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Eskapismus und der suburbane Flair von Indietown

04.09.2016 - 13:13 UhrVor 7 Jahren aktualisiert
Ist das eigentlich Liebe oder so?
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Ist das eigentlich Liebe oder so?
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Von Wiederholungen und Handlungsmustern, über Klischees und Gefühle, mit ironischer Distanz und dem Streben nach Liebe, dem Entschwinden in wohlige Gefilde und Phänomenen der Postmoderne: Gedankenströme und Ideen

Kennt ihr diesen einen Indie-Rock-Song von dieser einen Indie-Rock-Band aus diesem irgendwie-bei-Sundance-beliebten Film?

Man kann pausenlos philosophieren über die Bedeutung von Kino oder gar (wenn allgemeiner) Kunst für gesellschaftliches Leben und Erleben, aber man kann es sich auch ein wenig einfacher machen. Schließlich erkennen wir mit künstlerischen Erzeugnissen fortwährend Prozesse, Handlungen und Strukturen (vor allem auch: Machtverhältnisse) wieder, wobei wir es letztlich sind, die in (womöglich fadenscheinigen) Identitätskonstruktionen gespiegelt werden. Viele, die meisten, sind sich dessen aber schlichtweg nicht bewusst und verfallen lediglich konsumerischen Praktiken ohne ein nötiges Maß an Selbstreflexion über die Beeinflussungen, die von Diskursen, Konstrukten und derweil auch verschiedenen Interpretationen von Wahrnehmungen der Realität ausgehen, zu erlangen. Dann soll dieser neue Blockbuster (bevorzugt: marvel’sche Superhelden) „einfach nur unterhalten“ - „Hirn abschalten“ wird gefordert. Da könne man sich mal so richtig schön gehen lassen.
Oder es wird sich beizeiten darüber amüsiert, wie man sich stets in diese „Indie-Flicks“ verlieben würde, ohne dabei die Austauschbarkeit und immergleiche Färbung der Werke zu erkennen.

Gerade letzteres interessiert aus dem Grund, dass ich mich selbst offenbare in meiner Absicht, wiederholt gleiches zu erfahren. Wenn ich selbst schon von den Gefahren der ständigen Repetition geschrieben habe (Please, let's watch the same thing again...and again) und dabei doch so selbstironisch zur Erkenntnis gelange, dass wir alle stets Opfer des eigenen Geschmacks werden und uns unser Weltbild so zimmern, wie wir es gerne mögen. Kann man zuletzt immer häufiger von etwaiger Personalisierung der Timelines in den sozialen Netzwerken (ob zunächst Facebook und dann Twitter) lesen (etwa: der Freitag, 35/16, S.6-7) und erfährt dort, wie immens Nachrichten- und Informationsströme kanalisiert werden, damit man auch nur das sieht, liest und hört, was man auch mag; die Problematik, die hier zugrunde liegt, ist offensichtlich: Einschränkung, repetitive Selbstbestätigung und der Tod der Selbstreflexion.

Wenn wir uns in der heutigen Welt (die Gesamtheit aller Dinge, ganz grob und arg laienhaft) zurechtfinden möchten, müssten wir eigentlich viel mehr dagegen tun. Bevor ich letztlich wieder schlussfolgere, dass wir alle viel mehr die Machtverhältnisse und diskursiven Reproduktionen (in) unserer Gesellschaft hinterfragen sollten und deshalb zunächst mal bei unserer eigenen Fähigkeit zur (Selbst)Reflexion und Differenzierung anfangen sollten (ganz wie der weise Noam Chomsky sagte: “I was never aware of any other option but to question everything.”), versuche ich zu ergründen, weshalb die Postmoderne irgendwie meine persönliche Geißel zu sein scheint.

An anderer Stelle habe ich mir wieder ein höheres Maß an Authentizität der Gefühle (Wir leben in Klischees) gewünscht und die Rückkehr ins Kino der vergangenen Jahrzehnte; schlichtweg, weil in der heutigen Zeit alles ironisch geworden zu sein scheint. Aber natürlich ist das ein grundsätzliches gesellschaftliches „Problem“, wenn Menschen sich nicht mehr trauen, ihren wahren Gefühlen zu folgen. Bloß stellt sich die Frage, ob das ein postmodernes Phänomen oder nicht dauerhaft verankert im Menschen ist. Man kann von biologischer Veranlagung, Sozialisation (kulturelle Wertesysteme) oder sonstigen Einflüssen sprechen – das ist für den Moment gar nicht so wichtig.

