Die gute Nachricht zuerst: Fear the Walking Deads Grotesque ist eine gute Folge. Sie ist sogar so überraschend gut, dass sie nach dem versauten Midseason-Finale wie ein Gegengift funktioniert. Statt engen Räumen sehen wir weite Landschaftsaufnahmen, in denen die Figuren untergehen. Statt mehreren Figuren mit unterschiedlichen, gegensätzlichen Interessen folgen wir nur Nick durch Mexiko. Statt einer Fülle an bedeutungsschwangeren Handlungssträngen reduziert Drehbuchautorin Kate Barnow (House of Cards, True Blood) den zentralen Überlebenskampf zu einem Kampf von Mann gegen Natur. Bis auf wenige Momente, die man angesichts dieser überraschenden Frische ausblenden kann, funktioniert diese Kehrtwende phänomenal. Lediglich die Erkenntnis, dass Grotesque die Ausnahme von der Regel ist, hinterlässt einen bitteren Nachgeschmack.
Die Aufteilung der Gruppe im Finale ergibt eine einzigartige Situation für das The Walking Dead-Universum. Schon bevor die Farm (erneut) in Flammen aufgeht und Walker verbrennen, flüchtet Travis (Cliff Curtis) voller Verzweiflung mit seinem Sohn. Strand und Madison, die sich um Ofelia und Alicia kümmern, sind ebenfalls auf sich alleine gestellt. Das Mysterium um Daniels Tod bleibt in der Folge erhalten, doch es ist zu bezweifeln, dass sich die Serie selbst eines so starken Schauspielers wie Rubén Blades in der 2. Staffel bereits beraubt. Bitter muss diese Splittergruppe mitansehen, wie Nick in seinem Zombie-Make-up inmitten der wandelnden Untoten verschwindet. Und so ergibt sich ein besonderes Szenario, das sowohl Mutterserie als auch Spin-off viel zu selten nutzen: Wir folgen Nick für den Großteil der Episode beim Herumwandern durch die einsame Apokalypse.
Ganz alleine ist er nicht, aber er sucht die Einsamkeit. Zu
Beginn der Folge hinterlässt er die letzten Kontakte zur Farm und beginnt eine
spirituelle Reise inspiriert von Celias Zombiephilosophie. Diese führt ihn
durch weite Landschaften, die Regisseur Daniel Sackheim mit vielen Totalen gut
in Szene setzt und dabei Nicks physischen und emotionalen Zustand sehr gut
einfängt: Er ist einsam und will es nicht anders. Angelehnt an die Reise nach
Mexiko in Red Dead Redemption
ist auch dieser Fußmarsch stimmig mit Jose Gonzalez' Musik untermalt. Nick verschwindet hier in den Aufnahmen der Natur, eine interessante Parallele zu einem Eintauchen in die Naturgewalt der Zombies.
In der Nacht wird er von einer Mutter angegriffen, in deren Unterschlupf er es sich unbewusst gemütlich gemacht hat. Er könnte sie leicht überwältigen, wählt aber die Flucht, weil er das verängstigte Kind der Mutter nicht erschrecken will. Nick wurde von Beginn an als kinderfreundliche Seele gezeichnet und daher ist diese Flucht ins Ungewisse, ohne Proviant, für ihn die klare Wahl – und auch Bestrafung, da er als reuiger Drogenabhängiger die Unschuld der anderen Überlebenden bewahren will.
Ohne Wasser und Essen ist er gezwungen zu plündern. Er nimmt Gandalfs Rat an, nur bei Tag zu reisen, vergisst jedoch, von den Straßen fernzubleiben. Die Überreste eines Autounfalls macht er sich zunutze und findet ein bisschen Wasser und ein Radio, das ihm aber keine neuen Informationen bringt. (Eine Randnotiz: Wieso legt er die Flasche wieder weg, anstatt sie mitzunehmen und hoffentlich irgendwo wieder aufzufüllen? Es ist ein sehr kurzer Moment, den man leicht übersehen kann, aber es sind diese "instinktiv falschen" Handlungen, die einen aus der Immersion reißen und die Figuren in Fear the Walking Dead unnötigerweise dümmer dastehen lassen, als sie sind. Besonders bei dem sonst so einfallsreichen Nick kann man dies nicht als Dummheit der Figur verklären.) Doch das Radio bringt ihm Ärger. Ein Trio aus mexikanischen Drogengorillas entdeckt ihn und schickt ihn nach einer kurzen, aber spannenden Szene in die Wildnis. Sackheim bleibt in der Verfolgungsjagd ganz nah an Nick und kreiert dadurch in den Sträuchern eine beklemmende Enge und ein Gefühl imminenter Gefahr, das es so selten in der Serie zu spüren gibt. Insbesondere auch, weil die Umgebung dies diktiert, während zum Beispiel beim wiederholten Aufeinandertreffen von Nick und dem Trio sämtliche Logik und Regie versagen. Dazu aber später mehr.
