Die beiden abschließenden Wettbewerbsfilme der Berlinale standen ganz im Zeichen von Blutrache und Vergebung, wobei Letzteres von beiden nicht zu erwarten war. The Forgiveness Of Blood plädierte für eine friedliche Beilegung einer blutigen Familienfehde, Liam Neeson verschloss sich in Unknown Identity dieser Tugend vollkommen und ließ seiner Raserei freien Lauf.
The Forgiveness of Blood
Der zweite Film von Maria voll der Gnade Regisseur Joshua Marston begibt sich ins Hinterland von Albanien und stellt eine Jahrzehnte alte Familienfehde in seinen Filmfokus. The Forgiveness Of Blood ist keine klassische Auseinandersetzung, die in Gewalt oder Racheakten ausufert, sondern das Leben der unterlegenen Familie schildert, die dazu verdammt wurde im eigenen Haus in Isolation zu Leben.
Nur die Frauen können gefahrlos die eigenen vier Wände verlassen, während sowohl der Vater als auch die beiden Söhne zum Abschuss freigegeben werden, sollten sie es wagen, das Haus zu verlassen. Die Eltern haben sich mit ihrem Schicksal abgefunden, solange sie alle in Sicherheit wähnen können. Die älteste, fünfzehnjährige Tochter übernimmt die Botenarbeit des Vaters und sorgt auch mit kleinen Nebengeschäften dafür, dass die Familie zumindest finanziell über die Runden kommt. Sie erachtet es als Pflicht, sich nun um die Familie zu kümmern. Etwas was der älteste Sohn überhaupt nicht versteht. Er leidet zusehends an der immer klaustrophobischer werdenden Enge des Hauses, vermisst seine Freunde und vor allem seine große Liebe, mit der er kurz davor war, zusammen zu kommen.
Dieser Kontrast zwischen der Tochter, die sich selbstlos aufopfert und ihrem Bruder, der sich in seinen egoistischen Verlustängsten versteift, wird zum Dreh- und Angelpunkt des in ergreifenden erdigen Tönen festgehaltenen Films. The Forgiveness Of Blood macht den Druck beider Figuren spürbar und kanalisiert ihn bis zum unausweichlichen Ende, wo beide Geschwister für sich eine Entscheidung fällen müssen – zwischen Leben und Tod, Freiheit und völliger Selbstaufgabe. Ein sehr zurückhaltendes und psychologisches Werk, das sich größtenteils in den Köpfen seiner Charaktere und auch des Zuschauers abspielt. Bewegend, beklemmend und doch wunderschön – wer hätte das gedacht, dass sich der letzte Wettbewerbsbeitrag als mein heimlicher Favorit erweisen sollte?
Unknown Identity
Liam Neeson durfte heute den Berlinale Wettbewerb außer Konkurrenz beschließen und gleichzeitig die Heimat des goldenen Bären in Schutt und Asche legen. Der Trailer von Unknown Identity ließ auf eine Mischung aus Die Bourne Identität und 96 Hours schließen, tatsächlich wurde es ein Die Bourne Identität trifft 96 Hours trifft The Game mit einem großen Wiedererkennungswert für alle Ortskundigen. Viel Spaß beim Spiel: Wo ist Liam?
Twigson ties the knot
Als Abschluss des regulären Berlinale Programms gönnte ich mir noch die Fortsetzung zu Mein Freund Knerten namens Twigson ties the knot (Knerten gifter seg). Ohne das norwegische Original zu kennen – das es 2011 mit Verspätung auch in die deutschen Kinos schaffen wird und auch ein dritter Teil befindet sich gerade in der Produktion – ließ ich mich auf diese kleine Kindergeschichte ein. Die Mutter des kleinen Lillebror erlitt einen Fahrradunfall und nun sieht er sich in der Pflicht herauszufinden, wie es dazu kommen konnte. Ob Knerten Wirklichkeit ist oder nur als imaginäre Vorstellung seiner Fantasie des Jungen entsprang, lässt der Film offen. Ein kleiner Film über Lillebror, einen kleinen Jungen, der mit Knerten, einem kleinen sprechenden Zweig, kleine Abenteuer erlebt. Ihr merkt, die Betonung liegt auf “klein”. Außerdem auf harmlos, niedlich, kleinkindgerecht und sentimental. Ein geeigneter Film, um die ganz kleinen Sprösslinge langsam und behutsam zu kleinen Cineasten auszubilden.
Ein Blick in die Zukunft
Da es sich um den letzten regulären Wettbewerbsbeitrag handelte, darf jetzt auch gemutmaßt werden, welche Filme sich Hoffnungen auf den Goldenen Bären machen dürfen. Eines steht fest, meine Hälfte der Wettbewerbsfilme hatte einige beachtliche Beiträge zu bieten, aber der ganz große Wurf fehlte. Besonders keiner, der die Tradition vergangener Berlinale Gewinner widerspiegelt, im Gegensatz zu den von Stefan gesichteten Das Turiner Pferd und Nader und Simin – Eine Trennung, die bislang vom Fachpublikum und dem Festivalspiegel als Favoriten gehandelt werden. Auf meiner Seite würde ich The Forgiveness Of Blood zumindest eine kleine Chance zutrauen, denke aber, dass dieser zu konventionell gestrickt ist und auch der nötige, ausgeprägte Kunst- oder Politaspekt vermissen lässt, den die Jury immer gern in ihren Gewinnern sehen.
Morgen werden Stefan und ich gemeinsam noch Submarine anschauen, ein Film auf den wir uns beide sehr freuen. Wie bereits im Podcast angedeutet, lassen die Rezensionen vergangener Festivals, auf denen der Film bereits lief, schlicht ein herausragendes Werk erwarten. Wir sind gespannt!
Der Berlinale-Podcast – Tag 9
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