Wichtiger ist an dieser Stelle, dass mir zunehmend auffällt, dass es sich mehr und mehr verbreitet, selbst im Alltag eine ironische Distanz zu „den Dingen“ zu wahren – wohl getrieben von der Angst, bloßgestellt zu werden. Auch wenn uns die Aufklärung lehrt, dass es keinen (rationalen) Grund für Angst im Allgemeinen gäbe, ist es gerade diese Rationalität, die ja letztlich ambivalent ist oder der, mit Adorno und Horkheimer, eine Dialektik zugrunde liegt. Man kann solche Prozesse hinnehmen oder eine Dynamik daraus entwickeln und versuchen, sie zu nutzen. Wie der Kritischen Theorie folgend Hollywood das pompöse Aushängeschild einer Kulturindustrie ist, welche uns Alltagsverlierer in das chaotische Labyrinth der Klischees und gespielten Gefühle schickt – so wissen wir schlichtweg nicht, was wir tun. Aber wer weiß, wusste das schon mal?

Es gibt da diesen ironischen Kommentar, den ich als Einleitungssatz verwendet habe und unter dem Trailer zum Film Captain Fantastic auf YouTube fand, da – mal wieder, wie immer eigentlich – Leute nach diesem Song, der da so schön die Feel-Good-Stimmung erzeugte, suchten. Es ist ja wahr, gewisse Spartenfilme bedienen sich, wie viele Vertreter ähnlicher Sorte, stets ähnlicher Mittel – weil es funktioniert. Wie immer gerate ich hier an den Punkt, zu fragen, ob dies letztlich wirklich so verdammt schlimm sein muss.
Ich denke: nein. Man muss nur aufpassen, sich nicht diesen Klischees derart hinzugeben, dass man falsche Erwartungen bekommt – aber auch darüber habe ich schon ausführlicher geschrieben.

Aber durch den ironischen Bruch, den so viele Menschen heutzutage mit allzu ernsten Dingen begehen, ist es vielleicht nötig, mal einen Blick über den alltäglichen Tellerrand zu werfen. Langfristig zerstört die ständige Ironisierung der Dinge doch das sensible Empfinden für die Gefühle, nach denen wir alle irgendwie streben: den echten, unprätentiösen, aufrichtigen Momenten (und damit meine ich nicht Augenblicke im Fluss der Zeit, sondern auch mal Stunden oder länger). Die Situationen, in denen man sich heillos verliebt wähnt, sich mit den besten Freunden Gitarre spielend und singend am Lagerfeuer ganze Nächte um die Ohren schlägt oder wenn die Lieblingsmannschaft das entscheidende Tor in der letzten Minute schießt (ist schon ein schönes Emotionssubstitut, auch wenn’s der Boys Club und Raum männlicher Inszenierung ist – so what). Nach solchen Momenten sucht man dann doch unaufhörlich und wenn es keins der Beispiele sein soll, dann mag man was anderes anführen – jeder ist hier natürlich wieder individuell, die Moderne hat für die Verschiebung von Priorisierung gesorgt; aber das ist natürlich vollkommen in Ordnung.
Doch wenn man nun solche Augenblicke mit Ironie (einem Stilmittel, was meinem Verständnis nach in Momenten, in denen man sich entweder genervt oder lustig fühlt, benutzt werden sollte – eben um seinen Zustand auszudrücken oder humoristische Elemente zu verstärken) bricht oder (sich) distanziert, verlieren sie doch ihre volle Wirkung.

Vielleicht ist es dann gar nicht so schlimm, wenn man sich hin und wieder mal auf die Reise mit einem dieser „Indie-Flicks“ begibt, wie ich es tu (oder für andere auch gerne deren präferierte Variante des Eskapismus) – denn was hier faszinierend ist, dass die Bilder, die dort vermittelt werden, solche erstrebenswerten Gefühle auszulösen scheinen. Und das sollte man, trotz all der Kulturindustrie und Diskursivität und Herrschaft und all dem, genießen können, wenn man es reflektiert. (Das ist der entscheidende Unterschied zur Abstumpfung durch das immer gleiche, was sich mit falschen Erwartungen paart).

Es gab da schon diese Momente, in welchen ich durch meine Heimatstadt, welche schon ein bisschen diesen suburbanen Flair versprüht, radelte und dabei Musik von „Arcade Fire“, „Deer Tick“ oder „Arctic Monkeys“ hörte und mich irgendwie so ein bisschen wie einer dieser Protagonisten aus diesen Filmen fühlte. Wenn die Kunst die Realität verändert und vereinnahmt…denn es sind ja irgendwie die „großen Gefühle“, die wir suchen und dann auch finden wollen. Falls das irgendwie geht.


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