Ist das wirklich der schlechteste Film aller Zeiten?

03.12.2015 - 08:50 UhrVor 7 Jahren aktualisiert
Freshtorge und Gefolgschaft in Kartoffelsalat – Nicht fragen!Take25 Pictures/20th Century Fox
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Glaubt man den Nutzer-Bewertungen der IMDb, gibt es keinen schlechteren Film als Kartoffelsalat. Doch statt deutsche YouTube-Stars und ihre Kinoambitionen von vornherein abzulehnen, lohnt sich eine ernsthafte Beschäftigung mit ihnen.

Der erste Witz war die Ankündigung eines Kinofilms von und mit deutschen YouTube-Stars, der zweite sein Titel: Kartoffelsalat - Nicht fragen! verspricht programmatischen Nonsens und bedarf wohl tatsächlich keiner Erklärung. Den dritten von, man ahnt es schon, zahlreichen weiteren Witzen haben die Macher ebenfalls ausgelagert. Ihrer Geschichte um einen Taugenichts und seiner von Zombies bevölkerten Realschule stellen sie lustige Schrifttafeln voran: "Dieser Film basiert auf einem wahren Salat", steht da geschrieben, "aus Respekt gegenüber den Überlebenden wurden einige Zutaten geändert". Wenn schon derart gelacht werden soll, bevor es überhaupt losgeht, lässt sich Kartoffelsalat vielleicht am ehesten als Film zum Witz begreifen. Er nahm seinen Anfang auf YouTube und ist dort eigentlich auch ziemlich gut aufgehoben. Und für die Idee, ihn trotzdem konvertieren und ins Kino bringen zu wollen, muss man auch schon mal die Vorspannmusik runterfahren, um einen Gag zu akzentuieren.

Experimente, theoretisch

Nicht fragen, sondern machen. Das ist das Motto von Torge Oelrich alias Freshtorge. Mehr als 1,5 Millionen Abonnenten verfolgen seinen Freshaltefolie  genannten YouTube-Kanal, auf dem er seit sechs Jahren recht sympathischen Unsinn fabriziert. Oelrich schlüpft dort in Frauenkleider, parodiert Reality-TV-Formate und Musikvideos, trällert und hysterisiert sich durchs schleswig-holsteinische Wesselburen. Er ist ein aufgekratzter Junge vom Land, der seine Langeweile produktiv zu machen versteht, und hat als einer der ersten deutschen YouTuber erkannt, dass man diese lustige Nahbarkeit gut vermarkten kann. Hinter dem unbeholfen wirkenden Charme solcher Witzeleien steckt zumeist eine reibungslos arbeitende Maschine, die streng von Multi-Channel-Netzwerken wie Mediakraft überwacht wird, ihren Künstlern nach eigenen Aussagen aber ausreichend Freiheiten gewährt. Eine Nähe zur Zielgruppe stellt sie gerade dadurch her, dass sie weitgehend unsichtbar bleibt.

Inwieweit Torge Oelrich sein Herzensprojekt Kartoffelsalat mit dem Vertragspartner Mediakraft abstimmen musste, lässt sich von außen nicht nachvollziehen. Anders als "Die Lochis" Heiko und Roman Lochmann, deren Komödie Bruder vor Luder von Constantin Film produziert wurde, lehnte er die Beteiligung eines großen Verleihs ab. Das ist insofern bemerkenswert, als diese Entscheidung ihm theoretisch Experimente ermöglicht hätte, für die es im längst durchweg professionalisierten Alltagsgeschäft von YouTube kaum noch Raum gibt. Eine Folge der überwiegend an Skalierbarkeit interessierten Netzwerke sind festgefahrene formale Kategorien wie Haul- und Fakten-Videos, Pranks oder Let’s Plays, in denen sich viele YouTube-Stars bequem eingerichtet haben. Als Live-Ritual zum Produktrepertoire veranstaltet man dann jährlich die Videodays, bei denen sie auf eine Bühne gestellt werden und etwas vorführen sollen...

