Der erste Tag begann mit der Verleihung des Nippon Honor Awards an Regisseur
Kiyoshi Kurosawa, der dieses Jahr gleich mit drei Filmen auf dem japanischen
Filmfest vertreten ist. Nach endlos erscheinendem Sponsorengebrabbel des
Festvals und einer wohlklingenden Dankesrede Kurosawas durfte dann auch der
erste Film auf dem Programmplan laufen: Gewinner Kiyoshi Kurosawas Journey to the Shore.
In seiner Antrittsrede beschrieb Kurosawa seinen Film als ein Experiment: „Ich
konnte nie die Filme drehen, die ich wollte. Immer musste ich die Filme machen,
die der Situation und ihren Widrigkeiten
geschuldet waren.“ So führte ein Weg zum anderen, ein Film zum nächsten.
Und doch haben viele seiner Werke eines gemeinsam: den Tod. „Man könne Geister
gut durch Lebende darstellen“, erklärte
er mit leicht süffisantem Lächeln. In seinem Liebesdrama Journey to the Shore
macht er dabei wieder genau das, verzichtet aber bewusst auf einen etwaigen Schaueraspekt
wie etwa in Cure. Und noch immer
bin ich mir uneinig, ob das Experiment nun geglückt ist, oder es an der
Handschrift des Regisseurs zum Scheitern verurteilt ist.
Der Film handelt von Yusuke (Tadanobu Asano), der vor drei Jahren starb. Als er plötzlich vor der Tür seiner Frau Mizuki (Eri Fukatsu) auftaucht, ist diese erstaunlich wenig überrascht. Zwar zögert sie bei der Bitte, Yusuke auf eine geheimnisvolle Reise zu begleiten - in der Hoffnung Antworten zu erhalten, willigt Mizuki jedoch ein und begibt sich auf eine Reise in die Vergangenheit. Diese endet aber anders, als sie es sich erhofft ...
Journey to the Shore gleicht einer Achterbahnfahrt der
Gefühle. Es ist eine Liebesgeschichte, die jedoch vorrangig von einer kühlen
Distanz beherrscht wird, mit der ich Kurosawas Werke stets verbinde. Etwas, das der Film nicht abschütteln kann oder will
und es einem so schwer macht, in die Geschichte einzufinden. Hier treffen zwei
Liebende aufeinander, die sich vor langer Zeit ‚verloren‘ haben und doch steht
noch immer etwas zwischen ihnen. Etwas, für das sie Zeit brauchen, um zu
verstehen. Um die richtigen Worte zu finden.
Da sich der Film gängigen Konventionen verweigert und eine ganz eigene Methodik
entwickelt, seine Gefühle zur Sprache zu bringen, eckt er natürlich
zwangsläufig an. Grenzen verschwimmen und der eigenen Wahrnehmung lässt sich
nicht mehr trauen. Plötzlich ist etwas verschwunden, was vor kurzem noch dort
war und Yusuke offenbart Mizuki neue Einsichten in sein Leben. Doch was ist
dabei echt und was nicht? Wo verleiten die Gefühle für jemanden zu irrationalen
Gedankengängen, die keinen Sinn ergeben und dennoch so erfüllend sind, dass
eine Träne über die Wange rinnt? Und was ist überhaupt Vergebung? Das ist die
zentrale Frage, mit der sich Kurosawa hier beschäftigt. Die Frage, die in
vielen kleinen Stationen aufgearbeitet wird und dessen Antwort im Kern simpel
ist. Man muss sie nur über die Lippen und vor allem übers Herz bringen.
Journey to the Shore verlangt danach, mit Genuss verschlungen zu werden. Denn dieses Drama schleppt man noch lange mit sich herum. Zumindest in diesem Sinne ist von einem geglückten Experiment zu sprechen.
Mit dem zweiten Tag wurde das künstlerisch betonte Motto des
ersten Tages zunächst fortgeführt. Shion Sonos The Whispering Star, ein für Sono-Verhältnisse poetisches, bildgewaltiges
und völlig entspektakelisiertes Weltraumdrama über eine einsame Postbotin (Megumi Kagurazaka), die
über Jahrzehnte hinweg die Pakte des kleinen Menschen ausliefert, von denen es
nur noch wenige gibt und welche versprengt im Universum hausen. Es sind kleine
Habseligkeiten, die Yoko Suzuki ausliefert und doch sind selbst die
alltäglichsten Dinge mit Unschuld behaftet, die an vergangene Zeiten erinnern.
