Fargo - Staffel 3, Episode 8: Brillant und surreal geht's zum Finale

09.06.2017 - 12:00 UhrVor 7 Jahren aktualisiert
Fargo
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Varga treibt ein Spiel mit Emmit und der Erzähler von Fargo eines mit uns in der 8. Folge der 3. Staffel, die mit einer brutal brillanten Treibjagd durch die Wälder einsetzt.

Eine Pinkelpause zu viel und schon verpasst du in Fargo den entscheidenden Zeitsprung. Nach einer der aufregendsten Sequenzen der ganzen Serie springen die Autoren in Who Rules the Land of Denial? (S03E08) knapp drei Monate in die Zukunft. Soeben war V.M. Varga (David Thewlis) noch auf dem Gipfel seiner Macht im Unternehmen Stussy, da beginnt der zu bröckeln. Emmits (Ewan McGregor) Schuldgefühle treiben den Parkplatzkönig von Minnesota endlich zur Polizei. In dieser 8. Folge von Fargo tritt die Ungeduld der Autoren zu Tage, zu Potte zu kommen. Fargos 3. Staffel befindet sich auf den Schlussmetern und da kommt ein Zeitsprung gerade recht, um auf den Tag der Abrechnung hinzuarbeiten, welchen uns der Deus Ex Bowlinghalle Ray Wise verspricht.

Vereinfacht gesagt, lässt sich diese neue Fargo-Episode in der Mitte zusammenfalten wie das Motiv eines Rorschachtests. Auf der einen Seite stehen die verbleibenden Stunden im Winter von 2010. Die tierischen Motive aus Peter und der Wolf werden weitergetragen, als Nikki (Mary Elizabeth Winstead) und Mr. Wrench (Russell Harvard) aus dem Gefängnisbus in die verschneite Nacht fliehen, verfolgt von Vargas Schergen (Goran Bogdan, DJ Qualls) mit ihren Tiermasken.

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Die Jagd als Verbildlichung des Treibens der "Wicked", der Bösen, zieht sich durch die gesamte Serie. Diese Dynamik prägt ganz wesentlich das Unbehagen in der Welt von Fargo. Angesiedelt im vermeintlich beschaulichen Mittleren Westen, ist da immer diese Gefahr, das Böse könnte um sich greifen, von außen (Lorne Malvo), aber auch von innen (Lester Nygaard). Die Hetzjagd durch den Wald bildet die bisher aufwendigste und aufregendste Visualisierung dieser Dynamik. Das obwohl Nikki und Wrench auf der Liste der moralisch integeren Fargo-Figuren nicht gerade oben rangieren. Die Involvierung von Unschuldigen (das Ehepaar, das Jägerpaar) verstärkt diesen Effekt.

Brillant ist diese Sequenz zudem in ihrer inszenatorischen Effektivität. Man beobachte etwa, wie durch eine übersichtliche, aber treibende Montage die Spannung im Bus angezogen wird, als Wrench und Nikki versuchen, sich zu befreien, während die anderen das Gitter aufschweißen. Man beachte die durchdachte Darstellung der Gewalt, also das, was ausgespart (der Tod der Unschuldigen) und was gezeigt wird; und wie das Sounddesign der Pfeileinschläge sich brutal Bahn bricht. Man bewundere die räumliche Orientierung zwischen Verfolgten und Verfolgern. Manchmal trennen sie ein paar Meter, manchmal ein Kilometer, und gegen Ende der Radius einer Lichtung. Zu guter Letzt erfreue man sich an der - Schnitt für Schnitt - sich ausbreitenden Blutlache im Schnee um den Baumstumpf. Per quasi-göttlicher Aufsicht wird so der immer verzweifeltere Kampf gegen die Häscher verbildlicht.

Ein Bild, geschaffen für das Internet

Die Macher von Fargo verdienen sich den darauf folgenden surrealen Trip in The Big Lebowski-Gefilde also redlich. Bereits die 2. Staffel war durch die Ausarbeitung eines Universums aufgefallen, das unserer Realität ähnelt, aber Schnittpunkte zum Surrealen und Fantastischen aufweist. Das durch Lorne Malvo verkörperte Böse aus Staffel 1 wurde um die fiktive Popkulturbiografie von Ronald Reagan, um UFOs, Sci-Fi-würdige Gesichtsoperationen und Gangstersyndikate mit Firmensitz ergänzt. Staffel 3 führt diese Ausarbeitung weiter. Wenn Nikki an der Bar der leeren Bowlinghalle sitzt und neben ihr Paul Marrane (Ray Wise) auftaucht, handelt es sich nicht um eine subjektive Halluzination unter Blutverlust, ein persönliches Nahtoderlebnis oder ähnliches. Paul war zuvor bei Glorias Reise nach Los Angeles aufgetaucht. Wir haben ihn gesehen. Sehen wir in der Bowlinghalle nun diesen Paul oder eine mythische Figur, die sein Gesicht trägt? "Paul Marrane" ist einer der Namen für den "Ewigen Juden", eine antisemitisch geprägte Figur aus Volkssagen, die auf das Mittelalter zurückgehen. In der Szene fungiert Paul als Sprachrohr eines ungesehenen Richters, der Nikki und Mr. Wrench entlässt und Yuri seiner Abrechnung zuführt. Indem er sowohl Hebräisch als auch das archaische Englisch der King James-Bibel zitiert, verweisen die Dialoge auf die kulturelle Herkunft seines Namens.

