Quick Time Events: Fingerkrämpfe und Magic Moments

02.03.2015 - 17:45 UhrVor 9 Jahren aktualisiert
Bild zu Quick Time Events: Fingerkrämpfe und Magic Moments
Konstantin Sutyagin
Bild zu Quick Time Events: Fingerkrämpfe und Magic Moments
0
1
Sie sind fester Bestandteil der Videospielkultur — und das bereits seit den 1980er Jahren: Quick Time Events heißen die Tasteneingaben unter Zeitdruck, die die spielende Community immer wieder aufs Neue zweiteilt. Press X to have fun? Naja, kommt drauf an.

Oh, ich hasse Quick Time Events.

Nach etwa zwei Stunden mit God of War III  versetzte mich der bloße Anblick von verschlossenen Türen, die ich daumenhämmernd aufstoßen musste, in Panik. In der Kampagne von Battlefield 3  musste ich wegen eines ungünstigen Checkpoints und miesen Shooter-Skills etwa 14 Ratten  mit einem Messerstich skalpieren. Beim Armdrücken in Shenmue  schließlich verlor ich nicht nur für mehrere Jahre jegliches Gefühl in der rechten Hand, sondern auch den Glauben an das Gute im Menschen.


Doch das ist nur die halbe Pizza im Karton: Auf der anderen Seite der Diskussion um Sinn und Unsinn von QTEs stehen Spiele wie Heavy Rain , Dead Space  oder auch The Walking Dead , die wohlportioniert zur Knöpfchendrückerei aufrufen und dabei alles andere als nervtötend oder lähmend langweilig wahrgenommen werden. Wieso aber funktionieren bei diesen Spielen Quick Time Events so gut und weshalb verurteilt dennoch die gefühlte Mehrheit der Spieler dieses Gameplay-Element weiterhin verbissen?

Letzte Woche fragten wir euch genau das in unserer Community-Runde: Sind Quick Time Events Spielspaß-Killer?  Eure Antworten auf diese Frage fielen eindeutig negativ aus: Nervig, ablenkend, nicht sonderlich elegant — diese Worte umschreiben das breite Meinungsbild, das im Internet vertreten wird. QTEs scheinen der Endgegner aller spielerischen Freiheiten zu sein. Dabei ist und bleibt das Thema allgegenwärtig: Nahezu jede größere Website, die sich mit Spielen beschäftigt, kommt früher oder später auf dieses Feature zu sprechen. Allerdings nicht unbedingt, weil die sich oft im Kreis drehenden und gegenseitig in ihrer Ablehnung zustimmenden Diskussionen so produktiv sind, sondern weil QTEs bis heute ein lebendiger Bestandteil der Videospiele sind — und das seit den 1980ern.

Ob man nun die Geburt des reflexartigen Knöpfchendrückens auf Dragon's Lair  schieben will, oder die Ursprünge doch lieber beim verklärten Klassiker Shenmue  finden möchte, ist letztendlich unerheblich. Beide Spiele verstanden und benutzten Quick Time Events als Aufforderung zum Buttonmashing: Reagiert ihr rechtzeitig, so erkennt das Spiel einen "Erfolg" und lässt euch weitermachen — scheitert ihr allerdings an der Eingabe, müsst ihr die Szene wiederholen. Dies ist die klassische Art und Weise, QTEs zu benutzen und kostet damit seit über 25 Jahren Nerven und Geduld. Warum aber sehen Entwickler bis heute eine Notwendigkeit für ein so rudimentär wirkendes Feature?

In Call of Duty: Advanced Warfare geraten die QTEs zur lächerlichen Farce.

Der Ursprungsgedanke der Quick Time Events ist eigentlich nachvollziehbar. Seit die technischen Möglichkeiten der grafischen Inszenierung gewachsen sind, müssen Videospiele, die über das entsprechende Budget verfügen, eine Gratwanderung zwischen Inszenierung und Interaktivität hinlegen: Je näher sich, aus welchen Gründen auch immer, ein Spiel an der Bildsprache des Films orientieren möchte, desto mehr Zwischensequenzen, feste Kamerafahrten und abwechslungsreiche Schnitte sind nötig. Dieser Schritt allerdings nimmt dem Spieler viel von seiner Unabhängigkeit und spielerischen Freiheit: Ich muss die Ratte aus Battlefield 3 töten, um weiterspielen zu können und genauso wenig reicht es für einen Kratos in God of War, die Tür mit einem Schlüssel zu öffnen — stattdessen ist Daumenhämmern auf die Kreis-Taste angesagt. Oder vielleicht doch auf Knopfdruck "Ehre erweisen"?

Das 2008 erschienene Spider-Man: Web of Shadows  liefert eine wunderbare Zusammenfassung der Dinge, die Entwickler bei der Konzipierung von QTEs falsch machen können:


Völlig unvorhersehbare Eingabeaufforderungen, ständige Neuversuche und am Ende hat unser Erfolg nicht einmal eine Auswirkung auf den Ausgang des kurzen Abschnitts: Dieses Verständnis der QTEs als Reflextest, der auf Biegen und Brechen (des Controllers) auch Zwischensequenzen möglichst interaktiv gestalten möchte, scheint veraltet.

Doch die jüngere Videospielgeschichte hat gezeigt, dass QTEs durchaus funktionieren können: In The Walking Dead  und anderen Telltale-Spielen bedeutet jeder Knopfdruck eine Entscheidung, die teils weitreichende Auswirkungen mit sich ziehen kann. Diese Spiele, die auf dieser sogenannten Telltale-Formel beruhen, gehören zu den besten Erzeugnissen, die unser Hobby in den letzten Jahren hervorgebracht hat. Der Erfolg gibt dem Konzept QTE Recht: Als kurzer Moment der absoluten Entscheidungsmacht, in der uns die Entwickler vor eine Situation stellen und der nächste Knopfdruck über die folgenden Ereignisse entscheidet, entfalten die QTEs ihr gesamtes Potential und schaffen den Kompromiss aus inszenierter Atmosphäre und spielerischer Entscheidungsfreiheit.

QTEs done right: Jeder Knopfdruck steht für eine weitreichende Entscheidung.

Doch QTEs können noch mehr als das: In Heavy Rain  übernehmen sie zu großen Teilen jede Form der Steuerung und Interaktion — aber auch hier gibt es keinen wirklich Misserfolg, kein direktes negatives Feedback im Stile eines GAME OVER-Bildschirms. Kontinuität wird gewahrt. Unsere Entscheidungen und unser Geschick mit den teils anspruchsvollen Knopf-Kombinationen tragen die Charaktere durch das Spiel.

QTEs sind ein mächtiges Werkzeug, die sicherlich am besten in Spielen funktionieren, die von starken Charakteren getragen werden. Erst, wenn uns das Schicksal der Protagonisten und Antagonisten interessiert und berührt, sehen wir über die Beschneidung der spielerischen Freiheit hinweg. Womöglich liegt genau hier der Schlüssel im Erfolg oder Misserfolg des umstrittenen Features: Quick Time Events als spielerischer Stolperstein, der erfolgreich gemeistert werden muss oder Banalitäten inszeniert , verdient meiner Meinung nach Kritik. Dieses Verständnis von QTEs ist ein Feature-Rudiment, das nicht mehr zum modernen Spielerlebnis passt. Als inszenatorische Zuspitzung allerdings, die euch Entscheidungen abverlangt oder vor ein "'entweder - oder" statt ein "richtig - falsch" stellen, verdienen QTEs nach wie vor ihren Platz in der Videospiellandschaft.

Das könnte dich auch interessieren

Kommentare

Aktuelle News