Nach der erneut großartig inszenierten Folge um Nora Durst war abzusehen, dass sich mit der Rückkehr zum Figurenmosaik in Mapleton ein Qualitätsabriss bemerkbar machen würde, ähnlich wie nach der Folge um Noras Bruder Matt. Ich bin mir nicht unbedingt sicher, inwieweit dies wirklich zutrifft. Mit Sicherheit sinkt die atmosphärische Dichte an Emotionalität und Intensität mit dem Wegfall der Fokussierung auf eine einzelne Person, aber die etablierten Figuren profitieren ebenso von ihrer Einbindung in das Gesamtgefüge. Gleichzeitig zieht The Leftovers in Solace for Tired Feet das Erzähltempo an und führt sämtliche Handlungsstränge weiter. Das Gesamtbild profitiert von der Weiterführung bestehender Handlungsstränge und zusätzlicher Exposition und lässt ein Mosaik entstehen, das – geschmückt mit detailreichen Ablenkungsmanövern und Hinweisen – langsam Sinn ergibt. Zusätzlich zu der dichten Atmosphäre erhalten wir als Zuschauer auch endlich eine Vorahnung, wohin diese Staffel führen könnte.
Doch zuvor müssen wir uns mit den Teenagern abgeben. Lindelof und seine Co-Autoren haben bei der Charakterisierung dieser Figuren und dem Einfluss des Departures auf die Jugendkultur zu dick aufgetragen, während stets präsente Figuren wie die Zwillinge zu sehr ignoriert wurden, als dass diese Szenen auf dem gleichen Niveau mit dem Rest der Serie zu bemessen sind. Trotzdem kann dieser Prolog überzeugen. Als Mutprobe für die Teenies dient ein Kühlschrank im Wald, in dem angeblich ein Mobbing-Opfer bei einem Missbrauch am 14. Oktober verschwand. Es ist eine kleine, urbane Legende, die durchaus authentisch wirkt und sich bei Jugendlichen rumsprechen könnte. Auch Jill (Margaret Qualley) läuft Gefahr dort ihr Leben zu verlieren, als sie bei ihrer Mutprobe droht, im Kühlschrank zu ersticken, nur um dann zu ihrer und unserer Überraschung von ihrem Großvater (Scott Glenn) gerettet zu werden.
The Leftovers vollzieht seine Narrative in episodischer Natur. Alle Folgen sind in sich abgeschlossen und finden Wochen oder manchmal Monate nach den Ereignissen der letzten Episode statt. Diese Struktur funktioniert wunderbar in den Episoden, in denen alles Nebensächliche auf einen Cameo reduziert wird und der Zuschauer einer Person und ihrem Umgang mit dieser Welt folgt. Problematisch wird dies jedoch bei eher lose definierten und bewusst mysteriös gehaltenen Handlungssträngen wie dem um Wayne und Thomas. Man fühlt sich immer nur als Besucher in diesen Szenen und der Elan fehlt deutlich. Dies untergräbt direkt die Dringlichkeit gewisser Storylines. Weiterhin werden andere Punkte nur noch später in Dialogen kurz erwähnt, wie z.B. der Einbruch der GR (“Guilty Remnant”) zu Weihnachten. Andererseits profitiert die Serie von den Sprüngen, indem sehr viel bereits als gesetzt vorgegeben wird und die Welt lebendiger wirkt. Diese Figuren besitzen ein eigenständiges Leben und existieren fernab unserer Beobachtung. So hatten Nora und Kevin bereits mehrere Dates, doch erst als ihre Beziehung in die wichtigen zwischenmenschlichen Territorien abdriftet („I don’t know how to talk to you yet.“), steigen wir bei ihnen ein.
Doch viel Zeit bleibt Kevin in dieser Folge ohnehin nicht für Nora (Carrie Coon). Ihr erster Versuch sich auch körperlich näher zu kommen wird von den GR ruiniert. Nora kann zumindest ein wenig Rache ausüben, in dem sie Meg und ihrer Begleiterin eine kalte Dusche mit dem Gartenschlauch verpasst. Noras trockener Humor und direkter, stolzer Umgang mit ihrer Umwelt tut der Serie wahrhaftig gut. Später bleibt Kevin dann keine Zeit mehr, denn sein Vater ist aus der Anstalt entflohen. Ein kurzer Besuch bei der Bürgermeisterin vermittelt am Rande, dass auch ihre Beziehung mit dem ehemaligen Polizeichef vorüber ist. Doch wichtiger: Der Vater sucht seinen Sohn. Nicht nur die früheren Delikte von Großvater Garvey offenbaren die Dringlichkeit seiner Festnahme, sondern auch seine gewalttätigen Übergriffe auf einen ehemaligen Mitarbeiter und Randale in der örtlichen Bibliothek verdeutlichen den tiefen, mentalen Fall des schizophrenen Patienten.
Als Kulisse dieser tragenden Haupthandlung dient ein stiller Kampf der örtlichen Christen um Pfarrer Matt Jamison und Pattis Guilty Remnant. Die Gläubigen pflastern die Stadt nämlich mit großen Plakaten voll, auf denen Gladys mit der großen Aufschrift “Save Them” zu sehen ist. Später in der Folge rennen wir mit Chief Garvey einen Protest der GR. Diese haben, wie im Prolog zu sehen war, die Plakate von Wänden und Gemäuer entfernt und mit der Addition “Don’t” versehen. Dieser Konflikt findet sicherlich, wie an der Infrastruktur in Jamisons Haus zu sehen ist, bereits länger statt. Es ist ungemein erfreulich, dass sich die Serie nicht von Woche zu Woche an den gleichen Themen und Konfliktlinien abarbeitet, diese jedoch für den Zuschauer im Hintergrund sichtbar weiter schwelen lässt.