Die Welt der MCU-Shipper ist heiß und wild

24.04.2018 - 10:50 UhrVor 6 Jahren aktualisiert
Thor und Black Widow
Marvel/Disney
Thor und Black Widow
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Die Bewohner des MCU sind beliebte Ziele frivoler Shipper. Black Widow unterhält hier eine Affäre mit Thor. Aber hinter dem ganzen Sex stecken die wahrscheinlich nettesten Menschen des Internets. Oder die geilsten.

Es gibt absolut keinen Grund, jemals "Stucky" zu googlen, es sei denn, ihr habt euch vertippt und meintet eigentlich Stubby , den militärisch am höchsten dekorierten Hund des Ersten Weltkrieges: Der melancholische Bullterriermischling wurde Sergeant. Aber wenn ihr doch "Stucky" googelt, findet ihr als erstes die Webseite der Sängerin Erika Stucky, die ihr CD-Angebot mit einem sich endlos drehenden türkisen Stern bewirbt, der euch Dinge sehen lässt, wenn ihr zu lange hinschaut, was nur ein Vorgeschmack auf die blumenwiesennaive Welt ist, in die wir uns begeben. Denn "Stucky" ist auch ein Kofferwort aus den Namen Bucky und Steven und gleichzeitig der Shipping-Name des Paares.

Shipping beschreibt, und wer das nicht weiß, soll jetzt sofort im Boden des Internets versinken, das häufig neurotische, genauso oft aber einfach lieb gemeinte Verkuppeln von fiktionalen oder realen Personen. Hier geht es nur um die fiktionalen geshippten MCU-ler, die sich allein deshalb besonders gut für Verkupplungen eignen, weil der gemeine Avenger und Shield-Angestellte zwar Single mit Niveau ist, das Superheldenleben auf Dauer aber einsam macht. Shipping im MCU bereitet der (mutmaßlichen) Einsamkeit von Figuren wie Agent Coulson (Clark Gregg), Agent Maria Hill (Cobie Smulders) und eben auch Ian Fleming-artigen Einsame-Wölfin-Archetypen wie Black Widow ein Ende.

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Shipping ist hochgradig selbstlos und deshalb rührend. Aber der Ship hat, wie jedes literarische Werk, viel mehr mit dem Shipper gemein, als dieser vielleicht wahrhaben will, und damit ist nicht die genuine Einsamkeit des ordentlichen Internet-Foristen gemeint. Stucky-Shipperin ClimateMom gibt etwa bereitwillig zu, den Ship der alleinstehenden Brooklyner Steve und Bucky nur deshalb anzuheizen (und sie tut das wirklich unablässig ), "weil ich auf die Freund-zu-Liebhaber-Trope stehe." Die Frage, die sich zwangsläufig daraus ergibt, ist, warum steht sie auf diese Art der Liebes-Knospung? Wünschte sie sich selbst einst eine Beziehung mit einem guten Freund oder einer guten Freundin? Blieb diese womöglich unerfüllt? Der Ship wird so zum Fetisch.

Shipping im MCU als Protest

Ohnehin ist Shipping komplizierter und komplexer, als es in dem Dschungel aus Fan-Art und oft mehrere Kapitel langen Erzählungen zunächst aussieht. Shipping ist eine soziale Ausgliederung von Fan-Fiction, ihrem Zweck ist das Teilen, Verbreiten und Bewerten durch andere Shipper schon eingespeichert. Je unmöglicher ein Ship, desto besser und anziehender wirkt er auf sein Publikum, denn der Wind im Segel des Shippings ist der romantische Wunsch, das Unmögliche zu verwirklichen und sich über Bestehendes hinwegzusetzen. Die Welt der Shipper ist ein Paralleluniversum voller Liebe und geilem Sex, wo nichts anderes akzeptiert wird als die bedingungslose Erfüllung.

Nur wenige Ships werden deshalb wirklich bekannt und treten aus der Dunkelheit ihrer Internet-Nische heraus. Der Ship Steve Rogers + Bucky Barnes = Stucky ist auch deshalb so populär , weil seine Figurenkombination eine Form des Protests war. Die Twitter-Kampagne #GiveCaptainAmericaABoyfriend drückte 2016 den Mangel bzw. das vollständige Fehlen homosexueller Romanzen und Beziehungen in großen Franchises aus, genauso auch #GiveElsaAGirlfriend, aus dem die Captain America-Kuppel-Kampagne entstand.

