Ich habe in der Vergangenheit bereits einige Kurzfilme auf die Beine gestellt. Dies waren Filme, die im Rahmen von 48 Stunden Wettbewerben entstanden sind . Hier werden Freitagabend Genre und Pflichttitel oder, je nach Wettbewerb, Pflichtrequisiten vorgeben. Die soll verhindern, dass der Kurzfilm vorproduziert wird, und stellt nebenbei noch die eigene Kreativität auf die Probe. Sonntagabend wird dann ein mehr oder weniger rundes Werk abgeliefert.
Ich hatte schon lange den Wunsch, einen Film zu drehen, bei dem ich mir alle Zeit der Welt nehmen durfte. Alle meine Erfahrungen als Kameramann, Cutter und ausgebildeter Mediengestalter sollten in diesen Film einfließen. Etliche Drehbücher hatte ich schon gelesen, viele Geschichten auf Machbarkeit abgeklopft. Ich hatte keine Lust auf eine alltägliche Geschichte, schon gar nicht mit einem Happy End; das Leben bietet ein solches ja bekanntlich auch nicht.
Wie die Geschichte zu uns fand
Ein befreundeter Deutschlehrer, der nicht nur beruflich mit vielen unterschiedlichen Arten von Texten zu tun hat, wollte schon länger ein Drehbuch schreiben. Er war es auch, der die Kurzgeschichte „Nach dem Dessert“ vom Autor Winfried Thamm auf einer Lesung im Sommer 2011 entdeckt hat. Auf dieser Lesung fielen die verhängnisvollen Worte, die meine Aufmerksamkeit erhaschten: „Dieser Mann hat den Tod verdient“. Dieser Satz einer Dame aus dem Publikum enttarnte sie. Ganz offensichtlich hatte sie die Geschichte nicht verstanden. Und genau das, war es, was es für mich so spannend machte. Die Geschichte polarisiert, der Protagonist ruft Verachtung und in gewissem Maße auch Mitleid aus. Die einen wünschen ihm den Tod, die anderen zeigen Unverständnis über solche Forderungen. Missbrauch an Kindern ist nicht erst seit gestern ein Thema in der Gesellschaft.
Es
dauerte allerdings noch einige Monate, bis wir die Rechte an der
Kurzgeschichte bekamen. Dies lag
nicht an schwierigen Verhandlungen, diese dauerten kaum länger als
eine Kaffeepause, vielmehr war es schwieriger als gedacht, mit dem
Autor Kontakt aufzunehmen. Die
einzige
Kontaktmöglichkeit war
der
Facebook-Account
des Autors. Und dieser wurde, wie wir erst
später
erfahren haben, unregelmäßig
auf neue Nachrichten kontrolliert.
Nachdem
wir nun die Geschichte
als Grundlage hatten, ging die eigentliche Arbeit los. Das
Produktionsteam war schnell zusammengestellt. Der Autor Winfried
Thamm, der Drehbuchautor Johannes Lingnau waren
sofort
an Board. Bernadette Siebers, studierte Event Managerin und bereits
für die Organisation einiger meiner 48 Stunden Kurzfilme
verantwortlich, sagte ohne zu zögern für
die Produktionsleitung
zu. Uns war klar, dass unser Budget die größte Herausforderung war.
Wir schmissen aus unseren
eigenen Taschen Geld in die Kasse und hatten somit ein knappes Budget zur Verfügung,
mit dem eine „normale“ Produktion noch nicht einmal die
Kameramiete bewältigt bekommt.
Mit Ausnahme von Catering und etwas
Verbrauchsmaterial
durfte nichts Geld kosten.
Fabian
Beeren, Essener
Komponist, hatte bereits bei früheren
gemeinsamen
Projekten
sein Können unter Beweis gestellt. Er würde uns einen Soundtrack
abliefern, der diesem Thema gerecht werden würde. Schwieriger
gestaltete sich die Suche nach
den
Schauspielern.
Kaum Budget und
ein heißes
Thema
waren die größten Hürden. Vittorio Alfieri, bekannt aus der ZDF-Serie Wilsberg war es
schließlich,
der sich
unserer Herausforderung stellte und die schwere
Rolle
des Vaters spielte.
