René Goscinny starb 1977 im Alter von 51 Jahren. Seine Tochter Anne war damals gerade mal neun Jahre alt. Die Abenteuer des kleinen Nick sind für sie heute eine Möglichkeit, ihren Vater besser kennen zu lernen. Im Gespräch erzählt Anne Goscinny von ihrer Kindheit mit einigen der berühmtesten Comicfiguren der Welt und die Begeisterung, die der kleine Nick auch heute noch erzeugt.
Auszüge aus dem Interview mit Anne Goscinny
Wie erklären Sie sich die anhaltende Begeisterung so vieler Menschen für den kleinen Nick?
Anne Goscinny: "Da gibt es viele mögliche Erklärungen. Die Welt des kleinen Nick ist zwar in sich abgeschlossen, aber sie ist nicht statisch und langweilig oder etwa beängstigend. Fernsehen und Radio kommen so gut wie gar nicht vor, und es gibt praktisch auch kein Telefon. Dies ist eine Welt, die sich selbst genügt; die Figuren darin leben in Autarkie. Man geht von zu Hause zur Schule, danach trifft man sich auf dem Baugrundstück, und dann geht man wieder nach Hause. Und die Beziehungen der Figuren untereinander sind sehr stabil und geben Vertrauen. Zum Beispiel ist nie von Scheidung die Rede, wenn die Eltern sich streiten; am Ende gibt es einen Apfelkuchen, der die Versöhnung besiegelt. Das Kind, ob es nun Leser oder Zuschauer – oder eine der Figuren – ist, hat niemals Grund, sich wirklich zu ängstigen. Der andere Grund liegt in der Sprache und dem benutzten Vokabular. In Der kleine Nick ist die Sprache wie eine weitere Figur, sie spielt eine Hauptrolle. Das machte übrigens die Umsetzung fürs Kino auch so schwierig. Die Sprache ist niemals vulgär; das sprachliche Feld ist sicherlich etwas altmodisch, zum Beispiel sagt heute kein Kind mehr “Prima!”. Aber letztlich zeigt das, dass Nicks Abenteuer, ihr Humor und das Interesse, auf das sie bei den Jungen und nicht mehr ganz so Jungen stoßen, mit den aktuellen sprachlichen Entwicklungen Schritt halten können."
Was für ein Verhältnis haben Sie zu diesem Werk, mit dem Sie ja aufgewachsen sind? Was bedeutet es für Sie?
Anne Goscinny: "Ich empfinde zu allen Arbeiten meines Vaters, ob “Asterix” oder “Lucky Luke”, ob “Isnogud der Großwesir” oder “Der kleine Nick”, große Zuneigung, wenn auch auf unterschiedliche Art und Weise. Von mir zu verlangen, mich für einen Favoriten zu entscheiden, ist dasselbe, als wenn ich zwischen meinem Sohn und meiner Tochter wählen müsste! Als es um die “Asterix”-Filme ging, hat mir das Ganze Spaß gemacht. Aber Der kleine Nick hat einen Sonderstatus, und zwar aus zwei Gründen. Zunächst einmal sind wir alle keine Gallier, keine Cowboys und auch keine Großwesire gewesen; aber Kinder, das waren wir alle mal. Das festzustellen, ist gleichzeitig ganz offensichtlich, aber auch ungewöhnlich, und es hat mich zu der Vorstellung geführt, dass in der Figur des kleinen Nick sehr viel von meinem Vater steckt. Er starb, als ich neun Jahre alt war, und er hatte deshalb keine Gelegenheit, mir viel von seiner Kindheit zu erzählen. Für mich ist “Der kleine Nick” der einzige Zugang zu seiner Kindheit. Wahrscheinlich ist diese Lesart der Texte der Grund dafür, dass ich mich ihnen so verbunden fühle. Außerdem wollte meine Mutter, dass auf dem Grabstein meines Vaters als Beruf einfach “Schriftsteller” stehen sollte. Und das ganze Ausmaß seines Talents hat mein Vater ja mit “Der kleine Nick” unter Beweis gestellt. In “Der kleine Nick” vermischen sich so die geheime Berufung meines Vaters und die Erinnerungen an seine Kindheit."
Was, glauben Sie, hätte Ihr Vater von diesem Film gehalten?
Anne Goscinny: "Mein Vater ist seit über 30 Jahren tot und hält nichts mehr von irgendetwas, und ich denke auch nicht für ihn – ich denke für mich selbst! Ich spüre auch nicht mehr die Notwendigkeit, mich davon freizumachen, dass ich die Tochter eines so großen Mannes bin. Ich folge meinem eigenen Weg und lerne, nicht in dem Schatten zu leben, den das übergroße Genie meines Vaters wirft, und stattdessen im Licht seines Humors zu leben, das heute noch ausstrahlt – wie es diese neuerliche Bearbeitung seiner Werke zeigt. Nach seinem abrupten Verschwinden sagte meine Mutter zu mir, es sei doch besser, neun Jahre mit so einem wunderbaren Vater gelebt zu haben als dreißig Jahre mit einem Mistkerl. Damals dachte ich, mir wäre es lieber gewesen, wenn er ein wenig mehr ein Mistkerl und dafür etwas weniger tot gewesen wäre. Heute sage ich mir, dass mir das auch die Chance eröffnet hat, auch dreißig Jahre nach seinem Tod mit ihm zu lachen. Es reicht, “Asterix”, den kleinen Nick oder “Lucky Luke” wieder zu lesen, um laut loszulachen oder zumindest zu schmunzeln. Manchmal lache ich mit Tränen in den Augen, ohne dass ich wirklich sagen könnte, ob es Lachtränen sind oder ob die Tränen schon vor dem Lachen kamen."
Was wird der Film dem Publikum geben?
Anne Goscinny: “Ich bin Literaturliebhaberin, und deshalb glaube ich, dass der Film vielen den Zugang zu den Büchern vom kleinen Nick erleichtern wird. Es gibt so viele Beispiele von Kindern – und auch von Erwachsenen –, die zu einem Buch gekommen sind, nachdem sie den Film gesehen hatten, der darauf beruht. Ich bin sehr glücklich über dieses Abenteuer und darüber, dass sich die Wege des kleinen Nick mit denen von Laurent Tirard und Grégoire Vigneron und natürlich auch von Marc Missonnier und Olivier Delbosc gekreuzt haben.”
Mit Material von Central Publicity