Was haben Steven Spielberg, Christopher Nolan und Martin Scorsese gemeinsam? Abgesehen davon, dass sie zu den einflussreichsten Filmemachern unserer Zeit gehören, vor allem eines: Alle drei sind bekennende Kubrick-Fans. Daher wähne ich – ein völliger Laie – mich in allerbester Gesellschaft, wenn auch ich in diesem Text gestehe: Mein Herz gehört Stanley Kubrick. Doch möchte ich mich weder im Lichte besagter Gesellschaft sonnen noch mit bloßen Autoritätsargumenten aufhalten. Schließlich soll es hier um die mythische Lichtgestalt des Filmemachens gehen, und um meine Verbundenheit zu seinem Werk.
Stanley Kubrick, wer ist das eigentlich? Glücklicherweise bin ich bislang keinem erwachsenen Menschen begegnet, der mir diese Frage gestellt hat. Nehmen wir aber spaßeshalber einmal an, dass tatsächlich jemand von aller filmischen, ja kulturellen, Kenntnis derart unbeleckt ist, eine solche Frage zu stellen. Meine Antwort – nach manueller Justierung meiner Kinnlade – wäre eine zweiteilige: Es gibt den Kubrick der Öffentlichkeit und es gibt meinen persönlichen Kubrick.
Falls unser imaginärer Gesprächspartner nach dieser kryptischen Auskunft immer noch zu einem Gespräch bereit wäre (You still with me?), würde ich zum ersten Teil ausführen: Stanley Kubrick, Liebling von Filmschaffenden und Kritikern, und einer der bedeutsamsten Filmemacher des 20. Jahrhunderts, war Regisseur, Drehbuchautor, Produzent, Special Effects Supervisor, Cutter, und vor allem: Ein gnadenloser Perfektionist. Zur Film-Folklore geworden sind die Geschichten, in denen etwa von seinem Umgang mit anderen Künstlern die Rede ist: Schauspieler, die er manche Szene bis zu 127 Mal wiederholen ließ (und damit einen Weltrekord aufstellte). Oder Crew-Mitglieder, die er vor die Wahl stellte, jede seiner Entscheidungen mitzutragen oder das Set zu verlassen. Und dabei ist die Rede von Entscheidungen wie jener, dass ein Konferenztisch exakt in dem Farbton beschlagen werden soll, der dem Belag eines Billardtisches entspricht – für einen Schwarz-Weiß-Film (Dr. Seltsam, oder wie ich lernte, die Bombe zu lieben).
Doch Kubrick war mit Sicherheit kein Wahnsinniger. Solch anekdotische Momentaufnahmen von der Arbeit an seinen Werken können, wenn überhaupt, nur von seiner unvergleichlichen Hingabe zum Detail zeugen, die sich in jedem seiner Filme zeigt. Wer einmal die perfekt ausgeleuchteten und mit barocker Finesse ausgestatteten Prunksäle in Barry Lyndon bestaunt hat, wer Zeuge der unsagbar real wirkenden Spezialeffekte und Modelle in 2001: Odyssee im Weltraum wurde, weiß, wovon ich spreche. Kubrick wusste offenbar sehr genau, was er tat, und warum er es tat.
Dies wird auch augenfällig bei der Betrachtung der stilistischen Ebene: Gleich einem großen Maler, der sein Gemälde sorgsam durchkonstruiert, bis alle Elemente in einem stimmigen Verhältnis zueinander stehen, ordnet Kubrick, der bei seinen Projekten (mit Ausnahme von Spartacus) stets volle künstlerische Kontrolle beanspruchte, alle Komponenten seiner Filme so an, dass das Endprodukt zu einem wohlausgewogenen Gesamtkunstwerk wird. Neben der Bildsprache (über die ganze Bände geschrieben wurden) kommt eine Schlüsselrolle in diesem Kontext dem Einsatz der Musik zu: In Uhrwerk Orange etwa, dem Gipfel von Kubricks meisterhaftem Gespür für die Wirkung der Audiovision, verbinden sich die universalgeliebten Klänge von Beethovens 9. Sinfonie mit Bildern von Gewalt, Raub und Vergewaltigung. Die Darstellung der Verbrechen ist choreographiert und gleicht beinahe einem wahnsinnigen Tanz, was den Zuschauer direkt in die Erfahrungswelt von Alex und seinen „Droogs“ hineinführt: Tod und Zerstörung als Rausch, illustriert durch die nicht minder ekstatischen Klänge des Orchesters. Freilich irritiert dieser Kontrast zwischen Hochkultur und Subkultur, zwischen (Kultur-)Gut und Schaden aufs Schärfste – was Kubrick allerdings bewusst nicht auflöst.
Womit wir beim zweiten Teil meiner Antwort angelangt wären: Mein Privat-Kubrick ist alles soeben genannte selbstverständlich auch. Er ist jedoch noch weit mehr als der visionäre Planer und kühne Ästhet, als der er Filmgeschichte schrieb. Er ist vor allem jemand, der Geschichten erzählt. Aber keine Märchen mit moralinsaurem Ende! Vielmehr erzählt er seine Geschichten so, dass es am Ende dem Rezipienten überlassen bleibt, sich in kritischer Auseinandersetzung mit dem Gesehenen eine Bedeutung zu erschließen, und eventuell ein Urteil zu fällen. „The very meaninglessness of life forces man to create his own meaning“, so Kubrick in einem Interview. Und diese existenzphilosophische Erkenntnis trägt er durch sein gesamtes Œuvre, emblematisch verkörpert in seinem Opus Magnum 2001, um dessen Sinngehalt noch heute, 45 Jahre nach der Veröffentlichung, leidenschaftliche Diskussionen geführt werden.
Zu den Gründen, aus denen ich persönlich Kubricks Werk so sehr schätze, gehört außerdem eine Reihe weiterer – vornehmlich inhaltlicher – Motive, die sich in den meisten seiner Filme finden: Die Kritik an blinder Autoritätsgläubigkeit, die Macht des Unbewussten, die Absurdität und inhärente Komik des menschlichen Daseins – und, damit verbunden, der tiefgreifende Zynismus, der sich bisweilen in Bitterkeit (Wege zum Ruhm), an anderer Stelle wiederum in Heiterkeit (Dr. Seltsam) niederschlägt. Diese roten Fäden ziehen sich vom Weltkrieg nach Vietnam, von der Vergangenheit bis in die Zukunft, und versehen die höchst verschiedenen einzelnen Filme mit einem alles überspannenden narrativen Bogen. Stanley Kubricks Gesamtwerk ist für mich damit nicht nur ein Höhepunkt filmkünstlerischen Schaffens, sondern auch ein Kaleidoskop menschlicher Existenz und ihrer psychologischen und philosophischen Bedingungen.
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