Der Filmstab wuchs, Lücken wurden geschlossen. Wenige
Wochen
vor Drehbeginn sagte uns eine
Schauspielerin ab. Kein Grund zur Panik, unter Zeitdruck arbeiten
konnten wir. Und so fanden wir auch hierfür eine Lösung. Emilie Haus, sie studiert Schauspiel in Paris, sagte uns kurzfristig für
die Rolle der Tochter zu.
Der Filmtitel beugt sich dem Budget
Parallel
wurde das Drehbuch ausgefeilt, Drehpläne und
Storyboard erstellt.
Am
Drehort
gab es nichts zu rütteln. Für
die Location hatte
ich mich schon
entschieden. Dort
oder gar nicht! Ein Anwesen im Essener Süden, dass
wie die Faust aufs Auge zu unserem Familiendrama passte und
ich schon vor einigen Jahren vor der Kamera hatte.
Damals
dachte ich:
„Was für eine Location, hier will ich mal ein Film
drehen!“ Der Besitzer ließ sich zum
Glück schnell
für unser Projekt begeistern.
Aus
Erfahrung wusste ich,
dass es schwierig ist, eine Crew über Monate oder Jahre bei der
Stange zu halten. Die Dreharbeiten mussten
eng beieinander liegen.
Das Drehbuch und die Organisation waren bereits so weit
fortgeschritten, dass ich mir sicher war, alles an einem Wochenende
zu schaffen. Umso mehr
bedurfte es
einer akribischen Vorbereitung. Bernadette, unsere
Produktionsleitung, blühte auf, je näher die Dreharbeiten rückten.
Komparsen suchen, Requisiten besorgen, Verträge formulieren und
Rechte klären, Ausrüstung für „Umme“ leihen
und
vieles mehr.
Und
niemals das Budget aus den Augen verlieren. Dies
war auch der Grund, warum
der Filmtitel Venedig nur mit dir nicht der Vorlage „Nach dem
Dessert“ folgte. Es stand
kein Geld zur Verfügung, um ein Dessert für unsere
Geburtstagsgesellschaft vor die Kamera zu zaubern. Der
Drehtermin wurde auf das
letzte Wochenende in den Sommerferien 2012
gelegt,
ein Jahr nach der Lesung.
In Abendgaderobe bei 43 Grad im Schatten
Eine
Woche vor
Drehbeginn
wurde
noch am
Drehbuch gearbeitet
und
die
ersten
Requisiten zur
Location organisiert. Rückschläge
konnten uns da nicht mehr aus
der Bahn werfen. Unser Lichtmeister hatte einen bezahlten Job rein
bekommen und stand uns nur noch am Tag vor den Dreharbeiten zur
Verfügung. Die Komparsenrollen waren noch nicht komplett besetzt und
nicht jeder Darsteller
hatte
einen Anzug zur Verfügung. Und dann das Wetter! Dies hatte ich schon
die ganze Woche im Blick, da
wir Außendrehs geplant hatten. Montag 25°, Mittwoch 30°,
Donnerstag 35° und für den Samstag wurden 40° vorausgesagt, der
Drehtag, an dem es
richtig voll werden würde
am Set.
Mein
Adrenalinspiegel stieg.
Habe ich an alles gedacht,
nichts vergessen? Nachdrehs
waren nicht möglich. Wir
hatten einen Plan B für Regenwetter (hatte sich dann wohl erledigt),
einen Drehplan, der auch die kleinste Schraube für die Ausrüstung
aufzählte und ein
Catering,
das auch die letzten Zweifel in Vergessenheit geraten ließ. Für den
Freitag,
den ersten
Drehtag, hatten wir kleinere Szenen geplant.
So gewöhnte sich die
Crew
aneinander. Für
Aufregung sorgte ein Anruf des Equipmentverleihers,
der einen Teil der
Ausrüstung
überraschend zurück brauchte. Unangenehm!