In einer Galaxie, in der die Menschheit so viele Fehlentscheidungen getroffen
hat, dass es kein Wunder ist, um wie viel sie sich selbst reduziert hat. Und doch ist
es kein maschineller Aufstand den Sono hier proben könnte, vielmehr zeichnet er
mittels kleiner Einzelschicksale ein Bild der japanischen Gesellschaft ab, das
noch immer mit den Ereignissen vor fünf Jahren in Fukushima kämpft. Die Wunde
ist tief und scheint für viele Filmemacher auf der diesjährigen Nippon Connection noch immer frisch zu sein. Denn auch der am Vortag gezeigte
Independentfilm My Technicolor Girl
von Rei Sakamoto zeigt ein ähnliches Bild der von der Nuklear- und Naturkatastrophe
gebeutelten Gesellschaft. Irgendwie kämpfen die Menschen um ihren Wohnraum,
doch die meisten sind fort. Fortgezogen und in Sicherheit. Vereinzelt gibt es
jedoch welche, die standhaft bleiben und wie Motten vom Licht angezogen werden.
Die sich weigern aufzugeben. Es ist dieser vorsichtige Optimismus, der sich in
den meist traurigen Bildern Sonos widerspiegelt, wohingegen My Technicolor Girl
ein gänzlich ungeschöntes Bild abliefert. Die ehemals evakuierten Wohngebiete
mögen zwar wieder bewohnbar sein, doch was sollen die Menschen dort noch „wenn
es doch keine Krankenhäuser oder Geschäfte mehr gibt?“, wie es ein
Nebencharakter so treffend beschreibt. Es wird wohl noch eine ganze Weile
dauern, ehe sich die japanische Gesellschaft von der Katastrophe erholt.
Um den Zuschauer jedoch nicht von gänzlich pessimistischen
Tönen zu erdrücken, standen noch drei weitere Filme auf dem Programm, die mit vollständig
kontrollierten Bildern Psychoterror heraufbeschworen (Creepy), ein
exploitatives 90ies-Feeling (Gonin Saga) und Metaebenen, die einen gehörig vor
den Kopf stießen (Pink and Gray) und ablenken sollten. Aber dazu mehr in meinen knappen
Nippon Connection Short Reports unter den jeweiligen Filmen. Irgendwann muss
auch ich mal schlafen, wenn die Uhr 04:00 anzeigt und morgen wieder ein Haufen
Filme auf mich warten ...
Abschließend und weil ich darauf ja auch den größten Wert
gelegt habe - meine bisherigen (schauspielerischen) Neuentdeckungen des
japanischen Kinos:
1. Tadanobu Asano – Journey to the Shore: Er ist gerade einmal wenige Minuten im Bild und hat schon sämtliche Kontrolle an sich gerissen. Und das noch nicht einmal mit Absicht: Asano spielt mit einem so subtilen Charisma, dass ich über einige Schwächen des Films hinwegsehe. Ich bin zutiefst beeindruckt und freue mich schon auf weitere Filme mit ihm!
2. Megumi Kagurazaka – The Whispering Star: Sie spielt den Androiden Yoko Suzuki, eine Paketauslieferin in den Weiten des Alls. Sonos neuer Streich ist so befreit von ausufernden Elementen, wie ihn die meisten gar nicht kennen. Und im Zentrum steht Megumi Kagurazaka, die ohne viel Zutun dem Ganzen so eine angenehme Ruhe schenkt, ohne dass der Film dabei langweilig erscheint. Hach, ganz toll.
3. Gonin 1 & 2: Nachdem ich nun die Fortsetzung von 2015 gesehen habe und diese anfangs mit unzähligen Rückblenden ausgeschmückt war, habe ich vermehrt Interesse am 90er Jahre Gangsterkino Japans entwickelt. Ich stehe total auf diesen grobschlächtigen Stil und werde mir infolgedessen mindestens die beiden Ursprungsfilme ansehen müssen. Für weitere Empfehlungen in der Richtung bin ich offen.
Das war es vorerst von mir. Bisher macht die Nippon
Connection verdammt viel Spaß, auch wenn mir noch nicht die glänzende Perle
untergekommen ist, auf die ich so gehofft habe. Aber es sind ja noch ein paar
Tage und vielleicht lest ihr dafür im nächsten Bericht von einem kleinen großen
Meisterwerk.
Da es bei mir zeittechnisch und organisatorisch leider nie so recht für ausführliche Meinungen ausreicht, verweise ich mal ganz dreist auf meinen Twitteraccount , von dem aus ich über alles Nennenswerte zeitnah berichte.
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