Jude Laws Schnurrbart in The Order schreit nach einer wissenschaftlichen Tiefenanalyse. Das Büschel Haar glänzt bedrohlich in die Kamera, wenn Verdächtige eingeschüchtert werden. Es trägt das Nasenbluten seines Besitzers mit kühler Schicksalsergebenheit und untermauert seine traurigen Augen, wenn er durch das Zielfernrohr eines Jagdgewehrs seinem eigenen verkorksten Leben entgegenschaut.
Es ist der Schnurrbart eines abgehärteten Gesetzeshüters in einem harten Kriminalfilm mit Western-Einschlag, der bei den Filmfestspielen von Venedig im Wettbewerb um den Goldenen Löwen läuft.
Jude Law kommt als FBI-Agenten in The Order einer Neo-Nazi-Organisation auf die Schliche
Der Schnurrbart gehört dem FBI-Agenten Terry Husk, der in seiner neuen Arbeitsstätte zwischen Bergkämmen und idyllischen Tälern auf die Spur einer Neo-Nazi-Organisation kommt, die sich mit Banküberfällen finanziert. Gemeinsam mit dem jungen Polizisten Jamie Bowen (Tye Sheridan) will Terry die Hintermänner ausmachen und stößt auf einen großangelegten Plan für eine rechtsradikale Revolution.
Auf der anderen Seite der Story steht Robert Jay "Bob" Matthews (Nicholas Hoult) – auch visuell ein Gegenpart zu Jude Laws zerknittertem Agenten. Hinter dem glatten, spurenlosen Gesicht und der adretten Erscheinung wartet die Verblendung eines Hetzers und Paramilitärs, der mit White Power-Plattitüden und Familien-Barbecues Gefolgsleute um sich scharrt.
Bob Matthews ist der Gründer von The Order, die zwischen 1983 und 1984 ihr mörderisches Unwesen im pazifischen Nordwesten der USA trieb. Basierend auf dem Sachbuch The Silent Brotherhood von Kevin Flynn und Gary Gerhardt erzählt das Drehbuch von Zach Baylin die Geschichte mit ein paar historischen Freiheiten und in Gestalt eines treibenden Genrefilms nach.
Western und Heist-Film treffen in The Order auf clevere Weise zusammen
Wenn Jude Laws Terry Husk mit seinem Auto durch die Straßen seiner neuen Heimstatt fährt, hat das etwas von einem Sheriff, der in die Stadt reitet. Nach dem Aktenstudium geht er in der Postkarten-Landschaft erstmal auf die Jagd. Wären da nicht die Autos und Telefone, könnte man den Einzelgänger für einen der verbissenen Helden aus einem der Western von Anthony Mann und James Stewart (Der Mann aus Laramie) halten. Er ist der Kerl, der in einer gesetzlosen Wildnis für Ordnung sorgt – und rückt dafür auch Zeugen erdrückend auf die Pelle.
Jude Law hat schon einige Bösewichte gespielt, aber mit seinen gebrochenen Helden brilliert er noch mehr. Terry Husk ist so einer, ein zerschundener Typ, der in der Natur des amerikanischen Nordwestens nach Heilung von den Großstadtverbrechen sucht. Das gelobte amerikanische Hinterland betritt er trotzdem nur mit der Waffe in der Hand.
Sein Gegner bewegt sich über weite Strecken des Films durch ein anderes Genre, in dem amerikanische Männlichkeitsbilder dem Härtetest unterzogen werden: den Heist-Film. Nicholas Hoults Rechtsterrorist plant komplex orchestrierte Überfälle und nachdem er den verängstigten Frauen am Schalter das Gewehr ins Gesicht gehalten hat, fährt er heim zu seiner Bilderbuchfamilie.
Von einer Romantisierung in der Tradition von Michael Manns Heat oder Thief kann aber nicht die Rede sein. Bei Mann besitzen die Helden einen Ehrenkodex, der ihnen in ihrer Rolle außerhalb von Gesetz und Gesellschaft Halt gibt. Matthews wird hingegen als Manipulator inszeniert, dem die Ideologie in jede Pore seines Wesens gedrungen ist. Ob Familienfest oder liebevolle Vaterschaft, jede Tat scheint bei ihm Auswuchs seines Plans zu sein ein. Nicholas Hoult spielt ihn mit schneidender Kälte und Intelligenz, charismatisch und unnahbar. Wer Zweifel an seinem Casting als Lex Luthor in James Gunns Superman hat, dürfte in diesem Film eines Besseren belehrt werden.
Aus dem klassischen Western-Duell wird ein moderner Albtraum
Regisseur Justin Kurzel erlebte in den 2010ern einen steilen Aufstieg vom australischen True Crime-Drama Die Morde von Snowtown bis zum starbesetzten Macbeth, der mit dem Blockbuster-Flop Assassin's Creed ebenso schnell abgebrochen wurde.
The Order untermauert nun die Versprechungen seiner Anfangstage. Zwischen den kargen Bergpanoramen kreiert er eine desolate Atmosphäre. Vor diese verdorbenen Kulisse platziert er in einem der ersten Höhepunkte von Venedig zwei Männer, die vielleicht nicht aus demselben Holz geschnitzt sind. Sie besitzen jedoch mehr Gemeinsamkeiten, als es besonders dem FBI-Mann lieb sein dürfte. So wird in The Order das Western-Duell von Sheriff und Outlaw in einen zutiefst amerikanischen Albtraum verkehrt. Und der ist noch lange nicht zu Ende geträumt.
The Order läuft im Wettbewerb der 81. Filmfestspiele von Venedig. Einen deutschen Starttermin hat der Film noch nicht, aber Amazon hat sich die Rechte für mehrere internationale Territorien gesichert.