Samstag,
Großkampftag, 43°
im Schatten, der
heißeste Tag des
Jahres, 40
Leute am Set! Die riesige Südglasfront des
Wohnzimmers
unserer Filmfamilie machte es uns nicht leicht.
Jede
Drehpause wurde genutzt, um sich auf der schattigen Terrasse
abzukühlen. Die Hauptdarsteller hatten ihren Lieblingsplatz im
Souterrain des Hauses gefunden, in dem sich auch die Maske
befand.
Hier herrschten „angenehme“ 34°.
Für
Schweiß auf meiner Stirn sorgten nicht nur die Temperaturen.
Ich habe Regie
und
Kamera geführt.
Licht
musste ich ja nun auch selber setzen. Keine der Aufgaben war mir neu. Als fest angestellter DoP einer Werbe- und
Imagefilmproduktion war ich, was das angeht, geübt. Von daher wusste
ich, auf was ich mich einlasse. Möglich wurde dieser
Kraftakt
aber nur, weil es viele Leute im Hintergrund gab, die mir den Rücken
freigehalten haben.
Trotz
aller Umstände verlief der Samstag weitgehend verlustfrei.
Einmal wurden wir zur Drehpause gezwungen, als unser Tonmeister Teile
der
Dekoration
auf
der
Festtafel mit Schmackes abräumte. Die
schweißtreibenden Temperaturen sieht man dem Film zum Glück nicht
an. Nachdem die Szenen mit den Darstellern am Abend im Kasten waren,
war
für
uns noch lange nicht Schluss. Wir hatten uns noch ein paar
Einstellungen für den Abspann auf die Fahnen geschrieben und der
Sonntag musste auch noch vorbereitet werden. Erst weit nach
Mitternacht sahen wir ein
Bett
am Ende des Tunnels.
Unser
letzter Drehtag hatte es noch mal
in
sich. Viele kleine Szenen, die eng getaktet waren. Immerhin
stagnierten die Außentemperaturen, wenn auch auf hohem Niveau. Für
Abkühlung
sorgte nur
der
Dreh der
Schlussszene
im Keller des Hauses. Hier herrschten angenehme 28°! Was ich
überhaupt nicht auf dem Schirm hatte, war, dass unser Drehort zum
Montagmorgen wieder in den Ursprungszustand gebracht werden musste.
Ein
Jahr Vorbereitung und ein langes Wochenende mit Dutzenden Leuten am Set, hatten
bis
zum Drehschluss am späten Sonntagabend ihre
Spuren hinterlassen.
Die Kür verpflichtet
Geschafft!
Leider nicht ganz. Denn die Dreharbeiten waren nur eine Seite der
Medaille. Jetzt begann die Postproduktion.
Zwar
habe ich Schnitt gelernt,
aber es gibt Tausende, die es besser können. Vor dem Hintergrund
habe ich es ruhig angehen lassen. Ich habe bewusst auf ein
Effektgewitter
verzichtet, der
dem Film auch nicht gestanden hätte.
Mein Rechner war auch nicht mehr der neueste und quittierte
jede
Änderung mit einer Auszeit zum Rendern.
Was ich am dringendsten brauchte, war eine Deadline, einen Termin, auf den ich hinarbeiten konnte. Ein gutes Jahr nach den Dreharbeiten sollte die Premiere des Films gefeiert werden. Ein Kinosaal dafür war, ebenso wie der Drehort, schon weit vor den Dreharbeiten gefunden. Das historische Filmstudio in Essen bietet den ältesten Kinosaal des Ruhrgebiets. Schnell hatten wir die Zusage des Betreibers. Nun mussten wir nur noch die 250 Plätze füllen. Wir hatten schon früh die Werbetrommel gerührt, ein großer Artikel über unseren Film im Kulturteil der WAZ half uns dabei.
Am 23. Juni 2013 war es dann so weit, nachdem ich noch am Vorabend die letzten Feinheiten im Schnitt regelte. Endlich wurden wir für all unsere Mühe entlohnt. Venedig nur mit dir feierte, vor einem vollen Kinosaal, und in einem schönen Rahmenprogramm, Premiere!