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Der Albtraum in David Lynchs Lost Highway

08.12.2025 - 14:21 Uhr
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October Films
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Möglicherweise ist Lost Highway, der Auftakt zu seiner Inland Empire - Trilogie, David Lynchs Meisterwerk. Ich sage ganz bewusst "möglicherweise", denn was der Film wirklich ist, wird wohl für immer selbst ein Rätsel bleiben. Grundsätzlich neige ich zu der Auffassung, dass Filme mehrere Male gesehen werden müssen, um sie umfänglich beurteilen zu können, auf Lynch-Filme trifft das geradezu notwendigerweise zu. Man hat Lost Highway sogar attestieren wollen, künstlerisch gescheitert zu sein. Für mich selbst stellt der Film allerdings die Referenz nicht nur seines eigenen Schaffens, sondern auch dessen dar, was für mich in der Summe den perfekten Horror ergibt. Man kann sein eigenes Unwohlsein weg-kritisieren, sämtliche Türen, die auf direkten Weg ins Unterbewusstsein führen, verrammeln, aber man wird nie davon sprechen können, dass Lost Highway seine Wirkung verfehlt.

David Lynch neigt nicht gerade dazu, seine Filme zu kommentieren, ganz im Gegenteil lehnt er es sogar ab, und das hat einen Grund. Nehmen wir als Beispiel einen Traum. Lynch ist der Träumer, und er zeigt uns, was er träumt. Natürlich wird er seine eigene Analyse über den Gehalt seines Traums haben. Wir, die wir, indem wir den Film sehen, seine Mit-Träumer sind, können aber kaum von ihm erwarten, dass er uns erklären kann, was er da geträumt hat. Wir können Lynch in diesem Fall nicht so behandeln, als hätte er den Traum erfunden und wüsste deshalb mehr über ihn als wir. Das hört sich zunächst einmal befremdlich an, schließlich ist die Herstellung eines Films kein unterbewusster Vorgang. Und doch arbeitet kaum ein anderer Regisseur derart konsequent mit einer Traumsprache. Dass Träume Bilder sind und keine Buchstaben, spielt ihm hier natürlich in die Karten. Diesen Vorzug hatte Kafka - von dem Lynch viel lernte - nicht. Wir sind also Interpreten, aber gleichzeitig ist es nicht die Absicht des Films, dass wir seine einzelnen Puzzles zusammensetzen. Sobald uns der Sinn von etwas nicht klar erscheint, verwerfen wir es meist. Wir zetern über Unlogik, beschweren uns über das Nichtlineare, und vergessen dabei, dass wir damit schon einem Irrtum zum Opfer fallen. Denn all das, was wir für Zusammenhängend und Logisch halten, ist in Wirklichkeit nur eine Illusion. Wer keine Freude an dieser Erkenntnis hat, sollte Lynch ohnehin meiden, oder wird sich zumindest sehr schwer mit seinem Werk tun.

Für alle anderen könnte sich Lost Highway jedoch so darstellen:

Ähnlich wie auch bei Mulholland Drive ist es leichter, den Film zu verstehen, wenn man weiß, ab wann der Film von der Realität in die Fantasie abtaucht. Wie in Mulholland Drive ist dieser Punkt ziemlich klar umrissen, wird aber von manchen Kritikern fehlinterpretiert. In Lost Highway endet die Realität damit, dass Fred in seiner Zelle sitzt. Das "Fantasieren" beginnt mit der Entdeckung Petes in dieser Zelle. Zu diesem Zeitpunkt wissen wir folgendes: Fred leugnet, Renee umgebracht zu haben. Und wir als Zuschauer glauben ihm das nicht, obwohl wir es nicht mit eigenen Augen mitangesehen haben. Trotzdem gibt es eindeutige Hinweise darauf, nicht zuletzt das Videoband. Aber es spielt keine Rolle, ob er schuldig ist oder nicht. Während er in der Todeszelle auf den elektrischen Stuhl wartet, werden wir mit seinen Gedanken konfrontiert, in denen er sich ein neues Leben als Pete inszeniert. Als Pete kann er wieder ein unschuldiges Leben führen und vergessen, was ihn ins Gefängnis brachte.

