Mitten ins Herz - Das neue rumänische Kino

11.01.2012 - 08:50 Uhr
Cover der französischen DVD von Der Tod des Herrn Lazarescu
BAC
Cover der französischen DVD von Der Tod des Herrn Lazarescu
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Sie biedern sich nicht an und zehren trotzdem an den Emotionen des Zuschauers. Die Film der neuen rumänischen Welle haben einiges zu bieten, wie nicht nur der Cannes-Sieger 4 Monate, 3 Wochen und 2 Tage beweist.

Diese Woche startet der kleine rumänische Film Police, Adjective von Corneliu Porumboiu in den Kinos. Bis vor ein paar Jahren wäre so ein Kinostart etwas ganz besonderes gewesen, denn das rumänische Kino war über die Grenzen des osteuropäischen Landes selbst kaum bekannt. Doch zu Beginn des neuen Jahrtausends gab es eine kleine Invasion von äußerst realistischen, aber formal strengen Filmen auf den Festivals dieser Welt. Der Höhepunkt dessen bildete die Goldene Palme, welche 4 Monate, 3 Wochen, 2 Tage von Cristian Mungiu 2007 in Cannes gewann. Es wird Zeit, sich mit dem neuen rumänischen Kino zu beschäftigen.

Festivaldarlings
Während andere osteuropäische Filmnationen auf eine lebendige Filmkultur zu Zeiten des Kalten Krieges zurückblicken können, war Rumänien stets eine Ausnahme. Filme wurden in dem lange Zeit von Diktator Nicolae Ceauşescu regierten Land zwar gedreht. Doch anders als etwa in der ČSSR oder Ungarn gab es kaum Werke, die das System zu kritisieren wagten. Das rumänische Kino blieb bis in die 90er eine große Unbekannte auf dem weltweiten Festivalbetrieb. Und dann kam ein Kurzfilm.

Wie immer, wenn von Neuen Wellen gesprochen wird, zeigen sich die Filmemacher selbst etwas widerspenstig, wenn es um die Annahme des Etiketts des neuen rumänischen Kinos geht. Doch die Beobachter sind sich einig, dass der Startschuss 2004 mit dem Gewinn der Kurzfilm-Palme d’Or durch Trafic von Cătălin Mitulescu in Cannes fiel. Seitdem hat sich das rumänische Kino insbesondere an der Croisette etabliert und auch Police, Adjective wurde dort mit dem Jurypreis der wichtigen Kategorie Un Certain Regard ausgezeichnet.

Regisseure wie Cristi Puiu (Der Tod des Herrn Lazarescu) und Cristian Mungiu (4 Monate, 3 Wochen, 2 Tage) wehren sich gegen das vereinheitlichende Siegel. Doch haben die Filme der Neuen Welle aus Rumänien wiederkehrende Merkmale? Ein gemeinsames Manifest wie das der Dogma-Filme aus Dänemark liegt ihnen zwar nicht zu Grunde. Doch stilistische wie thematische Parallelen sind trotzdem auszumachen. So spielen einige der Werke, wie etwa 4 Monate, 3 Wochen, 2 Tage, The Paper Will Be Blue und 12:08 Jenseits von Bukarest kurz vor oder während der rumänischen Revolution Ende der 80er Jahre. Das Leben in der spezifisch rumänischen Diktatur des Nicolae Ceauşescu scheint die Generation der heute 40-jährigen Rumänen nicht loszulassen.

Keine Welle und doch eine Welle
Kontrastiert wird die systemimanente Kälte, die beispielsweise das Abtreibungsdrama 4 Monate, 3 Wochen und 2 Tage dominiert, mit dem kleinteiligen gemeinschaftlichen Zusammenhalt. Während im Film von Cristian Mungiu eine Freundin für die andere bis zum letzten geht, um deren illegale Abtreibung zu finanzieren, zeigt der in der Gegenwart angesiedelte Der Tod des Herrn Lazarescu eine Gesellschaft, in der die privaten Bande keinen Halt mehr haben, in die Menschen atomisiert nebeneinander, aber nicht miteinander leben. In 150 Minuten schildert Cristi Puiu darin die Odyssee eines alten, vereinsamten Mannes durch rumänische Krankenhäuser. Von den Nachbarn bis hin zu den Ärzten will sich keiner so richtig mit dem latenten, aber dennoch stolzen Trinker Herrn Lazarescu beschäftigen. Einzig eine Rettungshelferin nimmt sich seiner an.

Der Tod des Herrn Lazarescu ist ein ausgezeichnetes und stellvertretendes Beispiel für das filmische Potenzial des jungen rumänischen Kinos. Ohne außerfilmische Musik, mit langen Einstellungen, realistischer Ausleuchtung und einem geduldigen Blick für alltägliche Abläufe schafft es der Film, zugleich rumänische Zustände im neuen Jahrtausend anzuprangern, als auch das menschliche Miteinander im allgemeinen unter die Lupe zu nehmen. Herr Lazarescu ist keine strategisch platzierte Mitleidsfigur, kein Umberto D., sondern ein sperriger Charakter, einer der zu viel trinkt, der für seine Situation auch selbst verantwortlich ist und trotzdem unsere Emotionen weckt. Wir beobachten, wie er ein ums andere Mal die selben ärztlichen Prozeduren durchsteht, wie sein Zustand immer schlimmer wird, während Ärzte und Schwestern sich in arroganten Kompetenzstreitereien verlieren. Mal bäumt es sich in uns auf angesichts der Fahrlässigkeit, mal denken wir: Was hätten sie denn sonst machen sollen? Gute und Böse gibt es in diesem Kino des extremen Realismus nicht.

Obwohl es im neuen rumänisches Kino auch um Leben und Tod geht, um die Abgründe dessen, was Menschen einander antun, sind die Filme von einem belebenden schwarzen Humor durchzogen. Dabei zeigen sich die Werke weniger verrückt als die Vertreter von Dogma, weniger sentimental als der italienische Neorealismus und weniger künstlerisch verkopft als die Berliner Schule. Das ist nicht leicht und weckt Emotionen und Fragen, denen wir uns manchmal lieber nicht stellen wollen. Doch vielleicht braucht es gerade die Filme der Romanian New Wave, damit wir dazu gezwungen werden.

Ein paar wichtige Filme des jungen rumänischen Kinos:
Der Tod des Herrn Lazarescu (2005)
12:08 Jenseits von Bukarest (2006)
The Way I Spent the End of the World (2006)
4 Monate, 3 Wochen, 2 Tage (2007)
california-dreamin-nesfarsit- (2007)
Tuesday, After Christmas (2010)
Aurora (2010)

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