Die Ästhetik eines Drogentrips

08.05.2014 - 08:50 UhrVor 10 Jahren aktualisiert
Tobis Filmkunst
Auf Drogen in Fear and Loathing in Las Vegas
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Im dritten Teil unserer Drogenfilmreihe zeigen wir euch einige ästhetische Varianten auf, mit denen Bewusstseinsveränderungen durch Rauschmittel veranschaulicht werden und der immersive Effekt eines Films zusätzlich verstärkt wird.

Das Konzept der immersiven Kraft des Medium Film hatte schon Béla Balázs treffend erkannt und umschrieben. Anders als bei vorangegangen Kunstformen überwindet der Film die Distanz zwischen Werk und Betrachter und ermöglicht das rezeptive Ausblenden der Kadrage durch eine bestimmte Choreografie von Bewegtbildern, an deren Spur sich zusätzlich auditive Elemente ausrichten und orientieren. Die verbliebene vierte Wand, die Oberfläche des Screens, erhält eine zunehmend durchlässige Konsistenz, sodass der Betrachtende vom Sog des fiktionalen Universums mitgerissen und Teil dessen wird.

Wahrheit und Illusion

Während der Zuschauerkörper im Hier und Jetzt verbleibt, übertritt also sein Geist die Grenze zu einer kinematografischen Zweitrealität, einer konstruierten Parallelwelt, die anderen Raum-, Zeit- und Kontinuitätsgesetzen unterliegt und mit diesen zuweilen bricht. Wir bewegen uns nun in der Fiktion, die sich wiederum nochmals in eine Dichotomie von Wahrheit und Illusion aufspaltet. Die Wahrheit ist die diegetische Realität, die illusorische Dimension umfasst hingegen Traumsequenzen, Phantasmen und insbesondere Drogentrips, die sich hinsichtlich ihrer ästhetischen Umsetzung deutlich von herkömmlichen Inszenierungsstrategien absetzen. Ihr expliziter Bruch mit der filmischen Realität ist oftmals an die subjektive Wahrnehmung einer agierenden Figur gekoppelt und vollzieht sich beispielsweise durch die Einbindung von surrealistischen, phantastischen und psychedelischen Elementen ins Filmgeschehen. Die veränderte Subjektivität des rauschmittelkonsumierenden Akteurs und die daraus resultierende Verzerrung des filmischen Bildes zielt dabei auf eine mentale Verknüpfung von Filmfigur und Zuschauer: Das fiktionale Unterbewusste überschreitet den Screen und penetriert das Bewusstsein des Betrachtenden.

Drogentrips als Metafiktion

Verstärkt wird die Wahrnehmungsfusion von Figur und Zuschauer beispielsweise durch den Einsatz der Point-of-View-Perspektive. Enter the Void von Gaspar Noé operiert durchgehend nach diesem Verfahren und verpflanzt die Perzeption des Zuschauers direkt zu Beginn des Films in den Kopf seines Protagonisten Oscar. Durch das Inhalieren von DMT weicht Oscar die ihn umgebende filmische Realität auf und verliert sich in einem Strom aus psychedelischen Ornamenten, bis ein Telefonanruf ihn – und damit auch den Zuschauer – in die vermeintlich wirkliche Welt zurückholt. Die zunächst durch Halluzinogene hervorgerufene Metafiktion des Films (die Fiktion in der Fiktion) reißt auch dann nicht ab, als Oscar kurze Zeit später bei seinem Fluchtversuch von der Polizei niedergeschossen wird und stirbt. Das Prinzip der Selbstüberschreitung durch Rauschmittelkonsum wird nun durch das Motiv der religiösen Selbsttranszendenz ersetzt, wenn Oscar fortan als körperlose Immaterie über den Ereignissen schwebt. Folglich treibt Enter the Void den immersiven Effekt auf die Spitze, da Oscar sich seine nun limitierte Präsenz im Film zwangsläufig mit dem Zuschauer teilt: Beide sind körperlich abwesend, weshalb ihre geistige Anwesenheit nun zu einer vollends einheitlichen Perspektive fusioniert.

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