Das Harry Potter-Trauma - Fantasy-Serien sind die Leser egal

13.02.2016 - 09:10 UhrVor 9 Jahren aktualisiert
The Shannara ChroniclesMTV
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Derzeit werden so viele Fantasy-Buchreihen zu TV-Serien umgewandelt wie nie zuvor. Mit der Zeit, die ihnen zur Verfügung steht, könnten Serien wie The Shannara Chronicles den Lesern der Bücher eine werkgetreue Abbildung der Romanhandlung geben. Die Serien nutzen ihre Möglichkeiten aber nicht.

Fantasy-Büchern haftet stets etwas Heiliges an. Mit bedeutungsvollen Blicken wurden sie bei uns früher weitergereicht wie ein teures Erbstück. Das einzige angeschaffte Familien-Exemplar des aktuellen Harry Potter-Bandes machte meist zerlesen und von Spoilern zerklüftet an dritter oder vierter Stelle bei mir Station, was im Nachhinein betrachtet wohl der Ausdruck einer innerfamiliären Hackordnung war. Vor dem Kinobesuch hatte, mich eingeschlossen, trotzdem mindestens die Hälfte der engeren Verwandtschaft den entsprechenden Harry Potter-Band bereits verschlungen. Brisanter Inhalt der mal beseelten, oft hitzigen Nachbesprechungen auf dem Nachhauseweg waren anschließend nicht unbedingt die Lieblingsszenen oder wer nun wem das Popcorn weggefuttert hatte, sondern, was der Kinofilm an der Vorlage nun wieder alles verändert hatte. Oder, viel schlimmer, was einfach weggelassen wurde. Das sind die ersten Wahrheiten, denen sich das verletzliche Fan-Herz viel zu früh stellen muss: Ein 767 Seiten starker Fantasy-Roman lässt sich nicht mit allen beschriebenen Aspekten, Facetten und kleinen Anekdoten in zweieinhalb Filmstunden pressen.

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Mittlerweile weiß ich, dass die Übertragung eines Romans in ein anderes Medium ein komplizierter künstlerischer Prozess ist. Adaption ist gleich Interpretation ist gleich Abstraktion. Im Vergleich zu anderen Literaturverfilmungen bleiben die meisten Harry Potter-Filme sogar recht nah an ihrer Vorlage. Leidlich in meinem Rezeptionsverhalten gereift, gefallen mir mittlerweile jene Filme am besten, die sich hochgradig von ihrer Vorlage emanzipieren, wie Harry Potter und der Gefangene von Askaban und Harry Potter und die Heiligtümer des Todes 1. Und dennoch. Irgendwas in mir applaudiert leise, wenn, wie hier, ein Harry Potter-Fan voller Inbrunst die längst überfällige Serien-Adaption seiner Lieblingsfantasy-Reihe einfordert. Eine Staffel pro Buch, mit, sagen wir, je 13 Episoden, würde den im Jahresturnus erzählten Geschichten doch viel gerechter werden. Die Abbildung eines breiten, vielbändigen Fantasy-Romans wäre im Serienformat leserfreundlicher, werkgetreuer und gewissenhafter möglich, oder?

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Ist das mit Fantasy-Büchern vielleicht doch was anderes als bei Bildungsromanen und Theaterstücken, wo Regisseure und Drehbuchautoren seit jeher angehalten sind, nach Lust und Laune zu interpretieren? Der junge Fantasy-Freund hier  war deshalb wohl auch nicht der erste, nicht der letzte und der einzige schon mal gar nicht, der bei Warner Bros. und J.K. Rowling mit einem Serienkonzept mit Harry, Ron, Hermine und Hagrid anklopft. J. K. Rowling selbst findet die Idee allerdings nur so mittelgut. Bevor es zu einer Harry Potter-Serie komme, werde es erst eine Oper, dann Potter on Ice und eine interpretative Tanzversion von Beedle dem Barden geben. Rowling brauchen wir mit der Idee also nicht mehr kommen. Es wird nicht passieren, twittert sie, basta! Ja, warum denn eigentlich?

