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Dr. Beutel oder wie ich lernte, Digital Copy zu hassen

14.10.2014 - 10:45 UhrVor 10 Jahren aktualisiert
Der Geist ist willig, die Industrie ist schwach
Philipp Weinbrecht
Der Geist ist willig, die Industrie ist schwach
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Digitale Vertriebswege wurden jahrelang gefordert. Die Antwort der Industrie waren digitale Kopien als "Beileger". Die Digital Copies, die auf manch einer Blu-ray quasi mitgeliefert werden, fanden den Einzug in die Haushalte. Doch was als gute Idee startete, endet bald in einem Chaos.

(Original vom 02.09.2013 | Kategorie "Speaker's Corner") - Dieser Artikel enthält schlimme Wörter und auf Grund seines zynischen Inhaltes sollte er von niemandem gelesen werden. Alle Figuren sind frei erfunden und in reale Handlungen eingebunden. Außnahmen sind die Regel.

Hallo und herzlich willkommen bei einem weiteren Seminar von Dr. Beutel und einer erneuten, aufregenswerten Reise in die Abgründe bescheuerter Aspekte unserer geliebten Film- und Kinowelt. Eigentlich wollte ich mich ja mal ordentlich über Michael Bay auskotzen, aber dann kam tatsächlich etwas viel schlimmeres dazwischen.

Wie? Michael Bay ist nicht das schlimmste Elend, das die Filmindustrie momentan zu bieten hat? Nein, tatsächlich nicht ganz. Heute dreht sich alles um die “Digital Copy”, die mittlerweile fast jeder DVD- bzw. Blu-ray-Hülle beiliegt. Was prinzipiell eine wunderbare Idee ist, seine cineastischen Meisterwerke auch mobil auf Smartphones, Tablets oder via Streaming zu Hause auf Laptops ohne Laufwerk zu schauen, wird von der Industrie gerade mit aller Kraft in ein fragmentiertes, kaum verkraftbares Chaos an Frust und Undurchschaubarkeit zerhackt.

Von guten Ansätzen…

Prinzipiell bin ich ein großer Freund von digitalen Kopien – da mein beschauliches, cineastisches Reich zum Großteil auf Streaming zwischen meinen Geräten baut, genieße ich den Luxus, von der heimischen Couch einfach meine Bibliothek zu durchforsten und spontan einen Film schauen zu können, ohne dafür aufstehen und Filme aus dem Regal holen zu müssen. Ja, das sind #FirstWorldProblems, aber hin und wieder sind spontane Film- und Serienexzesse eben nicht planbar. Da freut man sich, einfach per Tastendruck spontan auf Serien und Blockbuster auf jedem beliebigen Gerät zugreifen zu können. Entsprechend hat es mich gefreut zu lesen, dass die Filmindustrie sich zusammengeschlossen hat, um unter einem gemeinsamen Banner ihre Filme an den Konsumenten weitergeben zu können, damit dieser sie auch zu Hause auf all seinen Plattformen nutzen kann. Löblich, der Gedanke. Und so wurde nach langer Planung im Jahr 2011 das Format UltraViolet  geboren, das zunächst in den USA und UK versucht hat, Fuß zu fassen. Zu dem Beteiligten gehören neben Sony Pictures unter anderem auch die Warner Bros, Paramount und Lovefilm. Einige Größen der Branche wie Apple und Disney gehören nicht dazu, denn die kochen ihr eigenes Süppchen.

…und dem Bedürfnis, den Kopf an die Wand zu schlagen

In der Theorie ist die Digital Copy also ein feines Ding: ich kaufe einen Film, gebe den beigelegten Code auf der entsprechenden Plattform ein und lade mir den Film herunter. Das hat den Vorteil, dass ich standort- und netzunabhängig meine Filme auf jedem beliebigen Gerät schauen kann; also egal ob ich im Flieger sitze, in der Bahn oder auf dem Klo: ich kann jederzeit Filme & Serien genießen. Ganz einfach, denkt man. Denkt man? Denkste!

Denn hier beginnen die ersten Probleme. Je nach Plattform und Studio greift man nämlich auf unterschiedliche Zusatzdienstleister zurück, die ihre ganz eigenen Regeln haben. Beim Dienst Ultraviolet „besitzt“ man zum Beispiel keine physische Datei auf dem jeweiligen Gerät; vielmehr bietet der Dienst eine Online-Bibliothek, die es erlaubt, Filme auf entsprechende Geräte zu streamen. Blöd nur, dass UltraViolet keine eigene App auf den jeweiligen Android, iOS- und Windows-Geräten hat. Ja richtig gelesen: ein Service für digitales Streamen hat keine eigene App zum Streamen. Vielmehr muss man auf die Zusatzapp vom US-Only-Streaming-Dienst Flixster  oder Vudu  zurückgreifen, um die Filme auf die mobilen Geräte zu streamen. Leider funktioniert das nur bedingt: Da die Anbieter rein amerikanische Vertriebe sind, stehen auf deutschem Boden viele Filme ausschließlich als Stream und nicht als Download zur Verfügung, weshalb sich mir der Sinn für die Endgeräte nicht erschließt. Wer streamt sich schon 2,5GB Filme über die mobilen Daten? Wenn der Download mal funktioniert, ist dieser auf eine bestimme Anzahl limitiert – wenn das Kontingent verbraucht ist, ist es aus mit dem herunterladen.

