Ich, Mutter Krausens Glück & das Berliner Milljöh

31.08.2012 - 08:50 UhrVor 13 Jahren aktualisiert
Mutter Krausens Fahrt ins Glück
Prometheus Filmproduktionsgesellschaft
Mutter Krausens Fahrt ins Glück
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Mutter Krausens Fahrt ins Glück aus dem Jahre 1929 hat mich beim ersten Sehen unglaublich beeindruckt. Dort wo sie einst wohnte, lebe ich heute. Kein Wunder, dass ich dem Film mein Herz schenke.

Mutter Krausen wohnt mit ihren erwachsenen Kindern, Tochter Erna und Sohn Paul, in ärmlichen Verhältnissen; ihre Wohnung hat zwei Zimmer und eine Küche. Um die Miete zu bezahlen, vermietet sie das gute Zimmer an einen Schlafburschen, der als Kleinganove sein Geld verdient. Er lebt mit seiner Geliebten, die er als Prostituierte auf die Straße schickt, und deren kleiner Tochter in dem Zimmer. Sechs Menschen teilen sich die kleine, enge Wohnung, das Klo ist im Hausflur, gewaschen wird sich in der Küche, wo Erna und das Kind auch schlafen. So ähnlich könnte so manche Wohnung in den Berliner Mietskasernen ausgesehen haben. In dem Stummfilm Mutter Krausens Fahrt ins Glück (1929) wird die ganze Schäbigkeit der sozialen Quartiere aufgezeigt.

Der Film war als Zille-Gedenkfilm angedacht, sollte aber nicht in den üblichen Zille-Klischees, -Motiven und -Kitsch ersaufen. Regisseur Phil Jutzi drehte mit vielen Laien und einigen Schauspielern. Die dokumentarischen Bemühungen sind dem Film anzusehen und zeugen von seiner Authenizität. Frei von Sentimentalität schildert er das Wohnungselend in Berliner Proletariervierteln und seine Folgen, Zustände also, die anzuschauen not tut. … Man hat dergleichen öfters in Filmen gesehen, aber gewöhnlich nur als gruselige Staffage für irgendein auserwähltes Schicksal, das in prunkhaften Vorderhäusern happy endig. Hier hält das Hinterhaus bis zuletzt seine Insassen fest. (Siegfried Kracauer) 

Warum ich Mutter Krausens Fahrt ins Glück mein Herz schenke
In Mutter Krausens Fahrt ins Glück wird bildlich nichts vorgegaukelt. Aus der Vogelperspektive verdeutlicht sich das Ausmaß der unmenschlichen Einpferchung. In den ersten zehn Minuten streift die Kamera über die Gegend im proletarischen Arbeiterbezirk Wedding im nördlichen Berlin. Die Fluchten zwischen den Häusern sind schmal, nicht nur die Häuserfronten sind heruntergekommen, die zubetonierten Hinterhöfe lassen nirgends Sonne herein. Auf den Straßen gibt es überall das blanke Elend zu sehen: Bettler, Nachtasyle, Betrunkende, viele alte Menschen, Kinder in Lumpen, Prostitution. Das ist das Milljöh, wie es berlinerisch heißt. 

Obwohl sich Mutter Krausen (Alexandra Schmitt) wirklich bemüht, alles richtig zu machen (sie arbeitet als Zeitungsausträgerin), kriecht das Milljöh auch in ihre Wohnung. Zunächst in Gestalt des Schlafburschen (Gerhard Bienert), der ein lüsternes Auge auf ihre Tochter Erna geworfen hat. Dann in Gestalt ihres Sohnes, der sich einige Groschen in der Lumpensammlung verdient. Er stiehlt ihr eines Tages das einkassierte Zeitungsgeld. Paul (Holmer Zimmermann) wird von seinen Saufkumpanen verleitet, das Geld ist schnell vertrunken. Damit bricht für Mutter Krausen eine Welt zusammen; ihr droht eine Anzeige wegen Diebstahls. Als sie mit ihrer Tochter und dem zukünftigen Schwiegersohn ein Fest besucht, spielt dort die Kapelle Wir versaufen unser Oma ihr Klein-Häuschen, Menschen singen und schunkeln und wenn dazu Mutter Krausen in die Kamera schaut, ist dies für mich eines der traurigsten Bilder der deutschen Filmgeschichte. 