Diese Überlagerungen und Vermengungen von Zitaten, Verweisen und Zeitebenen kulminieren in "Helga Albrecht". DJ Qualls bald kopfloser Killer trägt ein Helga-Tattoo am Handgelenk und Yuri "kannte mal" eine Helga. Für die gleichnamige Tote aus dem DDR-Prolog der Staffel ist dieser Yuri eindeutig zu jung, ein anderer "Kosacke der Felder" vielleicht nicht. Und das ist der Punkt. Die Serie arbeitet von Anfang an mit erzählerischen Archetypen. Das ist ein Erbe der Coen-Brüder. In Staffel 3 wird diese Arbeit noch deutlicher an die Oberfläche geführt. Yuri ist Vargas Handlanger und gleichzeitig ein Stellvertreter für den Handlanger schlechthin; der Massaker an Minderheiten im 17. Jahrhundert ausführt, eine Frau in der DDR der 80er Jahre umbringt oder eine andere durch den Winter des Jahres 2010 jagt.

Opfer der Jahrhunderte

Wenn es nicht Glorias Nahtoderlebnis ist, dann also unseres? Wir schauen Fargo und Fargo schaut sich selbst. Diesen Eindruck vermittelt Who Rules the Land of Denial? einmal mehr, nicht nur weil Ray Wise ein Kätzchen halten darf, das den Geist eines anderes Rays (Ewan McGregor) verkörpert. Insofern ist es weniger relevant, ob diese Zwischenwelt tatsächlich existiert (wie in American Gods). Dass sie die archaische Abrechnung visualisiert, die als Bruch durch die Mitte dieser zweigeteilten Folge geht, wiegt schwerer. Es ist die symbolische Wende, die im Zeitsprung nach Sys (Michael Stuhlbarg) Vergiftung durch Varga auch erzählerisch gemeistert wird. Was sich formal daran äußert, dass die Fahrt auf Sys Augen seinen Bart ähnlich offenbart, wie es bei Nikki und Paul an der Bar geschieht.

Die zweite Hälfte der Folge, das Spiegelbild sozusagen, scheint die Jagd umzukehren. Ein schnurrbärtiges "verräterisches Herz" klebt mysteriös auf Emmits Oberlippe, Rays ramponierte Corvette steht vor dem Krankenhaus und sein Büro wurde mit der verhängnisvollen 2-Cent-Briefmarke tapeziert. Sollte nicht eine unerwartete Wendung folgen, dann könnten wir Nikki dafür verantwortlich machen (Varga unterschätzt seine (weiblichen) Gegner ja grundsätzlich). Dank des Zeitsprungs zum 15.03.2011 lässt sich auch erklären, warum Vargas stets halbwahre Monologe an Wirkung verlieren (auf Emmit, aber auch den Zuschauer). Der Personifizierung von "alternativen Wahrheiten" und ähnlicher Propaganda scheint die Macht eines Lorne Malvo dann doch abzugehen. Klingt fast nach einem Happy End, oder?

Emmit schluckt die roten Pillen nicht, die ihm sein böser Morpheus gegeben hat. Seinen Sieg über Ray und Sy, den ihm Varga eintrichtern will, akzeptiert er nicht. Der Krieg geht weiter und der führt ihn geradewegs zum degradierten Deputy Gloria Burgle.

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Zitat der Folge: "This is the universe at its most ironic."

Anmerkungen am Rande:

  • Die Ironie des Universums, auf die Ray Wises "Ewiger Jude" verweist, liegt darin, dass ausgerechnet ein Volkswagen vor der Tür steht, ein "Kraft durch Freude"-Wagen mit Nazi-Vergangenheit. Das Grün könnte auf Lorne Malvos Rätsel aus der 1. Staffel verweisen. ("Don't worry, its sins have been swept clean")
  • Der Japaner Hiroo Onoda glaubte zwar jahrzehntelang, der Pazifikkrieg laufe noch. In den 70ern sah er seinen Irrglauben aber ein und kehrte nach Japan zurück.
  • Bei Uproxx  wird der Einsatz der Musik von Fargo analysiert, diesmal mit Blick auf den faustischen Deal von Emmit und Charles Gounods Faust-Oper, die wir hören.
  • "That russian fella" ist der 2006 in London verstorbene Alexander Litwinenko. Glorias Dialoge in dieser Folge waren mir ein bisschen zu platt (etwa wenn sie nebenbei erklärt, dass sie für Räumungsbescheide zuständig ist)
  • Der 15.03.2011 gilt als erster Tag des Bürgerkriegs in Syrien


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