessin aus dem Tal der Winde unter direktem, damals unbewusstem Einfluss von Moebius.

Nicht nur indirekt trug Jean Giraud zur Filmwelt bei. Bei Das fünfte Element war er zusammen mit Jean-Claude Mezieres am Production Design beteiligt. Auch Alien – Das unheimliche Wesen aus einer anderen Welt von Ridley Scott profitierte von seiner Kreativität, wobei natürlich H.R. Giger den dämonischen Look der Aliens selbst erfand. Auch für Tron und das nie realisierte Dune-Projekt von Alejandro Jodorowsky produzierte er Entwürfe. Einige seiner Fantasien finden sich verständlicherweise auch in Heavy Metal, dem auf dem Magazin basierendem Film. Auch für den Anime Little Nemo – Abenteuer im Schlummerland und den ungarisch-französischen Zeichentrickfilm Herrscher der Zeit stand er als Production Designer zur Verfügung. Sein eigener Comic Cauchemar Blanc wurde von Mathieu Kassovitz als Kurzfilm realisiert, während Blueberry in Form von Blueberry und der Fluch der Dämonen von Jan Kounen seinen zweifelhaften Weg auf die Leinwand fand.

Mit Jean Giraud, alias Gir, alias Moebius starb einer der ganz Großen der Comicszene, dessen Einfluss nicht nur innerhalb dieser spürbar ist. Wir werden ihn vermissen.

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