Für Mutter Krausen gibt es keine Hoffnung mehr. Auf ihrem Küchentisch liegt die Anklage. Sie kocht sich ihren letzten, guten Kaffee, zieht sich ihre besten Kleider an, steckt die Groschen in den Gaszähler, dreht den Gashahn auf … und legt sich neben das schlafende Kind: Was hast Du armes Wesen auf dieser Welt zu verlieren, Du kommst mit auf Mutter Krausens Fahrt ins Glück…

Warum auch andere Mutter Krausens Fahrt ins Glück lieben werden
Der Film an sich ist nicht gerade berühmt dafür, sich den sozialen Realitäten zu stellen. Dafür ist er dann doch zu sehr Traumfabrik und will die Zuschauer einladen, dem ganzen sie umgebenden Dreck und Elend zu entfliehen. Und so flüchteten sich in den 1920er Jahren Millionen in die rauchigen Keller- und Kneipenkinos, sahen dem Adel bei ihren Machtkämpfen zu, den Höflingen bei ihren Intrigen, bestaunten Märchenfilme und deutsche Geschichte. Selten sahen sie ihre eigene Probleme auf der Leinwand. Mutter Krausens Fahrt ins Glück ist eines der wenigen Beispiele in der deutschen Filmgeschichte für soziales Filmengagement.

Warum Mutter Krausens Fahrt ins Glück einzigartig ist
Schonungs- und illusionslos wird hier die soziale Situation aufgedeckt, die unter anderem in den katastrophalen Wohnbedingungen ihren Ausgangspunkt hat. Die Kinder von Mutter Krausen können dem Kleinganoven in der engen Wohung gar nicht entkommen, der die Tochter verführt und den Sohn verleitet. Schuld ist dat Milljöh, wird Max von einem seiner linken Freunde aufgeklärt, nicht die Menschen sind so, sondern die Umgebung macht sie so. Ausweg und Hoffnung ist die Veränderung der Verhältnisse. Mutter Krausen ist Opfer statt Heldin, ihre Tochter dagegen könnte ihre Geschichte selbst in die Hand nehmen.

Warum Mutter Krausens Fahrt ins Glück überdauern sollte
Die Mietskaserne und das Hinterhof-Milieu sind im deutschen Berlin-Film der 1920er Jahre immer irgendwie präsent. Einigen damaligen Kritikern wie etwa Lotte Eisner galten die Wohn-Szenarien in Filmen wie Die freudlose Gasse, Der letzte Mann oder Berlin Alexanderplatz als Prototypen des dekorativ Sozialen, die das Pittoreske des Elends ausbeuten, die immer auf eine schöne Bildwirkung aus sind, die sich nicht vom Sentimental-Symbolischen freimachen können, die eine peinliche Melodramatik praktizieren. Das mag sein, aber sie zeichnen auf ihre sehr unterschiedliche Art sehr sorgfältig das Milieu der 1920er Jahr. Und sie geben zu bedenken: Aus eigener Kraft kommt niemand aus der Mietskaserne heraus. Nur Randfiguren in Mutter Krausens Fahrt ins Glück und explizit der Film "Kuhle Wampe oder: Wem gehört die Welt? (Kuhle Wampe oder: Wem gehört die Welt?)":/movies/kuhle-wampe-oder-wem-gehoert-die-welt (1932) zeigen eine Möglichkeit, die einen Ausweg aus dem sozialen Elend bietet: Die, denen die Welt nicht gefällt, sollen sie verändern.

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