YouTube als Sehnsuchtsort

Sonderlich experimentell ist Oelrichs Vorhaben, das eigene YouTube-Format kinotauglich zu machen, allerdings nicht ausgefallen. In Michael David Pate, Regisseur des schwäbischen Horrorthrillers Gefällt mir, fand er zwar einen unabhängig von Filmförderungskontexten arbeitenden Unterstützer ohne größere Qualitätskinoambitionen. Mit Otto Waalkes aber verpflichtete er auch ein für den Humor seines Films allzu prägendes Komödienurgestein, dessen Unternehmen TransWaalFilm das Produktionsniveau gegen amateurhafte Bestrebungen verteidigt haben dürfte (zumindest erklärt es Waalkes-Stammdarsteller wie Martin Schneider, Ronald Nitschke oder Norbert Heisterkamp in Nebenrollen). Vor der Kamera hat Oelrich mit Philipp Laude und Oğuz Yılmaz vom Comedy-Trio Y-Titty oder den Mode-Vlogerinnen Dagi Bee und Bianca "Bibi" Heinicke natürlich auch deutsche YouTube-Prominenz versammelt. Selbst "Die Lochis" absolvieren einen Gastauftritt.

Es gibt mehrere Gründe, warum der zwar quälend alberne, aber letztlich harmlose Kartoffelsalat von Nutzern der Internet Movie Database  (IMDb) zum schlechtesten Film aller Zeiten gekürt wurde. Und der triftigste ist zugleich schon der profanste: Die meisten 1-Stern-Stimmen kommen wahrscheinlich von Menschen, die den Film gar nicht gesehen und lediglich im Zuge der negativen Berichterstattung über ihn bewertet haben. Ihr Hass auf junge und vor allem auf ein junges Publikum zugeschnittene YouTube-Stars lässt sich ähnlich erklären wie die damalige Abneigung gegenüber Twilight - Bis(s) zum Morgengrauen: Je undurchdringlicher ein schon rein altersmäßig abgezirkeltes Phänomen, desto größer die Skepsis jener, die außen vor bleiben. Möglicherweise ist es tatsächlich schwer zu vermitteln, dass YouTube für Kinder und Jugendliche nicht nur das ist, was früher einmal Fernsehen, Boygroups oder Ponyhefte waren. Sondern dass es sich dabei um einen identitätstiftenden Sehnsuchtsort handelt.

(K)ein ernsthafter Kinofilm

Dennoch ergeben sich einige Widersprüche aus dem Versuch, diese spezifische Faszination am selbstgemachten Blödsinn – an der Abbildung einer subjektiven Realität und vor allem der vermeintlich authentischen Präsentation dieser Realität und ihres Blödsinns – auf das Kino zu übertragen (mehr dazu hier). Der besondere Reiz von YouTube-Videos ist eng verknüpft mit den beliebigen Zugriffen auf sie, also auch der Möglichkeit, sie kommunikativ und im Sinne sozialer Netzwerke zu nutzen: Alle Aktivitäten muss man als Teil eines größeren, auf sich selbst verlinkenden Bezugsystems verstehen, das der Freiwilligkeit der Partizipation ein durchaus aggressives Prinzip (call to action) entgegensetzt. Nicht zuletzt scheinen alle populären YouTube-Künstler aus gutem Grund darauf bedacht, ihre eigenständig produzierten Videos relativ kurz zu halten: Freshtorge bemüht sich jedenfalls eher schlecht als recht, seine Sketche auf eine Lauflänge von rund 90 Minuten zu strecken.

Im Interview mit einem sich selbst verteidigenden Torge Oelrich (klar: geführt für YouTube ) heißt es, Kartoffelsalat sei ein lustiges "Projekt vom Dorf" und eben kein "ernsthafter Kinofilm". Gemeint ist damit sicherlich weniger, die eigenen Kinoambitionen nicht auch ernst zu nehmen, sondern eine für das deutsche Humorverständnis charakteristische Verweigerung jedweder inhaltlicher Ernsthaftigkeit. Man kann den eigensinnigen Blödsinn von Freshtorge und Gefolgschaft vielleicht gerade deshalb mögen, weil er niemandem außer sich selbst etwas beweisen möchte – um das der Aussage inhärente Missverständnis, Klamauk müsse nicht ernsthaft gelernt sein, ist es trotzdem einigermaßen schade. Obschon Kartoffelsalat mitnichten der schlechteste Film aller Zeiten ist, bleibt er in jeder Beziehung hinter seinen Möglichkeiten zurück. Die plötzlich kinolustigen YouTube-Stars von heute haben nämlich durchaus das Potenzial, den hiesigen Komödienbetrieb von morgen aufzumischen. Sie müssen es nur nutzen.

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