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Im Stucky-Fall wurde Marvel und Disney Queer-Bating vorgeworfen. Autoren von Mainstream-Filmen mogeln in ihre Geschichten homoerotische Subtexte hinein, mehr oder weniger offensichtliche erotische Spannungen zwischen zwei Charakteren, um ein LGBTQ-Publikum (Lesbian, Gay, Bisexual, Transgender, Queer) anzulocken - diese Zuschauer werden aber im Unwissen darüber gelassen, dass eine Beziehung, also eine Auflösung der Spannungen, tatsächlich nie angedacht war, wie Pink  schreibt. Sowas kann sehr verletzend und frustrierend sein. Natürlich wird nicht jeder enttäuschte Marvel-Gucker zum Shipper, die eigene Fantasie und ihre literarische Umsetzung gerade dann aber sehr verführerisch.

Captain America - Befreite Lust

Viele Stucky-Shipper hatten also einfach weitergedacht- und geschrieben, was die Captain-America-Trilogie ihren Zuschauern ohnehin suggeriert hatte: Dass zwischen den dicken Sandkastenfreunden Bucky und Steve durchaus eine sexuelle Anziehung brennt, die beiden nur nicht wissen, was sie da eigentlich fühlen. Schließlich wuchsen sie in den 1930er Jahren auf und waren in den 1940ern im Dating-Alter, dort jedoch in einem Milieu verhaftet, das Homoerotik kategorisch ablehnt - sie waren Soldaten. Über Jahrzehnte hinweg eingefroren, trafen sie sich in einer anderen Zeit und einer freieren Welt wieder, in der ihre Liebe möglich ist - im 21. Jahrhundert in Captain America 2. Als sie sich hier bis aufs Blut bekämpften, bekämpften sie nicht nur sich, sondern auch ihr gegenseitiges Begehren, das sie nicht verstanden, womöglich. Der Ship rettet die Liebe vor ihrer Unterdrückung.

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Die Psychologie des Shippens

Es gehört gewiss nicht viel dazu, in diesen Blick eine die Jahrhunderte überdauernde, unterdrückte Liebe hineinzuinterpretieren ...

... und Kunstwerke wie dieses daraus abzuleiten:

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Im MCU gehört Stucky zu den plausibleren Paarungen. Aber wie im echten Leben genügt auch manchmal ein fehlgedeuteter Blick, der dem einen alles und dem anderen nichts bedeutet, um ihn in eine herzzereißende Liebe(sgeschichte) hineinzudichten.

Ein Shipper-Psychologie-Beispiel: Captain America und Agent Maria Hill

Was der Marvel-Fan denkt: Agent Maria Hill und Captain America pflegen ein professionelles Arbeitsverhältnis, grüßen sich auf dem Korridor und sprechen in der Schlange vor der S.H.I.E.L.D.-Kantine vielleicht noch über die Farben, mit denen sie ihre Schlafzimmer angestrichen haben. Weiter geht ihre Beziehung nicht. Beim Feierabend-Bowling klatschen sie sich ironisch ab und so.

Was der Shipper denkt: Es ist unvorstellbar bis schlicht abwegig, dass, wenn Agent Maria Hill und Captain America sich im ersten Avengers irgendwo auf einem kalten Korridor im Schiff begegnen, der erotische Funke zwischen diesen beiden anziehenden wie einsamen Gestalten nicht überspringt, weshalb die Tumblr-Seite Fuckyeahcaptainhill  existiert.

Was ich sagen will, ein Ship entsteht meistens an Erzählorten, die die Autoren des Ursprungswerkes vernachlässigten, dort, wo sie nicht so genau hinschauten. Alles, was nicht gezeigt wird zwischen zwei Personen, sozusagen, ist Shipping-Rohmaterial. In diesen weißen Flecken wird vielleicht nicht geheiratet, vielleicht wird auch nicht getanzt - aber, bei Gott, es wird gevögelt! Im Grunde kann dort unbehelligt alles entstehen, von der heißen One-Night-Affäre bis zur ernsthaften Beziehung mit allem Drum und Dran.

Ein Ship ist also immer Konstruktion, immer von Hoffnung getrieben und Selbst- und Nächstenliebe, und manchmal auch liebenswerter Schwachsinn. Es gibt zum Beispiel den perfekten Proto-Ship Clint (Hawkeye) und Coulson , von dem niemand so genau weiß, woher er eigentlich kommt. Gerade im MCU ist die hohe Anzahl homosexueller Ships  übrigens auffällig, wenn auch nicht wirklich verwunderlich, siehe oben.