Dass die App bzw. der Service nicht funktioniert, sieht man auch in den entsprechenden Portalen: Auf iTunes  hat Flixster bei über 600 Bewertungen einen Durchschnittswert von ca. 1,6/5 Sternen. Im (wohlgemerkt deutschen!) Googlestore  gibt’s bei knapp 4.000 Bewertungen eine knappe 3/5-Wertung, wobei es fraglich ist, wieso einige User die App als „Fehlerhaft & nicht funktional“ bezeichnen, aber dennoch 5 Sterne-Wertungen  geben. Vudu selbst bietet keine eigene App an. Die Probleme sind aber plattformübergreifend immer die Gleichen: Man bekommt keinen Zugriff auf seine Filme, die Downloadfunktion will nicht so richtig und das Streamen funktioniert erst beim x-ten Anlauf. Filmfreude? Fehlanzeige. Doch selbst wenn es funktioniert: Auf Features wie eine übersichtliche Mediathek oder den Verleih an Freunde wartet man vergeblich. Auch, dass das Streaming erst verfügbar ist, wenn die DVD/Blu-ray im eigenen Land erhältlich ist, lässt Torrent-User müde mit den Achseln zucken.

Warum der Kunde lieber zu Torrents greift

Richtig haarsträubend wird es, wenn man den Nutzungsbedingungen einen größeren Augenmerk schenkt: Der Film bzw, die Serie ist nach einlösen des Codes „für mindestens ein Jahr nach dem Kauf“  kostenlos. Und dann? Es folgen dicke Fragezeichen. Theoretisch könnte jeder Anbieter danach für das Streamen & Downloaden erneut zur Kasse bitten. Das ist nicht nur fraglich, sondern auch einfach saudämlich, da es genau dieses Kleingedruckte ist, das potentielle Kunden vom Nutzen solcher Dienste abhält. Außerdem hat auch Flixster selbst ganz eigene Nutzungsbedingungen. Was ist, wenn Flixster den Service einstellt? Wie kommt man dann mobil an seine UV-Inhalte? Diese Frage vermag bisher niemand zu beantworten. In einem Interview  mit dem Boss von Sky Movies, Ian Lewis, bringt er das Problem mit UltraViolet auf den Punkt: “If it takes me four to five minutes to explain to my CEO, it’s not ready for the public. That’s four minutes more than you get to convince consumers.” Auf deutsch gesagt: Wenn ich vier, fünf Minuten benötige, um meinem CEO zu erklären, wie es funktioniert, läuft was falsch. Das dauert grob vier Minuten mehr, als mir der Kunde gibt.

Ein Blick auf die FAQ von UltraViolet  erklärt, was er damit meint. Das dürfte auch erklären, wieso der Dienst bei den Briten in den letzten 3 Jahren seit Launch gerade einmal spärliche 500.000 User  gewinnen konnte. Zudem bietet der Service keinerlei Mehrwert: Alternative Tonspuren, Kapitelauswahl, Return-at-Stop, Bonus- und Extra-Content sind Fehlanzeige. Auch FullHD ist nicht immer garantiert und so stellt sich letzten Endes die Frage für den Kunden, wieso er tatsächlich so einen Service mit undurchsichtigen Klauseln und dem Registrierugswahn (zur Erinnerung: nach einer Registrierung bei UV folgt die selbe Prozedur noch einmal bei Flixster) nutzen sollte. Mit weit weniger Aufwand bekommt er auf gängigen Tauschbörsen die kompletten Blu-rays als .mkv Dateien präsentiert; Menüs und Bonus-Ausstattungen inklusive – und alles in 1080p, das man jederzeitauf jedes Gerät packen darf für unbegrenzte Zeit. Klar, das ist illegal – aber zeitsparender.

User wie ich, denen es zu blöd ist, mit solch halbgarer Scheiße das Nervenkostüm zu ruinieren, haben mittlerweile die Codes im entstandenen Sekundärmarkt  verkauft – soll sich doch ein anderer damit rumärgern.

