Filmjahr 2017 – Wie Regisseure das Kino zurückerobern

11.08.2017 - 09:00 UhrVor 6 Jahren aktualisiert
Christopher Nolan am Set von Dunkirk
Warner Bros.
Christopher Nolan am Set von Dunkirk
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Während sich Franchise-Maschinen ins Aus rattern und große Studios mit Regisseuren überwerfen, feiern unverwechselbare Filmemacher beachtliche Erfolge. In Hollywood, scheint es, darf endlich wieder Kino gemacht werden.

Tentpoles haben ein Rentabilitätsproblem und Zuschauer kaum noch Lust auf Sequels, das war zumindest mit Blick aufs US-amerikanische Kino die Nachrichtenlage des vergangenen Jahres. Der von Branchenkreisen schon früh diagnostizierten Franchise-Müdigkeit (im Englischen "franchise fatigue" genannt, ein in Zusammenhängen mit Einspielergebnissen nunmehr fast inflationärer Begriff) fügten sich 2017 zahlreiche Flops. Das Publikum strafte nicht nur ungefragte Fortsetzungen ab (Alien: Covenant, Transformers 5: The Last Knight), sondern vorsorglich auch ungefragte Blockbuster und neue "Cinematic Universes", die allzu durchschaubar fortgesetzt werden sollten (Monster Trucks, King Arthur: Legend of the Sword, Power Rangers, Die Mumie).

Momentan beklagen US-Studios deshalb einen zehnprozentigen Umsatzrückgang gegenüber dem Vorjahr. Sie finden für solche inneren Probleme bequeme äußere Erklärungen, weil das leichter ist, als den absurden Marktverschiebungen ins Auge zu blicken. Schließlich müssen ihre überveranschlagten Produktionen regelmäßig und ausgerechnet durch ein kommunistisches Regime vor dem Totalausfall gerettet werden – xXx: Die Rückkehr des Xander Cage beispielsweise, ein weiteres ungefragtes Sequel, erzielte die Hälfte seiner gesamten Einnahmen in China. Doof zwar, dass Hollywood in der Regel nur ein Viertel des Geldes zurückbekommt, das in der so eifrig umschmeichelten Volksrepublik mit US-Filmen verdient wird. Aber Hauptsache die schlechten Zahlen lesen sich trotzdem irgendwie gut.

Wonder Woman

Derweil gibt es allerdings berechtigte Hoffnungen auf eine Kurskorrektur, im Kleinen wie im Großen, und sie setzt schon bei Blockbuster-Filmemachern an. Der unerwartete Erfolg von Patty Jenkins' markantem Wonder Woman hat gezeigt, dass Frauen vor und hinter der Kamera im dahingehend noch mal deutlicher beschränkten Comickino ebenfalls Kasse machen können (mehr als ihre männlichen Kollegen, um genau zu sein). Mit dem publikumswirksamen Superheldenabgesang Logan - The Wolverine drehte James Mangold zuvor unter R-Rating-Voraussetzungen einen denkbar ungewöhnlichen X-Men-Film. Im Branchenmagazin Variety  hieß es daraufhin, Filmemacher seien die eigentlichen Stars des Kinosommers. Schauspieler hätten wenig zu melden.

Das ist eine schön klingende These, die gar nicht Filmemacher von Schauspielern abzugrenzen braucht, sondern sie vielmehr in Beziehung zu den aktuellen Bedingungen des Filmemachens in Hollywood setzen sollte – vorrangig den Konditionen der Tentpole-Produktion. Dort müssen jene zahllosen Independentregisseure, die von Disney und Co. für ihre künstlerische Eigensinnigkeit verpflichtet werden, im Sinne einer künstlerischen Eigensinn nun gerade nicht gestattenden Firmenidentität arbeiten. Verständlich, dass viele entweder das Weite suchen (Edgar Wright, Ant-Man / Phil Lord & Christopher Miller, Han-Solo-Film) oder auf Distanz zum entstellten Resultat gehen (Alan Taylor, Thor – The Dark Kingdom / Josh Trank, Fantastic 4).

Eine Subversion etwa des Superheldenkinos oder dessen Rückeroberung durch Filmemacher, die es wie einst Richard Donner und Tim Burton persönlich färben, steht zwar noch aus. Sämtliche Hollywoodproduktionen jedoch, über die in den vergangenen Monaten gesprochen wurde, tragen unverkennbar die Handschrift ihrer Regisseure. Edgar Wrights Baby Driver und Christopher Nolans Dunkirk haben künstlerisch und kommerziell überzeugt. Die neuen Arbeiten von Michael Showalter und Sofia Coppola spielten mehr ein als erwartet. Und eine erstarkte Sehnsucht nach individuell erzählten, besonders aber stilistisch prägnanten Filmen schien sich auch in der großen Aufmerksamkeit für Joon-ho Bongs Netflix-Produktion Okja abzuzeichnen.

Baby Driver

Zwei Wochen lang führte der Kriegsfilm Dunkirk in den USA die Kinocharts an, obwohl es den meisten Filmen heute nicht mehr gelingt, diese Position über das Startwochenende hinaus zu halten. Christopher Nolan ist tatsächlich ein Star, eine Art Warenlogo, und der neben Quentin Tarantino momentan einzige Filmemacher, dessen Name ein breites Publikum in die Kinos lockt. Selbst Skeptiker werden anerkennen müssen, dass Nolan nicht nur auf sehr unbeirrte Art genau die Filme dreht, die er offenbar drehen möchte, sondern auch eine bestimmte Idee von Kino hat – mit der schönen Pointe obendrein, dass sich der populärste Regisseur der Gegenwart allen zeitgenössischen Trends (3D, Streaming, digitales Filmemachen) widersetzt.

Sicherlich lösen die wenigsten eine Kinokarte, weil sie Autorentheorie verinnerlicht haben. Dem Erfolg von Christopher Nolan und anderen bekannten Regisseuren aber liegt eine Publikumsverbundenheit zugrunde, die ganz bestimmt auch mit Zuschauerwünschen nach wesenseigenen Filmen zu tun hat. Die Annahme der Auteur-Idee, Filme entstünden aus den individuellen Begehrlichkeiten ihrer Macher, kann mehrheitsfähig sein. Nolan und die seinen beweisen, dass sich auch im Mainstream-Kino mit einer eigenen, im Falle von Dunkirk sogar experimentellen, Signatur arbeiten lässt. Solche Blockbuster-Auteure bringen Kontinuitäten von spezifischen Themen und Stilen zum Ausdruck und werden zugleich den Anforderungen des Marktes gerecht.

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