Berlinale 2018 - Willem Dafoe, der Mann, der seine Wäsche selbst macht

21.02.2018 - 09:15 UhrVor 6 Jahren aktualisiert
Willem Dafoe in Florida ProjectProkino (Fox)
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Nachdem er kürzlich für The Florida Project seine dritte Oscar-Nominierung erhalten hat, widmet die Berlinale 2018 ihre Hommage dem Schauspieler Willem Dafoe, der seine Wäsche am liebsten selbst macht.

Es ist wahrlich das überraschendste Detail, das dem kürzlich im The Hollywood Reporter  erschienen Porträt über Willem Dafoe zu entnehmen ist: Seine Wäsche, die macht er am liebsten selbst. Natürlich gehört auch ein gemütlicher Spaziergang durch die Nachbarschaft zu seinen präferierten Freizeitbeschäftigungen, ebenso die Lektüre eines guten Buches. Doch wenn er wirklich entspannen und zu sich finden will, dann kann nicht einmal die morgendliche Meditation oder eine Runde Yoga mit der Säuberung getragener Klamotten mithalten. "Es ist eines meiner größten Vergnügen", erklärt der 62-jährige Schauspieler, der für Florida Project seine inzwischen dritte Oscar-Nominierung erhalten hat, ohne jemals zum richtigen Filmstar zu werden. So unerwartet die Aussage auf den ersten Blick daherkommt, offenbart sie sich auf den zweiten als das Willem Dafoe-igste, was Willem Dafoe jemals sagen würde.

In Waschsalons erlebt er die einprägsamsten Begegnungen, womöglich solche, bei denen er völlig unerkannt in der Ecke sitzt und sich auf ein unvoreingenommenes Gespräch einlässt, ohne mit vermeintlichen Verpflichtungen einer berühmten Persönlichkeit konfrontiert zu werden. Obwohl Willem Dafoe im Lauf der knapp vier Dekaden, in denen er sich in den unterschiedlichsten Rollen vor der Kamera bewegte, Schauspiel-Credits in weit mehr als 100 Produktion vorweisen kann, gehört sein Gesicht nicht zu jenen, die wir mit dem Scheinwerferlicht roter Teppiche verbinden. Unvergesslich sind die dennoch, diese Augen, die einen stets bis ins Innerste durchdringen. Die Mundwinkel, die gleichermaßen zur angsteinflößenden Grimasse wie einem herzlichen Grinsen werden können. Das voluminöse Haar, das ihn auf der einen Seite wie eine dominierende Instanz wirken lässt, während es auf der anderen Seite eine gewisse Verletzlichkeit zum Ausdruck bringt.

Willem Dafoe in Leben und Sterben in L.A.

In Willem Dafoes Gesicht könnte man sich stundenlang verlieren, ohne auch nur eine seiner Darbietungen gesehen zu haben. Wer sich jedoch mit seinem Schaffen beschäftigt, entdeckt eine der aufregendsten Filmographien, die es aktuell zu entdecken gibt. Denn während sich bei anderen Schauspielkolleginnen und -kollegen bei genauer Betrachtung klare Phasen, Themen und Motive herauskristallisieren, erstreckt sich Willem Dafoes Leidenschaft für die Schauspielerei in einem bemerkenswertem Spektrum, das sich keiner Einheit unterwerfen will. Mit der gleichen Begeisterung mimt er die gequälte Regie-Legende Pier Paolo Pasolini, wie er sich den Leiden von Jesus Christus annähert. Er wird zum Max Schreck, zum Vietnam-Soldaten und jenen exzentrischen Persönlichkeiten, die er wiederholt in Filmen von Wes Anderson spielt. Seine Stimme darf dabei natürlich nicht unerwähnt bleiben: Knurrig, rau, murmelnd, nachdenklich und trotzdem mit großer Güte und Weisheit ausgestattet verewigt er sich in unseren Gehörgängen.

In Der fantastische Mr. Fox reichen wenigen Augenblicke und ein Schatten in der Kanalisation, um seine Stop-Motion-Ratte als zwielichtige, bedrohliche Präsenz zum Leben zu erwecken. Die gleiche ungewisse Aura versprüht er ebenfalls durch wohl überlegt formulierte Worte auf der Suche nach einem Clownfisch, während er gleichzeitig Herz und Hingabe durchblitzen lässt. In Hollywood findet er sich derweil am ehesten als charismatischer Antagonist wieder, wird zur Vaterfigur von Peter Parker und später zum tragischen Gegenspieler Spider-Mans. Willem Dafoe gehört zu jenen Schauspielern, denen es gelingt, binnen weniger Sekunden ihre Figuren komplett zu formulieren, ohne deren Entwicklung vorwegzunehmen. Selbst ein Enfant terrible wie Lars von Trier zerschellt an seiner innerer Ruhe. Mit Sicher- und Gelassenheit steht Willem Dafoe im Zweifelsfall als letzter Fells in der Brandung, während um ihn herum der Wald zur albtraumhaften Umgebung mutiert.

Willem Dafoe in Mississippi Burning

So trifft das schmerzverzerrte Gesicht aus Antichrist auf die müden Augen von Detective Hank Havenhurst, der unter der eigenwilligen Regie von Werner Herzog ermittelt, dicht gefolgt von kleinen Auftritten in diversen Franchise-Vehikeln à la John Carter - Zwischen zwei Welten und Justice League. Zwar hat er es im Fall letztgenannter Superhelden-Verfilmung nicht in die endgültige Schnittfassung geschafft, unproduktiv war Willem Dafoe im vergangenen Jahr trotzdem nicht: Eine persönliche Höchstleistung von acht (!) Filmen stehen seit wenigen Monaten für 2017 in seiner Vita, darunter ebenfalls die Erzählung zweier Dokumentarfilme. Vielleicht wäre es ein effizientere Ansatz zu schauen, welche Rollen Willem Dafoe abgelehnt hat, um sich aus der daraus entstehenden Einschränkung ein Bild von ihm zu machen. Doch wenn Willem Dafoe etwas in seiner Karriere bewiesen hat, dann dass es ihm keineswegs um Effizienz geht.

Effizient mag zwar sein Zeitmanagement sein, um dermaßen viele Engagements unter einen Hut zu bringen, doch keineswegs die Hingabe, die er in seine Rollen investiert. Da entpuppt sich nämlich ein sich sorgender, ein sich kümmernder Willem Dafoe. Jener, der aufmerksam im Waschsalon sitzt und sich auf die Menschen und Geräusche um sich herum einlässt. Jener, der nach all den skurrilen bis eigenartigen Typen, die er verkörpert hat, in einem heruntergekommenen Motel nahe Orlandos Disney World für Ordnung sorgt und die abblätternde Farbe des magischen Königreichs erneuert, selbst wenn ihm niemand jemals für diese hingebungsvolle Arbeit danken wird. Doch Willem Dafoe ist einfach da, schaut nach dem Rechten und greift ein, wenn es die Situation erfordert - egal, wie groß zuvor seine Distanz zum Geschehen wirkte. Nur wenige Schauspieler sind so verbunden mit ihrer Passion auf der großen Leinwand zu sehen.

Eine Übersicht über alle Filme, die auf der Berlinale 2018 im Rahmen der Hommage an Willem Dafoe gezeigt werden, findet ihr hier. Als Spielstätten kommen das Zeughauskinos und das Cinemaxx am Potsdamer Platz infrage. Weitere Texte zur Berlinale werden auf unserer Themenseite gesammelt.

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