Apple & Disney: Wie man es (fast) richtig macht

Eine Firma, die sich von Anfang an von UV distanziert hat, war Apple. Die Firma aus Cupertino bietet seit Jahren Filme und Serien im hauseigenen iTunes Store an. Egal ob man ein Fan von iTunes und / oder Apple ist – das System ist wünschenswert einfach. Nach dem Kauf eines Films kann man diesen problemlos und jederzeit auf jedes beliebige iOS-Gerät herunterladen und hat auch Zugriff auf die lokal gespeicherte Filmdatei. Zudem sind Filme und Serien seit Anfang des Jahres  auch endlich in Deutschland in der Cloud gesichert und können daher jederzeit beliebig oft auf jedem Gerät erneut heruntergeladen werden – notfalls auch bei Freunden. Da Apple nach und nach die DRM-Bestimmungen gelockert hat, ist es mit internen Mitteln mittlerweile auch machbar, die Filmdateien in Formate für Android- und Windows-Geräte zu konvertieren. Bisher musste man hier auf meist kostenfreie, aber rechtlich bedenkliche DRM-entfernende Software zurückgreifen. Seit dem letzten großen iTunes Update mit dem Namen „iTunes Extras“  ist es sogar möglich, auf umfangreiches Bonusmaterial wie Making-Ofs oder Interviews zurückzugreifen. Selbstredend, dass viele Filme auch mit unterschiedlichen Sprachen und Untertiteln angeboten werden.

Auch Disney setzt auf das einfache „iTunes Digital Copy“-System: Code in iTunes eingeben, bestätigen und Film als Datei herunterladen. Fertig. So einfach kann die Welt sein. Da sich Disney bewusst ist, dass nicht jeder ein Apple-Gerät für den mobilen Einsatz benutzt, gibt es zusätzlich die Option zur Wahl, ob eine iTunes- oder Windows Media Player-kompatible Datei erstellt werden soll. Die WMP-Datei kann danach beliebig auf Nicht-Apple-Geräte synchronisiert werden. Klar ist auch das System eng an Apple und iTunes gekoppelt, aber es zeigt, dass man mit entsprechend wenig Aufwand (Code eingeben & Download bestätigen) und einigen Extras (Original-Ton, Untertitel, Kapitelauswahl, Making Of, etc.) genug Anreize bieten kann, den Kunden glücklich zu stimmen, zumal die iTunes Digital Copy aktuell die einzigen digital Kopien sind, die dem Motto „Watch everything everywhere anytime“ tatsächlich 100% treu sind.

Die Fragmentierung geht weiter – Der Kunde ist der Leidtragende

Einige Firmen wie Fox, Sony oder Paramount sind sich mittlerweile bewusst, dass Ultraviolet ein Griff ins Klo war. Während Warner Bros. weiterhin an dem Konzept festhält, werkeln andere genannte Studios bereits an eigenen Vertriebsarten für die digitalen Kopien – und werden den Markt damit noch weiter fragmentieren. Der Gedanke, alle Studios unter einem Dach zu vereinen, scheitert an Inkompetenz, Geldgier und dem Zwang nach totaler Kontrolle über vom Kunden gekaufte Filme. Apple und Disney lösen dies sehr elegant mit dem iTunes Store. Konkurrenz dazu ist absolut wünschenswert, aber eine derartige Fragmentierung wird kontraproduktive Ergebnisse produzieren.

Ähnliches hat man bereits auch in der Spieleindustrie gesehen: Während der Vorreiter Steam – ähnlich wie Apple damals mit iTunes – den Trend erkannt hat und bereits seit 2004 Spiele und Inhalte digital zur Verfügung stellt, und bis heute mit über 75 Millionen aktiven(!) Nutzerkonten an der Spitze steht, ziehen seit einiger Zeit große Firmen wie EA (Origin) oder Ubisoft (UPlay) mit mäßigem Erfolg und fragwürdigen Nutzungsbedingungen  nach, weil auch sie ein Stück vom Kuchen haben wollen. Am Ende ist der Dumme dann der Kunde (in dem Fall der Spieler) weil er immer mehr Plattformen zum Nutzen seiner gekauften Artikel konsultieren muss. Was jetzt schon Spieler weltweit verärgert und Boykottstürme  nach sich zieht, wird auch irgendwann den Cineasten vor den Kopf stoßen. Ich persönlich nutze mittlerweile nur noch iTunes Codes – nach endlosen, nervenden Selbsttests mit Flixster und Ultraviolet wird das Format in Zukunft von mir boykottiert und die Codes werden verkauft.

Das ärgert dann zwar die Firmen, weil dies den angesprochenen Sekundärmarkt fördert, mir erspart es aber Zeit, Nerven und Mühen. So lange sich die Studios weiter gegenseitig ins Knie schießen, will ich mit dem Digital Copy-Idiotenzirkus nichts zu tun haben. Am Ende beklagen sich die Studios ja sowieso wieder, dass die bösen Raubkopierer schuld sind, dass sie kein Geld verdienen, obwohl sie ja digitale Vertriebswege anbieten und ja überhaupt voll gut zu uns Filmliebhabern sind.

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