Der logische Ship

Dann wieder gibt es MCU-Ships, die durchaus Sinn ergeben, weil sie Leerräume und schwarze Löcher im Universum füllen und Fragen beantworten, die von den Autoren in der Plot-Lawine nur stiefmütterlich behandelt wurden, eigentlich aber interessant für das breite Publikum sind. Die Beziehung zwischen Jane Foster und Thor Odinson etwa endete irgendwann zwischen zwei MCU-Filmen. Ausführlich erklärt, wie es zum Bruch kam, wird aber nicht. Machen die MCU-Autoren so ein Geschenk an die Fan-Fiction-Kollegen, kann daraus auch mal ein auf 10 Kapitel ausgebreiteter Ship entstehen, den ich auf der Seite Fanfiction.net  entdeckt habe. Die Userin OnlyShip , die The Walking Dead, Game of Thrones mag, George Orwell liebt und natürlich das MCU, schreibt hier. In ihrer 36.000 Wörter langen Geschichte A new World erklärt sie nicht nur, wann es zwischen Thor und Jane zu knirschen begann, sondern auch, welcher Avenger am Ende der Beziehung nicht ganz unbeteiligt war: Niemand anderes als die loyale, ernsthafte und attraktive Black Widow/Natasha Romanoff nämlich, welcher Thor auf einer wilden Tony Stark-Party zum ersten Mal begegnete, bei dem auch Hawkeye Clint Barton öfter rumhängt. Ihr merkt, die MCU Bausteine haben sich hier ein wenig verschoben. Die Filme dienen der Ship-Story eher als Fundament für Fantasien, die auch in "expliziten sexuellen Darstellungen" gipfeln können, vor denen OnlyShip warnt, zu denen ich jedoch leider nicht vorgedrungen bin. Aber da kommen wir noch hin.

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Der geile Ship

Häufig ist natürlich Sex die treibende Kraft hinter alledem. Thortasha-Shipperin Sofia Bee  traumatisierte nach eigenen Angaben ihren Schreibtischstuhl, während sie ihre Version der Thor-Natasha-Affäre verfasste, die mit 2000 Wörtern deutlich bündiger ausfällt als OnlyShips Fassung und außerdem viel schneller zur Sache kommt (und etwa dreimal so viele Likes einkassiert hat).

Zeilen wie

The Neighbors weren't to happy with the russian obsceneties that were erupting from the room next door or the thunder and rain that came out of nowhere

sind natürlich Gold.

Die verruchten Elemente eines gängigen Ships sind am Ende aber zu vernachlässigen. Wichtig an der ganzen Sache ist, dass sowohl Thor als auch Natasha eine erfüllende Beziehung verdient haben, sofern sie sich eine solche denn wünschen, was man Natasha R. etwa nicht unbedingt unterstellen muss, welche aber dennoch eines der häufigsten Ziele von Shippern ist, eben weil ihr Charakter beziehungsmäßig so viele Nullstellen aufweist.

Am Ende ist Glück ausschlaggebend, und dass man es als Fan seinen Lieblingsfiguren verschaffen oder, nun ja, besorgen will. Dieses Glück muss möglichst groß sein, so groß, wie es nur in Büchern und Filmen und dort eigentlich auch nicht und deshalb nur in Köpfen und im Internet existieren kann. Die Shipping-Beziehungen sind meistens übersinnlich, romantisch, ideal. Nun ist das Ideal ein Zustand, der nur angestrebt, nicht aber erreicht werden kann. Um sich diesem Ideal doch zu nähern, dekonstruiert Shipping Fiktion, um sie nach eigenem Belieben wieder zusammenzusetzen. Es ist die Jagd nach Perfektion, die sich im Shipping erlöst. Die Grenze steckt nur der eigene Geist, dem sich der Text beugt, ohne etwas davon zu merken. In einem Paralleluniversum werden ahnungslose Figuren zusammensteckt. Sie wehren sich nicht, warum sollten sie auch. Sie sollen sich ja nur lieben. Die Welt des Shippings ist einer der wenigen Internet(Orte), der wirklich nur Liebe im Sinn hat .

Weiterführendes:

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