Diese Fantasie ermöglicht Fred ebenfalls eine zweite Chance mit seiner Frau, die ein genaues Ebenbild von Renee ist, sieht man einmal von der Haarfarbe ab. Ihre Beziehung wird neu belebt, ihr Sex ist nicht länger freudlos, und um dem die Krone aufzusetzen: ihre Liebe ist verboten. In dieser Version der Realität bekommt Freds Frustration ein anderes Ziel und findet sich in der Kreation des Mr. Eddie, einem unflätigen alten Gangster, den Pete kennt und für den er gelegentlich arbeitet, und der ebenfalls eine Beziehung mit Alice Renee) hat. Die beiden entziehen sich schließlich dem Einflussbereich Mr. Eddies, doch das ist noch nicht genug. In einer der Schlüsselszenen des Films lieben sich Pete und Alice außerhalb derselben Hütte, die Fred vor seiner "Verwandlung" in seiner Zelle sah. Bevor ihr Zusammensein den Höhepunkt erreicht, flüstert Alice Pete ins Ohr: "Du wirst mich niemals besitzen!" - und schlendert dann eiskalt auf die Hütte zu. Es ist nicht genug, die Quelle von Fred und Petes Frustration zu ignorieren, sie muss ihrer ganzen Existenz beraubt werden.

An diesem Punkt beginnt Freds Illusion zu bröckeln und er kommt wieder zu sich. Obwohl wir uns noch in seinem Traum befinden, sickert die Wirklichkeit langsam durch. Fred begreift, dass er sich nicht in seine Fantasie flüchten kann und beginnt, die Wahrheit zu akzeptieren. Während dieses Prozesses fährt er zum Lost Highway Hotel, wo wir erfahren, was es mit der Eröffnungssequenz auf sich hat. Fred erkennt, dass der Gangster Dick Laurent (alias Mr. Eddie) nicht nur Sex mit seiner Frau Renee hat, sondern auch Pornofilme mit ihr produziert. Er beschließt, hierfür Vergeltung zu üben und "assistiert" dem Mystery Man bei seinem Mord (technisch gesehen ist es der Mystery Man, der den Mord verübt, aber warum das nicht ganz so einfach ist, wie es sich darstellt, dazu kommen wir etwas später), und findet sich dann auf der Flucht vor der Polizei wieder. Während er also davon fährt, blinkt grelles Licht auf und ab, und Fred bekommt während des Fahrens unkontrollierbare Krämpfe. Obwohl es uns im Film nie gezeigt wird, ist davon auszugehen, dass Freds Fantasie gerade auf diese Weise endet, weil er die Konsequenzen seiner Tat akzeptiert hat: den elektrischen Stuhl.

Zugegeben, man kann den Film auch ohne diese Interpretation genießen, denn Lost Highway ist eine der faszinierendsten Darstellungen von Lynchs stets wiederkehrenden Themen: Doppelleben, sowie die hauchzarte Trennlinie zwischen Trau und Wirklichkeit. Die vollständige Transformation von Fred und Renee in zwei völlig unterschiedliche Personen ist wohl das exemplarischste Beispiel für Lynchs Doppelleben-Motiv, aber es gibt in diesem Film noch mehr Dualitäten zu entdecken. Der Philosoph Slavoj Žižek hat auf den Kampf zwischen der gelangweilten gehobenen Klasse und der gefährlicher lebenden Mittel- und Unterschicht hingewiesen, die sich von verbrechen durchwirkt zeigt. Eine weitere Dualität findet sich in der blonden/brünetten Renee - ein Thema, das Lynch in Mulholland Drive aufnimmt und weiterführt.




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