Die 2. Hälfte der Folge führt Nick (Frank Dillane) in die Steppe. Er ist durstig und sucht in einer witzigen Szene Genugtuung durch einen Kaktus, den er jedoch wieder erbricht. Er fällt ins Delirium, sucht verzweifelt nach Essen und einer Unterkunft, und kann an einem verlassenen Auto Schutz finden. In den drei Szenen, in denen er in den Schlaf fällt, zeigt uns die Fear the Walking Dead-Folge kurze Flashbacks in die Zeit, als Nick in der Entzugsklinik seine spätere Freundin (wir kennen sie, etwas blutiger, aus dem Piloten) trifft. Sie kann ihm nicht wirklich helfen, aber in den Gesprächen wird der tragische Bruch des Vaters, Stephen Clark, mit der Familie unter dem Nick so litt, klarer. Dass sein Vater während des dortigen Aufenthalts auch noch in einem Autounfall stirbt, macht die Dinge für ihn nicht einfacher. Die Flashbacks sind durchaus interessant. Sie ergeben keine unglaublich neuen oder erhellenden Einblicke in den Gemütszustand Nicks, aber die stören nicht und agieren als willkommene Abwechslung. Die Gegenwart mit einer so kaputten und emotional verheerenden Vergangenheit zu kontrastieren verdeutlicht nochmal die Unterschiede und Gemeinsamkeiten, die für Nick in der Nachwelt existieren. Das Ende der Welt ist für ihn nicht unbedingt das Ende aller Dinge.
Als Nick aufwacht, wird er von einem Duo wilder Hunde angegriffen und am Bein verletzt, was seine Überlebenschancen erheblich verringert. Als eine kleine Gruppe Walker noch inmitten des Nichts auf ihn zusteuert, wagt er selbst den Sprung über die Grenze. Statt auf den eigenen Tod zu warten, begibt er sich erneut unter die lebenden Toten, lebt wie sie, frisst wie sie, kriecht wie sie, hört sie sogar in seinem Delirium mit ihm flüstern (Nein, liebe Comic-Leser, das ist tatsächlich nur alles in seinem Kopf). In gewisser Weise nutzt er die Zombies, um sich selbst gegen die Gleichgültigkeit der Natur zu schützen, aber auch als Waffe. Es ist nicht so, als würde er die Zombies steuern, aber er erhält immerhin doch Rache. Zwischenzeitlich rettet ihn eine Schießerei in der Ferne nach einem Stoßgebet. Der Moment ist zu kurz, um aussagekräftig zu sein, und bleibt doch hängen. Gibt es Gott in der Zombiewelt?
Lange Zeit darüber nachzudenken bleibt jedoch nicht. In der dämlichsten Szene seit ganzen Staffeln werden nämlich zwei der drei Widersacher von der Autobahn nun von den Zombies gefressen – wieso? Wer weiß das schon. Die Szene ist so schrecklich inszeniert, dass sie einem Faustschlag ins Gesicht des Zuschauers gleicht. Daniel Sackheim wird keine Schuld treffen können. Die armen Regisseure dieser Zombieserien müssen immer die Quotentoten einbinden, ob sie es wollen oder nicht. Ich stelle mir das immer kurios vor, wenn es an die Umsetzung dieser – auf dem Papier – gut klingenden Todesmomente geht. In Wahrheit würde eine Totale die Lächerlichkeit dieser vermeintlich spannenden Momente preisgeben. Wieso die Serie sich in einer so guten Folge selbst ins Bein schießt? Ich vermag es nicht zu sagen, aber die Entscheidung immer und immer wieder solche Szenen einbauen zu müssen, nur um den obligatorischen Haken auf der Liste der Wünsche vieler Zuschauer setzen zu können, ist schlicht falsch und macht die Serie ohne Ausnahme schlechter. Was in The Walking Dead immer wieder klar wird: Weniger ist mehr. Reduktion, nicht die Zombies, ist die wichtigste Waffe der Autoren und sie setzen sie viel zu selten ein. In einer ganzen Reihe an Comic-Ausgaben, mehr als ein gutes Dutzend, starb zum Beispiel kein einziger Zombie. Für die Serie ist das unvorstellbar.
Aber zurück zu den guten Aspekten der Folge. Nick fällt danach ins Koma und wird später nach dramatischer Katharsis im Regen (sogar sein T-Shirt ist nun wieder weißgewaschen!) von einer Gruppe gerettet, die ein sicheres Camp eingerichtet hat (Comic-Leser dürften das amerikanische Äquivalent schnell erkennen). Leider ist die Serie nun wieder dort angekommen. In einem Camp. Mit einer neuen Gruppe. Viele neue Figuren. Wird bestimmt alles prima ausgehen! Meh.
Nicks Reise durch das postapokalypstische Mexiko macht Grotesque aber zur vielleicht besten Folge der Serie. Seine Erfahrungen in der Wildnis,
untermalt durch die Abwesenheit von Freunden, Familie und die zusätzliche
Sprachbarriere, isolieren die mit Abstand interessanteste Figur.
Seine ganz einzigartige Verbindung zu den Untoten, in Verbindung mit seinem
Geschick und seiner schlauen Anpassung an die Umgebung, kann ganz wunderbare
Momente herbeizaubern, die einem noch lange ins Gedächtnis bleiben werden
müssen, wenn das Familiendrama nächste Woche wieder zurückkehrt. Ab und zu, alle Jubeljahre einmal, gibt uns das Universum eine gute Folge. Zweifelt nicht daran, dies ist eine.
Und Grotesque wird noch lange im Gedächtnis bleiben als eine Folge, die nach 7 Staffeln im TWD-Universum etwas Revolutionäres mit der Frage wagte: Könnte die Serie auch nur mit einem Hauptdarsteller, mit nur einem Handlungsstrang und ohne Familienkonflikt auskommen? Die Antwort ist nicht nur ein deutliches Ja. Die Serie wäre auch ungemein besser.