Lauret Cantet darüber, was geborene Schauspieler sind ...

14.01.2009 - 08:30 Uhr
Die Klasse
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NEWS» Regisseur Laurent Cantet beantwortet Fragen zum Cannes-Gewinner Die Klasse.

Für den franzsösischen Film Die Klasse von Laurent Cantet sind alle Schüler gecastet und Laiendarsteller. Nur François Bégaudeau Bégaudeau hat über seine Erfahrungen als Lehrer ein Buch geschrieben und spielt sie als junger, idealistischer Lehrer im Film selber vor. Regisseur Laurent Cantet erklärt, wie die Arbeit mit …

… geborenen Schauspielern ist …
Die Arbeit mit den Heranwachsenden begann Anfang November 2006 und dauerte bis zum Schuljahresende. Jeden Mittwochnachmittag boten wir offene Workshops an, und wer von der 6. und 7. Klasse Lust hatte, konnte teilnehmen. Die nicht mit gezählt, die nur einmal auftauchten, haben wir insgesamt um die 50 Schüler gesehen. Fast alle, die im Film mitspielen sind die, die das ganze Jahr bei der Stange geblieben sind. Die anderen haben von selbst aufgehört.

Während des Jahres hat sich eine Klasse gebildet. François Bégaudeau nahm an allen Workshops teil. Nach und nach lernten wir, wie man die Schüler am besten kennen lernt und wie wir gemeinsam mit ihnen das herausholen konnten, was dem Grundcharakter der Figuren zusätzliche Facetten verleiht. Die Figuren des ursprünglichen Drehbuchs, die nur durch bestimmte Situationen existierten, wurden so präzisiert. Der junge Chinese im Buch beispielsweise, interessierte mich wegen seiner Schwächen in der französischen Sprache und wegen der Ausweisung seiner Eltern. Der junge Wei im Film verdankt dem Jungen, der ihn spielt, sehr viel. Wir haben nicht ein einziges Wort seines Selbstporträts geschrieben und auch nicht den Teil, wo er erklärt, wie er sich für andere schämt.

Im Verlauf des Prozesses haben sich fiktionale Charaktere herauskristallisiert. So war Arthur, das “Gothic Kid” beispielsweise im Drehbuch nicht vorgesehen. Aber einige Wochen vor Drehbeginn kam die Kostümdesignerin, um die Kleidung zu inspizieren. Wenn einer von ihnen “gothic” sein wollte, warum nicht. Arthur begeisterte sich an der Vorstellung. Ich kann mir vorstellen, dass da etwas ist, was er gerne ausleben möchte, was er sich sonst nicht traute. Er ist mit Lust in die Fiktion eingetaucht. Ich habe seine Wahl zum Anlass genommen, seine Mutter zu fragen, ob sie diese Thematik nicht mit dem Lehrer diskutieren könnte. Das war übrigens das einzige Treffen, was ich ausgerichtet habe. Die anderen Eltern haben ihre eigenen Themen vorgeschlagen, angelehnt an die Erwartungen, die sie in ihre eigenen Kinder setzen.

In den Improvisationen des Workshops haben wir versucht, sie so weit wie möglich in eine Richtung zu bringen, um zu sehen, inwieweit sie die ein oder andere Szene in den Griff kriegten. Eines Tages habe ich Carl gebeten, sich aggressiv gegenüber dem Lehrer zu verhalten und er hat uns mit einer Szene unerwarteter Gewalt konfrontiert. Einige Sekunden später habe ich ihm eine andere Situation vorgeschlagen: er kommt von einer anderen Schule, die ihn rausgeworfen hat, und will nun als netter Junge erscheinen. Und sofort hat er einen ruhigen und von François Bégaudeau eingeschüchterten Jungen gemimt. Diese Szene ist übrigens im Film.

Derjenige, der seiner Rolle die meisten neuen Aspekte hinzufügte, ist Franck (der Souleymane im Film). Er ist ein sehr zurückhaltender und freundlicher Typ, genau das Gegenteil seiner Filmfigur. Gemeinsam haben wir mit ihm am Image des harten Jungen gearbeitet. Wir haben ihm einen neuen Look verpasst, sodass er sich anfangs wie verkleidet fühlte. Das ungewohnte Outfit half ihm, in den Charakter zu schlüpfen. Im Verlauf der Szenen war ich überrascht, zu welchen Gewaltausbrüchen er sich fähig zeigte. Esmeralda dagegen ist Esmeralda – ein ruhiges monolithisches Kraftzentrum. Sie fühlte sich immer wohl bei Machtspielchen und Konflikten. Was sie nicht hinderte, meine Ratschläge aufzunehmen. Ich glaube, besonders bei der Vorstellung von Platos “Der Staat”. Am Vorabend der Dreharbeiten hatte François Bégaudeau mit ihr über das Buch gesprochen, das sie natürlich nicht gelesen hatte. Bevor die Kamera anging, habe ich sie gebeten, Sokrates so zu beschreiben als hätte sie ihn persönlich gekannt. Und vom ersten Take an lieferte sie eine Interpretation des Buches, die beides war, sehr präzise und zugleich lückenhaft. Ich war sehr bewegt, ein Moment, den Lehrer wohl so empfinden.

Wenn ich einen Schüler frage, einen Schüler zu mimen und einen Lehrer, einen Lehrer zu mimen, erwarte ich nicht, dass sie sich selbst darstellen. Ich bin Anhänger der Idee, dass ein Schauspieler einen persönlichen Input gibt. Man kann so Figuren erfinden, die auf der Vorstellung der Schauspieler von sich selbst beruhen, auf ihre Art zu sprechen und sich zu geben. Die Lehrer beispielsweise waren wie die Schüler sehr schnell in der Ausarbeitung ihrer Persönlichkeiten involviert: während des Improvisations-Workshops haben sie gemeinsam überlegt, wie die unterschiedlichen Szenen anzugehen sind und bei der Gelegenheit auch ihre eigenen Unterrichtsmethoden hinterfragt, oder manchmal auch meine Vorschläge angegriffen. Das war eine der leidenschaftlichsten Phasen im Prozess des Filmemachens und hat etwas Geheimnisvolles in sich. Ich messe nicht ab, welcher Teil von mir beeinflusst war. Nach Beendigung einer Szene weiß ich nie genau, wer was da eingebracht hat.

Copyright: Mit Material von Concorde / Das Interview führte Philippe Mangeot

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