Tatsächlich dürfen sich die vielen begeisterten Leser zeitgenössischer Fantasy-Literatur derzeit recht glücklich schätzen. Die amerikanischen Networks produzieren aktuell so viele Serien, die auf einer Fantasy-Reihe basieren, wie nie zuvor. Die beiden größten Streaming-Portale haben jeder eine Fantasy-Serie im Programm, die auf einer beliebten Fantasy-Buchreihe basiert. Amazon Instant stellt die Terry Brooks-Adaption The Shannara Chronicles zur Verfügung. Netflix-Abonnenten können sich die erste Staffel Shadowhunters ansehen, die Serienfassung des Mortal-Instruments-Universums von Cassandra Clare. Bei The CW ging die Kass Morgan-Adaption The 100 jüngst bereits in ihre dritte Staffel, Syfy zeigt seit Ende Januar Lev Grossmans The Magicians.

Fantasy-Serien bemühen sich nicht um Vorlagentreue

Aber: Shannara und Shadowhunters fallen gerade bei Lesern der Bücher durch. Die Shannara-Saga stammt aus den 1970er-Jahren und hat sich seither eine dicke Fanbase angefuttert. Seltsam, dass sich die MTV-Serie nun so gar nicht an ihre Vorlage halten will, obgleich ihr doch ausreichend Zeit und Raum dafür zur Verfügung stünde, das Buch werkgetreu nachzuerzählen. Bei Shadowhunters fiel schon der erste Versuch bei den Fans durch. Den Kinofilm Chroniken der Unterwelt - City of Bones wollte kaum jemand sehen. Nun hält sich auch die Serie nur in groben Zügen an das Buch.

In der Tat bemüht sich kaum eine aktuelle Fantasy-Serie groß um Vorlagentreue. Bei The Magicians werden die Charaktere kurzerhand älter gemacht - für mehr erzählerische Möglichkeiten. Bei The 100, so die Schriftstellerin Kass Morgan, könnten auch die Leser der Bücher von dem Tod einer Figur überrascht werden . Game of Thrones, das sich anschickt, sich vollends von den George R.R. Martins Büchern zu entfernen, dürfen wir in diesem Rahmen ebenfalls nicht vergessen. Mehr denn je darf sich dort niemand des Fortlebens seines Lieblings-Charakters sicher sein.

Selbst mit einer breit konzipierten Serie lässt sich für den Fan also keine lesergerechte oder authentische Version einer Fantasy-Reihe herstellen. Das liegt zum einen daran, dass die idealisierte Fanboy- oder Fangirl-Version des Roman, die Konkurrenz-Version eines Filmemachers per se ablehnen wird. Das Ideal des Fans lässt keine alternativen Blickwinkel oder Wahrnehmungsmuster zu. Einem Ideal kann nie genügt werden, es kann sich ihm lediglich angenähert werden. Denn Fantasy-Bücher sind tatsächlich heilig. Sie berufen sich nicht auf real existierende Welten. Sie konstruieren selber eineoder lassen den Leser mit einigen an die Hand gegebenen Koordinaten eine Welt erschaffen. Die Version des Lesers von einem Roman wie Die Elfensteine von Shannara umgibt etwas ganz und gar Persönliches und Unschuldiges. Die (Serien-)Adaption kann danach nur falsch, wie ein nicht funktionierender Spiegel wirken.

Fantasy-Serien sind keine Geschenke an die Leser

Die klassische Interpretation von Literatur ist daher ohnehin ehrlicher und irgendwie vernünftiger. Das sehen auch die Drehbuchautoren so, die ihre künstlerische Freiheit bei der interpretierenden Adaption einer Vorlage sicher nicht gegen eine müde Imitation tauschen werden.

Zudem haben selbst Special Interest-Sender wie Syfy oder The CW die breite Zielgruppe im Auge. Am Stoff der Vorlage wird dann so lange geschliffen und hinzugedichtet, bis sich eine Dreiecksbeziehung nach Twilight-Vorbild etablieren lässt. Während der Buchmarkt immer spezieller wird, bleibt das Fernsehen trotz seiner Serien-Inflation ein generalisierendes Medium, das sich um die Belange kleiner sensibler Fanherzen einen Feuchten schert. Fantasy-Serien sind nach wie vor keine Geschenke, die sich ausschließlich an Fans der Bücher richten. Und so würde ich nach einer fertig gesehenen Harry Potter-Serienstaffel wahrscheinlich doch wieder die vielen kleinen Abweichungen und Auslassungen bemängeln.

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